Es war einer dieser traurigen Tage im Leben eines Meistertrainers. Müde und niedergeschlagen hockte ich vor einem Hefeweizen in der Lobby des Waldhotels in Heiligenhaus. Dunst und Regen lagen schwer auf dieser Stadt im Niederbergischen. So schwer, wie mir die Entscheidung gefallen war, meinen Job als Trainer der SSVg 09/12 aufzugeben. Es hatte in den letzten Tagen zu viele Querelen um die Bezirksligamannschaft gegeben. Zu viel wurde geredet über die Möglichkeiten und Aussichten der Mannschaft in der Achim Weber das Fussballspielen erlernt hatte. Aber Perspektiven eröffneten sich hier nicht wirklich.
"Stadt der Schlösser und Beschläge" nannte man sich, in Anlehnung an die industrielle Vergangenheit. Mir war sie eher als eine Kleinstadt im Grünen in Erinnerung. Grün, das war auch wirklich die Farbe meiner Jugend gewesen - sieht man von den Monaten im Winter ab, in der die Stadt ihr tristes Grau anlegte, was eigentlich besser zu ihrem industriellen Anspruch passen würde. Nein, den Winter konnte ich hier niemand guten Gewissens empfehlen. In dieser Zeit entwickelte sich das Spielfeld an der Talburgstrasse zu einer dreckigen Schlammwüste - es wurde hier, wie in alten Zeiten, auf Asche gespielt. Was ab dem Frühling der Blumen- und Blütenteppich der Umgebung zu kaschieren wusste, kam in dieser Jahreszeit in voller Wucht in den Gemütern der Einwohner meiner kleinen Heimatwelt zum Vorschein- Tristess.
Aber jetzt, im späten Frühling, war alles in saftiges Grün getaucht. Die Umgebung versprach, gleich der Jahreszeit, einem Neubeginn. Ganz im Gegensatz zu dem Verein, dem ich mich mit Herzblut verschrieben hatte. Er blieb im Winter stecken. An zahlungskräftigen Sponsoren mangelte es in dieser mittelständischen Stadt, mit ihren zahlreichen Zulieferbetrieben nicht - allein die Fähigkeit, mit diesem Geld Sinnvolles auf die Beine zu stellen lag den Heiligenhausern so fern, wie die Erinnerung an ihren größten Sohn, John Steinbeck.
Jenseits von Eden - und doch mittendrin - so ist Heiligenhaus wohl am besten charakterisiert.
Ich war also arbeitslos. Keine Reputation ausser einem glühenden Lokalpatriotismus und keine Referenzen ausser einer müden Saison, voller Querelen und Missständen.
Sicher, ich hatte die Umgebung sondiert, einige lose Kontakte geknüpft. Türkucü Velbert oder die SSVg 02, der selben Stadt hatten zaghaftes Interessse bekundet. Kurze Zeit war mir auch ein Engagement in Wülfrath, dem ehemaligen Drittligaverein angetragen worden, aber - all dies hatte sich zerschlagen in den Träumen die ich hegte und den Hoffnungen, welche die Verantwortlichen für ihre Vereine als Möglichkeiten in Erwägung zogen. Nein, das Bergische konnte mir kaum eine Zukunft bieten...
Müde erinnerte ich mich der altbekannten Gesichter aus meiner Stammkneipe, dem Pubb, die mir Trost und Zuversicht für meine zukünftigen Aufgaben versprachen. Voller Wehmut erinnerte ich mich an meinen alten Kollegen Motor, der, jenseits der Vorstellungskraft der meisten meiner Mitbürger, in Brasilien eine Verpflichtung eingegangen war.
Was sollte aus mir werden -
Hier kannte ich jeden Flecken Erde, aber die Zeit stand still. Hier wusste ich um die Welt, aber ich würde ihr verlorener Sohn bleiben...
Langsam brach die Abendsonne durch das Blätterdach vor dem Fenster der Lobby. Ein zarter Lufthauch drückte den Gesang der Vögel an mein Ohr, unterbrochen durch die schweren Tropfen des Regens, der sich auf den Bäumen gesammelt hatte.
Schwermut packte mich, denn die Gewissheit sickerte gleich der Regentropfen in meine Seele - ich musste meine Heimat verlassen, um irgendwo Abseits des Vertrauten meine Zukunft zu bestreiten.
In düsterer Vorahnung verliess ich mein Hotel. Schwer lag der Geruch von feuchter Erde in der Luft, als ich mein Heimatstädtchen bewusster als sonst durchzog.
Was waren die Möglichkeiten?
Nun, bis Mitte des Monats würde ich finanziell abgesichert sein. Danach war meine Abfindung aufgebraucht und meine Bindung zu meiner zauberhaften Vergangenheit würde mit Sicherheit ein jähes Ende finden.
Ich konnte nach Essen gehen. Herr Hempelmann hatte durchblicken lassen, dass man für einen baldigen Aufstieg nur auf ein vernünftiges Konzept warten würde um sich vom jetzigen Trainer zu trennen. Die Hafenstraße lag nicht weit von meiner Haustüre entfernt, aber im Grunde würde ich Eulen nach Athen tragen. Reizvoll - mit Sicherheit. Aber eine wirkliche Verbesserung meiner Lage war das nicht - eher die berühmte Sisyphusarbeit.
Stuttgart - auch dass stand zur Debatte. Hier würde zum einen der Abschied schwerer fallen, zum anderen saß Felix Magath noch relativ fest im Sattel. Ich würde mich folglich auf zähe Verhandlungen einlassen müssen.
Auch zum S04, meiner eigentlichen Liebe, waren lose Kontakte vorhanden. Ein Onkel von mir war früher auf der Liste der begehrten Spieler der Knappen gewesen. Es bestanden so immer noch flüchtige Kontakte zur Vereinsführung - was mir diese nutzen würden stand jedoch in den Sternen. Ich kann es nicht verhehlen, Gelsenkirchen ist wie eine zweite Heimat für mich. Hier hatte ich meine Familienwurzeln, hier fühlte ich mich fast so zu Hause wie in Heljens. Aber irgendwie waren mir die Schalker in ihrem Aufstieg ein wenig unsympatisch geworden. Das waren nicht mehr die Malocher vom Schalker Markt - vielmehr ein Abklatsch einer unvergessenen Vergangenheit, die vier Minuten zu kurz gekommen waren.
Ich hatte über die endlos lange Hauptstraße der Stadt meine geliebte Kneipe erreicht. Ich dachte, einige Grolsch bei Taschkin und Gülo, einige Kickerpartien mit Lars - und viele Gespräche in den nächsten Stunden würden vielleicht helfen, eine Entscheidung zu treffen - als mich plötzlich ein Anruf von Motor auf meinem Handy erreichte.
Ich schilderte ihm meine Lage - was blieb mir anderes - und er versprach mir zu helfen. Bis zum 19. Mai, so sagte er, würde er Erkundungen bei einer gewissen Gruppe von Maniacs (?)einholen, die mir in meiner Situation mit Sicherheit weiterhelfen würden - so versprach er...
Ich war gespannt. Auf pro und contra Argumente war ich in meiner misslichen Klemme durchaus angewiesen!