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Verschiedenes => Fußball => Thema gestartet von: Tomminator4real am 04.März 2013, 01:04:56

Titel: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 01:04:56
1. "Aranycsapat"- Die goldene Elf der Ungarn 1948-1954

Die erste Mannschaft, die ich euch vorstellen möchte, ist für viele neben der holländischen Nationalmannschaft 1974 die beste Mannschaft, die es nicht geschafft hat, Weltmeister zu werden.
Ich will euch diese Mannschaft vorstellen- sowohl die Spielerpersönlichkeiten, als auch die Taktik. Zudem bietet sich hier auch die Möglichkeit aufzuzeigen, wie ein einzelnes Ereignis ( nämlich der Ungarnaufstand 1956) es schaffen konnte, die Fußballkultur Ungarns zu zerstören. Denn: Außer einem Olympiasieg 1968 bleibt Ungarn von der Bildfläche der Topmannschaften für immer verschwunden.
Zunächst einmal zur Visualisierung ein Bild der Aranycsapat ;)

(http://www.magyartudat.com/wp-content/uploads/aranycsapat-6-3-3.jpg)

Allerdings sollte man sich von der Formation nicht irritieren lassen - das hier angedeutete W-M- System wurde zwar am häufigsten praktiziert, dennoch war diese Mannschaft mit einem System, was ich später aufzeige, berühmt.
Zuerst schauen wir uns  den ungarischen Fußball im Jahr 1948 an. Wichtig zu erwähnen ist zunächst, dass in Ungarn schon ( im Gegensatz zu Deutschland) Fußball im Ligensystem gespielt wurde.
Die ungarischen Mannschaften gehörten daher schon in den 20er und 30er Jahren zur Weltspitze. Sowohl im "Mitropapokal", einem europäischen Turnier der Vereinsmannschaften Ende der 20er bis in die 30er hinein, schnitten die ungarischen Mannschaften immer gut ab. Sowohl Ferencvaros Budapest, als auch der Ujpesti FC konnten den Pokal zwei Mal für sich entscheiden.
Bei der Weltmeisterschaft 1938 wurde die ungarische Mannschaft mit ihren Stars Dr. Sarosi und Gyula Zsengeller Vizeweltmeister, verlor aber auch verdient gegen die Italiener.
Doch nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich besonders bei den Vereinen Honved Budapest (welcher quasi neu gegründet wurde:er war dem ungarischen Sportministerium direkt unterstellt und hatte den Status eines Armeeclubs inne) und MTK Hungaria zeitgleich eine Generation von Spielern, die ihre Vorgänger überragten. Ein Ferenc Puskas debütierte mit 15 bei Honved Budapest und dann 1945 mit 18 auch in der Nationalmannschaft.
Doch erst 1949 erhielt die ungarische Nationalmannschaft die Spielphilosophie, welche sie bis 1957 auszeichnete. Gustav Sebes wurde zum Trainer berufen.
(http://historiafutbolu.fm.interia.pl/Trenerzy/szebes.jpg)
Dieser nominierte bis 1954 beinahe ausschließlich Spieler von Honved und MTK Hungaria , wodurch Nationalmannschaft wegen dieser Blockbildung ( dieser Begriff trifft es am ehesten) sich gut einspielen konnte.  - kurzer Exkurs: Zu jener Zeit hatten Freundschaftsspiele durchaus eine wichtigere Bedeutung als heute- Europameisterschaften gab es nicht, WM Qualifikationen waren nicht so aufwendig wie heute. Insofern wurden Freundschaftsspiele mit höchster Intensität geführt.
Die Bilanz, welche die Ungarn zwischen 1950 und 1954 erreichte, ist daher sehr hoch einzuschätzen: 32 Spiele hintereinander waren sie ungeschlagen. Sie schossen dabei insgesamt mehr als 120 Tore, zudem besiegten sie alle führenden Nationen Europas. Bis zur Weltmeisterschaft 1954 stechen insbesonders 3 Erfolge hervor:   1952 wurde man in Helsinki Olympiasieger ,1953 besiegte man England im Wembley Stadion 6:3. Die Engländer wurden das erste mal in ihrer Fußballgeschichte zu Hause von einer Mannschaft geschlagen (Schottland gelang dies schon früher, man müsste also genauer sagen: eine Mannschaft außerhalb der britischen Insel). 
Doch dass das 6:3 schmeichelhaft war, zeigte sich im "Rückspiel" in Budapest 1954: Endstand: 7:1 für die Ungarn.
(Anekdote: Am gleichen Tag war das Endspiel um die deutsche Meisterschaft. Der Fc Kaiserslautern, in welchem der Stamm der 1954er Nationalmannschaft spielte, ging mit 1:5 gegen den Underdog Hannover 96 unter).

Was demnächst folgt:  Die revolutionäre Taktik der Ungarn, Die Stars der Ungarn, Die Endspielniederlage 1954
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: smedhult am 04.März 2013, 06:41:51
Sehr schön. Weiter so!  :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 15:36:14
Die Frage stellt sich natürlich, wie  und warum die Ungarn diese 4 Jahre so deutlich dominierten. Um das zu verstehen, schauen wir uns zunächst die Stars dieser Mannschaft an:

1. Gyula Grosics  *4.2. 1926
(http://www.derbydeadpool.co.uk/images/celebs/g/grosig.jpg)

Der Torwart, der wie Oliver Kahn auf 86 Spiele für sein Land kam, gilt vielen als der beste Torwart der 50er Jahre. Seit 1950 bei Honved Budapest spielend, galt er in einer Zeit, als dass Toreschießen weit wichtiger war als das Toreverhindern, als Ausnahmetorhüter. Doch auch fußballerisch war der Keeper begabt, er gilt als Prototyp des mitspielenden Torhüters, er agierte gelegentlich als Ausputzer auf dem Feld. Als einer der wenigen des ungarischen Teams blieb er auch nach dem Ungarnaufstand 1956 seinem Land treu, was ihm allerdings auch einige Zeit im Gefängnis aufgrund angeblicher Spionage einbrachte.

2. Gyula Lorant  *6.2. 1923 - 31.5. 1981
(http://www.fussballzz.de/img/jogadores/43/22243_gyula_lorant.jpg)

Der spätere Weltklassetrainer machte sich auch als Spieler einen Namen. Als Mittelläufer brachte er es auf 37 Spiele für die ungarische Nationalmannschaft. Er war einer der ältesten Spieler der Aranycsapat und galt insgeheim als der Abwehrchef im Team. Dabei muss ich schonmal vorweg nehmen: die Abwehr der Ungarn war zugleich die größte Schwäche des Teams, keiner der Innenvertdiger kam an die Fähigkeiten eines Gyula Lorant heran. Auch er spielte bei Honved Budapest und erarbeitete sich dort den Ruf des Wadenbeißers im Team.
Er wurde später der erste Trainer , der in Deutschland (bei den Bayern) die Raumdeckung einführte.

3. Jozsef Bozsik *28.11. 1925 - 31.5. 1978
(http://honved.hu/wp-content/uploads/bozsik-jozsef1.jpg)

Man soll bei Vergleichen zwischen Fußballern vorsichtig sein, doch bei Bozsik fällt eine Beurteilung leicht. Neben dem Uruguayer Andrade (20er-30er Jahre) gilt Bozsik als der beste rechte Läufer aller Zeiten. Beidfüßig, torgefährlich ( für diese Position ungewöhnlich)  und mit spielgestalterischen Fähigkeiten ausgestattet, war er für das Team unverzichtbar. Mit seinen 101 Länderspielen ist er auch Rekordspieler der ungarischen Nationalmannschaft und gilt neben Ferenc Puskas als bekanntester Spieler von Honved Budapest.

4. Nandor Hidegkuti *3.3. 1922 - 14.2.2002
(http://sibintangbatu.files.wordpress.com/2012/06/hidegkuti.jpg)

Der älteste Spieler der Aranycsapat hatte erst mit 30 einen wirklichen Stammplatz in der Nationalmannschaft. Dennoch war er und nicht Puskas, wie Sepp Herberger bemerkt der wichtigste Spieler der Mannschaft. Hidegkuti mag nicht der talentierteste Spieler dieser Mannschaft gewesen sein, dennoch verkörperte er die wohl größte Innovation des ungarischen Fußballs: der verkappte Mittelstürmer. Auch aufgrund der mangelnden Größe (1,79) musste sich Hidegkuti andere Wege als Mittelstürmer suchen. Da auch seine Dribbelfähigkeiten begrenzt waren, ließ er sich bis weit ins Mittelfeld zurückfallen. Dadurch schaffte er in der gegnerischen Abwehr große Lücken, da der gegnerische Mittelläufer, der ihn ständig verfolgte, nicht mehr an seinem Posten war.
Dennoch: in 69 Spielen schoß Hidegkuti 39 Tore, für einen Spielertyp wie ihm eine beachtliche Quote.

5. Zoltan Czibor  *23.8. 1929 - 1.9.1997
(http://www.blaugranas.com/media/wiki/25/1/5/1/2/b_20101022064506_zoltan_czibor_suhai_zoltan_czibor_suhai.jpg)

Der beste Linksaußen der 50er Jahre war wegen seiner Sololäufe gefürchtet. Gepaart mit seiner Torgefährlichkeit war er schwer für seine Gegenspieler auszurechnen, er passte perfekt in das Kombinationsspiel der Ungarn.

6. Sandor Kocsis *23.9.1929 - 22.7.1979
(http://www.labdarugo.be/Images/10.Kocsis-Sandor.jpg)

Das "Goldköpfchen". Der Torschützenkönig der Wm 1954 gilt als einer der besten Kopfballspieler aller Zeiten. Seine Torquote ist sogar besser als die von Gerd Müller: 68 Länderspiele, 75 Tore. Mit einem übernatürlichen Gespür für Tore knipste er auch später den FC Barcelona zu 2 spanischen Meisterschaften.

7. Ferenc Puskas *1.4.1927- 17.11.2006
(http://www.das-wunder-von-bern.de/images/ungarn_puskas_ferenc_02.gif)

85 Länderspiele, 84 Tore. 533 Ligaspiele für Honved Budapest und Real Madrid, 512 Tore. Bedenkt man nun, dass Ferenc Puskas ein Halblinker Stürmer war, welcher sich auch durchaus ins Mittelfeld zurückfallen ließ, ist diese Bilanz umso höher einzuschätzen. Puskas gilt als der beste ungarische Spieler aller Zeiten. In einer inoffiziellen Auflistung der besten Fußballer aller Zeiten belegt er den 6. Rang.
Der Linksfuß Puskas war der technisch ausgereifteste Spieler der Magyaren. Vor dem ersten Spiel gegen die Engländer als Moppelchen bezeichnet, war er dort der beste Spieler auf dem Platz. Sein Tor, wo er den Ball elegant mit der Sohle zu sich zurückzieht, dabei den Torwart ins Leere fallen lässt und dann einschießt, ist berühmt.

Man sieht also eine Mannschaft, die mit 7 Weltklassespielern ausgestattet war, von denen einige in den 50er Jahren als unübertroffen gelten. Etwas ähnliches gab es in den 50er Jahren nicht und auch sonst bemüht man sich, im späteren Verlauf eine solche Mannschaft zu finden ( Spanien ist da wohl noch weiter voraus). Um die Dominanz dieser Mannschaft anekdotisch zu belegen, muss ich hier mal was aus Wiki zitieren:
Es kam öfters vor, dass der Verband die versprochenen Prämien nicht auszahlte. So kam es angeblich 1952 im Berner Wankdorf gegen die Schweizer Auswahl bei einem Zwischenstand von 2:0 für die Schweiz zu folgendem Wortwechsel. Puskás rief Trainer Gusztáv Sebes zu: „Guszti, gibt es noch immer kein Geld für den Sieg?“ Aber da Sebes kurz zuvor die Zusicherung für die Siegprämie bekam, sagte er: „Doch, Geld ist da!“ Dann schaltete Ungarn einen Gang hoch und gewann mit 4:2 gegen die Schweiz.
Nun, ob wahr oder nicht, es verdeutlicht den Kern, den ich vorhin angesprochen habe ;)

Was folgt: Das 4-2-4 System und die Endspielniederlage 1954
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 16:40:21
Das 4-2-4 System
Kommen wir nun zur Taktik der Aranycsapat. Ich habe eine mit Paint angefertigte Skizze dran gehängt. Dass ich selten mit Paint arbeite, sieht man dort  :laugh: Dennoch erfüllt die Skizze ihren Zweck.
Das 4-2-4 System war ein absolutes Novum. Die herkömmlichen Spielsysteme waren ein 2-3-5 und 3-2-5 System.
Dennoch war das System der Ungarn nicht mit dem 4-2-4 System der Brasilianer ab 1958 zu vergleichen ( dazu vielleicht mal später mehr).
Man sieht zunächst die Läufer nach hinten gezogen. Bozsik und Zakarias agieren fast als linke Verteiger, die Innenverteidiger Buzanszky und Lantos rücken enger zusammen. Trotzdem: die Außenläufer hatten kaum Defensivaufgaben oder anders formuliert: ihre Defensivaufgaben waren nicht anders als in einem 2-3-5 System. Vielmehr holten sie sich die Bälle schon früher in der eigenen Hälfte, um Flankenläufe starten zu können.
Die Aufgabe von Lorant, dem Mittelläufer bleibt unverändert.
Bei Nandor Hidegkuti sieht man, dass das System auf ihn zugeschnitten wurde. Er agiert nicht mehr als Mittelstürmer, sondern ist eher dem heutigen offensiven Mittelfeldspieler ähnlich. er schaffte für die Stürmer Freiräume, schaltete den gegnerischen Mittelläufer aus.
Die Außenstürmer Czibor und Budai berackerten ihre Linien rauf und runter, doch besonders Czibor zog oft nach innen und beteiligte sich am Kombinationsspiel.
Puskas und Kocsis waren zumeist die Vollender. während sich der eine zurückzog, lief er andere nach vorne , ein weiteres Mittel um die gegnerische Abwehr auseinanderzuziehen.
Trainer Sebes sorgte neben der Formation an sich für weitere taktische Neuerungen:
1. Die Ungarn waren die erste Mannschaft, die gezielt Flanken an den kurzen Pfosten spielte. Der Ball war somit nicht mehr lange in der Luft, was dem schnellen Kombinationsspiel entgegenkam.
2. Die Ungarn bildeten beim Spielaufbau konsequent kleine Dreieckskombinationen. Somit gab es immer mehrere Abspielmöglichkeiten, die durch die geringen Entfernungen zwischen den einzelnen Spielern ein schnelles Kombinationsspiel ermöglichten.
3. Das Spiel er Ungarn baute auf eine ungeheure Laufbereitschaft und Schnelligkeit auf. Jeder Spieler war in Bewegung. Puskas fasste dies später folgendermaßen zusammen:

    „Wenn wir angriffen, griff jeder mit an, wenn wir verteidigten war es das Gleiche. Wir waren der Prototyp des totalen Fußballs."

    – Ferenc Puskas

Die Zeit zwischen Pass-Ballannahme-Ballabgabe erreichte Werte, die erst in den 80er und 90er Jahren erreicht wurden (die deutsche Mannschaft von 1972 erreichte gegen die UDSSR und gegen England ähnliche Werte)
Diese Kombinationsgeschwindigkeit halte ich neben der Blockbildung / Eingespieltheit der Mannschaft für das wichtigste Erfolgsrezept dieser Mannschaft. Wenn man der Zeit 30, 40 Jahre voraus ist, so liegt es Nahe, dass die anderen Mannschaften Probleme bekamen, etwas gegen diese Mannschaft auszurichten.

Was Folgt:  Warum verlor man dann gegen Deutschland?   Das Ende der Aranycsapat


[gelöscht durch Administrator]
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 22:32:52
Die Endspielniederlage 1954 und das Ende der goldenen Elf

Vorweg gesagt: Die Niederlage im Finale gegen Deutschland, das "Wunder von Bern", war nicht das Ende der Goldenen Elf der Ungarn. Nach dem Finale stellte die Mannschaft eine weitere beeindruckende Serie auf: In 17 offziellen Länderspielen ( plus 3 inoffiziellen) hintereinander blieb man ungeschlagen. 14 (bzw. 17) wurden gewonnen, 3 endeten Unentschieden. Von daher hätte diese Mannschaft wohl auch bei der WM 1958 zu den Favouriten gezählt. Doch der Reihe nach:
Kurz vor der WM 54 gab es unter den Journalisten eine Umfrage, wer Weltmeister wird. Ungarn lag unangefochten auf dem ersten Platz. Deutschland auf Platz 13 (von 16). Wie der Zufall es wollte, waren Ungarn und Deutschland in einer Gruppe, zusammen mit der Türkei und Südkorea. Doch der Gruppenmodus war anders als heute: Pro Gruppe gab es 2 "gesetzte " Mannschaften. Diese mussten gegen die anderen 2 "ungesetzten" und als schwächer eingeschätzte Gegner spielen, traten aber selber nicht gegeneinander an.
In dieser Gruppe waren Ungarn und die Türken gesetzt. Hier nun eine kleine Zusammenfassung der Ungarischen Spiele:

Ungarn - Südkorea:  9:0
Ein in dieser Höhe zu erwartendes Ergebnis. Der Puszta -Sturm spielte sich warm

Ungarn - Deutschland  8:3
Gegen eine Deutsche B-Elf siegten die Ungarn sogar noch schmeichelhaft gering. Allerdings : 3 Gegentore weisen auf Abwehrschwächen hin
Damit war Ungarn mühelos für das Viertelfinale qualifiziert, wo der erste schwierige Gegner wartete: Brasilien

Viertelfinale: Ungarn - Brasilien  4:2
Die "Schlacht von Bern" ging in die Geschichte ein. Es gab 3 Platzverweise (2 Brasilianer und Bozsik) und im Kabinengang ging die Schlägerei weiter. Bozsik war allerdings nicht für das nächste Spiel gesperrt. Ansonsten deutete sich eine weitere Tendenz an: Die Chancenverwertung der Ungarn ließ zu wünschen übrig, doch auch die Brasilianer hatten einige Chancen, das Spiel für sich zu entscheiden.

Halbfinale: Ungarn- Uruguay  4:2 n.V.
War das Viertelfinale schon kräftezehrend genug, so toppte das Vorweg genommene Finale gegen Uruguay dies. Jenö Buzansky , der Innenverteidiger der Ungarn, sagte später: " Wir waren so fertig, dass die Ersatzspieler uns die Schuhe ausziehen mussten. Wir waren zu schwach, um die Schnürsenkel zu öffnen" (Man bedenke: Auswechslungen waren noch nicht erlaubt). Die 120 Minuten in zum Teil glühender Hitze verlangten beide Mannschaften alles ab. Die 2 besten Nationalmannschaften der Welt spielten gegeneinander und nach 90 Minuten stand es 2:2. Uruguay machte den kämpferischeren Eindruck, die Ungarn hatten zum ersten Mal Schwierigkeiten, ihr Spiel aufzuziehen. In der Verlängerung köpfte Kocsis dann zwei mal ein. Es war geschafft.

Finale: Deutschland - Ungarn 3:2
Zum Wunder von Bern gibt es unzählig viele Meinungen. Auch ich habe eine ganz eigene Meinung.
1. Ja, die 120 Minuten im Spiel gegen Uruguay zeigten bei den Ungarn Wirkung, sie konnten nur 70 Minuten lang ihren gewohnten Fußball zelebrieren
2. Ja, sie hatten den Nachteil auf dem nassen Boden mit den normalen Fußballschuhen spielen zu müssen, während die Deutschen mit Hilfe der Schraubstollenschuhe ihre Stollen dementsprechend anpassen konnten.

DENNOCH
Die Ungarn hatten genügend Möglichkeiten, Deutschland vom Platz zu schießen. Doch Toni Turek, welcher schlichtweg das Spiel seines Lebens machte und die starke Leistung der deutschen Defensive in der zweiten Halbzeit verhinderten dies . Die Ungarn waren zu jeder Zeit überlegen, doch rächten sich 4 Dinge:
1. Die Nachlässigkeit im Abschluss
2. Die Vernachlässigung der Defensive
3. Der fehlende Kampfgeist, die physische Unterlegenheit
4. Die frühe 2 Tore Führung ließ Ungarn von der 20.-45. Minute extrem passiv werden. Sie fühlten sich zu sicher. Die deutsche Abwehr war in der ersten Halbzeit nicht stark, die Ungarn hätten schlichtweg nachlegen müssen, doch diese 25 Minuten wurden verschenkt.

Nach der Niederlage forderte man in Ungarn den Kopf des Trainer Sebes, doch die Gemüter beruhigten sich wieder und es kam zu der bereits erwähnten Serie von 20 Spielen ohne Niederlage, die wohl auch weiter angedauert hätte, doch der Ungarnaufstand von 1956 veränderte alles.
Puskas, Kocsis,Czibor verließen das Land.
Lorant, Grosics, Bozsik wurden teilweise inhaftiert, hatten Trainingsrückstand, kurz gesagt: sie fanden ab 1957 nicht mehr zu ihrer alten Form. Bis in die Mitte der 60er Jahre rückten durchaus vielversprechende Talente nach: Lajos Tichy , Florian Albert sind in ähnliche Regionen einzuordnen , hätten in der goldenen Elf durchaus mithalten können. Doch die großen Idole, an denen man sich orientierte, waren weg. Die Begeisterung ebbte ab. Mit der Entlassung Sebes als Nationaltrainer 1957 endete auch die Idee des "totalen" Fussballs.

Nachträge

Es gab in den 50er Jahren noch einen ungarischen Spieler, der schon früh nach Spanien wechselte ( Barcelona) und daher für Spanien spielte und nicht für Ungarn:  Laszlo Kubala.
Er ist mit Puskas auf eine Stufe zu setzen, hätte meiner Meinung nach die Hidegkuti Position noch deutlich phantasievoller interpretiert. Kubala war kompletter als Puskas, im prinzip mit Alfredo di Stefano ( googelt den halt nach xD)   .Torgefährlich auf der einen Seite, technisch brilliant, mit Spielmacherfähigkeiten gesegnet, dazu arbeitete er viel nach hinten mit. Kubala ist immernoch eine Legende in Barcelona.
Links:              Das legendäre 6:3 gegen England:
Langfassung: http://www.youtube.com/watch?v=zMu5_2wHqUo
Kurzfassung: http://www.youtube.com/watch?v=7wdW5p3jd2

Ich Idiot habe beim "Wunder von Bern" noch eine verdammt wichtige Sache vergessen zu erwähnen: Die Ungarn spielten im Finale von Bern NICHT  im 4-2-4 System, sie griffen auf die alte Taktik, einem modifizierten 2-3-5 System zurück. Zudem spielte Czibor auf der für ihn ungewohnten Rechtsaußen-Position, zudem spielte für Budai der relativ unerfahrene Toth.
Zur Formation lässt sich sagen: Ich denke, die Ungarn wollten kein Risiko eingehen, die hatten das gesamte Turnier im 2-3-5 System gespielt, da war keine Änderung nötig (keine Mannschaft schoss in einer WM mehr Tore). Zum wechsel von Czibor auf Rechtsaußen: Für mich schwer nachzuvollziehen, ich habe das 8:3 nicht in voller Länge gesehen, ich könnte mir vorstellen, dass Czibor einfach auf der Rechtsaußenposition sone Art Überraschungsmoment darstellen sollte.



Ich werde demnächst eine Umfrage erstellen, welches Team ich als nächstes vorstellen soll. Zur Auswahl werden stehen: das österreichische Wunderteam der 30er Jahre,    die deutsche Nationalelf 1937-1942 , Brasilien 1958  und Brasilien 1970
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Stefan von Undzu am 04.März 2013, 22:39:11

3. Jozsef Bozsik *28.11. 1925 - 31.5. 1978


Bozsik, immer wieder Bozsik - der rechte Läufer der Ungarn. Er hat den Ball... verloren diesmal gegen Schäfer...
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 22:40:30
Ja, den armen hat dieser Ballverlust bis an sein Lebensende verfolgt. Auch Grosics hat bis heute Alpträume von Rahns Tor.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Stefan von Undzu am 04.März 2013, 22:41:15
Sehr toller Thread übrigens! Weiter so!
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: aragorn99werder am 04.März 2013, 22:49:42
"Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn - den Ball - verloren diesmal gegen Schäfer..."
"Toni, du bist Gold Wert - Toni, du bist ein Fußballgott..."
"Immer wieder geht der Blick zur Uhr hier im Berner Wankdorf Stadion - geh doch schneller, geh doch schneller! Aber sie tut es nicht..."

Mann hast du mir gerade Bock gemacht, mir die O-Ton Aufnahmen mal wieder anzuhören!  ;D
Super Projekt von dir!!!!!!

Edit: oh, Heidelberg hatte wohl ähnliche Gedanken   ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: White am 04.März 2013, 22:53:24
Was jetzt Brasilien '72 oder '70.
Naja wird das gelcihe sein. Brasileine '72 vermutlich der beste Fu0ßball, der je gezeigt wurde. Für mich allerdings keine "fast vergessene Mannschaft"
Trotzdme fällt meine Stimme auf die. Die Österrreicher der 30er waren ja auch das Nonplusultra. Schalke hats erfolgreich geklaut und war dann auch jedes Jahr deutscher Meister :D
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tankqull am 04.März 2013, 22:54:29
Sehr toller Thread übrigens! Weiter so!
Dem kann ich mich nur anschließen!
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Cubano am 04.März 2013, 22:56:41
Hab für Österreich gestimmt, über die weiß ich am Wenigsten bisher - vielleicht lern ich noch was ;)

Klasse Thread!
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Stefan von Undzu am 04.März 2013, 22:59:32

(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/00/Wankdorf_1954_world_cup_final_match_clock.jpg/220px-Wankdorf_1954_world_cup_final_match_clock.jpg)

Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 23:19:59
Was jetzt Brasilien '72 oder '70.
Naja wird das gelcihe sein. Brasileine '72 vermutlich der beste Fu0ßball, der je gezeigt wurde. Für mich allerdings keine "fast vergessene Mannschaft"
Trotzdme fällt meine Stimme auf die. Die Österrreicher der 30er waren ja auch das Nonplusultra. Schalke hats erfolgreich geklaut und war dann auch jedes Jahr deutscher Meister :D
Ist korrigiert  :laugh:, natürlich meine ich 1970,danke!

Auch vielen Dank für das positive Feedback :)


Edit: Vielleicht interessiert euch, was die 4 Mannschaften in meinen Augen so interessant macht. Deshalb ne ganz ganz ganz kurze Darstellung:
Österreichisches Wunderteam:  hier sagt der Name denke ich alles.
Brasilien 1958:  viele halten diese Mannschaft aufgrund ihrer Taktik für die "Urformation des modernen Fußballs"
Deutschland 1937-42: "Breslau Elf" und die Übernahme der österreichischen Nationalmannschaft
Brasilien 1970:  In einem Film wurde die These erwähnt, dass diese Mannschaft die beste Nationalmannschaft aller Zeiten sei ( nach Spanien , wie man wohl hinzufügen muss)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Don-Muchacho am 04.März 2013, 23:28:42
Sehr schöne Analyse bisher! Nur eine kleine Anmerkung: Leg deine Ergüsse nach dem schreiben beiseite und les sie ein paar Stunden oder einen Tag später nochmal durch. Manchmal hast du riesige Sprünge oder nur halbe Sätze drin, grade im letzten Absatz fiel mir das vermehrt auf, das stört auf dauer doch etwas den Lesefluss.

Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 23:30:32
Werde ich tun! danke für den Hinweis ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: smedhult am 04.März 2013, 23:35:58
Ich freue mich auf Sindelar, den Papierenden.

Vielleicht weisst Du ja auch ein wenig von GreNoLi.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 23:39:12
Ich plane in der Tat noch die Rubrik (fast) vergessene Stars, wo Sindelar den Anfang machen würde. Allerdings muss ich da auch schauen was Youtube hergibt, besonders ab 1945 und älter wirds schwierig.
Zu GreNoLi : vielleicht bietet sich die Möglichkeit,wenn ich demnächst Vereinsmannschaften in Angriff nehme :) . Ich vermerk mir mal den Ac Milan Anfang der 50er ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Dr. Gonzo am 04.März 2013, 23:40:54
Ziemlich fantastisch, was du da so zusammenschreibst. Bin beeindruckt. :)
Als nächstes Thema hoffe ich auf die Brasilianer, die waren Anfang der 70er hochinteressant, auch wenn mein Liebling 'Alegria do Povo' nicht mehr dabei war.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Bodylove am 04.März 2013, 23:50:20
Ich vermisse "Italien 1982" in der Umfrage aber ansonsten eine sehr toller Thread! :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: smedhult am 04.März 2013, 23:53:34
Ich vermisse "Italien 1982" in der Umfrage aber ansonsten eine sehr toller Thread! :)

Da würde ich dann aber lieber Italien von 1934-38 vorschlagen.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Bodylove am 04.März 2013, 23:55:17
Ich vermisse "Italien 1982" in der Umfrage aber ansonsten eine sehr toller Thread! :)

Da würde ich dann aber lieber Italien von 1934-38 vorschlagen.

Hast absolut Recht!  :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 23:55:44
Ich muss zugeben , dass ich ab den 1980er Jahren aufwärts nicht die taktischen Finessen der Mannschaften nachvollziehen kann, bzw. mich nicht genug damit beschäftigt habe. Vorstellung der Spieler wär kein Problem, aber die Hintergründe fehlen mir da noch. Das hol ich nach, Youtube wird da immer besser ;)

Italien 1934-38 hatte ich auch im Sinn, das kommt sicher in den nächsten Monaten mal :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: White am 04.März 2013, 23:56:14
Aber Dino Zoff wäre was für die "Fast vergessenen Stars"
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: mayday101 am 04.März 2013, 23:57:22
Ich vermisse "Italien 1982" in der Umfrage aber ansonsten eine sehr toller Thread! :)

Italien 1982 ist ja auch legendär und nicht vergessen. Ich finde es sollte hier um Mannschaften gehen die keine Titel holen konnte obwohl sie immer zu den Favoriten gehört haben.
Ganz spontan fällt mir hier die spanische Generation um Raul ein.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.März 2013, 23:57:54
Aber Dino Zoff wäre was für die "Fast vergessenen Stars"

Kommt auf meine Auswahlliste ;)

Edit: Im übrigen plane ich das ab jetzt so, Stars und Mannschaften abzuwechseln. Es wird also die Tage um einen vergessenen Star, dem Matthias Sindelar gehen, anschließend folgt die Mannschaft , welche die Umfrage gewinnt .
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Shakespeare am 05.März 2013, 00:15:16
Sehr interessant und ich bin schon gespannt auf mehr von dir! :)

Im Groben sagt mir das alles was, aber das meiste Wissen zu, ich nenne es mal, "Fußballhistorie" ziehe ich fast ausschließlich aus dem Buch ´Revolutionen auf dem Rasen´ (deutsche Übersetzung von ´Inverting the Pyramid´, welche ich jedem nur empfehlen kann!), weshalb es sicherlich nicht all zu groß ist und ich hier bestimmt noch einiges "lernen" kann ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 05.März 2013, 00:26:08
Ich muss ehrlich sagen, dass ich von diesem Buch noch nie was gehört habe, das werd ich mir definitiv mal zulegen :) !
Bei mir hat das Interesse für die 70er und noch älter angefangen, als ich 2004 zu Weihnachten eine DVD Reihe "Fifa Fever" zum 100 jährigen Jubiläum der Fifa geschenkt bekam. Und joa seitdem alles mögliche hier und da aufgeschnappt und Youtube gibt auch einiges , um auch mal Bilder zu den Worten sehen :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: White am 05.März 2013, 00:33:11
Das Buch solltest du lesen :D
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Der Baske am 05.März 2013, 00:39:46
Das Buch solltest du lesen :D

Ich wusste doch, dass ich das alles irgendwo her kenne ^^
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 08.März 2013, 01:14:38
ok, da es nur einen sehr knappen Gewinner bei der Umfrage gibt, werd ich beide Themen behandeln ;) prinzipiell baut das ja aufeinander auf, von daher ist das sogar sehr sinnvoll.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 08.März 2013, 13:51:26
Das österreichische "Wunderteam" 1929-1936 ,sowie Deutschland 1937-1942

Diese beiden Themen können nicht voneinander getrennt behandelt werden. Zudem wird der Umfang deutlich elaborierter sein als beim ersten Thema, da hier auch politische Themen behandelt werden müssen. Deshalb stell ich hier erst mal ne Gliederung auf, wie ich mir das die nächsten Tage so vorstelle:

1. Die Fakten:  Österreichs Fußball in den 20ern, Hugo Meisl, Wunderteam bis 1934   ( das kommt heute)
2. Jimmy Hogan , Taktik des "Wunderteams", Ende 1936
3. Exkurs: Einfluss auf England, Vergleich
4. Deutschland - die "Breslau-Elf", die Weltmeisterschaft 1938, der Anschluss Österreichs
5. die Nationalmannschaft im Krieg

Da ich jetzt auch das Buch "Revolutionen auf dem Rasen" vor mir habe, werde ich natürlich auch einiges davon berücksichtigen. Dennoch versuche ich da meine eigene Linie zu finden, so weit das möglich ist.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 08.März 2013, 15:53:54
Österreichs Fußball in den 20ern, Hugo Meisl, Wunderteam bis 1934
Dieser Beitrag wird leider ohne Bilder sein, Punkt 2 allerdings umso mehr ;)

Der Fußball in Mitteleuropa nahm in Mitteleuropa eine ganz andere Entwicklung durch als in England. War in England Fußball vor allem in den unteren Gesellschaftsschichten sehr beliebt, so waren in Wien sämtliche Gesellschaftsschichten gleichermaßen interessiert. Wie Jonathan Wilson richtig bemerkt, spielten die sogenannten Kaffeehäuser eine wichtige Rolle. Jeder Verein in Wien hatte ein eigenes, sofern er sich ein solches leisten konnte. In ihnen trafen sich sowohl Menschen aus der Ober-alsu auch der Unterschicht und diskutierten über Fußball. Sie boten auch den Fußballern selbst ein Sprungbrett, um sich auch marketingmäßig anzubieten.
1924 wurde schließlich die österreichische Profiliga gegründet. War in England der Fußball in Kleinstädten und auch auf dem Land sehr verteilt, so vereinigte er sich in Österreich beinahe ausschließlich in der Weltstadt Wien.
Dass der Fußball in den oberen Schichten angesehen war, lässt sich zuletzt an Hugo Meisl belegen. Nach einer mäßigen Karriere als Fußballer war er als Geschäftsmann sehr erfolgreich und hatte auch für den Fußballsport viele Ideen, die ihm dann faktisch zum "Trainer" der österreichischen Nationalelf machten.
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/7a/Hugo_Meisl.jpg/220px-Hugo_Meisl.jpg)

Meisl war ein Verehrer der Engländer, jedoch nicht in allen Bereichen: Wie die Engländer liebte er wuchtige Mittelstürmer, die Flügelspieler sollten diesen mit Flanken bedienen, die Halbstürmer dienten nur als Verbindungsglied von Abwehr auf Angriff. Doch Meisl erkannte auch, dass die österreichischen Spieler nicht ganz die Robustheit der Engländer mitbrachten, dafür aber technisch beschlagen waren. Dennoch ließ sich 1929 und 1930 noch nicht absehen, wie aus der Nationalelf ein "Wunderteam" werden sollte. Nach einer Niederlage 1929 verbannte Meisl den ihm ohnehin nicht sehr zusagenden Matthias Sindelar für 14 Spiele aus der Nationalmannschaft. Aufgrund des öffentlichen Drucks berief er ihn 1931 wieder ein.
Das Spiel gegen Schottland endete überraschend: Österreich siegte klar mit 5:0. Dass Schottland ohne Spieler der Vereine Celtic und den Rangers antrat, mag sicher ein Grund für die Niederlage gewesen sein. Aber das Spiel der Österreicher beeindruckte: kombinationsreich, dominierend. Es war der Vorgeschmack auf das , was ab 1932 zur Routine wurde. Beim Schottland-Spiel waren zudem viele Neulinge auf Seiten Österreichs, ein neuer Abschnitt hatte begonnen. Zur Taktik und zu Jimmy Hogan werd ich im 2. Teil was sagen.
Eine Woche nach dem Schottland- Spiel spielte man in Berlin gegen die deutsche Mannschaft, welche sich aufgrund ihrer physischen Überlegenheit einen Sieg ausrechnete. Daraus wurde nichts: man wurde von den Österreichern 6:0 besiegt.
Im Rückspiel, was im neu erbauten Wiener Stadion ( heute Ernst-Happel Stadion) stattfand, fanden die deutschen immernoch keinen Schlüssel gegen die Österreicher: 5:0. Überragender Mann war Matthias Sindelar, welcher 3 Tore schoss und den Rest vorbereitete.
Es folgten 2 Spiele gegen den größten Konkurrenten : Ungarn. Ungarn zählte schon in den 20ern und 30ern als eine der besten Mannschaften der Welt, verfügten mit Imre Schlosser und Dr.Sarosi über zwei der besten Stürmer der Vorkriegszeit.
Das Hinspiel in Budapest endete 2:2 unentschieden, allerdings mussten die Österreicher früh mit 10 Mann spielen, da sich Karl Gall schwer verletzte.  Bevor das Rückspiel stattfand, landete die Mannschaft noch 2 weitere beachtenswerte Siege: die Schweiz (welche durchaus auf einem Niveau mit Deutschland mithalten konnte), wurde 8:1 vernichtet und auch der künftige Doppelweltmeister Italien hatte das Nachsehen ( wenngleich die Italiener noch nicht wirklich ihre WM-Mannschaft gefunden hatten), sie verloren 1:2.
Schließlich kam das Rückspiel in Wien gegen die Ungarn und es wurde das wohl beste Spiel von Matthias Sindelar in seiner gesamten Karriere. Das Spiel endete 8:2 für Österreich. Sindelar schoß 3 Tore und bereitete alle 5 anderen vor.

Im selben Jahr wurde man auch Europameister. Diese Meisterschaft war allerdings kein Turnier im herkömmlichen Sinne. Es war ein 3 Jahre dauernder Modus gegen andere Nationalmannschaften (Italien, Ungarn, Tschechoslowakei, Schweiz). Dennoch : Es nahmen die späteren Weltmeister und Vizeweltmeister Italien, Tschechoslowakei und Ungarn teil, es herrschte also durchaus eine hohe Qualität.
Nach 4 Spielen gegen die Tschechoslowakei (1:1), Schweden (4:3), Ungarn (3:2) und der Schweiz ( 3:1) kam es schließlich im Dezember 1932 zum Prestige-Duell gegen England.Noch nie wurden die Engländer zu Hause von einem Team des europäischen Festlandes geschlagen und auch diesmal malten sie sich einen hohen Sieg aus. Ab diesem Spiel hatte Österreich übrigens auch einen offiziellen Trainer: den Engländer Jimmy Hogan, einem Verfechter des schottischen Stils ( dazu in Punkt 3 mehr).
Nun, die Serie der Engländer hielt, das österreichische Wunderteam wurde 4:3 geschlagen. Dennoch erarbeiteten sie sich einen gewaltigen Respekt auf der Insel, waren sie klar das spielbestimmende Team. Dennoch offenbarte sich spätestens hier gewisse Schwächen, die ich in Punkt 2 näher erklären werde.
Das 4:0 gegen Frankreich im Februar 1933 gilt als das letzte Spiel des "Wunderteams". Wichtige Spieler in ganz Österreich (unter anderem der Torwart Rudolf Hiden) verließen ihr Land und gingen nach Frankreich und waren somit nicht mehr für die Nationalmannschaft spielberechtigt. Dennoch stellten sie noch bis zur WM eine weitere Serie an ungeschlagenen Spielen auf, bis zum England Spiel war das "Wunderteam" übrigens in 15 Spielen ungeschlagen gewesen.
Die Weltmeisterschaft 1934 kam schlichtweg 2 Jahre zu spät.  Zum einen befand sich Österreich im Umbruch, zum anderen erreichten die Mitglieder des Wunderteams langsam ein Alter, was es ihnen besonders physisch nicht mehr möglich machte, mit Italien oder Deutschland mitzuhalten. Zudem erreichte das Team niemals im Turnier seine Normalform, auch Matthias Sindelar spielte zwar gut, aber blieb vorm Tor wirkungslos.
Im Achtelfinale besiegte man Frankreich 3:2 nach Verlängerung,im Viertelfinale wurde Ungarn 2:1 geschlagen. Es zeigt sich eine kleine Parallele zu Ungarn 1954:  man siegte in zwei aufreibenden Partien (Verlängerung und ein kampfbetontes Spiel gegen Ungarn), ehe man schließlich der physischen Umstände Tribut zollte: Das Halbfinale gegen Italien verlor man 1:0. Das erste mal seit langer Zeit blieb man ohne eigenen Torerfolg. Natürlich hatte der Schiedsrichter , der von Mussolini bestochen wurde, ( das Tor fiel nach einer fragwürdigen Entscheidung und der Schiedsrichter köpfte sogar eine Flanke der Österreicher weg), seinen Einfluss. Dennoch wurde das Tore schießen ja nicht verboten. In diesem Spiel verletzte sich Sindelar und stand für das Spiel um Platz 3 gegen Deutschland nicht zur Verfügung.
Dieses Spiel verlor man überraschend 2:3.

Was folgt: Jimmy Hogan und die Taktik des Wunderteams, Stars des Wunderteams

Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 10.März 2013, 14:03:00
So, bevor ich mitm 2. Teil beginne kurz etwas grundsätzliches: Ich werde bei den Mannschaften was die Spiele an sich gehen nicht mehr so weit ausholen, sprich: Ich nenne nur noch die wichtigsten Ergebnisse und versuche dann im Taktik-Teil auf diese dann einzugehen. Ich denk, der letzte Abschnitt dürfte ziemlich langweilig zu lesen gewesen sein, deshalb will ich das jetzt etwas lebendiger damit gestalten.

Jimmy Hogan, Taktik des Wunderteams

Jimmy Hogan *1882- 1974 (Foto war mir nicht möglich hier einzufügen- googelt einfach ;)

Jimmy Hogan ist die wohl einflussreichste Person des Fussballs in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Wilson sieht ihm als "Vater des österreichischen, ungarischen und deutschen Fußballs, sowie Großvater des brasilianischen Fußballs". Vielleicht sind diese Äußerungen ein klein wenig übertrieben, aber sie sind nahe an der Wahrheit dran.
Hogan war zwar Engländer, doch missfiel ihm das Spiel der englischen Vereine sehr, es war ihm schlicht zu statisch und die Vereine waren nicht bereit, sich taktisch verändern zu lassen.
Aus diesem Grund machte sich Hogan auf nach Europa und schmiedete Bekanntschaften mit Persönlichkeiten, die ihren Stempel in der Fußballgeschichte noch aufdrücken werden. Dazu gehören unter anderem Hugo Meisl, Vittorio Pozzo, und einige mehr.
Hogan war in vielen verschiedenen Ländern als Trainer aktiv, besonders in Ungarn und in Österreich, auch kurz in Deutschland. Die taktischen Konzepte, die er dort etablierte, hielten noch 30-40 Jahre weiter an.
Besonders für das österreichische Wunderteam ist Hogan von Bedeutung. Hogan war ein Freund der schottischen Spielweise, das heißt: Kurzpässe, effektiveres Flügelspiel, drang zum Tor. In Österreich und auch in Ungarn (alle taktischen Auführungen treffen auch auf Ungarn zu) fand Hogan eine wunderbare Situation vor: die Vereine waren hinsichtlich der taktik experimentierfreudig, die Spieler waren bereit, ihren Kopf einzusetzen. (Das war in England anders: siehe Punkt 3). 
Da die österreichischen Fußballer nicht so robust wie die Engländer waren, feilten diese mehr an ihre Technik und am Passspiel. Und Hogan brachte ihnen dies bei, sowohl auf Vereinsebene , als auch im Nationalteam.

Zur Taktik des Wunderteams

(http://www.footballuser.com/formations/2012/04/392863_Austria.jpg)

Hier habe ich mal eine Formation, die um das Jahr 1932 , also in der Glanzzeit des Wunderteams, gespielt haben müsste.
Was fällt auf? Zunächst ist das Spielsystem auf dem ersten Blick veraltet: Es ist ein klassisches 2-3-5 System. In fast allen anderen Teilen auf der Welt wurde inzwischen das WM-System ausgetestet, doch Hogan benötigte dies schlichtweg nicht.
Bevor ich auf taktische Details eingehe, muss ich euch natürlich erst ein paar Spieler vorstellen:
Das Wunderteam auf einem Blick:
(http://mediadb.kicker.de/news/1000/1020/1100/12000/artikel/718788/sindelar_wunderteam-1261477859.jpg)

Rudolf Hiden  1909-1973

(http://footbik.narod.ru/persons/izo/HIDEN_RUDOLF_jpg.jpg)

Gilt nach Planicka und Zamora als bester Torhüter vor 1945. Ähnlich wie Olivieri bei den Italienern und Planicka bei den Tschechoslowaken war er ein risikofreudiger Torwart, welcher mit vollem Körpereinsatz rauslief, um Bälle abzufangen. Sein Wechsel nach Frankreich war der Anfang vom Ende des Wunderteams.

Josef Blum 1898-1956 und Karl Sesta 1906-1974
(http://www.austria-archiv.at/images/betreuer/blum-josef.jpg)

(http://www.soccermond.com/fifa/world_cup/1934_italia/pic/austria/karl_sesta.jpg)

Die beiden rechten Innenverteidiger sind als weltklasse einzustufen. Während Blum einen beinharten Innenverteidiger verkörperte, war sein Nachfolger Karl Sesta er "verrückteste" im Team und galt als Spaßvogel.  Als der schwedische König zu ihm meinte "Sie haben einen schönen Beruf" soll er geantworten haben "Sie ham a ka schlechte Hackn" . Zudem war Sesta sogar recht torgefährlich, am berühmtesten ist seine 45 Meter Freistoß-Bogenlampe im "Vereinigungsspiel" gegen Deutschland.

Walter Nausch 1907-1957
(http://www.austria-archiv.at/images/spieler/n_spieler/nausch-walter.jpg)

Er ist der beste linke Läufer vor 1945. Anders als der deutsche Andreas Kupfer  war Nausch ein extrem robuster Spieler, der sowohl in der Verteidigung, als auch in der Offensive Akzente setzte. Als Trainer der österreichischen Nationalmannschaft 1948-1954 schaffte er den 3. Platz bei der WM 54 , das beste Ergebnis einer österreichischen Mannschaft bei einer WM.

Karl Zischek 1910-1985, Fritz Gschweidl 1901-1970, Matthias Sindelar 1903-1939, Anton Schall 1907-1947

(http://www.ronaldofan.net/typo3temp/pics/095641ea6f.jpg)
(http://www.iffhs-media.de/3-b/3-Mitropa1929-3.jpg)
(http://newsimg.bbc.co.uk/media/images/39364000/jpg/_39364650_203mat1.jpg)
(http://farm6.static.flickr.com/5002/5349516080_ab455aa86f_m.jpg)

Karl Zischek als Rechtsaußen, Gschweidl als Halbrechter, Sindelar als Mittelstürmer und Schall als Halblinker  waren das Herzstück des Wunderteams.  Zischek war als Rechtsaußen extrem torgefährlich und , was selten war , extrem kopfballstark. Gschweidl war nach Sindelar der technisch beste Spieler, der auch durch seine Übersicht glänzte. Über Sindelar wurde im anderen Thread denke ich genug gesagt ;).   Anton Schall war der Knipser des Teams.

Wie hat das 2-3-5 System des Wunderteams funktioniert?
Zunächst war das technische Niveau der Mannschaft in Europa unangefochten. Dies machte die Mannschaft extrem unausrechenbar, da entweder Einzelaktionen gestartet werden konnten, oder eben Passkombinationen. Letztere wurden mit Hogan als Trainer verfeinert. Sindelar war der Fixpunkt im System. Er hatte absolute Freiheiten: er konnte sowohl Aktionen einleiten, als auch vollenden , wobei er im Nationaldress sogar ersteres bevorzugte ( siehe das 8:2 gegen Ungarn ) .  Es waren also eher die Halbstürmer, die knipsten , was in der Zeit relativ selten war. ( Anton Schall schoss in 28 Länderspielen 27 Tore). Die Schnelligkeit der Passkombinationen wurde von keiner anderen Mannschaft erreicht.
Dennoch offenbarte das Spielsystem offensichtliche Schwächen. Zunächst war das 2-3-5 System extrem konteranfällig. Dies machten sich die Engländer bei ihrem 3:2 Sieg zu Nutze. Zum anderen konnte das Team wegen seiner mangelnden physischen Fähigkeiten ihr Kombinationsspiel nie 90 Minuten durchziehen. Ab der 60. Minute war der Gegner mindestens gleichwertig, was schlicht daran lag, dass dem Wunderteam die Puste ausging.
Doch auch der Spielaufbau war verbesserungswürdig, dazu ein kleiner Exkurs:  Wer die letzten beiden Clasicos gesehen hat, wird festgestellt haben, dass Barcelona zwar im gewohnten Tiki Taka den Ball zirkulieren ließ, allerdings ohne effektiv zu sein, zudem meist weit vorm Tor von Real entfernt.
Genau dies war beim Wunderteam auch oftmals der Fall. Es fehlt dem Team die Zielstrebigkeit und die Effektivität. Dieser absolute Wille, ein Tor zu erzielen, fehlte des öfteren, man wollte eher ästhetisch beeindrucken. Und genau dieser Umstand unterscheidet das Wunderteam von der Aranyczapat in den 1950ern. Die Ungarn waren schlichtweg "geil" auf den Torerfolg, die Österreicher nicht.

Was folgt:  Exkurs: England: waren sie wirklich die besten bis 1945? Eine Analyse

Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: smedhult am 10.März 2013, 21:32:38
Liest sich wirklich hervorragend. Mach bitte weiter so!!!
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 11.März 2013, 12:44:23
Teil 3:  Exkurs: Wie lässt sich England einordnen?
In diesem Kapitel gibt es keine "richtige" Bewertung. Letztendlich kann man sowohl dafür argumentieren, England als unangefochten bis 1945 anzusehen, es finden sich aber auch genug Argumente zu sagen, England sei schon ab Ende der 20er Jahre nicht mehr die Nummer 1 gewesen. Ich habe zu dem Thema meine eigene Meinung.
Ich denke, Englands Vormachtstellung im Fußball bis 1920 ist unbestritten. Man wurde 1908 und 1912 jeweils mit Amateurmannschaften  Olympiasieger, sprich: die eigentlichen Profis mussten nicht mal einberufen werden ( ok, zu Olympia durften die das sowieso nicht), um das zu der Zeit wichtigste Fußballturnier zu gewinnen. Kurz gesagt: Bis 1920 lagen Welten zwischen der britischen Insel und dem Rest der Welt. Dieser Vorteil, schon so früh den Profistatus etabliert zu haben, war natürlich ein riesiges Plus.
Ende der 20er zeigen nackte Zahlen, dass sich etwas verändert hatte. Man verlor erstmals gegen Länder außerhalb der britischen Insel, z.B. gegen Spanien 1929, sogar gegen die Schweiz 1938 und gegen einige andere Nationen.
England nahm an den ersten 3 Weltmeisterschaften nicht teil, da es wegen einem Streit mit der Fifa aus dieser ausgetreten war und erst 1950 wieder eintrat. Dies macht die Beurteilung der Engländer extrem schwierig.
Eine andere Schwierigkeit lag in der Einberufung der Nationalspieler. Zum Vergleich:  Während beispielsweise in der Schweiz Trainer Rappan seinen Kader zusammenstellen konnte, gab es in Österreich Hugo Meisl, der die Mannschaft zusammenstellte, aber nicht trainierte. In England war das nochmal anders. Dort war ein kleines "Komitee" für die Zusammenstellung des Kaders verantwortlich.
Allerdings spielte England bis Ende der 30er nie mit der absoluten Top-Zusammenstellung. Das war erst ab 1937 verstärkt der Fall.
Was lässt sich zum Spielsystem sagen? 
das 2-3-5 System war bis Ende der 20er unangefochten, doch sorgte ein englischer Trainer für ein Umdenken: der legendäre Herbert Chapman war der erste große Revolutionär des Fussballs, zahlreiche Erfindungen gehen auf ihn zurück: er regte an, Rückennummern einzuführen und erfand das WM-System. Dieses Spielsystem war die notgedrungene Reaktion auf die wohl bedeutendste Regeländerung im Fußball der Vorkriegszeit.
Die Vorsitzenden der FA waren erschüttert über den sinkenden Torschnitt in der englischen Liga. Aus diesem Grund wurde 1925 die Abseitsregel verändert: statt 3 mussten nur noch 2 gegnerische Spieler im Moment der Ballabgabe näher am Tor sein als der Ball bzw. der angespielte Spieler (also die heutige Abseitsregel). Dies hebte den Torschnitt enorm, das 2-3-5 System war dafür einfach zu offensiv und die Abwehr schlicht überfordert.
Da kam Herbert Chapman auf die Idee, bei seinem Verein Huddersfield Town, etwas zu verändern: der Mittelläufer, eigentlich die offensiv ausgerichtete Kreativabteilung einer jeden Mannschaft , wurde zurückgezogen- quasi als 3. Verteidiger. Die beiden Außenläufer spielten daraufhin etwas zentraler. Dies ist das Ur- WM- System.
(http://de.academic.ru/pictures/dewiki/87/WM-System-german.png)
Die zurückgezogenen Halbstürmer waren schon vorher bekannt, haben also nichts mit der Umstellung zu tun.

Herbert Chapman   (http://news.bbc.co.uk/olmedia/1840000/images/_1843852_chapman.jpg) wird mit der Einführung des Wm-Systems auch dafür verantwortlich gemacht, den Englischen Fußball damit zerstört zu haben. Die Formulierung ist zumindest im Kern gar nicht so falsch. Chapman hatte in seinen Vereinen ( zuerst Huddersfield, später dann Arsenal London) das Spielmaterial um das WM System "schön" aussehen zu lassen. Es kam voll zur Geltung. Allerdings konnten diess viele, viele andere Vereine beim kopieren nicht erreichen. Es war fürchterlich anzusehen, das Spiel wirkte deutlich statischer.
Dennoch verbreitete sich das WM System über die ganze Welt und wurde erst Anfang der 50er langsam ersetzt.
Zurück zur englischen Nationalmannschaft: Ich bin der Meinung, dass England auch bis 1945 vielleicht die stärkste Mannschaft der Welt war, auf jeden Fall war sie mit den Weltmeistern auf Augenhöhe.
Das große Plus bei den Engländern war die unglaublich starke Spielanlage= Ballsicherheit. Sie mögen nicht die technisch beschlagensten Spieler gewesen sein, aber ihre taktische Disziplin, ihre hervorragende Abwehrarbeit und nicht zuletzt ihre physischen Attribute waren den anderen Nationen bei weitem voraus. Das "Wunderteam" wurde von einer "durchschnittlich zusammengestellten" Elf 3:2 geschlagen, auch die anderen Mannschaften verloren gegen englische B-Elfs. Doch ab 1937 machten die Engländer ernst. Sie boten tatsächlich die besten auf. Die Flügelzange Matthews- Bastin gilt in der Vorkriegszeit als unübertroffen. Der Kapitän der Mannschaft, Hapgood, gilt nach Caligaris als bester Verteidiger der Vorkriegszeit. An Mittelstürmern mangelte es England nie. Wenn England mit der besten Elf spielte, waren sie nun mal unbesiegbar.
Aus diesem Grund sind für mich die Engländer auch ohne WM-Teilnahme in der Vorkriegszeit das Maß aller Dinge, wenngleich Uruguay,Österreich und Italien in ihren Glanzzeiten sicher nah aufschließen konnten.
Trotzdem gilt zu kritisieren: Es war nicht zuletzt der Stolz der FA, welcher dazu führte, entscheidende taktische Entwicklungen zu verpassen , was sich nach dem 2. WK deutlich zeigen sollte , spätestens bei der 3:6 Klatsche 1953 gegen Ungarn ( Ungarn: 35 Torschüsse, England: 5 Torschüsse). Viele englische Spieler hatten von Taktik absolut keine Ahnung. Man war der Meinung, wenn Spieler auf dem Platz anfangen zu denken, sei das nur schädlich.
Dieser Exkurs sollte nur versuchen, England irgendwie in die Vorkriegszeit einzuordnen. Englands Entwicklung unterschied sich nämlich dadurch, sich schlichtweg nicht verändert zu haben. Ich bin der Meinung, dass das bei anderen Nationen zu der Zeit anders war, und in meinen nächsten beiden Kapiteln werde ich dies auch demonstrieren, wenn ich mich mit Deutschland 1937-1942 befassen werde.

was demnächst folgt: Deutschland bis 1938
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Emanuel am 11.März 2013, 13:31:40
Wenn das hier so weitergeht, würde ich vorschlagen das Thema anzupinnen, damit auch neue User das in ein paar Monaten noch lesen können. Ist wirklich sehr informativ!
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 26.März 2013, 21:22:45
So, alle Hausarbeiten sind fertig geschrieben, deshalb hab ich jetzt auch endlich Zeit, die deutsche Nationalmannschaft bis 1942 abzuschließen :D

Deutschland 1936-1942

Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, müssen erst mal wichtige Voraussetzungen erwähnt werden:
1. Ab 1926 verfügte die deutsche Nationalmannschaft auch über einen Nationaltrainer: Otto Nerz
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/ru/archive/d/d2/20110315235552!Otto_Nerz_1930-s..jpg)

Dieser war glühender England-Bewunderer und etablierte das neue WM-System in der Nationalmannschaft. Zudem legte er im Training extremste Aufmerksamkeit auf Kondition und körperlichen Einsatz -> eben die typisch englische Schule.
Zum anderen hasste er egoistische Spieler und auch technisch beschlagene Spieler bzw. Dribbelkünstler waren bei ihm nicht gern gesehen. Er setzte - ähnlich wie England- auf wuchtige Spieler. Opfer waren daher Leute wie Fritz Szepan und Kunzorra, die nur selten in der Nationalmannschaft eingesetzt wurden, bzw. auf eher "kuriosen" Positionen. So spielte der eigentliche Halbstürmer Szepan bei der Wm 1934 als Mittelläufer ( trotzdem waren seine Leistungen überragend). Mit Nerz wechselten sich hervorragende Ergebnisse mit peinlichen Niederlagen ab:  1934 wurde man überraschend WM-Dritter, doch bei den olympischen Spielen 1936 im eigenen Land schied man gegen Norwegen aus. Diese Niederlage führte auch zu Nerz' Entlassung.

2. In Deutschland gab es weder ein Ligensystem, noch waren die Spieler Vollprofis. Dies wäre allerdings fast geändert worden: 1932 lagen Pläne für eine Profiliga auf dem Tisch- mit der Machtübernahme der Nazis hatten sich diese Pläne dann zerschlagen.

3. Mit Josef Herberger als neuem Nationaltrainer änderte sich die Spielphilosophie der Nationalmannschaft.  Herberger war (was , wenn man die WM 1954 in Betracht zieht, ziemlich überraschend ist) ein Verfechter des Donau-Fußballs . Er legte also viel Wert auf schnelle Passkombinationen, viel Laufarbeit, viel Tempo und offensivem Fussball.
(http://einestages.spiegel.de/hund-images/2008/06/11/18/46f1224ad4a6a40aa5d2f5e6343eb702_image_document_large_featured_borderless.jpg)

4. Der Anschluss Österreichs 1938 hatte kurzfristig fürchterliche Folgen für den deutschen Fußball, mittelfristig gehörte die Nationalmannschaft aber deutlich zu den Favouriten bei der WM 1942 ( jedenfalls war sie 1942 in meinen Augen die beste europäische Mannschaft).

Kommen wir nun also direkt zum Thema.
Nach dem olympischen Desaster 1936 änderte Herberger die Taktik der Mannschaft in Richtung Donau-Fußball um, technische Spieler wurden vermehrt nominiert. Dennoch verdammte auch Herberger den Wegfall von Edmund Conen, dem wohl besten deutschen Spieler beid er WM 1934. Dieser musste seine Karriere für fast 3 Jahre wegen einer schwerwiegenden Krankheit unterbrechen , allerdings kehrte er ab 1940 wieder zur Nationalmannschaft zurück.
Das WM-System wurde beibehalten, aber wie Spielweise wie gesagt brutal geändert. Und durch diese Umstellung begann die Nationalmannschaft sich international spätestens jetzt einen sehr guten Ruf zu erarbeiten, das Jahr 1937 war das bisher beste . 10 von 11 Länderspiele wurden gewonnen. Den Beginn machte ein 8:0 gegen Dänemark, welches zu er Zeit eine durchaus konkurrenzfähige Nationalmannschaft aufbieten konnte. Dieses 8:0 gilt als das schönste Spiel einer deutschen Nationalmannschaft der Vorkriegszeit, die "Breslau-Elf" galt bis 1972 als die beste deutsche Nationalmannschaft aller Zeiten. Das flüssige Kombinationsspiel war in Deutschland selten (wenn man mal vom Schalker Kreisel absieht). Auch wenn in den kommenden 10 Länderspielen hier und da personell rotiert wurde, werden alle Spiele 1937 als  von der "Breslau-Elf" bestrittenen Spiele bezeichnet.
Tut mir einen Gefallen. VERGESST DIE TAKTISCHE FORMATION AUF WIKI! Die ist, mit Verlaub, kompletter Schwachsinn.
Ich möchte euch ein paar Spieler der Breslau-Elf kurz vorstellen.
(http://www.11freunde.de/sites/default/files/styles/full_page_no_watermark/public/mediapool/reportage/bild_1.png)

Paul Janes
 (http://www.dfr.m-m-sports.com/typo3temp/pics/14b7f2f4a3.jpg)
Der rechte Innenverteidiger von Fortuna Düsseldorf war mit seinen 70 Länderspielen bis 1970 deutscher Rekordnationalspieler.
Neben seinen Qualitäten in der Defensive war er auch offensiv durchaus mit Spielmacher-Qualitäten bestückt, zudem schoss er oft die Freistösse aus guten Positionen.

Reinhold Münzenberg
(http://www.kaisergarde.eu/mediapool/95/954645/resources/18019334.jpg)
Der linke Innenverteidiger von Alemannia Aachen war Deutschlands Zerstörer, die Kampfsau der Mannschaft. Allerdings sorgte seine harte Spielweise auch für einige Platzverweise.

Ludwig Goldbrunner
(http://bavariablog.ru/wp-content/uploads/2011/09/Ludwig-Goldbrunner.jpg)
Der Mittelläufer von Bayern München interpretierte seine Rolle sehr vielseitig. Auf der einen Seite half er in der Abwehr aus, auf der anderen Seite konnte er auch Angriffe einleiten.

Andreas Kupfer und Albin Kitzinger
(http://www.soccermond.com/fifa/world_cup/1938_france/pic/germany/kupfer_andreas.jpg)
(http://retrosport.files.wordpress.com/2013/01/albin-kitzinger.jpg)

Es handelt sich hier um das wohl am besten funktionierende Läufer-Duo der Vorkriegszeit. Sie stimmten sich im Spiel stets perfekt aufeinander ab. Während sich einer in den Angriff einschaltete, zog sich der andere zurück. Da beide auch im gleichen Verein spielten ( Schweinfurt), tat dies ihrem Spiel natürlich nur gut. Andreas Kupfer gilt aufgrund seiner besonderen Vielseitigkeit und seiner beeindruckenden Technik als einer der besten linken Läufer der Vorkriegszeit und führte die Nationalmannschaft im ersten Spiel nach dem zweiten Weltkrieg 1950 als Kapitän an.

Ernst Lehner
(http://www.dfb.de/fileadmin/Image_Archive/News/Ernst_Lehner_01_37936_p880722.jpg)
Der Augsburger war der torgefährlichste deutsche Nationalspieler der Vorkriegszeit- und das als Rechtsaußen. War über ein Jahrzehnt lang nicht aus der Nationalmannschaft wegzudenken.

Fritz Szepan
(http://www.fatbudda.org/GERMANY/SZEPAN.jpg)
Der Schalker Szepan war der Dreh- und Angelpunkt in Herbergers Spiel, sozusagen Fritz Walters Vorgänger. Wenngleich er sogar für einen Halbstürmer recht ungefährlich vor dem Tor war, war er der Regisseur im Spiel. Ließ sich auch oft ins Mittelfeld zurückfallen, variierte sein Passpiel stets und hatte immer den Blick für den freien Mann.

Otto Siffling
(http://www.wikiwaldhof.de/images/thumb/6/6f/Otto_siffling_pass.png/200px-Otto_siffling_pass.png)
In meinen Augen war Otto Siffling der beste deutsche Spieler der Vorkriegszeit, zusammen mit Fritz Walter und Edmund Conen.
Ich bin da mit meiner Meinung ziemlich exklusiv , will dies aber genauer erklären.
Zum einen starb Siffling schon mit 27 Jahren, wodurch er die Jahre im besten Fußballalter eigentlich nicht mehr erlebte. Der Mannheimer war, anders lässt sich dies nicht formulieren, der Sindelar im deutschen Team. Unter Otto Nerz hatte er noch Halbstürmer gespielt . Herberger setzte ihn als Mittelstürmer ein und dies erwies sich als richtig. Ähnlich wie Sindelar war Siffling von einer eher schmächtigen Statur, ließ sich dementsprechend zurückfallen - eine frühe Form des verkappten Mittelstürmers. Technisch ragte er in der Breslau-Elf heraus und schoss im Kalenderjahr 1937 10 Tore, davon 5 in eben diesem 8:0 gegen Dänemark. Durch seine Ausbildung als Halbstürmer verstand er es zudem noch, Angriffe einzuleiten.

Die Breslau-Elf war zudem noch recht jung, hätte also 1938 und auch 1942 durchaus noch zusammen gespielt und hinsichtlich ihrer Leistungen war Deutschland auch zur WM 1938 als Geheimfavorit eingeschätzt worden ( was ich persönlich nur teilweise nachvollziehen kann, da man im Vereinigungsspiel gegen Österreich gedemütigt wurde). Der Anschluss Österreichs zerstörte die Breslau-Elf dann allerdings. Trotzdem war die Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft nun als Topfavourit eingeschätzt. Herberger war auch gern bereit, österreichische Spieler in sein System zu integrieren. Doch Hitler forderte, dass in jedem WM-Spiel 5(!) Österreicher Spielen müssen. Für Herberger waren das 2-3 zu viele. Denn: auch wenn sich Herberger durchaus an den Donau-fussball anlehnte. Es lagen sowohl taktisch, als auch von der generellen Einstellung nahezu Welten zwischen Österreich und Deutschland.
Zum einen waren die Österreicher kaum mit dem WM-System vertraut, zum anderen waren sie viel verspielter .
Nun, es kam , wie es kommen muss, Deutschland schnitt so schlecht wie nie bei einer WM ab. Die Über-Mannschaft schied in der ersten Runde sang- und klanglos aus. Obwohl man das wohl beste Spieler-Material beisammen hatte, kam nie etwas wie ein flüssiges Zusammenspiel zustande - noch nicht.

Was demnächst folgt: Die Mannschaft wächst zusammen: Deutschland 1938-1942

Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 27.März 2013, 19:33:37
Deutschland 1938-1942

Nach dem WM-Debakel 1938 ließ Hitler Herberger nun prinzipiell freie Hand, wenn es darum ging, Österreicher in die Startelf zu stellen. In dieser Zeit war die Nationalmannschaft wohl auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit. Erster Höhepunkt war eine Niederlage gegen England 1938. Deutschland spielte überragend - man hatte nur das Pech, dass Englands Flügelzange Bastin-Matthews ihren besten Tag hatten.
Doch die nächsten Länderspiele konnte Deutschland meist für sich entscheiden, und zwar klar für sich entscheiden. Auch wenn durch den Krieg die Auswahl an Gegnern begrenzt war. Siege mit 6-9 Toren Unterschied muss man trotzdem erst mal schaffen.
Auch wenn Herberger zu gern Sindelar aufgestellt hätte - trotz seiner 36 Jahre - , leider weigerte er sich für Deutschland aufzulaufen.
Trotzdem liefen immerhin 2 Spieler aus dem österreichischen Wunderteam für Deutschland auf : Karl Sesta und der 2. Torwart Peter Platzer.
Doch auch die Nachfolger des Wunderteams hatten es in sich. Folgende Stars konnte Herberger aufbieten:
Franz "Bimbo" Binder
(http://www.iffhs-media.de/3-b/3-Mitropa1934-15.jpg)
Der Wiener Franz Binder war DIE Torfabrik der 30er Jahre. Über 1000 Tore hat er in seiner Karriere geschossen, wurde deutscher Meister mit Rapid Wien. Er maß fast 2 Meter und hatte die Statur eines Türstehers. Nach dem Tod von Otto Siffling setzte Herberger ihn als Mittelstürmer ein - damit war der verkappte Mittelstürmer in Deutschland erst mal Geschichte.

Wilhelm Hahnemann
(http://www.iffhs-media.de/3-b/3-Mitropa1937-6.jpg)
Wilhelm Hahnemann war der österreichische Spieler mit den meisten Länderspielen für die deutsche Nationalmannschaft. Der Halbstürmer büßte zwar seine Torgefahr im deutschen Nationaldress etwas ein, wurde aber zu einem ordentlichen Regisseur und Taktgeber der Mannschaft.

Zu erwähnen wäre auch noch Hans Pesser, welcher bei Herberger meist gesetzt war. Dennoch sollte man sich von diesen Spielern nicht blenden lassen: Es kamen auch neue deutsche Nationalspieler nach, die mit der Weltspitze mithalten konnten.
Da wäre zunächst die Rückkehr des Ausnahmefussballers  Edmund Conen
(http://www.kickersarchiv.de/uploads/Main/conen_edmund.jpg)
Nach seiner krankheitsbedingten Pause 1935-1938 (Herzneurose)  kam  der Mittelstürmer 1939 zurück zur Nationalmannschaft. 1934 war er Deutschlands Star bei der WM und schoss 4 Tore.In seiner gesamten Nationalmannschaftskarriere schoss er in 28 Spielen 27 Tore. Nur Gerd Müller hat in Deutschland eine bessere Quote (bei Spielern mit mehr als 25 Länderspielen). Sein Comeback war erfolgreich: Gegen seinen Konkurrenten in der Mittelstürmerposition, Franz Binder, behielt ermeist die Oberhand. Conen war technisch weltklasse und beherrschte das schnelle Passspiel und hatte zudem einen guten Torriecher.

Doch Deutschland sollte mit zwei Halbstürmern ausgestattet werden, die ihre Vorgänger an Bekanntheit noch überragten.
Helmut Schön
(http://www.ndr.de/sport/fussball/pauli86_v-contentgross.jpg)
Helmut Schön war einer der Youngster der Breslau-Elf. Er spielte zwar nicht beim 8:0 gegen Dänemark, debütierte aber kurz später. In Dresden , wo Jimmy Hogan ende der 20er vorbeigeschaut hatte, entwickelte sich eine Art "Kombinationsspiel-Hochburg" in Deutschland. Dies kam Helmut Schön zugute, hatte er dadurch keine Probleme, sich in der Nationalmannschaft zu integrieren. Schön war als Halbstürmer untypisch groß gewachsen, aber technisch versiert. Dies wurde ihm 1941 zum Verhängnis, als Herberger wegen seinen Dribblings außer sich war und ihn kurzerhand rausschmiss. in 16 Länderspielen erzielte er für Deutschland unglaubliche 17 Tore, für einen Halbstürmer eine überragende Quote.

Fritz Walter
(http://www.magazin-insider.de/typo3temp/pics/69c53a6dea.jpg)
Fritz Walter debütierte im zarten Alter von 19 Jahren 1939 in der Nationalmannschaft. Bis 1943 hatte er also nur 4 Jahre, um seine Klasse zu beweisen, bevor er ins Heer eingezogen wurde. Dennoch kann man sagen, dass er sich in dieser Zeit zu den Top 3 der besten deutschen Nationalspieler der Vorkriegszeit entwickelt hat. Anders als in den 50ern hatte Fritz andere Aufgaben zu lösen:Er wurde sowohl als Halblinker Stürmer als auch als Mittelstürmer eingesetzt (zur Taktik später mehr) und schoss Tore am Fließband. Die Eigenschaften, die ihm 1954 auszeichneten, waren schon vorhanden, aber dazu kam noch die Unbekümmertheit und Dynamik, die ihn für den Gegner nur schwer ausrechenbar machten. Welcher Fritz Walter ist besser? Der von 1942 oder der von 1954?  Individuell wohl der von 1942, für die Mannschaft war er 1954 aber deutlich wichtiger.

der deutsche Innensturm - das Herzstück der Mannschaft

Der linke und der rechte Halbstürmer, sowie der Mittelstürmer , war in Deutschland zu dieser Zeit einmalig. Keine andere Nation hatte eine ähnliche Qualität zu bieten. Deutschland wird gern von Fußballhistorikern als wenig innovativ, was Neuerungen betrifft, dargestellt, doch in meinen Augen war Deutschland Trendsetter für die Positionswechsel im Innensturm. Ob nun mit Hahnemann-Binder- Schön oder mit Walter-Conen-Schön und ähnliches, die Spieler tauschten des  öfteren ihre Positionen untereinander. Wenn im Strafraum ein wuchtiger Stürmer für den Kopfball gebraucht wurde, rückte Schön in die Mittelstürmerposition und Conen nahm Schöns Position ein. Ging es darum, das Spiel im Zentrum schnell zu machen, half Fritz Walter seinem Sturmpartner Conen und beide kombinierten den Gegner schwindelig ( wie zum Beispiel beim 7:0 gegen Rumänien) . Besonders Conen und Walter verstanden sich auf dem Feld  blind, der inzwischen gereifte Conen konnte das Wunderkind Walter immer perfekt in Szene setzen.

Dies war also die deutsche Nationalmannschaft vor dem Krieg-von ihr sollte nach dem Krieg nicht viel übrig bleiben. Nein, die meisten Spieler überlebten den Krieg, aber der deutsche Fußball war trotzdem zerstört. Die Infrastruktur musste erst wieder hergestellt werden, durch das Versammlungsverbot bis 1950 war es schwierig, in Deutschland Fußball zu spielen und das erste Länderspiel war erst wieder 1950 gegen die Schweiz. Diese 8 Jahre Pause haben Deutschlands Fußball wieder in die Steinzeit zurückgebracht. Fritz Walter konnte im besten Fußballer-Alter seine Klasse nie zeigen. Mit Verlaub, aber die Weltmeistermannschaft von 1954 war spielerisch Welten schlechter als 1942. Herberger wird gern als Trainer dargestellt, der die deutschen Tugenden im Spiel etabliert hat. Ok, er legte darauf einen starken Wert. Man darf aber nicht vergessen, dass er vom Kombinationsspiel der Österreicher und Ungarn der 30er Jahre begeistert war. SEINE Mannschaft sollte das Spiel bestimmen, nicht auf den Gegner reagieren, sondern ihn mit Kombinationen und Offensivgeist zerstören. Wenn die Nationalmannschaft in den 50er Jahren auf schwächere Gegner traf, konnte man dies noch beobachten: Bei der WM 1954 erzielte man in den Spielen gegn die Türkei insgesamt 12 Tore !  Auch das 6:1 gegen Österreich war durchaus Offensiv geführt. Aber dies sind wirklich Ausnahmen, meist war Deutschland Anfang der 50er defensiv ausgerichtet. Herberger musste eben sein Spielermaterial optimal einsetzen und änderte daher die Spielweise.
Exkursende  :laugh:
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Bodylove am 27.März 2013, 20:53:49
Tolle Arbeit Tomminator4real! Ich habe es gepinnt da immens viel Arbeit dahinter steckt und ich den Thread liebe.  :) Freue mich schon auf den Italien Teil.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 27.März 2013, 22:40:15
Danke Bodylove :)   Als nächstes werde ich in der Tat Italien nehmen. Dabei werd ich dann natürlich die 30er Jahre Jahre behandeln und denk noch drüber nach, wie ich den Catenaccio damit verbinden kann.  :laugh:
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: DVNO am 28.März 2013, 00:00:03
Dabei werd ich dann natürlich die 30er Jahre Jahre behandeln

Daran erinnert sich Body auch noch sehr gut. :P


Mir gefällt das auch sehr gut, was du hier machst. Klasse! :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Starkstrom_Energie am 28.März 2013, 08:06:13
Sehr guter Thread, man lernt hier wirklich sehr viel dazu. Über die Nationalelf zur Hitlers Zeiten wusste ich z. B. garnichts. Sehr interessant und auch extrem lesenswert. Danke für diesen Thread und auch den Parallelthread zu den (fast) vergessenen Stars, der diesem hier um nichts nachsteht. ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 31.März 2013, 16:59:00
Was demnächst folgt:"Metodo" und "Catenaccio" - Italien als Trendsetter einer Fußballrichtung

Danach geplant sind: Brasilien 1958 - die "Mutter" aller modernen Formationen
                             Viktor Maslow, "Vater des modernen Fussballs", Totaalvoetbal: eine Interpretation der Maslower Idee
                             
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: White am 31.März 2013, 18:45:36
Weiterhin gute Arbeit. Wer Inverting the Pyramid gelesen hat "lernt" allerdings leider wenig Neues bisher.
Trotzdem interessant zu lesen.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 31.März 2013, 19:20:16
Das stimmt, in der Tat. Ich will aber erstmal die wichtigsten "Revolutionen" nahebringen. Handwerkszeug halt, damit der Leser dann seine gewonnenen Kenntnisse auf andere Mannschaften anwenden kann  :laugh: Mir kommen bei Inverting the Pyramid nämlich son paar Vereinsmannschaften zu kurz. Die will ich dann nach den 3 Punkten nachholen. ( geplant wären dann sowas wie AC Milan 1948-53 , Dresden 1943-44 ,die schottischen Mannschaften in den 60ern)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: smedhult am 01.April 2013, 23:22:39
AC Milan 1948-53

GreNoLi
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Emanuel am 01.April 2013, 23:48:25
Ich bin zutiefst schockiert. Als ich vor 3 Jahren in Irland war und ich mal eine Nacht mit zwei Iren durch die Pubs gezogen bin, hatte mir einer erzählt, dass die Deutschen grüne Auswärtstrikots tragen (bzw. auch in der Vergangenheit schon trugen), weil Irland die erste Nation war, die nach dem Weltkrieg gegen Deutschland gespielt hat. Mittlerweile habe ich das auch als Anekdote schon mehreren Leuten erzählt, und nun stimmt das nicht!?  :'(
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 01.April 2013, 23:51:51
Tja, wie man sieht...  Über das grüne Auswärtstrikot müsste ich mal recherchieren wegen der Farbe, das Heimtrikot dagegen ist ja ziemlich eindeutig ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Emanuel am 02.April 2013, 00:02:06
Meine (zugegebenermaßen nicht gründliche) Recherche lässt mich zu dem Schluss kommen, dass das grüne Auswärtstrikot einfach aus dem Grund grün ist, da grün nunmal die Farbe des DFB ist. Das erste Auswärtstrikot war übrigens schwarz. 1898 spielte eine Auswahl in Paris gegen Frankreich, allerdings wird das Spiel nicht in den offiziellen Listen des DFB aufgeführt.
Weshalb auch immer...
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 02.April 2013, 00:15:30
Es gab auch sogenannte Ur-Länderspiele gegen England Anfang der 1890er Jahre. Warum die nicht aufgeführt sind? Nun, der DFB wurde erst 1900 gegründet  :police:

Jo, das schwarze Auswärtstrikot machte auch am meisten Sinn ;) Heimtriko weiß, auswärtstrikot schwarz. Guter Kontrast und trotzdem die Farben des Kaiserreiches berücksichtigt ^^.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.April 2013, 14:26:53
"Metodo" und "Catenaccio" - Made in Italia

Die taktischen Finessen der beiden Systeme sind von "Inverting the pyramide" teilweise stark übernommen. Dies gilt auch teilweise für die beiden Themen, die danach folgen. Dennoch will ich versuchen, gewisse andere Aspekte miteinfließen zu lassen, die Wilson vielleicht nicht erwähnt oder nur anreißt, man wird sehen.

Ähnlich wie in den Donaustaaten Österreich und Ungarn war auch der italienische Fußball schon sehr weit entwickelt: Es gab eine Profiliga, die Spielerausbildung war hervorragend und so gehörte die italienische Nationalmannschaft schon ab den 20er Jahren zu den stärksten Europas. Doch Moment -   Italien 20er bis 30er? Zeitalter des Faschismus? Wie war dort eine Profiliga möglich, in Deutschland klappte dies unter den Nazis doch auch nicht? Nun, anders als Hitler erkannte Mussolini die Wichtigkeit des Fußballs in Italien und nutzte ihn als Repräsentation seines stolzen Regimes. Italien bemühte sich stark um die Ausrichtung einer WM im eigenen Land und bekam diese Möglichkeit auch 1934. Bis zur WM 34 war bereits die Nationalmannschaft taktisch fertig ausgebildet.

Der  Trainer der italienischen Nationalmannschaft war Vittorio Pozzo.
(http://3.bp.blogspot.com/-0CVsrNEZv4Q/T56cfJ89idI/AAAAAAAAB0k/q0gWsnwwFg0/s1600/vittorio-pozzo.jpeg)

Er verbrachte einige Jahre in England und diese sollten Einfluss auf sein taktisches Konzept haben.
Zurück in Italien versuchte er einen Mittelweg aus dem alten 2-3-5 System und dem englischen WM-System zu finden, und zwar aus praktischen Gründen: Die Topspieler Italiens waren auf der einen Seite technisch besser als die Engländer, quirliger und auch egoistischer. Auf der anderen Seite waren sie aber auch körperlich robuster als die Österreicher und auch konditionell stärker.
Hätte Pozzo also auf das 2-3-5 zurückgegriffen, wäre er Fußball wohl nicht so fließend geworden wie beim österreichischen Wunderteam;  Das WM- System 1 zu 1 zu übernehmen war von vornherein ausgeschlossen, da die taktische Disziplin, die Chapmans FC Arsenal hatte, niemals in einer Nationalmannschaft zu halten gewesen wäre . Italien hätte also das gedroht, was mit Ausnahme von Arsenal und England allen Nachmachern des WM- Systems gedroht hätte: entweder ein extrem lückenhaftes System mit Defensivschwächen oder ein total statisches Aufbauspiel.

Doch Pozzo erkannte dies und kreierte eine Art Mittelweg, den "Metodo":
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e8/Metodo.png)

Dies wird die letzte Taktik dieser "Qualität" sein, ich habe für die nächsten Themen eine neue Idee, um euch die Taktik visuell besser und vor allem richtiger darzustellen.
Zum Thema:  Auf dem ersten Blick sieht der Metodo wie ein normals 2-3-5 System aus, doch eine kleine Besonderheit gibt ihm eine ganz eigene Note.    Der Mittelläufer spielt eher zurückhängend, quasi direkt vor der Abwehr. Eigentlich wollte Pozzo, ähnlich wie Chapman beim FC Arsenal, einen Mittelläufer, der das Spiel aufbauen kann mit tiefen Pässen auf die Flügel. Wenn er über einen solchen verfügt hätte, wär wohl nur kurz später ein funktionierendes WM-System möglich gewesen.
Leider hatte Italien einen solchen Spieler nicht, generell sah es , was den Mittelläufer betraf sehr düster aus.
Doch 1931 unterzeichnete Luis Monti einen Vertrag bei Juventus Turin. Monti war Mittelläufer der argentinischen Nationalmannschaft im WM-Finale 1930, als man gegen Uruguay unterlag.
(http://1.bp.blogspot.com/-KXrb1T7ji54/UJCZMn67RcI/AAAAAAAAACg/0k_9BPFUGM8/s1600/Luis-Monti.jpg)
Monti hatte aber auch italienische Vorfahren, was es ihm möglich machte, auch für Italien auflaufen zu dürfen ( dies war noch bis in die 60er so möglich- Beispiel Puskas, der die spanische Staatsbürgerschaft annahm und so noch bei der WM 1962 für Spanien auflief).
Pozzo bediente sich dieser Möglichkeit auch bei einigen anderen Spielern.
Monti entsprach eigentlich gar nicht Pozzos Vorstellungen eines Mittelläufers. Er zählte schon 31 Lenze, war übergewichtig. Trotzdem ist Monti der beste Mittelläufer vor 1945. Er ist im Prinzip der Prototyp des modernen defensiven Mittelfeldspielers, vom Spielertyp her ist er wohl am besten mit Gennaro Gattuso zu vergleichen, zumindest wenn der Gegner im Ballbesitz war. Monti machte die Räume eng und räumte alles ab, was in seine Nähe kam.
Wenn seine Mannschaft allerdings im Ballbesitz war, schaltete sich Monti auch vorn ein. Er war also Dreh- und Angelpunkt des Angriffsspiels, also immer anspielbar und stets Bälle verteilend. Das hört sich dann doch nach einem englischen Mittelläufer an, aber: Wie gesagt war Monti nicht der schnellste und zudem verteilte er keine langen Bälle, sondern einfache, kurze Pässe.
Doch der Metodo von Pozzo hatte eine weitere Besonderheit, die die taktische Grafik sehr schön darstellt. Die Halbstürmer spielten zurückgezogen. Solch defensive Halbstürmer gab es nirgendwo sonst, denn sie unterstützten teilweise die Außenläufer ( beachte: Außenläufer, nicht Außenstürmer). Pozzo nahm dabei keine Rücksicht auf die individuellen Vorlieben seiner Halbstürmer, sie mussten sich seiner Taktik unterordnen. Das ist der Unterschied: Während in Italien die zurückgezogenen Halbstürmer aus rein taktischen Gründen so spielten, waren es beispielsweise bei Arsenal die individuelle Spielweise der Halbstürmer, die sich eben aus eigenem Ermessen zurückfallen ließen.
Kommen wir nun zu den 2 Weltmeistertiteln, die dieses System Italien bescherte. Vorweg gesagt: die WMs 1934 und 1938 sind miteinander nicht annährend zu vergleichen. Auch das Italien 1934 hatte mit dem Italien 1938 nicht mehr allzuviel zu tun.
Die WM 1934 ist die wohl korrupteste Weltmeisterschaft im Fußball gewesen. Ob Italien auch ohne die Mithilfe der Schiedsrichter Weltmeister geworden wäre---- schwer zu sagen, vermutlich schon. Jedenfalls war das Viertelk- Halb- und Finale von fragwürdigen Schiedsrichterleistungen begleitet, und es gilt als erwiesen, dass zumindest die Schiedsrichter der ersten beiden genannten Spiele von Italien gekauft waren. Wie dem auch sei: Die Wm-Mannschaft 1934 von Italien war sicher gut, sie ließ extrem wenige Chancen zu. Das österreichische Wunderteam schoss im Halbfinale die ersten 40 Minuten nicht ein Mal aufs Tor, Monti nahm Sindelar schlichtweg die Luft zum atmen. Das Finale dagegen war eine Karikatur: Die Tschechoslowakei beherrschte das Spiel 80 Minuten lang und ging auch in der 76. Minute in Führung, doch in der 81. Minute fiel der Ausgleich. Ob es nun nötig war, 8 Minuten nachzuspielen, ist eine andere Frage, jedenfalls gewann Italien durch ein Tor in der 97. Minute.
Im gleichen Jahr kam es zum vielleicht größten Spiel vor 1945, zumindest von der Konstellation her: Italien gegen England, die beiden besten Mannschaften der Vorkriegszeit gegeneinander. Italien ging in der ersten Halbzeit unter: 0:3 . Grund dafür war die taktische Disziplinlosigkeit der Mannschaft - es zeigte sich nunmal der schwierige Spagat des Metodo: hielten sich die Spieler an die Vorgaben, war Italien fast unbezwingbar, das defensive System war das wohl beste seiner Zeit. Doch erwischten die Spieler einen schlechten Tag, war der Metodo ein extrem löchriges System gegen taktisch ausgezeichnete Gegner, die auch noch physisch ein ganz anderes Niveau mitbrachten. Letztendlich ging das Spiel 2:3 aus, weil sich die Italiener in der 2. Halbzeit nicht auf die Beine der Gegner, sondern auch mal auf das gegnerische Tor zustürmten.
Ich persönlich frage mich, wie wohl ein solches Spiel 4 Jahre später ausgegangen wär, denn:   der Weltmeistertitel Italiens 1938 war eine ganz klare Sache, die italienische Mannschaft 1938 war auch personell gesehen nochmal deutlich stärker als 1934.
Die auf einer stabilen Defensive aufbauende Mannschaft kam nie wirklich in Bedrängnis. Was noch dazukam, war Schnelligkeit, Physis und Dynamik. Der Donaufussball der Ungarn ging im Finale ganz traurig unter.
Zum Schluss will ich noch die wichtigsten Spieler des Metodo euch noch vorstellen (Monti habe ich euch bereits näher gebracht).
Tor:
Gianpiero Combi 1934,  Aldo Olivieri 1938
(http://www.myjuve.it/Images/Players/Combi.jpg)
(http://www.storiedicalcio.altervista.org/images/Olivieri_Aldo.jpg)
Combi und Olivieri wären , wenn sie sich zu einer Person vereinigt hätten, wohl der perfekte Torhüter geworden.
Combis stärken lagen klar auf der Linie. Seine Paraden waren lehrbuchreif, doch wagte er sich selten , die Torlinie zu verlassen.
Combis Nachfolger Aldo Olivieri war komplett anders. Auch er war auf der Linie sicher ein guter Torwart, doch machten ihm eher seine Fähigkeiten beim Herauslaufen berühmt. Selbst ein Schädelbruch , ausgelöst eben durch einen Zusammenprall mit einem gegnerischen Stürmer, hielt ihm nicht davon ab, weiterhin alles zu riskieren , um den Ball zu sichern. Olivieri bekam für seine Risikobereitschaft daher den Spitznamen "Kamikazeflieger".

Abwehr:
Umberto Caligaris
(http://1.bp.blogspot.com/-ROFBl5AZEBE/TiXVTFC3jPI/AAAAAAAAC0Q/Ma99mFBVnJU/s1600/caligaris.jpg)
Leider habe ich kein Foto mit seinem Markenzeichen gefunden. Caligaris spielte stets mit einem weißen Stirnband. Obwohl er an den WM Titeln Italiens wegen seines forgeschrittenen Alters kaum einen Anteil hatte ( 1934 spielte er nur 1 mal, 38 gar nicht) muss ich ihn erwähnen, denn: Caligaris ist zusammen mit dem Engländer Eddie Hapgood der beste Verteidiger der Vorkriegszeit. Caligaris war ein ganz besonderer Verteidiger, denn er war seiner Zeit wohl 30-40 Jahre voraus. Caligaris erfand den Scherenschlag, um Bälle zu klären oder generell weiterzugeben. Caligaris war kein beinharter Innenverteidiger á la Hapgood, sondern zu seinen Stärken gehörten seine Technik und seine Schnelligkeit. Prinzipiell wär Caligaris wohl ein vortrefflicher Libero geworden. Zu seinen Glanzzeiten galt  er auf der linken Abwehrseite als unbezwingbar.

Läuferreihe: wie bereits vorgestellt, Luis Monti.
Sturmreihe:
Raimundo Orsi
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/it/2/23/Mumo_Orsi.jpg)
Auch Orsi war wie Monti eigentlich Argentinier, der dann aber nach Italien wechselte und schließlich Nationalspieler wurde. Orsi war Linksaußen und von der Spielweise mit Cliff Bastin vergleichbar: schnell, technisch hervorragend und torgefährlich. Orsi ist wohl hinter Bastin als bester Linksaußen der Vorkiegszeit einzustufen.

Silvio Piola
(http://cdn.worldcupblog.org/italy.worldcupblog.org/files/2011/07/piola-kick.jpg)
Silvio Piola wird noch heute in Italien vergöttert. Er ist immernoch Rekordtorschütze der Serie A, gilt als bester Mittelstürmer, den Italien je hervorgebracht hat. Silvio Piola war zum einen Knipser, zum anderen aber auch technisch für einen Mittelstürmer extrem gut ausgebildet. Sein Markenzeichen war der Fallrückzieher, mit dem er nicht selten seine Tore erzielte.

Doch es gibt einen italienischen Spieler, der die bereits genanntn überragen sollte, auch weil er sowohl 1934, als auch 1938 entscheidenden Anteil an den Titeln hatte:

Giuseppe Meazza
(http://www.tersninja.com/wp-content/uploads/2013/01/meazza2.jpg)
Wenn nach einem Spieler das größte Stadion Italien benannt ist, sagt dies wohl alles über ihn aus. Meazza gilt bis heute als beste italienischer Fußballspieler aller Zeiten. Meazza war eigentlich gelernte Mittelstürmer, doch Pozzo brauchte ihn als Halbstürmer und Meazza fügte sich dem Wunsch des Trainers. Doch dies machte Meazza nur kompletter: Neben seiner beeindruckenden Dribbeltechnik ( die Sololäufe von Meazza waren berüchtigt) , seiner starken Schusstechnik und seiner Schnelligkeit kamen als Halbstürmer noch Spielübersicht und Spielmacherfähigkeiten hinzu. Letztlich konnte Meazza auf allen 5 Positionen im Sturm eingesetzt werden und ist deshalb in die Top 5 Spieler der Vorkriegszeit einzuordnen.

Nun, wie ging es mit dem "Metodo" weiter? Pozzo blieb noch bis über den Krieg hinaus Italiens Nationaltrainer und es entwickelte sich nach 1938 eine Spielergeneration, die nicht weniger talentiert war. Das Problem: sie manifestierte sich in einem einzigen Verein, dem AC Turin. Bei einem Flugzeugabsturz 1949 kam fast die gesamte Mannschaft ums Leben, was für über 10 Jahre das Ende für die italienische Nationalmannschaft bedeutete. Erst Anfang der 60er sollte Italien zurückkommen, zunächst auf Vereinsebene, mit dem wohl umstrittensten Spielsystem der Fußballgeschichte, dem Catenaccio.
Dazu demnächst mehr :)



Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 09.April 2013, 01:29:03
Catenaccio - Das unschöne Spiel?

Der Catenaccio hat ein schlechtes Image. Viele verbinden mit ihm ein ultradefensives, ultravorsichtiges und statisches Spiel.
Aber: Catenaccio ist nicht gleich Catenaccio.
In diesem Kapitel werden mitunter verblüffende Fakten vorkommen. In "Inverting the pyramide" sind diese gut dargestellt, ich persönlich will den Catenaccio aber noch mit zwei anderen Themen verbinden: zum einen kommt ein ganz kurzer quervergleich zum englischen WM-System, zum anderen eine kleine Vorschau für das nächste Thema: der Libero.
Der Großteil soll sich aber mit "la grande Inter" beschäftigen, welche den Catenaccio in erfolgreichster und in meinen Augen auch in attraktivster Weise spielten.
Daher nur kurz zu den Ursprüngen des Catenaccio ( übersetzt heißt das soviel wie "Riegel").
Auf jeden Fall ist es richtig, dass der Catenaccio das Ziel verfolgte, aus einer kompakten Defensive heraus zu agieren. Allein diesen Gedanken lohnt es sich zurückverfolgen, macht er doch einen kleinen Beitrag zum modernen Fußball aus. Die ersten Systeme, die das Ziel hatten, Tore zu verhindern, bzw. diesem oberste Priorität schenkten, waren zum einen der "Metodo", der Italien 1934 und 38 den Weltmeistertitel brachte und zum anderen der "schweizer Riegel" , mit welchem die Schweiz bei der WM 38 die deutsch-österreichische Mannschaft aus dem Turnier warf.
Beide Systeme waren lediglich modifizierte Fassungen des 2-3-5 bzw. WM-Systems.  Dies ist beim Catenaccio ähnlich, er war von der Grundformation ein modifiziertes 4-2-4 .
Ähnlich wie in einem späteren Thema,  hat auch der Catenaccio einen "Erfinder", nämlich den Italiener Gipo Viani, Trainer von Salernitana Calcio, einem zu dieser Zeit in der zweiten italienischen Liga spielenden Verein.
Allerdings: wie gesagt, Catenaccio ist nicht Catenaccio. Viani baute sich den Catenaccio aus dem WM-System zusammen, während es später Herrera bei Inter Mailand aus dem 4-2-4 aufbaute.
Viani machte folgendes: Er ließ den mittleren Verteidiger noch weiter hinten als Ausputzer und einen Außenläufer in die Verteidigung zurückfallen, zudem stand das Team sehr tief.
Das System erwies sich als effektiv, man stieg mit den mit Abstand wenigsten Gegentoren in die erste Liga auf, allerdings auch sang-und klanglos wieder ab. Das System wurde trotzdem bei kleineren Vereinen in italien extrem populär, die Änderungen des WM Systems waren aber von Verein zu Verein unterschiedlich. Ich spreche übrigens über die Jahre 1947- 1952.
Inter Mailand war dann der erste richtige Top-Verein , der den Catenaccio interpretierte. Der Rechtsaußen (!) wurde bis hinten in die rechte Verteidigung zurückgezogen, um den gegnerischen Linksaußen zu decken, während der eigentliche rechte Verteidiger Blason in die Ausputzerposition rückte.  Viele meinen, er sei der erste Libero gewesen, ich dagegen bin da anderer Meinung, aber das möchte ich erst im Exkursthema "der Libero" näher erklären.
Jedenfalls erzielte dieses Inter 1952/53 in 34 Spielen nur 46 Tore, wurde aber Meister. Diese Inter-Mannschaft ist nicht zu verwechseln mit dem "grande Inter", zu welchem ich noch kommen werde. Hinsichtlich der Attraktivität war der Fußball nicht wirklich ansehnlich, besonders zu einer Zeit, die doch immernoch von torreichen Spielen geprägt war ( WM 1954, Wm 1958- schaut euch mal die Ergebnisse an) und widersprach auch einfach der Einstellung zum Spiel ( dazu komm ich noch in der Nachbetrachtung).

Doch nun kommt etwas, was die Kritiker des Catenaccio wohl irgendwie vergessen haben müssen. Es gab nämlich auch eine, ich sage mal, "torgefährliche" Catenaccio Variante, verkörpert durch den AC Milan und Inter Mailand in den 60ern.
Ich denke, dass dies mit dem 4-2-4 System zutun hat, was sich rasend schnell verbreitete, doch dazu demnächst mehr.
Auf jeden Fall Lügen die Zahlen nicht. Nereo Rocco, Trainer des AC Milan ab 1961, gewann mit seiner Mannschaft 1963 den Europapokal der Landesmeister, also den Vorgänger der Champions League und löste den 2-fachen Seriensieger Benfica Lissabon ab.
Es war ein Krieg der Systeme: der als Unart verpönte Catenaccio setzte sich gegen das Offensivfeuerwerk von Benfica-Trainer Béla Guttmann durch. Wobei der AC Milan auch ein Offensivfeuerwerk in der Serie A entfachte: Trotz (oder gerade mit?)  Catenaccio schoss man in der Meistersaison 1961/1962 in 34 Spielen sagenhafte 83 Tore. Das waren über 20 mehr als die zweittorreichste Mannschaft  vom AS Rom. Dennoch war auch Roccos System typisch "normal-Catenaccio", da seine Mannschaft auch für die körperliche Härte berühmt war und einige "Schlachten" auf dem Spielfeld entfachte.

Doch der Krieg auf dem Spielfeld hatte noch eine Verschärfung vor sich , und zwar durch das "grande Inter" unter Helenio Herrera.
(http://ramonchao.files.wordpress.com/2012/01/helenio-herrera.jpg)
Es gilt als berühmtestes Catenaccio-System und auch in meinen Augen trotz seiner Härte auch als schönstes und innovativstes. Ich will nicht über Herrera als Menschen sprechen, über seinen angeblich teuflischen Charakter, über Doping-Gerüchte des Inter-Teams. Das gehört dazu und ist auch wichtig zu erwähnen, aber ich habe keine Lust mir das Spielsystem Inters dadurch kaputtreden zu lassen.
Wichtig ist zu wissen, dass Herrera kein Italiener, sondern Argentinier war. Auch die argentinischen Mannschaften waren wegen ihrer körperlichen Härte gefürchtet, es liegt daher Nahe, dass Herrera dies mit übernommen haben wird.
Wichtig ist ebenfalls zu wissen, dass Herrera vor seiner Stelle bei Inter nicht unbedingt als Defensivfanatiker geglänzt hatte, war er doch Trainer vom FC Barcelona gewesen, eine Torfabrik Ende der 50er Jahre  (96 Tore in 30 Spielen 1958/59, 86 ein Jahr später). Er wurde dort nach dem Halbfinal-aus gegen Real Madrid im Europapokal der Landesmeister gefeuert und heuerte bei Inter Mailand an, wo er zunächst die Disziplin deutlichst verschärfte.
In seiner ersten Saison wurde Inter dritter, zeigte aber mit 73 erzielten Toren, dass es wie der Stadtrivale den Catenaccio mit Torgefahr verbinden konnte. Allerdings war es noch nicht das richtige Catenaccio-System, dieses kam erst in der nächsten Saison zum Einsatz und dies möchte ich euch detailliert vorstellen und habe mir bei der Visualisierung was ausgedacht :D
Ich bitte euch nur die Formation anzuschauen, die linke Seite ist uninteressant, da ich dort nix verändert habe.
(http://s7.directupload.net/images/130409/sxgjh66z.png) (http://www.directupload.net)

Der FM kann dieses System nicht ganz perfekt abbilden, dennoch halte ich diese Darstellung für die beste. Zunächst muss ich mich allerdings für den Fehler entschuldigen, bitte denkt euch Burgnich als rechten Innenverteidiger ( der aber auch bei Bedarf nach außen auswich, wenn sich Bedin zurückfallen ließ).
Nun, was fällt auf? Wir sehen hier eine abenteuerliche Interpretation eines 4-2-4 Systems. Das kann man allerdings über jede Aufstellung der modernen Zeit sagen, aber diese ist nun wirklich relativ einmalig.
Ich werde euch einige Spieler zum Ende noch vorstellen, ich werd aber in der taktischen Erklärung vieles vorweg nehmen. Die Bildchen zu den Spielern kommen also später ;)
Zunächst haben wir auf der Ausputzerposition Picchi. Picchi ist der Nutznießer von Herreras erster Umstellung. Er nahm aus dem zweier-Mittelfeld einen Spieler heraus und stellte ihn auf die Ausputzerposition. Picchi machte aber nicht nur Ausputzer-Arbeit, sondern eröffnete mit gezielten langen Bällen das Spiel- die Eigenschaft eines "defensiven " Liberos ( wie gesagt, dazu kommt ein Exkurs nächstes Mal). Guameri und Burgnich waren normale Innenverteidiger, jeder deckte den ihm zugewiesenen Gegenspieler gewissenhaft (ich brauche nicht zu erwähnen, dass dieses System auf Manndeckung aufbaute.) . Kommen wir nun zu der in meinen Augen prägendsten Veränderung: Betrachten wir dazu den Linksverteidiger Facchetti und den Rechtsaußen Jair. Dieser Jair war ein Tornante. Dies war ein Rechtsaußen, der sich extreeeeeem weit zurückfallen ließ, um zum einen zu verteidigen ( was er nicht gut konnte), aber auch um sich die Bälle aus der Tiefe zu holen. Er war aber damit eine weitere Absicherung in der Defensive, allein durch seine Präsenz. In meiner FM-Skizze müsste Jair daher eigentlich die Aufgabe "Verteidigen" haben, während man Facchetti, den Star der Mannschaft nicht offensiv genug darstellen könnte. Facchetti ist eigentlich gelernter Stürmer, der aber in die linke Verteidigung gezogen wurde. Er sollte dann nach vorne stürmen und nach innen ziehen und zum Torabschluss kommen. Sogesehen ist dies die wohl offensivste Interpretation des Linksverteidigers in der Fußballgeschichte.
Wie war das aber möglich, dass ein Linksverteidiger den Platz bekommen sollte, sogar den Torabschluss zu versuchen? Neben Facchettis individuellen Fähigkeiten half ihm der Linksaußen Corso, der Freiräume schuf. Durch einen Doppelpass mit Facchetti war Letzterer dann meist frei durch und konnte abschließen. Bedin war schlichtweg ein Abräumer vor der Abwehr, der erste defensive Mittelfeldspieler eines 4-2-4 Systems. Suarez das Hirn der Mannschaft. Er bediente die Spitzen Mazzola ( hier als OM dargestellt, eigentlich war er eine hängende Spitze, wollte ihn aber von Peiro auch räumlich trennen) und Peiro mit langen Bällen.
Diese Taktik brachte dem "grande Inter" die Ligasiege 63,65 und 66 ein, zudem gewann man den Europapokal der Landesmeister 1964 und 1965.
1967 wurden dem Catenaccio dann die Grenzen aufgezeigt, als Herreras Inter gegen Celtic Glasgow im Finale dieses Wettbewerbs verlor.Celtic zeigte, dass das offensive, das typische 4-2-4 eine Zukunft hatte, auch weil Inter für sein Catenaccio-System nicht mehr über die geeigneten Spieler verfügte und auch weil der "moderne Fußball" seinen Anfang machte- dazu dann später mal mehr.
Da ich nciht weiß, wie viele Zeichen noch gehen, fahr ich im nächsten Artikel weiter fort.


Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 09.April 2013, 02:01:27
Catenaccio - Vorstellung der Inter-Spieler, Nachbetrachtung

Herausragende Spieler des "grande Inter"

Armando Picchi
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/it/f/f7/Armando_Picchi.jpg)

Picchi war Kapitän der Intermannschaft und hatte , wie bereits erwähnt, die Ausputzerposition inne. Er brachte es nur auf 12 Länderspiele- auch weil er nach nur 4 Jahren Weltklasse seine Fußballkarriere 1968 beenden musste. Picchi war eines der ersten Opfer von Herreras disziplinarischen Maßnahmen; nach einem Disput musste er Inter 1966 verlassen.

Giacinto Facchetti
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/it/8/89/Giacinto_facchetti_nazionale.jpg)
Giacinto Facchetti ist wohl Italiens bester Fußballer der 60er und 70er Jahre. Der zum Linksverteidiger umfunktionierte Stürmer war schnell, technisch brilliant und auch sonst komplett. Viele sehen in ihm den besten Linksverteidiger aller Zeiten und das tue ich auch. Facchetti war Kapitän der italienischen Nationalmannschaft und gewann mit ihr 1968 die Europameisterschaft und wurde 1970 WM-Zweiter gegen die zu der Zeit wohl beste Nationalmannschaft aller Zeiten.

Luis Suarez
(http://estaticos.archivo.marca.com/ficheros/marca/imagenes/su/suarez_ES.jpg)
Herrera brachte den Spanier von Barcelona zu Inter Mailand mit. Suarez war schon zu der Zeit einer der besten Spieler der Welt, wurde 1960 Europas Fußballer des Jahres. Der Transfer von Barca zu Inter war ein Weltrekord, was die Ablösesumme betraf (142 000 Pfund) . In Inter war seine Rolle als Spielmacher mehr gefragt als seine Torgefährlichkeit, die ihn besonders in der Nationalmannschaft und bei Barca auszeichnete.

Sandro Mazzola
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/0/0c/Sandro_Mazzola.jpg)
Sandro Mazzola gilt als einer der beliebtesten italienischen Spieler. Der eher als Stürmer, aber auch oft im Mittelfeld agierende Turiner (!) , der seine gesamte Karriere bei Inter blieb, war technisch einer der besten Spieler, die Italien je hatte.


Nachbetrachtung
Der Catenaccio mag wegen seiner Härte, seiner defensiven Grundidee verhasst sein, doch hat er auf Vereinsebene die 60er Jahre dominiert. Er war aber trotzdem ein rein italienisches Phänomen. Die italienische Nationalmannschaft sollte den Catenaccio lange spielen, etwa bis 1990 (1994?) war er Grundbaustein des italienischen Spielverständnisses. Dabei hing die Schönheit des Spiels nun mal auch von der Qualität der Spieler ab. Dies ist bei er Bewertung des Systems in Betracht zu ziehen. Ein Italien von 1974 hatte nicht die Qualität von 1970 oder von Inter 1965. Daher der Quervergleich mit dem englischen WM-System: Schaut man sich Arsenal unter Chapman an, ist es eine Augenweide. Schaut man sich die Interpretation von England 1950 an, ist es ein Krampf. Genauso muss man den Catenaccio betrachten. Leider bleiben Milan 1962 und Inter 1963-67 die Ausnahmen einer phantasievollen Umsetzung des Systems ( wobei ich Italien 1968-1970 auch nicht unattraktiv finde). Ansonsten hat der Catenaccio sicher auch mitgeholfen, den offensiv denkenden Trainern Gegenmittel erfinden zu lassen- der Catenaccio ist damit also ein Wegbereiter zum modernen Fußball.

Was demnächst folgt: kleiner Exkurs, der Libero.         Danach: Brasilien 1958 - Wiege der modernen Formation
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: White am 09.April 2013, 02:09:02
Wieder exzellent. Und auf Brasilien freu ich mich unheimlich
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 09.April 2013, 15:24:30
Solang ich im Studium noch nicht viel zu tun hab werd ich den Thread vollhauen so oft es geht :laugh:
Daher gehts weiter mit:

kleiner Exkurs: Der Libero- meine ganz eigene Theorie

Jetzt kommt mal ein Thema, wo ich nicht von inverting the pyramide abkupfern werde, weil Wilson erstens nicht ausführlich auf ihn eingeht und weil ich zweitens schon immer meine eigene Meinung zu dieser Position habe. Ich kann euch daher nur als Quellen nennen, dass ich hier und da mal was aufgeschnappt habe, der Großteil allerdings aus vielen Filmchen besteht, Fußballspiele, um genauer zu sein.

Ich will auch keine Definition für den Libero abgeben, weil ich zu allen Definitionen ein "ja, aber...." hinzufügen könnte. Deshalb läuft das hier ein bisschen anders.
Zunächst einmal muss man nach den Voraussetzungen fragen: Wann wird ein Libero eingesetzt? Wo macht er Sinn? Wo nicht? Wie wichtig ist der Spieler?

1. Ein Libero macht erst mit 3 Verteidigern Sinn, im 2-3-5 System sucht man also vergeblich.
2. Ein Libero im WM-System bedeutet, dass die Mannschaft eher auf eine grundsolide Defensive aufbaut.
3. Der Libero ist eine feste Position, deshalb MUSS man Ungarn in den 50er Jahren außer Acht lassen, da auch ein Gyula Lorant im Positionstausch miteinbegriffen war.
4. Das 4-2-4 System und der Libero stehen in keiner Beziehung zueinander, die Entwicklung verlief dann doch sehr parallel.

Es gibt noch andere wichtige Punkte, aber die will ich am Ende nennen, wenn es darum geht den Niedergang des Liberos zu erklären.
Um den Ursprung des Liberos zu finden muss man eine weitere Frage klären: Was ist eigentlich mit dem Ausputzer?
Wie in meinem Catenaccio bereits erwähnt, spielte Inter 1952 mit einem Ausputzer, der als erster Libero bezeichnet wird. Es gibt Argumente die dafür und dagegen sprechen: Dafür spricht, dass er keinen Mann decken musste, sondern egal welcher gegnerische Spieler auftauchte, der musste gestoppt werden, der Strafraum wurde eben "ausgeputzt". Er war also von der Manndeckung befreit.
Dagegen spricht, dass er eben auch nicht viel sonst machte. Er putzte den Strafraum aus und bei Balleroberung folgte ein einfacher Pass nach vorne. Schluss.
Trotzdem liegt für mich der Ursprung des Liberos in der Tat in Italien, aber erst in den 60er Jahren und sein Name war Armando Picchi.

Dennoch gab es viele unterschiedliche Interpretationen dieser Position. Ich habe 4 verschiedene Typen ausgemacht und werde euch diese anhand von 4 verschiedenen Spielern vorstellen. Die Bezeichnungen hab ich mir selbst ausgedacht, denkt euch selber euren Teil dazu ;).

1. der ausputzende Libero

Wie gesagt sehe ich Armando Picchi als ersten Libero. Auch wenn seine Hauptaufgabe darin bestand, als zusätzlicher Mann hinter der Abwehr den Strafraum "rein" zu halten, unterschied er sich doch von den anderen Ausputzern: Picchi konnte lange, gefährliche Bälle in die Spitze spielen, das Aufbauspiel damit mitgestalten. Für einen Ausputzer war das etwas völlig neues. Franco Baresi gilt im übrigen als der beste Vertreter dieses Typus.

2. der Allrounder-Libero

Für diejenigen, die das nocht nicht wissen ist dies sicher eine riesige Überraschung. Aber eigentlich hat Franz Beckenbauer bei Inter Mailand einen Vertrag unterschrieben, der nach der WM 1966 beginnen sollte. Der Wechsel war eigentlich schon fix.  Als Beckenbauer nach Mailand flog, um sich das Spiel seiner zukünftigen Mannschaft anzusehen, haben es ihm Picchi und Facchetti angetan. Beckenbauer war von der Freiheit, die beide in ihrem Spiel hatten total angetan und träumte davon, ebenfalls von der Manndeckung befreit zu werden und seine Ideen verwirklichen zu können.
Daraus sollte dann spätestens 6 Jahre später Realität werden.  Der Wechsel kam übrigens deshalb nicht zustande, weil sich der italienische Fußballverband nach der blamablen WM 1966 dazu entschloss, die Ausländerregelungen in der Liga deutlich zu verstärken, um die eigenen Spieler zu fördern. Der Vertrag mit dem Franz wurde daraufhin aufgelöst. Schade für Inter, wunderbar für Deutschland, denn der Franz transportierte die Idee des Libero nach Deutschland mit.
Beckenbauer ist in meinen Augen der erste und vielleicht einzige Allround-Libero. Beckenbauer spielte eigentlich im offensiven Mittelfeld, zog sich aber schon zur WM 1970 in das defensive Mittelfeld zurück und war ab 1972 dann Libero.
Prinzipiell konnte Beckenbauer wirklich nach eigenem Ermessen handeln. Aufgrund seiner göttlichen Fähigkeiten am Ball wurde ihm dies auch eingeräumt. Ob nun tödliche Pässe, lange Bälle, Sololäufe, Fernschüsse, Beckenbauer machte alles. Nebenbei war er auch noch ein genialer Verteidiger, der aufgrund seiner Antizipation und seiner Ruhe perfekt die Abwehr stabilisierte.
Näheres zum Kaiser dann, wenn ich Deutschland 1972 behandeln werde.

3.Der gestaltende Libero
Er ist nicht ganz so offensiv ausgerichtet wie der Franz, aber auch er hat vielfältige Offensivaufgaben. Der gestaltende Libero ist in meinen Augen die modernste Ausprägung dieser Position, in den 80ern war er der wohl am weitesten verbreitete Vertreter.
Der beste Vertreter dieses Typus war ebenfalls Italiener: Gaetano Scirea. Scirea war gelernter Mittelfeldspieler, ließ sich dann aber auf die Liberoposition zurücksetzen. Scirea war ohne Zweifel auch ein guter Verteidiger, aber seine Spielmacherqualitäten und seine technischen Fertigkeiten stachen deutlich mehr hervor. Zudem war Scirea für einen italienischen Libero doch auch recht torgefährlich.

4. Der stürmende Libero
Der stürmende Libero lässt sich klar auf einen einzigen Spieler anwenden: Ronald Koeman.
Koeman war defensiver Mittelfeldspieler, als ihn sein Trainer Johan Cruyff zum Libero umschulte. Damit machte er Koeman zum wohl torgefährlichsten Verteidiger aller Zeiten. In 191 Spielen für Barcelona schoss er sagenhafte 67 Tore. Koeman war als Verteidiger recht okay, aber leitete er lieber Angriffe ( oder auch Konter) mit ein, um dann wie ein wahnsinniger nach vorne zu stürmen. Da Koeman auch einer der gefürchtetsten Distanzschützen aller Zeiten ist, mag dies seine Durchschlagskraft vorm gegnerischen Tor erklären.

Das Ende des Liberos
Warum starb der Libero in den 90er Jahren dann langsam aus? An guten Spielern mangelte es nicht- außerdem zeigen die Beispiele, dass man regelmäßig Mittelfeldspieler umschulen konnte. Der Grund ist deutlich banaler: Die allgemeine Raumdeckung machte den Libero schlicht überflüssig, weil in einer Mannschaft, die Raumdeckung betrieb, nun mal alle Spieler keinem Gegenspieler zugeordnet waren. ( haaaalt, aber was ist dann mit Holland 1974, die schon in Raumdeckung spielten, aber trotzdem einen Libero aufstellten?  Bei Holland 1974 gab es keine festen Positionen, wegen Michels Idee vom totalen Fussball. Jeder Spieler konnte/musste jede Position spielen können. Eine Anfangsformation von Holland 1974 ist daher reine Utopie ).
Wie gesagt, durch die Raumdeckung konnte man den Libero daher einfach für bessere Zwecke verwenden. Entweder als normalen Innenverteidiger oder als defensiven Mittelfeldspieler. Dennoch sieht man jetzt wieder in Italien eine kleine Libero-Renaissance in Italien (man denke an Bonucci bei Juve). Meiner Meinung nach ist dies nur temporär. Bonucci ist kein Libero in diesem Sinne, da es wie gesagt keinen Unterschied hinsichtlich der Deckungsart der anderen Innenverteidiger gibt. Bonucci ist einfach ein kleiner Blick in die Zukunft des Innenverteidigers, der eben alles verbindet: Defensivfähigkeiten und Spielaufbau-Fähigkeiten. Irgendwann wird Bonucci dann als ganz normaler Innenverteidiger betrachtet werden, da in einigen Jahren alle Innenverteidiger so spielen werden.

Was demnächst folgt: Brasilien 1958 - Wiege der modernen Formation              danach: Viktor Maslow, Erfinder des modernen Fußballs.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 11.April 2013, 22:55:21
So, damit ich das nicht vergesse, möchte ich mein nächstes Thema mit nem Ausschnitt aus dem Film "Fifa Fever" einleiten, der die Situation vor der WM 1958 super darstellt. ( ich zitiere fast wörtlich)
Brasilien 1958   Beginn der modernen Formation

"Vor der WM 1958 herrschte eine allgemeine Spannung in der Fußballwelt:  Uruguay- nahm nicht teil, Italien- nicht qualifiziert, Ungarn- ein Schatten vergangener Tage und Titelverteidiger Deutschland mit einer neuen Mannschaft! Es gab also keinen Favoriten. Mit Brasilien rechnete niemand. Schließlich hatte noch kein Land den WM-Titel außerhalb des eigenen Kontinents gewonnen."

Dass dies dennoch gelang, ist vielen Personen zu verdanken: Einem brasilianischen Trainer, welcher beim Training schon mal in seinem Stuhl einschlief;  einem 17 jährigen Teenager, einem Spaßvogel mit X-Beinen und- auch ein Ungar sollte den Grundstein für Brasiliens Titel legen.
Soviel zur Vorschau, der Hauptteil wird irgendwann dieses Wochenende folgen :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: kontermann am 29.April 2013, 12:02:47
Finde es klasse, dass du zur WM 1934 der Italiener auch die Bestechungsvorwürfe nicht unter den Tisch fallen lässt. Es scheint alles nicht ganz so koscher gewesen zu sein damals. Super, dass du das ebenfalls mitberücksichtigst!
Grossartiger Thread :)
KUTGW!
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Zz Alpha Dog zZ am 07.Mai 2013, 11:02:33
Finde es cool das du ehemalige Teams vorstellst...

Fände es cool, wenn du mal die Nationalmannschaft der USA ( 90er Jahre ) nehmen würdest.
Mit Spielern wie Tom Dooly, Eric Wynalda, Alexi Lalas, Marcello Balboa, Frankie Hejduk, und und und...

Das waren die Stars meiner Kindheit, und meiner Meinung nach das beste USA Team allerzeiten!!
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: kontermann am 07.Mai 2013, 11:16:49
Finde es cool das du ehemalige Teams vorstellst...

Fände es cool, wenn du mal die Nationalmannschaft der USA ( 90er Jahre ) nehmen würdest.
Mit Spielern wie Tom Dooly, Eric Wynalda, Alexi Lalas, Marcello Balboa, Frankie Hejduk, und und und...

Das waren die Stars meiner Kindheit, und meiner Meinung nach das beste USA Team allerzeiten!!

Tony Meola, der immer aussah wie ein typischer amerikanischer Schauspieler aus einem College-Film ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Zz Alpha Dog zZ am 07.Mai 2013, 11:21:12
Finde es cool das du ehemalige Teams vorstellst...

Fände es cool, wenn du mal die Nationalmannschaft der USA ( 90er Jahre ) nehmen würdest.
Mit Spielern wie Tom Dooly, Eric Wynalda, Alexi Lalas, Marcello Balboa, Frankie Hejduk, und und und...

Das waren die Stars meiner Kindheit, und meiner Meinung nach das beste USA Team allerzeiten!!

Tony Meola, der immer aussah wie ein typischer amerikanischer Schauspieler aus einem College-Film ;)

Eher ein Sportfilm als Footballprofi in der Defenseline :D
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 07.Mai 2013, 15:05:47
Balboa und Lalas nebeneinanderstehend bei der Hymne..... unbezahlbarer Anblick  :laugh:

Ich versuch in diesem Monat nun endlich Brasiliens 4-2-4  fertig zu bekommen. Danach noch Viktor Maslow und der moderne Fußball, anschließend noch Deutschland 1972 . Danach werd ich gerne die hier erwähnten Vorschläge in Betracht ziehen ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: kontermann am 07.Mai 2013, 15:23:22


Eher ein Sportfilm als Footballprofi in der Defenseline :D

Stimmt. Dann aber Quarterback, der alle Cheerleaders haben kann :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 09.Mai 2013, 02:26:25
Brasilien 1958- Beginn der modernen Formation
Wenn man von "modernem" Fußball spricht, unterscheidet ihm 2 grundsätzliche Dinge vom "alten" Fußball.  Dieses Kapitel soll eine Facette davon besonders beleuchten.
Bis auf die Donauländer ( Österreich , Tschechien und Ungarn) spielten ab den 30er Jahren alle Mannschaften auf der Welt das WM-System, bzw. Variationen davon ( z.B. den Metodo). Doch wurde dieses System nicht überall vollends akzeptiert und als unattraktiv befunden. Dies war insbesondere in Brasilien der Fall. Schon 1941 experimentierten Vereine wie Flamengo mit einem neuen Spielsystem. Ein "schiefes ´" 4-2-4 lässt sich feststellen. Dabei ließ sich ein Innenstürmer ins heutige offensive Mittelfeld zurückfallen , ein Außenläufer rückte knapp vor die Abwehr . Prinzipiell war das eher ein 3-1-1-1-4. Vom "Spielradar" her war dieses System durchaus beachtlich und innovativ, von der Spielweise her allerdings nicht unbedingt erfolgreich. Brasiliens Fußball war schon immer dynamischer als z.B. in England, die Individualität des einzelnen Spieler war deutlich mehr gefragt. Dies war beim neuen System nicht anders.

Bei der Weltmeisterschaft 1950 waren die angesprochenen Änderungen zu sehen, aber im letzten und entscheidenen Spiel gegen Uruguay ( die ein 1-3-3-3 System spielten, siehe auch: Schweizer Riegel) griff man wieder auf das WM-System zurück. Warum der Trainer auf das alte System zurückgriff, ist ähnlich umstritten wie der gleiche Vorgang 1954 bei den Ungarn.
Man dominierte die ersten Spiele im schiefen 4-2-4, doch scheint man Uruguay für so stark gehalten zu haben, auf Experimente zu verzichten. Der große Star Brasiliens , Peles Vorbild Zizinho, war zunächst verletzt und kehrte zur Mannschaft zurück, als man nur unentschieden gegen die Schweiz spielte. Dies schien den Trainer verunsichert zu haben.
Dennoch zeigten die Vorrundenspiele das große Potenzial dieses Systems.

Wer nun dieses 4-2-4 in Reinform erfand, ist nicht genau geklärt, ich denke, es gab 3 treibende Kräfte. 1951 ist in Brasilien das klassische 4-2-4 das erste mal ordentlich belegt. Deshalb scheidet Brasilien meiner Meinung nach als Erfinder aus. Bleiben noch Ungarn und die Sowjetunion. Sebes führte das 4-2-4 etwa 1950 ein, Boris Arkadiew wohl einen Tick früher. Dennoch liefen die Entwicklungen voneinander unabhängig und sie hatten trotzdem noch nicht viel mit dem 1958er 4-2-4 System zu tun: Was die brasilianische Variante betrifft, will ich nicht zu viel vorweg nehmen. Kurz gesagt, waren die Spielerrollen anders bzw. noch gar nicht definiert. Sebes' 4-2-4 lässt sich mit keinem anderen Spielsystem vergleichen, da es einfach zu speziell auf die Mannschaft zugeschnitten war. Arkadiews "organisiertes Chaos" war ebenfalls sehr speziell.

Dennoch war wohl das bereits angesprochene 4-2-4 System von 1951  doch schon sehr weit entwickelt, zumindest was die Defensive betraf. Wie die spätere Mannschaft von 1958 wurde ein Außenläufer in die Innenverteidigung gezogen und zog während des Spiels immer wieder ins Mittelfeld . Ein offensiver Innenverteidiger sozusagen.  Der Mittelstürmer spielte stark zurückgezogen im Mittelfeld , allerdings war er noch kein Mittelfeldspieler wie 1958. Zudem wurde von Mann- auf Raumdeckung umgestellt - ein kleiner Fingerzeig auf das nächste Kapitel-, was den Spielfluss deutlich verbesserte.

Ab Mitte der 50er Jahre wurde dann auch in der brasilianischen Nationalmannschaft der "Ponta da Lanca" eingeführt- ein Halbstürmer wurde das Verbindungsglied zwischen Mittelfeld und Sturm-, was in Ungarn Ferenc Puskas in Perfektion zelebrierte. Diese Spielerrolle sollte 1958 ein Teenager ausführen, doch dazu später mehr.
Um schon mal die Formation von Brasilien 1958 vor Augen zu führen, hier mal eine FM-Grafik :D
(http://s14.directupload.net/images/130509/gtyj29ru.png) (http://www.directupload.net)
Schauen wir uns die Spielerrollen genauer an. Die Außenverteidiger an sich sind ein absolut neues Phänomen. Sie erfüllten noch keine offensiven Aufgaben wie 1970, aber ihre technischen Fertigkeiten waren weltweit unübertroffen und wurden erst spätert durch Facchetti übertroffen. Orlando war der klassische Innenverteidiger, während Bellini auch ins Mittelfeld vorstieß. Über das Mittelfeld will ich jetzt noch nicht so viele Worte verlieren, aber nochmal ist zu betonen , dass man nun von einem Mittel Feld sprechen muss.

Garrincha war die Kopie von Stanley Matthews, vielleicht der beste Techniker , den Brasilien je hatte. Vava war ein klassischer Mittelstürmer. Interessant wird es bei Pele und Zagallo. Pele war seiner Zeit 50 Jahre voraus, keine Frage. Er verkörperte nämlich die "falsche 9". Nichts anderes. Und zwar verkörperte er sie nach dem heutigen Verständnis, insofern wirkt Pele in dieser Position bis heute nach. Da ich Pele gern später im anderen Thread behandeln möchte, möchte ich es daher dabei auch schon belassen.
Für beide Titelgewinner der Brasilianer wichtiger halte ich aber Mario Zagallo. Dieser hatte prinzipiell die gleiche Funktion wie Jair bei Inter Mailand. Als Flügelstürmer zog er sich oft ins Mittelfeld zurück, sodass Garrincha auf der anderen Seite seine gefährlichen Flügelläufe zelebrieren konnte. Zagallo zeigte auch Brasiliens nächste Innovation, er war 1962 im linken Mittelfeld zu finden - Das 4-3-3 System war geboren.

Soviel zu den Spielerrollen.Diese müssen nun natürlich in ein Spielsystem , in einer Teamspielweise verpackt werden, die ebenfalls innovativ sein musste, wollte man die Finalniederlage 1950 und das Debakel 1954 überwinden. Der Vater des 4-2-4 Systems Brasiliens 1958 ist daher meiner Meinung nach der ungarische Trainer Béla Guttmann, der seine Idee in Brasilien einführte.
(http://equaliserblog.files.wordpress.com/2010/08/guttmann.jpg)
Guttmann, der später mit Benfica den Europapokal der Landesmeister gewinnen sollte, war, typisch für einen Ungarn, ein Verfechter des Offensivspiels. 1954 war Brasilien erstaunlich defensiv, destruktiv spielend aufgefallen. Es fehlte die Zielstrebigkeit, auch im Abschluss. Letzteres war beim österreichischen Wunderteam ähnlich. Béla Guttmann brachte die Zielstrebigkeit der Aranyczapat mit nach Brasilien. Das Spiel nach vorn wurde wieder beschleunigt, Kombinationen liefen flüssiger. Auch wenn Guttmann nur 1 Jahr in Brasilien verweilte sollten seine Trainingsmethoden und seine Einstellung zum Spiel auch den Fußball in Brasilien verändern.
Kurz nochmal zum Mittelfeld: Man muss nun die alte Einteilung Torwart-Verteidiger-Läufer-Sturm durch Torwart-Verteidigung-Mittelfeld-Sturm ersetzen. Warum? Der Grund liegt bei den Außenverteidigern und den Flügelstürmern. Diese hielten sich in allen 4-2-4 Systemen nun immer häufiger im mittleren Feld auf- also auf den eigentlichen Läufer-Positionen, während die Außenläufer entweder in die Innenverteidigung oder ins defensive/zentrale Mittelfeld einrückten. In der Zentrale hielten sich mindestens 2 Spieler auf, die dort auch blieben. Zudem gesellten sich auch torgefährliche Spieler, wie oben bereits gesehen, Didi in die Zentrale , was zu einer Aufwertung dieses Spielbereiches führte.
Fassen wir , bevor wir zur WM 1958 kommen, nochmal alles zusammen.  Brasilien verfügt über ein neues Spielsystem, das es in den anderen Teilen der Welt noch nicht in einer entwickelten Form gibt. Das WM-System ist noch überall allgegenwärtig. Außerdem ist die Raumdeckung in Brasilien etabliert. Dazu kommen die neuen Spielerrollen und die Einstellung, konsequent nach vorn zu spielen und eiskalt abzuschließen. Vom Brasilien 1954 unterschied sich sie 58er Mannschaft in den eben aufgeführten Kategorien daher um Welten.
Doch es fehlt noch eine wichtige Komponente, ohne die Brasilien wohl nicht Weltmeister gewesen wäre. Es brauchte einen Trainer, der ein Gefühl dafür hatte, die richtigen Spieler auf der richtigen Position einzusetzen und diese Spieler psychisch auf ihre Rolle vorzubereiten. Dieser Trainer hieß Vicente Feola.
(http://www.diadefutebol.com/wp-content/themes/default/images/feola.jpg)

Feola entschied sich, gegen Widerständen einiger "Psychologen" und anderer Kritikerim eigenen Land zwei Spieler nach Schweden mitzunehmen, die bis heute unvergessen sind. Er vertraute auf einen 17 jährigen Offensivspieler, der schon in diesem Alter seine Klasse offenbarte und zum besten Fußballspieler aller Zeiten werden sollte.
(http://cdn1.spiegel.de/images/image-96454-panoV9free-hjst.jpg)
Pele hatte, ähnlich wie Sindelar, ein komplett anderes Spielverständnis seiner Zeit. Was Pele von allen anderen Fußballern unterschied , war die beeindruckende Fähigkeit, Technik, Teamwork und Übersicht im richtigen Moment gewinnbringend einzusetzen. Die fußballerischen Fähigkeiten waren im Prinzip nur ein Werkzeug. Aber diese, wie ich sie nenne, "spontane Spielintelligenz", also im richtigen Moment das optimale zu tun, hebt Pele aus der Zeit heraus. Im übrigen halte ich Lionel Messi in diesem Bereich für vergleichbar ebenbürtig, letztendlich ist es nämlich diese Eigenschaft, die ihn aus vergleichbaren Spielerpersönlichkeiten ( Maradona, George Best, Roberto Baggio) nochmal heraushebt. Aus diesen beiden Komponenten, fußballerische Fähigkeiten  und spontane Spielintelligenz, beide in übernatürlichen Maße vorhanden, lassen sich die 50 Saisontore eines Lionel Messi oder eben die 1200 Tore eines Pele erklären.
Feola erkannte dies bei dem erst 17-jährigen.
Zum anderen nahm er mit Garrincha einen Rechtsaußen mit einem X- und einem O-Bein mit, um dem Gegner einen Gegenspieler zu geben, der unausrechenbare Aktionen vollzog.
(http://3.bp.blogspot.com/-t16mEdVOpig/TVxgmnkiY3I/AAAAAAAAAIM/nI1Xst8ntbw/s400/garrincha%25255B1%25255D.jpg)
Dazu kam mit Zagallo ein absolutes Taktikgenie auf dem Platz, der ,ähnlich wie 1954 Fritz Walter, jede Regung des Trainers Feola wahrnahm und so für eine Stabilität des Systems sorgte. Didi galt 1958 als bester Spieler Brasiliens, der früherer Stürmer agierte im zentralen Mittelfeld und bediente die Spitzen vorzüglich, ohne den eigenen Torabschluss zu vernachlässigen. Die Verteidigung war für brasilianische Verhältnisse weltklasse. Wie sich im Turnier zeigen sollte, war es Brasiliens Raumdeckung und 4-er Verteidigung, die den Gegnern immer wieder den Zahn zog.

Kommen wir nun zu den Spielen:   
 Vorrunde:
Brasilien- Österreich 3:0

Brasilien- England 0:0

Brasilien UdSSR    2:0

In meinen Augen war das eine Todesgruppe. Österreich befand sich zwar schon auf einem absteigenden Ast, dennoch war der Donaufußball immernoch sehenswert, doch letztlich war die Defensive mit der konsequenten Spielweise Brasiliens überfordert.  Das 2:0 schoss übrigens Nilton Santos, ein kleiner Fingerzeig, wie wichtig die Außenverteidiger in Brasiliens WM-Geschichte noch werden sollten.
Gegen England stieß Brasilien in der Offensive an seine erste Grenze. das 0:0 nahm Feola zum Anlass, ab dem nächsten Spiel den 17- jährigen Pele zu bringen. Dieser zeigte dann im Spiel gegen die UdSSR seine klasse und trieb, obwohl ohne Torerfolg, die Mannschaft zu einem ungefährdeten 2:0 Sieg. Dass das Ergebnis nicht höher ausfiel, lag an dem überragenden Jaschin, der zum besten Torhüter des Turniers gewählt wurde.
Viertelfinale:
Brasilien- Wales 1:0
Gegen die wohl beste Waliser Nationalmannschaft reichte es "nur" zu einem 1:0 Sieg. Dies lag daran, dass Wales deutlich defensiver agierte, als angenommen. In meinen Augen ist dies der erste Ansatz eines Nachdenkens gegen das neue System der Brasilianer. Pele sorgte dann aber doch noch für den Siegtreffer.

Halbfinale:
Brasilien- Frankreich 5:2
In meinen Augen ist dies das beste Spiel einer Mannschaft, die je ein klassisches 4-2-4 zelebrierte. Führen wir uns die Voraussetzungen vor Augen. Frankreich war die Torfabrik der WM 1958. Raymond Kopa und Just Fontaine zerlegten die Gegner nacheinander. Und ausgerechnet in der brasilianischen Defensive beißt sich Frankreich dann die Zähne aus. Frankreichs Spielsystem hatte keine Mittel gegen Brasilien. Die 2 französischen Tore sind lediglich Resultate der körperlichen Unterlegenheit der Brasilianer. Pele und Vava waren mit je 2 Toren die Spieler des Tages, auch Garrincha schuf viele Freiräume, nie funktionierte der Brasilianische Sturm besser. Brasilien hätte eigentlich noch höher gewinnen müssen.
Finale:
Brasilien - Schweden 5:2
Erneut trafen Vava und Pele zwei mal. Brasilien war technisch eine Spur besser als die Schweden. Diese waren sehr konsequent im Abschluss, wie die 2 Tore zeigen, doch konnten sie nicht mit der Brillianz der Brasilianer mithalten.

Was lässt sich aus dieser WM schließen? Es ist auffällig, dass Brasilien ab dem Halbfinale seine Überlegenheit demonstrierte, gegen die besten Mannschaften des Turniers. Zudem lässt sich sagen, dass man gegen defensivere Mannschaften Probleme hatte ( Wales, ungewollter Weise auch England). Dennoch sagten auf allen Teilen der Erde die meisten Vereine dem Wm-System "Bye-bye" nach dieser WM. Der Grund lag daran, dass das Spielsystem der Brasilianer so extrem anders war, dass es ohne eigene Änderungen nicht fassbar wurde. Wollte man ein Gegenmittel gegen Brasiliens System finden, musste man das eigene System hinterfragen. Da stellen sich folgende Fragen: Brauche ich wirklich 5 Stürmer, wenn Brasilien mit 3 oder 4 Spitzen Frankreich abschießt? Ist die Manndeckung angemessen, wenn das Angriffsspiel des Gegners schon im Mittelfeld entwickelt wird? Soll ich meine Verteidigung so hoch stehen lassen? Wen sollen die Außenläufer denn decken?? Das 4-2-4 System der Brasilianer war deshalb so wichtig für die künftige Entwicklung des Fußballs, weil überaltete Strukturen bei der Beantwortung dieser Fragen aufgebrochen werden mussten. Der fünfte Stürmer starb kurz danach aus, die Außenläufer waren spätestens 1966 verschwunden.  Zudem bot das 4-2-4 deutlich mehr Möglichkeiten in seiner Umsetzung. Brasilien 1958 ist die "Urformation" aller modernen Spielformationen.
Verfügte eine Mannschaft nur über 3 passable Stürmer, wurde ein zusätzlicher Mittelfeldspieler nötig - 4-3-3.
Waren die Flügelstürmer abschlusschwach, wurden diese ebenfalls ins Mittelfeld verschoben : 4-4-2
Unterschieden sich die zentralen Mittelfeldspieler aufgrund ihres offensiven bzw. defensiven Spielverständnisses, wurden diese einfach verschoben: 4-1-2-1-2 -> Die Raute ist nichts anderes als eine Variante des 4-2-4.
England wurde 1966 mit einem 4-1-3-2 System Weltmeister.  Stiles war als defensiver zentraler Mittelfeldspieler nach hinten verschoben, Bobby Charlton aufgrund seiner offensiven Gesinnung nach vorn verschoben, Peters und Ball wurden als ehemalige Flügelstürmer einen Tick ins Mittelfeld verschoben. Man sieht also, letztendlich basiert alles auf personell bedingte Verschiebungen des ursprünglichen 4-2-4 Systems..............
Und einer Idee, die das Fußballspiel nochmals revolutionieren sollte, und zwar noch mehr als Brasiliens 4-2-4 System, denn erhielt erst dadurch der Fußball sein heutiges Gesicht..........
Was demnächst folgt: Viktor Maslow- Vater des modernen Fußballs-  Interpretationen der Maslowschen Idee mit besonderem Fokus auf den totalen Fußball
 
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 09.Mai 2013, 16:12:38
Exkurs - Viktor Maslow, Erfinder des modernen Fußballs, Anwendung der Maslower Idee anhand des Beispiels des "Totaalvoetbal"
Dieses Thema ist deshalb ein Exkurs, weil hier keine (fast) vergessene Mannschaft vorgestellt wird. Der Totaalvoetbal ist immernoch allgegenwärtig. Viktor Maslow ist dies vielleicht nicht.
Zum Themeneinstieg muss man sich fragen, was den "modernen" vom "alten" Fußball unterscheidet. Im vorherigen Kapitel haben wir gesehen, dass mit der Abkehr vom WM-System zum 4-2-4 System ein Meilenstein erreicht wurde. Dennoch fallen Unterschiede zum heutigen Fußball ins Auge. Laien würden auf Anhieb sagen, dass das Fußballspiel heute deutlich schneller geworden ist. Das ist richtig. Sie würden außerdem sehen, dass zwischen Ballannahme,Ballmitnahme, Ballabgabe deutlich mehr Zeit verging als im heutigen Fußball. Hervorragend abgeleitet. Nur: die Ursachen dafür sind vielfältiger als man denkt. Natürlich wurden die Trainingsmethoden professioneller, die "Hungerjahre " kurz nach dem zweiten Weltkrieg liegen immer weiter zurück. Doch nur durch ein komplett neues Spielverständnis lässt sich der moderne Fußball vom alten Spiel differenzieren. Ich rede vom Pressing. Viktor Maslow
(http://equaliserblog.files.wordpress.com/2010/10/maslov1.gif)
 erfand diese Methode Ende der 50er Jahre, um seine Vorstellungen vom Fußball zu verwirklichen. Die Vorstellung von Defensivarbeit sah klassisch so aus, den gegnerischen Spieler durch Manndeckung an seinem Spiel zu hindern. Doch Maslow dachte anders: Für ihn war der gegnerische Spieler zunächst egal. Wichtig war für ihn , Kontrolle über den Raum zu haben. Diese Einstellung sollte alles verändern. Für Maslow bedeutete die Kontrolle des Raumes, bei Rückeroberung des Balles sofort eine Überzahlsituation zu schaffen und so durch geschickte Kombinationen den Gegner zu überrennen. In der Rückwärtsbewegung bedeutete dies, den Gegner schon bei der Ballannahme zu stören, ein komplett neuer Ansatz zu dieser Zeit. Hatten Spieler wie Stanley Matthews oder Garrincha nach der Ballannahme genug Zeit, ihr weiteres Vorgehen zu überdenken, bzw. bei ihren Flügelsprints Geschwindigkeit aufzunehmen, sollte diese Möglichkeit durch das Pressing verschwinden.
Maslow war vom brasilianischen 4-2-4 begeistert und versuchte seine Vorstellungen in diesem System zu verwirklichen. Doch Maslow ging noch einen Schritt weiter als die Brasilianer: Spielte Brasilien 1962 als erste mit einem 4-3-3, so zog Maslow in seinem System den zweiten Flügelstürmer ebenfalls zurück, wodurch er das 4-4-2 erfand, und zwar noch vor Alf Ramsey , der das System kurz vor der WM 1966 ausprobierte. Wichtig zu erwähnen ist, dass diese Flügelspieler allesamt gelernte Stürmer waren und auch dementsprechend spielten, insofern ist es beim Maslower System schwer zu differenzieren, wie konsequent das 4-4-2 gehalten wurde oder ob doch eher das 4-2-4 überwog. Für Maslow war die Qualität des Einzelspielers nicht unbedingt von Bedeutung, jedenfalls ließ er die besten Einzelspieler seines Teams (Torpedo Moskau, Dynamo Kiew) früher oder später aussortieren, er opferte sie für sein System. Dennoch betonte auch er die neue Wichtigkeit des zentralen Mittelfeldes: durch die Raumdeckung konnten die zentralen Mittelfeldspieler schalten und walten, hatten sie doch die Aufgabe, gegnerische Spieler auszuschalten, verloren. Der Spielmacher war geboren und Maslow setzte auf ihn voll und ganz.  Die Raumdeckung verlangte von der Mannschaft eine extreme Laufbereitschaft und taktische Disziplin. Maslow setzte dafür einen gelernten Stürmer als defensiven Mittelfeldspieler ein (Turyantschyk). Er besaß die Ausdauer und Dynamik, sowie die Konzentration um die Raumdeckung zu koordinieren und so das Pressing zu aktivieren. Ein so dynamisches Mittelfeld gab es zu dieser Zeit ( um 1965) nirgendwo sonst: Zeitweise rannten alle 4 im Mittelfeld befindlichen Spieler auf einen ballführenden Gegenspieler zu, ohne dabei die entstehenden Lücken zu vernachlässigen: man hatte schließlich Kontrolle über den in der Situation wichtigen Raum des Spielfelds.
Zur Positionstreue muss ebenfalls noch gesagt werden, dass im Angriffsspiel die Spieler eben nicht unbedingt an ihren Positionen gebunden waren. Maslow ließ da der Kreativität seiner Spieler freien Lauf, spontane Positionswechsel waren immer mitinbegriffen - ein kleiner Vorgriff auf den Totalen Fußball war also zu erkennen.
Anhand von Zahlen lässt dich der Erfolg dieses Systems belegen: Bevor Maslow nach Kiew kam, kassierte man in 42 Partien 48 Gegentreffer. In der Saison 1966, Maslows drittem Jahr in Kiew hatte man nur noch unglaubliche 17 Gegentore in 36 Partien zu beklagen, mit fast dem gleichen Spielermaterial. Die Raumdeckung sollte ihren Siegeszug bald antreten.
Maslow tat sich übrigens noch als Visionär hervor. Von ihm stammt nämlich das Zitat: " Der Fußball ist wie ein Flugzeug. Mit steigender Geschwindigkeit erhöht sich auch der Luftwiderstand und dementsprechend muss man die Spitze stromlinienförmiger machen".
Maslow dachte als erster daran, nur noch mit einer Sturmspitze zu spielen.
Maslows Ideen waren prägend. Wie diese angewendet wurden, soll das nächste Kapitel zeigen, wenn ich den Blick nach Holland richten werde, genauer gesagt zu Rinus Michels.
Der Totaalvoetbal folgt demnächst ;)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 12.Mai 2013, 23:51:46
Totaalvoetball
Bevor ich richtig ins Thema einsteige, sind einige Fakten wichtig zu wissen, um keine falschen Schlüsse zu ziehen.
1.  Maslows Idee vom Pressing ist keine Voraussetzung für den Totaalvoetball. Das Pressing wurde nur noch hinzugefügt, was den Stil, den Rinus Michels mitbestimmte nur noch verstärkte.
2. Der Totaalvoetball ist KEIN allein holländisches Phänomen. Michels trug ihn nach seinem Wechsel zu Barcelona dorthin weiter und auch Johann Cruyff setzte als Trainer von Barcelona auf Michels' altbewährtes Konzept.
3. Auch in Deutschland wurde der Totaalvoetball in modifizierter Form praktiziert,dazu dann im nächsten Kapitel.

Kurze Vorgeschichte des holländischen Fußballs
Die Nationalmannschaft Hollands war Anfang der 50er Jahren am Boden. Man gewann ledigleich 2 von 27 Länderspielen. Dies änderte sich erst, als Mitte der 50er Jahre die Profiliga eingeführt wurde. Ajax Amsterdam wurde zu dieser Zeit vom Engländer Kurt Reynolds trainiert. Dieser ist der eigentliche Vater der Ajax Fußballschule, sorgte er doch als erster dafür, dass viel mit dem Ball trainiert wurde und das gleiche System auf allen Ebenen zelebriert wurde. Das WM-System war in Holland gänzlich unbekannt, was mittelfristig gesehen sogar positive Folgen hatte: Die strenge Manndeckung war nicht weit verbreitet. Trotzdem wurde dieses System unter Reynolds und seinem Nachfolger Vic Buckingham eingeführt, wenn auch deutlich flüssiger. Bei Ballbesitz sollten die gegnerischen Reihen schnell überwunden werden, der Hang zum Kurzpassspiel mit Offensivdrang war schon bis Anfang der 60er Jahre ausgeprägt.

Rinus Michels
(http://3.bp.blogspot.com/_Nq_GE9y9zFI/SSCp4v4iNJI/AAAAAAAAAPA/0hSpTKRXuJM/s400/rinus%2Bmichels.jpg)
Rinus Michels wurde 2000 zum "Welttrainer des 20. Jahrhunderts" gekürt. Dies lag zum einen an seinen unzähligen Erfolgen mit Ajax und Barcelona, sowie Holland ( EM 1988) , zum anderen aber an das System, was er zelebrieren liess. Der "Totalvoetball" war, besonders in Zeiten des Catenaccios, wie eine Revolution und sein Segen für den Sport. Wie sah nun also Michels Idee aus?
Er experimentierte viel mit der taktischen Formation seiner Mannschaften ( Ich rede jetzt von Ajax und Holland bis 1974). Aus einem 4-2-4 machte er schließlich die Grundformation, die seine Taktik zum Ruhm brachte: ein 1-3-3-3 System. Diese wurde auch im Spiel eingehalten, nur wechselten die Spieler auf diesen Positionen so oft wie in keiner anderen Formation.
Michels war der Meinung, dass man im Spiel nach vorne durch Positionswechsel am besten Druck aufbauen kann. Das heißt, bei schnellem vorpreschen des ballführenden Spielers musste der auf der Senkrechten Linie nächstspielende Akteur nach hinten "absichern", wobei in krassesten Ausprägungen auf diese Absicherung nur wenig gesetzt wurde.
Das ist schon der Totalvoetball. Die revolutionäre Idee dahinter ist schlichtweg dieser Positionswechsel auf senkrechter Ebene. Schauen wir uns also dieses 1-3-3-3 System an:
(http://i42.tinypic.com/ndsrnm.jpg)
Das ist zwar nicht von mir, aber das ist die am richtigsten dargestellte Formation die sich finden lässt. Man kann darüber streiten, ob man die äußeren Mittelfeldspieler nicht auf die Flügel setzen sollte, aber das ist jetzt nicht wichtig.
Der senkrechter Positionswechsel sei an einem Beispiel erklärt: wenn nun also der rechte Verteidiger nach vorn prescht, wird der rechte Mitspieler, sofern Platz vorhanden angespielt und dem Verteidiger per Doppelpass zurückgegeben. der Mittelfeldspieler sichert dann ab, indem er den Raum hinter dem bereits erwähnten Abwehrspieler zudeckt. Wie das im Detail funktionierte, darauf komm ich später nochmal zu sprechen.
Wichtig ist nämlich noch die Modifizierungzu erwähnen, die Michels nachträglich einfügte: das Pressing. Michels wusste vom Pressing, das Maslow in Kiew spielen ließ und übernahm es. Ein Pressing in einer so dynamischen Formation mit Positionswechseln und risikoreichem Offensivfussball müsste eigentlich in die Hose gehen, bei taktischen Fehlern ist ein Gegentor normalerweise vorprogrammiert. Doch Rinus Michels war ein Disziplinfanatiker und forderte die auch von seiner Mannschaft. Doch dies allein klärt noch nicht den Erfolg seines Systems. Dazu kommt die niederländische Fußballtradition und die Ajax-Fußballschule, zudem die Epoche in der das System zelebriert wurde.
Arbeiten wir die Punkte nacheinander ab:  Wie ich bereits sagte, waren die Niederländer nicht an das strikte WM-System gewöhnt. Ihr 2-3-5 System aus der alten Zeit war mehr auf Spontanität und taktischer Freiheit ausgerichtet, was der Dynamik ihres Spiels natürlich zu Gute kam.
Die Ajax-Schule führte diese Eigenschaft in einen professionellen, kontrollierbaren Rahmen. Michels Ajax bestand zu 90% aus Spielern, die sich schon aus der Jugend kannten. Die Spieler wussten also schon, wann sie ihre Positionen wechseln mussten, es hatte sich in ihrer Art zu spielen früh manifestiert und sie wussten, wie ihre Mitspieler reagieren würden.
Drittens spielen die 68er auch in den Niederlanden eine Rolle, denn die Freiheit auf den Straßen manifestierte sich auch in der holländischen Mannschaft in ihrer Art zu spielen. Johan Cruyff wurde als Verbildlichung dieser Freiheit angesehen, als Rebell, der die allgemeine Lage auf dem Spielfeld mit ausdrücken konnte. Somit war Michels Idee auch von den Fans legitimiert und fleischte sich in ganz Holland ein.
Durch die Ajax-Schule waren zudem alle Spieler technisch auf dem allerhöchsten Level. Verteidiger konnten als Stürmer agieren, Stürmer konnten auch als Abwehrspieler agieren. Ein solches System, wo jeder jede Position spielen konnte, war für den Gegner einfach nicht auszurechnen. Die Abwehrspieler Hollands waren die weltweit torgefährlichsten auf ihrer Position, der "stürmende Libero", an dessen Entwicklungskette später Ronald Koeman die Krone darstellte, war nur mit dem Totaalvoetbal möglich. So gewann Ajax 1971-1973 3 mal hintereinander den Europapokal der Landesmeister ( man bedenke- Michels wechselte nach dem ersten Titel 1971 nach Barcelona) und Holland galt auch zur WM 1974 als klarer WM- Favorit. Die Niederlage gegen Deutschland war zwar unverdient, allerdings offenbarten sich schon auf Vereinsebene die Schwächen des Systems. Auf diese will ich eingehen, wenn ich im nächsten Kapitel Deutschlands Interpretation des Totaalvoetbals beleuchte.
Zum Ende will ich noch kurz die entscheidenen Spieler des Totaalvoetbals vorstellen:

Johan Cruyff
(http://soccernewsonline.net/wp-content/uploads/2012/11/johan.jpg)
Johan Cruyff wurde 2000 hinter Pele zum 2. besten Fußballer des 20. Jahrhunderts gewählt. Dies liegt einfach daran, dass Cruyff als Kopf des Totaalvoetbals den Fußball auf eine neue Ebene setzte. Cruyff wär auch heute noch einer der weltbesten Fußballer, da er sowohl physisch, technisch und auch von seinem Spielverständnis seiner Zeit weit voraus war. Cruyff war und ist wohl der kompletteste Fußballer der Geschichte, was seine Spielposition angeht. Er konnte absolut jede Position spielen und tat dies auch, war daher auf dem Spielfeld überall zu finden. Seine technischen Fähigkeiten waren absolut überragend, dazu gesellten sich Spielmacherfähigkeiten, ein eiskalter Torabschluss ( Cruyff schoss in 48 Länderspielen 33 Tore, war also lange Zeit Rekordtorschütze der Niederlande) und auch die Fähigkeit , Bälle zu erobern. Zudem war Cruyff pfeilschnell. Man sieht also, er war einfach unglaublich komplett, zudem war er auch vom Typ ein General auf dem Spielfeld, manche sehen in ihm aber auch eine Diva, da er in schlechteren Spielen krampfhaft versuchte, das Spiel an sich zu reißen, weil er der Meinung war, dass seine Mitspieler dies nicht könnten. Aus diesem Grund wurde er auch als Ajax Kapitän abgewählt und wechselte schließlich nach Barcelona.

Johnny Rep
(http://www.somosche.com/media/galeria/56/3/5/3/7/n_valencia_historicos-37353.jpg)
Der Rechtsaußen Johnny Rep war nach Oleg Blochin der vielleicht schnellste Spieler der 70er Jahre. Er konnte dieses Tempo auch 90 Minuten lang halten. Durch seine Dynamik war er immer anspielbar und schaffte es mit seinen Tempodribblings, die gegnerische Abwehr durcheinander zu wirbeln.

Johan Neeskens
(http://cdn.worldcupblog.org/netherlands.worldcupblog.org/files/2009/08/neeskens.jpg)
Der Mittelfeldspieler Johan Neeskens war der Grund dafür, dass Rinus Michels das Pressing in seiner Mannschaft etablierte. Neeskens attackierte den Gegner schon aus seinem eigenen Spielverständnis heraus während der Ballannahme .Neeskens war auch ein Garant für die Stabilität des Teams, ordnete das Defensivverhalten maßgeblich. Zudem setzte er viele Offensivakzente und war kämpferisch gesehen der wichtigste Spieler für die Holländer.

Im vorherigen Kapitel und in diesem hier habe ich bewusst noch nicht die Schwächen erwähnt. Diese werden im nächsten Kapitel aufgezeigt, wenn es um Deutschland 1972 geht. Mit diesem nächsten Kapitel ist der Übergang vom "alten" zum modernen Fußball abgeschlossen und man kann sich dann einzelne Mannschaften herauspicken, die nicht nur wegen ihrer Taktik , sondern wegen anderer Kategorien erwähnenswert sind, einige wurden hier ja auch schon in der Diskussion erwähnt.

Was demnächst folgt: Deutschland 1972 - Balance aus Totalvoetbal und Pragmatismus- Grenzen des Maslower Systems.

 
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 14.Mai 2013, 01:19:20
Deutschland 1972-74   Grenzen der Maslower Idee
Dies ist also endlich das letzte Pflichtkapitel, bevor wir uns dann mal andere Mannschaften unter anderen Gesichtspunkten anschauen können, als der Taktik.
Ich hatte schon mal angedeutet, dass die deutschen Mannschaften taktisch gesehen als wenig innovativ galten. Dies mag auch stimmen, aber man kann dem entgegensetzen, dass die deutschen Trainer wohl am besten wussten, neue taktische Konzepte aus dem Ausland zu rezipieren und an die Gegebenheiten anzupassen. Auf der anderen Seite war es auch lange kaum möglich, ideale Voraussetzungen zu schaffen, da Deutschland elend lange keine Profiliga hatte. Und selbst nach der Gründung der Bundesliga 1963 waren viele Spieler immernoch Amateure, erst 1972 kann man wirklich von einem flächengreifenden Profistatus in Deutschland reden ( Uli Hoeness war bei der EM 1972 zum Beispiel immernoch Amateur). Insofern musste der deutsche Fußball erst mal bis 1970 gewissermaßen Anschluss finden, auch was die Organisation, eben das drumherum betrifft. Nach der enttäuschenden WM 1962 übernahm Helmut Schön 1964 die Nationalmannschaft. Er fürte das 4-2-4 relativ schnell ein, verzichtete aber auf die Raumdeckung und auch das Pressing wurde nicht eingeführt. Erst Ende der 70er fürte Gyula Lorant als erster in der Bundesliga die Raumdeckung ein, Pressing wurde gar erst Mitte der 90er Jahre verstärkt eingesetzt. Im Prinzip zelebrierte Deutschland , wenn man diese Kategorien betrachtet, lange den "alten" Fußball, ähnliches gilt im übrigen auch für die Italiener.   Auf der anderen Seite schien Deutschland aber auch die Grundvoraussetzungen zu haben, im alten Konzept erfolgreich zu sein. Damit steigen wir ins eigentliche Thema ein.

Die Fußball WM 1970 stellte für Deutschland richtungsweisende Dinge dar: Man schlug England erstmals bei einem großen Turnier, Gerd Müller wurde Torschützenkönig der WM und Franz Beckenbauer begann erste Gedankenspiele mit der Liberoposition. Man hatte schon das 4-3-3 System für sich entdeckt, doch war es noch nicht stabil genug und es fehlte die spielerische Klasse, die Formation ideal auszunutzen. Machen wir uns nichts vor, die Spiele gegen England und Italien waren überragend, aber Deutschland brachte es nicht fertig, in 90 Minuten sein Konzept durchzubringen. Gegen England hatte man das Glück, dass Ersatzkeeper Bonetti einen schlechten Tag erwischt hatte, gegen Italien überzeugte man kämpferisch, ausgedrückt durch Schnellingers Ausgleichstor in der 90. Minute. Auf der anderen Seite waren eklatante Schwächen in der Rückwärtsbewegung da, und nur selten war man in der Lage den Gegner an die Wand zu spielen.

Die Europameisterschaft 1972 war aber der Wendepunkt. Kurz zum Modus: Nur die Halbfinals und das Finale fanden am gleichen Ort statt, die Runden davor wurden jeweils im Land der Heimmannschaft ausgetragen ( es gab Hin- und Rückspiel). Vor dem Viertelfinalhinspiel befand sich die Nationalmannschaft in einem furchtbaren Zustand. Sämtliche Leistungsträger waren angeschlagen oder verletzt, Bayern erwischte ein rabenschwarzes Saisonende ( Klatsche im Europopokal der Landesmeister, Niederlage gegen den tabellenletzten), die Bayern-Spieler schienen demoralisiert. Kurz vor dem Spiel sprachen Günther Netzer und Franz Beckenbauer miteinander. Netzer :" Wir können froh sein, wenn wir von den Engländern ( in Wembley) nicht 5 Stück bekommen." Franz antwortete wie gewohnt : "Ja, mei!"  ( Quelle: Aussagen von Günther Netzer). Auf der anderen Seite waren die Engländer in bestechender Form. Trainer Helmut Schön erwartete insbesondere eine konzentrierte Abwehrarbeit , im Spiel nach vorn sollte wie gewohnt durch die gewisse Ballsicherheit , und schnellen Flügelläufen Druck aufgebaut werden.
Die Taktik war ein klassisches 4-3-3 ( ich habe keine visuelle Darstellung gefunden, ihr müsst mit den Namen vorlieb nehmen):

    Torwart: Sepp Maier (FC Bayern München)
    Abwehr: Horst-Dieter Höttges (Werder Bremen), Franz Beckenbauer, Georg Schwarzenbeck, Paul Breitner (alle FC Bayern München)
    Mittelfeld: Uli Hoeneß (1 Tor, FC Bayern München), Günter Netzer (1 Tor), Herbert Wimmer (beide Borussia Mönchengladbach)
    Angriff: Jürgen Grabowski (Eintracht Frankfurt), Gerd Müller (1 Tor, FC Bayern München), Siggi Held (Kickers Offenbach)

Overath und Vogts mussten verletzt passen, auch im Sturm spielte ein eigentlich schon überalterte Siggi Held - der Bundesligaskandal hatte den wohl begnadetsten Dribbler Deutschlands, Stan Libuda , leider der Nationalmannschaft entrissen.  Günther Netzer spielte im defensiven Mittelfeld, während Beckenbauer als Libero agierte, Uli Hoeneß war als rechter Flügelflitzer eingeteilt.  Diese 3 Personen sollten die wichtigsten Akteure des Spiels werden. Doch Beckenbauer und Netzer hatten sich noch etwas anderes überlegt: einen Positionstausch auf senkrechter Linie, sprich: Wenn Beckenbauer seine gefürchteten Sturmläufe ansetzte, sicherte Netzer hinter ihm ab -> Totaalvoetball !! Und genau diese häufigen Positionswechsel schienen die Engländer dermaßen zu verwirren, dass sie zeitweise nicht mit dem Tempo der Deutschen mitkamen. Und das, obwohl die Spielstatistiken aussagen, dass England mehr Schüsse aufs Tor brachte als die Deutschen. Aber es gibt noch beeindruckendere Zahlen, die beweisen, dass Deutschland in diesem Spiel 40 Jahre voraus spielte.
Es war die Geschwindigkeit des Balls im Spiel nach vorne, der den unglaublichen Wert von 2,9 Metern pro Sekunde erreichte. Selbst bei der WM 2010 oder EM 2012 wurde dieser Wert nicht immer erreicht. Diese atemberaubende Geschwindigkeit das Spielfeld zu überbrücken machte die Brillianz der Deutschen in diesem Spiel aus. Diese "Wembley-Elf", die das Spiel 3:1 gewann ( der erste deutsche Sieg in Wembley!)  gilt/galt bis noch vor wenigen Jahren als beste deutsche Nationalmannschaft aller Zeiten.
Deutschland zog schließlich ins Finale gegen die UdSSR ein, die das Maslower Spielsystem mit Raumdeckung und Pressing spielten.
O-Ton Netzer: " Vor dem Spiel versuchte uns der Bundestrainer die  Taktik an einer Tafel zu erklären. Nach 3 Minuten legte er die Kreide beiseite und sagte:' macht doch, was ihr wollt!'  Für mich war dies das schönste Kompliment, was ein Trainer einer Mannschaft machen konnte. Er vertraute uns."  Und er vertraute ihnen zurecht, die Sowjets hatten nicht den Hauch einer Chance und wurden 3:0 geschlagen.
Der WM-Titel im eigenen Land 2 Jahre später war auf der einen Seite glücklich, auf der anderen Seite die Konsequenz aus einem allmählichen Prozess, der Deutschland bzw,. dem FC Bayern noch 3 Europapokalsieger-Pokale der Landesmeister hintereinander ( 1974-76) einbrachte, der "pragmatische Totaalvoetbal" hatte dem Totaalvoetbal zumindest für 3 Jahre den Rang abgelaufen. Warum?

Maslows und Michels System hatten natürlich Schwächen. Die in meinen Augen prägnanteste Schwäche ist die physische. Da die Spieler von Dynamo Kiew, Ajax Amsterdam und der holländischen Nationalmannschaft jede Position auf technisch hohem Niveau spielen können mussten ( bzw. auch Dynamisch genug für die Raumdeckung und das Pressing sein mussten), fehlte ihnen mitunter die physische Stärke. Deutschland machte sich dies zunutze, indem sie Cruyff von Berti Vogts "behandeln" ließen, sodass dieser einfach die Lust verlor. Das heißt also, war der Gegner nur klug genug, seine physischen Vorteile auch dementsprechend einzusetzen, bekamen Holland und Kiew und wie sie alle hießen schwere Probleme. Zweitens war der Totaalvoetbal unglaublich riskant. Der Raum zwischen Abwehrspieler und Stürmer musste extrem enggehalten werden, um flüssige Positionswechsel zu ermöglichen und das Pressing effektiv zu gestalten. Die in der Abwehr agierenden Spieler mussten die Abseitsfalle perfekt beherrschen, sie mussten 90 Minuten lang mit den Augen auf den Ball, den eigenen Mitspieler, dem ballführenden Mitspieler und auch noch den gegnerischen Stürmern achten, alles aus taktischen Gründen. Die Abwehr stand so hoch, dass bei gegnerischen Kontern immer Gefahr drohte. Solange die Mannschaft taktisch diszipliniert genug war, war dieses Risiko kalkulierbar. Doch die dritte Schwäche führte mitunter zu einem Zusammenbruch:
Dadurch, dass sich die Spieler meist in einen Rausch kombinierten, führte dies mit Sicherheit auch zu einer gewissen Überheblichkeit. Durch ihre überragenden technischen Fähigkeiten sah sich besonders die Ajax Mannschaft als die allergrößten an und zeigten dies auch durch Kabinettstückchen in wichtigen Spielen ( man denke an Ajax gegen Real Madrid 1971 oder 1972, als ein Abwehrspieler anfing, den Ball zu jonglieren). Die Diva Cruyff wurde über die Jahre auch deutlich mürrischer, der Nachfolger von Rinus Michels, Kovac, war von der Mannschaft nie wirklich akzeptiert. Irgendwann war Ajax in sich völlig zerstritten. Auch im WM-Finale 1974 sah man in der zweiten Halbzeit, dass die Holländer anfingen, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Was ich damit sagen will, dass bei ernsten Problemen, wie einem Rückstand oder einigen missglückten Aktionen durch die angespannte Situation die taktische Disziplin vernachlässigt wurde, und in einem so offensiven System war dies einfach tödlich.
Deutschland rezipierte die taktischen Umstände einfach besser: Durch das nicht-vorhandene Pressing und einer Manndeckung wurde zwar viel Offensivgeist herausgenommen, aber das Risiko, vom Gegner überrannt zu werden, war deutlich geringer. Die physischen Vorteile wurden dadurch optimal ausgenutzt. Spontane Positionswechsel waren, wie 1972 möglich, aber nicht nötig, um trotzdem erfolgreichen Fußball zu spielen. 1974 , als Overath und nicht Netzer spielte, waren in meinen Augen keine Rochaden im deutschen Spiel erkennbar, vielmehr wurde versucht, schnell über die Flügel zu kommen und dann Gerd Müller in Szene zu setzen. Zudem hatte Deutschland aber auch unglaublich starke Einzelspieler.
Trotzdem hielt sich Deutschlands pragmatische Spielweise nicht lange so erfolgreich. Bei der WM 1978 war die Mannschaft einfach zu geschwächt von den Rücktritten Beckenbauers, Gerd Müllers und vieler andere Säulen, um diesen Qualitätsmangel aufzufangen. Das pragmatische System verfiel wieder in alte Muster von 1968 und früher, als Deutschland meist nur kämpferisch zu überzeugen wusste. Die Niederlande erreichten 1978 übrigens wieder das Finale, diesmal mit Ernst Happel als Trainer, der aber ebenfalls offensiven Fußball zelebrieren ließ. Cruyff war schon aus der Nationalelf zurückgetreten.

Damit haben wir also die wichtigsten taktischen Revolutionen hinter uns. Wir haben verschiedene Interpretationen des 2-3-5 ( siehe Wunderteam Österreich), dem WM System ( Italien, Deutschland vor 1945), und dem 4-2-4 kennengelernt ( Kiew, Brasilien, Holland, Deutschland). Zudem haben wir einmalige Phänomene gesehen ( Ungarn 1954, Catenaccio). Insofern ist das Handwerkszeug für weitere Mannschaften voll abgedeckt.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.Juli 2013, 23:05:28
Soooo, das Semester neigt sich langsam dem Ende zu, weshalb es wohl spätestens Ende dieses Monats wieder hier weitergeht.
Um wieder einzusteigen , will ich vorher noch 2 Exkurse behandeln- die "vergessene " WM 1962 in Chile und die "schönste" WM aller Zeiten in Mexiko 1970.
Danach werde ich auch ein Team von 1962 vorstellen, nämlich die spanische Nationalmannschaft- wo wir einen alten Bekannten wiedersehen werden :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Don-Muchacho am 04.Juli 2013, 23:07:32
.... wo wir einen alten Bekannten wiedersehen werden :)

Messi?
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.Juli 2013, 23:09:51
In einem vorherigen Leben? Hmm, ne , unmöglich, die haben zeitgleich noch zusammengelebt :D
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: White am 04.Juli 2013, 23:12:07
Ferenc Puskas :D
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 04.Juli 2013, 23:20:36
100 Punkte :)
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: White am 04.Juli 2013, 23:21:19
War auch nicht so schwer :D
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 13.Juli 2013, 00:30:46
Exkurs:WM 1962 - Die "vergessene" WM

Wenn einem herausragende Weltmeisterschaften einfallen, dann würde man wohl zunächst 2006 , 1970 oder auch 1986 aufgrund der damit in Verbindung gebrachten Ereignisse nennen. Wenn man aber an 1962 denkt, fällt einem höchstens ein: Weltmeister Brasilien und Deutschland früh raus. Woran liegt das?
Zunächst einmal fand die Weltmeisterschaft 1962 in Chile statt. Der Kontrast zur Wm 1958 in Schweden war gewaltig: Während im Hexenkessel des Rasunda Stadions in Schweden die Spieler teilweise schreien mussten, um sich zu verstehen, war in Chile die Stimmung in den Rängen gedämpft. Chile war natürlich nicht so ein fußballbegeistertes Land wie Argentinien oder Brasilien, zudem befand sich das Land politisch gesehen in einer fragwürdigen Lage. Außerdem war es immer noch eine Herausforderung für die Medien aus Europa, nach Südamerika zu fliegen und anständige Fernsehbilder nach Europa zu liefern.
Insofern war diese "Wm da drüben" schon ganz anders zu betrachten als vier Jahre zuvor in Schweden.
Nun zum Turnier selbst: Wer waren die Favouriten, was konnte man erwarten?
Der Topfavourit war natürlich Brasilien. Die Weltmeistermannschaft von 1958 war im Großen und Ganzen zusammengeblieben und konnte auch weiterhin überzeugen, wenngleich die Copa America nur ein Mal in der Zwischenzeit gewonnen wurde. Insbesondere Pele spielte auf "Messi- Niveau" ,wie man heute sagen würde und stellte einen Torrekord nach dem anderen auf. Doch dieser Pele erlitt im zweiten Gruppenspiel eine Muskelverletzung und konnte im weiteren Verlauf des Turniers nicht mehr eingesetzt werden.

Ebenfalls hochgehandelt war Argentinien. Diese hatten erneut eine gut funktionierende Mannschaft und auch ihre Spielweise war sehr modern, wenn auch vom körperlichen Einsatz her grenzwertig. Die argentinische Fußballliga hatte den Ruf, die körperbetonteste Liga der Welt zu sein.

Bei den europäischen Vertretern war es nicht einfach, eine herausragende Mannschaft auszumachen. Ungarn hatte mit Tichy sicher einen der besten Spieler der Welt, aber die Unterschiede innerhalb des Teams waren zu groß, als dass man sie als gefährlich einschätzen musste. 
Spanien hatte eine hochinteressante Mannschaft, auf die ich aber im übernächsten Thread Bezug nehmen will.
Deutschland befand sich in einer Übergangssituation: Von den Weltmeistern von 1954 war nur noch Hans Schäfer dabei. Helmut Rahn war eigentlich noch in guter Form ( er spielte in Enschede, was Herberger aber nicht davon abhielt ihn noch bis 1961 zu berufen), schließlich kam es dann aber zum Zerwürfnis mit Herberger und Rahn machte gegen Portugal 1961 sein letztes Länderspiel.
Nach dieser WM wird schließlich der Beschluss gefasst, in Deutschland eine Profiliga einzurichten.

Turnierverlauf

Die Ergebnisse im einzelnen könnt ihr selber nachschlagen. Mir geht es nur darum, den Turnierverlauf zu analysieren.

Genrell lässt sich sagen, dass die WM 1962 das wohl körperbetonteste Turnier der Fußballgeschichte war. Dies lässt sich ziemlich einfach erklären. Wie ich bereits beim Thema "Brasilien 1958" angemerkt habe, mussten sich die Mannschaften ein Gegenmittel ausdenken, um das berauschende 4-2-4 der Brasilianer stoppen zu können. Die meisten Nationen kamen zu dem Entschluss, deutlich defensiver zu agieren und mit höherem Einsatz. Dies lässt sich besonders bei den südeuropäischen bzw. südamerikanischen Ländern (Ausnahme Brasilien) erkennen. Bezeichnenderweise schieden die meisten dieser Teams schon in der Vorrunde aus  :laugh:  Die Schlacht von Santiago, Chile gegen Italien, ging als härtestes Spiel einer Weltmeisterschaft in die Geschichte ein. Es gab 3 Platzverweise und nach dem Spiel prügelten die Mannschaften in der Kabine weiter.

Überraschenderweise schieden Argentinien und Spanien trotz ihrer Qualität in der Vorrunde aus. Auch Uruguay war nur noch ein Schatten vergangener Tage.
Die osteuropäischen Teams gaben bei dieser Weltmeisterschaft den Ton an: Ungarn gewann seine Gruppe und auch die UdSSR wusste zu überzeugen. In der Brasilien-Gruppe kam auch die CSSR weiter. Jugoslawien zog ebenfalls in die nächste Runde ein, es sind also alle Osteuropäer weitergekommen. Ich werde am Ende nochmal darauf zurückkommen.

Viertelfinals

Chile- UdSSR 2:1

Die UdSSR mit ihrem Weltklassetorwart Jaschin schied überraschend gegen den Gastgeber aus. Letztendlich erwischte die sowjetische Abwehr nicht ihren besten Tag, letztlich waren die Sowjets auch körperlich nicht auf einem Level der Chilenen. Dennoch war dieses Ergebnis eine Sensation.

Jugoslawien - Deutschland 1:0

Alle guten Dinge sind 3 : nachdem Jugoslawien 1954 und 1958 im Viertelfinale gegen Deutschland ausschied, klappte es "endlich" dieses Mal. Trotzdem hatte dieses Ergebnis für Deutschland auch sein Gutes, denn endlich wurden aus den Plänen  Taten. Die Gründung der Bundesliga wurde durch das frühe Ausscheiden bei der WM 1962 stark forciert und auch dringend notwendig.

CSSR - Ungarn 1:0

Auch wenn es das Ergebnis nicht vermuten lässt, war dieses Spiel wohl das zweitbeste der Weltmeisterschaft. Beide Mannschaften zelebrieten ein sehr offensives, dynamisches Spiel. Beide Mannschaften spielten aber auch noch das alte WM System. Letztlich war der Sieg der CSSR glücklich, die Ungarn vergaben beste Chancen und zeigten ein letztes Mal ihre Klasse.

Brasilien - England 3:1

Wieder einmal wurde den Engländern gezeigt, wo der modernste Fußball gespielt wird: Brasilien hatte keine Probleme und gewann mühelos, auch ohne Pele. Die neue taktische Innovation, den Außenstürmer Zagallo etwas defensiver aufzustellen, erwies sich als vollkommen richtig.

Die Halbfinals hießen Brasilien- Chile und CSSR - Jugoslawien, die Ergebnisse könnt ihr nachschlagen. Wieder anzumerken ist, dass 1. nur Brasilien im gesamten Turnier in der Lage war, immer viele Tore zu schießen und dass die CSSR auch im Halbfinale eigentlich den Jugoslawiern unterlegen war, aber letztlich unheimlich effektiv .

Das Finale Brasilien gegen die CSSR würde man eigentlich als ein Kampf der Philosophien beschreiben: Das offensiv agierende, technisch beschlagene Spiel der Brasilianer gegen das defensive, behutsam aufbauende Spiel der Tschechoslowaken.
Doch im Finale kam es anders. Die CSSR agierte so offensiv wie im ganzen Turnier nicht und war den Brasilianern zwar nicht ebenbürtig, aber auch nicht hoffnungslos unterlegen. Der Torwart der CSSR, Schrojf, hatte nur leider nicht seinen besten Tag und musste bei der 1:3 Niederlage seiner Mannschaft zwei Tore auf seine eigene Kappe nehmen. Zudem war es merkwürdig, dass Garrincha im Finale spielen durfte, denn eigentlich wurde er im Halbfinale vom Platz gestellt, dann aber "begnadigt". Dies ist einmalig in der WM Geschichte.

Zum Spiel an sich: Die CSSR agierte im eigentlich veralteten 3-2-5 System. Doch hatten sie mit Masopust ( der zu Europas Fußballer des Jahres gewählt wurde und bis heute als bester Tschechischer Spieler gilt) einen hochinteressanten Star: Masopust war enorm vielseitig. Er konnte auf jeder Position im Feld eingesetzt werden und war im Turnier das, was man einen "Box-to box " Mittelfeldspieler heute nennt. Er lief enorm lange Wege und war aber auch im richtigen Moment zur Stelle und dabei extrem torgefährlich.
Zudem war in dieser Mannschaft die Abwehr am besten besetzt, für gute Mannschaften in dieser Zeit eigentlich extrem ungewöhnlich. Das Trio Nowak,Pluskal und Popluhar gilt als die beste Abwehr einer Nationalmannschaft in den 60er Jahren ( England-Liebhaber werden jetzt mit der Stirn runzeln) .
Brasilien hat gezeigt, dass sie ihre taktische Entwicklung nicht ruhen ließen. Das 4-2-4 System war 1962 nicht mehr das gleiche wie 1958. Sie hatten zunächst einmal eine Mannschaft, die funktionierte. Die Mannschaft war sehr erfahren, mehr als die Hälfte waren um die 30 Jahre alt. Garrincha war immernoch ein nicht zu lösendes Rätsel für die Gegenspieler, Vava war weiterhin eiskalt vor dem Tor.
Doch die Schlüsselrolle hatte Mario Zagallo. Der Außenstürmer wurde in die LM- Position zurückgezogen, sodass Garrincha auf der anderen Seite sein Offensivspiel zelebrieren konnte. Diese Maßnahme spielte später in einem gewissen Sinne auch im Catenaccio eine Rolle.        Jedenfalls glich das brasilianische System eher einem 4-3-3 , welches sowohl Stabilität, als auch Dynamik ermöglichte.

Generell zeigte Brasilien noch einmal , wie wichtig das Mittelfeld war. Die meisten anderen Mannschaften wurden deshalb überrannt, weil die zwei Läufer schlichtweg überfordert waren. Dabei wäre es wichtig gewesen, die Brasilianer schon früh zu stören, doch herrschte nunmal eine Überzahlsituationen in diesem Spielbereich.

Osteuropa
Inwieweit der Erfolg der Osteuropäer mit dem Wirken von Viktor Maslow schon in Verbindung steht, ist fraglich. Ich würde diese Frage verneinen. Ich denke vielmehr, dass einige Faktoren zusammenkommen: In der CSSR waren die Spieler schlichtweg auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, die Spieler waren im besten Alter. Auch wenn auch die Osteuropäer defensiv spielten, so waren sie nicht auf diese körperliche Härte aus wie Argentinien, Italien oder England. Es war eher das Verständnis, Konter zu fahren  und nach Ballgewinn sofort nach vorne zuu stürmen. Dies sind aber nicht die Worte eines Viktor Maslow, sondern eher die Nachwehen von den Spielsystemen von Sebes und Arkadiew. Insofern hatten diese Nationen ein ganz anderes Defensivverhalten intus.

Die anderen europäischen Mannschaften standen sich eigentlich selbst im Weg: Zunächst war es diese Suche nach einem stabilen System, woraus in Ruhe ein geregelter Spielaufbau stattfinden kann -> entgegen dem modernen Trend der Brasilianer. Prinzipiell ist das eine nette Idee, doch wurde an den falschen Schrauben gedreht. Das Spiel körperbetonter zu gestalten lähmt den eigenen Spielaufbau. Italien erkannte dies und zog daraus seine richtigen Schlüsse mit dem Catenaccio und blieb dieser Linie treu. Alle anderen Mannschaften begannen nach diesem Turnier mit anderen Prozessen: England profitierte neben einer starken heranwachsenden Spielergeneration und einer Heim-WM von dem Erkenntnisgewinn, dass die Kontrolle des Mittelfelds Spiele entscheiden kann.
Deutschland hob schlichtweg seine Qualität durch die Gründung der Bundesliga und dem Übergang in ein 4-3-3 System.

Schlussendlich kann man sagen, dass die Weltmeisterschaft 1962 für die meisten Mannschaften eine Korrektur ihres Kurses bedeutete: Die Kontrolle des Mittelfeldes war die Aufgabenstellung für die nächsten Jahre.
Bei den osteuropäischen Mannschaften stellte sich bereits eine andere Frage: Wie schaffe ich Überzahl im Raum, wie kontrolliere ich ihn?
Brasilien hatte allerdings die schwierigste Aufgabe: Die Mannschaft musste neu aufgebaut werden, die alte Generation tat ihren letzten Atemzug. 1966 bekam Brasilien dieses Loch zu spüren, um dann 1970 mit der besten Mannschaft anzutreten, die man bisher gesehen hatte.
Warum das so war und warum sich die Gegner nicht davor schützen konnten, davon handelt das nächste Thema:
Die WM 1970- das beste Turnier aller Zeiten?
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Octavianus am 13.Juli 2013, 11:34:57
Wie immer sehr informativ. Besten Dank!
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Starkstrom_Energie am 13.Juli 2013, 19:54:17
Superinteressant und schön geschrieben. Ich freue mich schon auf die WM 1970 in Mexiko und dann vielleicht der deutsche Triumph vier Jahre später.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 17.Juli 2013, 16:29:12
Die WM 1970 in Mexiko - Die beste WM aller Zeiten

Die WM 1970 ist wohl die am meisten zitierte, analysierte und bestaunte Weltmeisterschaft, wenn es darum geht, die Schönheit des Fußballspiels in allen seinen Facetten aufzuzeigen. Beinahe jedes K.O. Spiel hatte ein absolutes Highlight zu bieten, zu 60 % waren es allerdings die Brasilianer, die Meilensteine setzten. Zudem wurde das Turnier zum ersten Mal in Farbe übertragen, was natürlich eine unbeschreibliche Veränderung darstellte. Das Spiel wirkte lebhafter, intensiver. Ich bin jetzt nicht genau mit der Geschichte der Karten vertraut, doch meine ich zu wissen, dass auch wegen dem Farbfernsehen die gelbe und rote Karte eingeführt wurden.
Doch zurück zum sportlichen:
Anders als bei meinem Beitrag zur WM 1962 gab es zur WM 1970 viele Favoriten. England war Titelverteidiger und hatte die wichtigsten Spieler von 1966 wieder mit an Bord. Deutschland räumte man ebenfalls Chancen ein, da man mit Gerd Müller einen neuen Wunderstürmer hervorbrachte.
Der Topfavorit war wohl Italien. Sie gewannen die Europameisterschaft 1968 und hatten trotz ihrer defensiven Interpretation des Catenacchios mit Riva und Rivera zwei supergefährliche Stürmer. Zudem war Mazzola der ideale Spielmacher, zudem hatten sie mit Facchetti den Besten LV aller Zeiten in ihren Reihen.
Der Sowjetunion wurden Außenseiterchancen eingeräumt, allerdings wurde Jaschin zwar nominiert, aber nicht mehr eingesetzt.

Für Brasilien galt das gleiche, denn die Brasilianer hatten vor dem Turnier mit vielen Problemen zu kämpfen. Der neue Trainer, Mario Zagallo ( ja, genau der Zagallo) war erst seit März 1970 im Amt und musste in Windeseile seine Mannschaft zusammenstellen. Doch er holte genau die richtigen Spieler, wie sich später zeigen sollte.

Die Gruppenphase lief recht unspektakulär ab, alle Favoriten kamen weiter.
Doch das Spiel England -  Brasilien (0:1) hatte schon die ersten beiden magischen Momente dieser WM zu bieten: Nach einer Weltklasse-Grätsche von Bobby Moore an Jairzinho ging der große Pele zu eben diesem Moore, um ihn für diese Aktion zu gratulieren und seinen Respekt auszusprechen - eine große Geste zwischen zwei Weltklassefußballern.
Der zweite magische Moment ist die von der Fifa als "greatest save" ausgezeichnete Parade vom englischen Keeper Gordon Banks, der einen wuchtigen Kopfball von Pele noch irgendwie am Tor vorbeilenken konnte:
http://www.youtube.com/watch?v=0D_UOEGkBQs

Im Viertelfinale steigerte sich das Turnier deutlich, auffällig sind die hohe Anzahl der Tore - das war 1962 deutlich anders.
Die Sowjetunion schied gegen Uruguay aus. Uruguay sollte das letzte mal mit einer absolut konkurrenzfähigen Mannschaft eine WM bestreiten, erst ab ca. 1998 sollte die uruguayische Mannschaft bei einer WM wieder achtbaren Fußball zeigen. Die Urus wurden schließlich 4. des Turniers.

Italien und Brasilien hatten mit ihren Viertelfinalgegnern keine Probleme und schossen jeweils 4 Tore - und da sagt noch einer, der Catenacchio wär auf ein 1:0 ausgelegt.

Das Spiel Deutschland gegen England war dann das nächste Highlight des Turniers und wurde nach dem Ende schon als "Jahrhundertspiel" tituliert: Die Engländer lagen ab der 67. Minute mit 2:0 vorne und bestimmten durchaus auch das Spiel, ehe die Deutschen doch noch ins Spiel fanden. Beckenbauer erzielte durch ein wunderschönes Solo den Anschlusstreffer, ehe Uwe Seeler mit seinem berühmten "Hinterkopftor" noch den Ausgleich erzielte. In der Verlängerung gelang Gerd Müller schließlich der Siegtreffer, Deutschland drehte also das Spiel nach einem 0:2 Rückstand.
Die Engländer gaben ihrem Keeper Bonetti die Schuld, der Gordon Banks aufgrund dessen Erkrankung verteten musste.
Diesem "Jahrhundertspiel" sollten aber noch zwei weitere folgen.

Das Halbfinale Brasilien - Uruguay ( 3:1) war zwar eine klare Angelegenheit, doch bot auch dieses Spiel zwei unvergessliche Momente, beide sind Aktionen von Pele:   
Zunächst umspielte Pele den Torwart nach einem Pass von Tostao, ohne den Ball überhaupt berührt zu haben, um dann kläglich zu verschießen, als ob er zeigen wollte, dass auch er nur ein Mensch sei:
http://www.youtube.com/watch?v=-UzRsvCsC4c

In der zweiten Halbzeit versuchte er noch etwas spektakuläreres. Pele bemerkte, dass der uruguayische Torhüter zu weit von seinem Tor entfernt stand. Pele zog noch aus der eigenen Hälfte ab - und verfehlt das Tor nur um wenige Zentimeter:
http://www.youtube.com/watch?v=hj2k5xKs-lg

Dies war eine zu jener Zeit einzigartige Aktion ( Stan Libuda Fans werden jetzt aufschreien).

Das zweite Halbfinale ist dann das bekannte "Jahrhundertspiel" zwischen Italien und Deutschland gewesen, wenngleich man eigentlich sagen muss, dass es eine "Jahrhundertverlängerung" war, denn die regulären 90 Minuten waren nicht besonders ansehnlich, der Catenacchio zeigte seine hässliche Seite.
Über den Verlauf des Spiels ( 4:3 für Italien) möchte ich keine Worte verlieren, da jedermann dieses Spiel wohl kennt, ansonsten: Youtube hilft ;) 

Das WM- Finale zwischen Brasilien und Italien ist meiner Meinung nach das eigentliche "Jahrhundertspiel" . Auch wenn Brasilien wieder einmal nicht wirklich in Schwierigkeiten geraten sollte, so war dieses Spiel doch eine Lehrstunde, ein Ideal des "schönen Spiels", wie Brasiliens Spielweise inzwischen bezeichnet wurde. Doch genaueres dazu folgt später.

Bis zur Halbzeit war das Spiel eigentlich offen, 1:1. Doch war Brasilien niemals in Gefahr, sich das Spiel aus der Hand nehmen zu lassen. Das 1:0 durch Pele wurde später zum "best header" in der WM-Geschichte gekürt. Eine eigentlich viel zu hoch angesetzte Flanke verwandelte Pele trotzdem noch und sprang beim Kopfball viel höher als sein Gegenspieler, der ihn eigentlich um 10 cm überragte.

In der zweiten Halbzeit münzten die Brasilianer ihre Überlegenheit dann schließlich in Tore um. Gerson traf durch einen wunderbaren Weitschuss, Jairzinho in Torjägermanier. Er setzte damit einen Meilenstein, denn er traf damit in allen WM-Spielen 1970.
Und als wollte Brasilien sein "beautiful game" in einem einzigen Spielzug manifestieren, war das 4:1 durch Carlos Alberto der wohl schönste Spielzug der Wm-Geschichte:
 http://www.youtube.com/watch?v=NZkR5Wb2KQs (ganz ansehen!)

Die brasilianische Mannschaft von 1970 galt und gilt für viele als bestes Nationalteam aller Zeiten ( Spanien mal außer Acht gelassen).
Die Gründe dazu sind vielfältig: Zum einen ist es schlicht der Fakt, gegen die beste Abwehr der Welt vier Tore geschossen zu haben. Zum anderen war die Art von Brasilien Fußball zu spielen eine Art Befreiung ( dieses Argument ist meiner Meinung nach nur bedingt richtig). Damit war einfach gemeint, dass nun auf allerhöchste Ebene die Überlegenheit des Catenacchios zerstört wurde. Das offensive Spiel der Brasilianer war vollkommen anders als der Fußball, der in Europa gespielt wurde.

Ich wollte eigentlich die Formation von Brasilien hier einfügen, aber die Grafiken , die ich gefunden habe sind meiner Meinung nach unangemessen und fehlerhaft, wobei es sowieso schwierig ist, das Brasilien von 1970 in einer starren Formation zu fassen.

Unübersehbar bei Brasilien Viererkette war die Rolle der beiden Außenverteidiger Carlos Alberto ( welcher auch Kapitän war) und Everaldo, die sich immer wieder ins Angriffsspiel mit einschalteten ( Carlos Alberto schließlich auf beeindruckende Weise im Finale). Eine 1958 begonnene Entwicklung in Brasilien war damit auf ihrem Höhepunkt angelangt, die offensiven Außenverteidiger waren geboren. Italien hatte dies mit Facchetti zwar auch, doch entstand diese deutlich radikalere Entwicklung in Italien erst Mitte der 60er Jahre.
Das zentrale Mittelfeld bestand aus Clodoaldo, der das Defensivspiel der Mannschaft organisierte. Clodoaldo wurde von Trainer Zagallo erst kurz vor der Weltmeisterschaft entdeckt, als er einen defensiv orientierten Mittelfeldspieler suchte. Unterstützt wurde Clodoaldo durch den Kettenraucher Gerson, der für seine Distanzschüsse schon vor dem Turnier bekannt war und auch eher den Offensivspielern den Rücken frei hielt.
Schaut man sich die Offensivspieler der Brasilianer an, so muss man feststellen, dass es schwierig ist, ihnen feste Positionen zuzuordnen. der 29 jährige Pele war wie immer als falsche 9 eher hinter den Spitzen zu finden. Doch auch Tostao und Rivelino waren eigentlich auf dieser Position zu Hause. Was hat Zagallo also getan? Rivelino war für den Linken Flügel vorgesehen, um sich aber im Spiel immer zu Pele hin zu orientieren. Das bedeutete für Pele, weiter nach rechts zu rücken, wo Jairzinho auf dem rechten Flügel weilte, der aber auch in die Zentrale auswich.
Nochmal zusammengefasst: Rivelino schob von links in die Mitte, Pele agierte dynamisch hinter den Spitzen und der Rechtsaußen Jairzinho begab sich oft in die Mittelstürmerposition.
Der in meinen Augen interessanteste Spieler war allerdings Tostao. Das Jahrhunderttalent, das viel zu früh mit 25 Jahren aufgrund einer Augenverletzung seine Karriere beenden musste, war der eigentliche Star dieser WM. Seine Leistungen wurden höher eingeschätzt als die von Pele. Tostao war der nominelle Mittelstürmer, der sich aber immer wieder zurückfallen ließ. Der Linksfuß war wie Pele sowohl als Vollstrecker und Regisseur ausgebildet und mit einer sagenhaften Technik ausgestattet.
Die in Brasilien schons eit 1958 etablierte Raumdeckung ermöglichte ein extrem flüssiges und vielseitiges Spiel nach vorne. Anders als 1962 und 1958 waren die Dribbeltalente nicht mehr unbedingt die Außenstürmer, sondern in der Zentrale zu finden. Stattdessen fällt auf, dass viel mehr lange Bälle und Flanken geschlagen wurden, da man Peles Fähigkeiten im Luftkampf neu entdeckte. Die brasilianische Mannschaft schien physisch besser zu sein als bei den Turnieren zuvor, der Altersdurchschnitt wurde eigentlich nur durch die 29 Jahre von Pele hochgezogen.

Bei all dieser Qualität darf man eines jedoch nicht vergessen: Die WM 1970 fand in Mexiko bei hohen Temperaturen statt, was für die europäischen Mannschaften sicher eine Belastung darstellte. Auch die große Höhe war ein Hindernis. Es bleibt also die Frage, ob sich Brasilien in Europa schwerer getan hätte.

Vier Jahre später sollte Brasilien in der WM in Deutschland eher durch brutale Fouls als durch spielerische Perfektion glänzen, Trainer Zagallo erkannte sein Team nicht wieder. Allerdings waren Pele und Tostao bereits zurückgetreten, Jairzinho war nur noch ein Schatten seiner selbst. Der einzige Spieler, der von der 1970er Mannschaft seinen Ruhm noch erweitern sollte, war Roberto Rivelino.


Was demnächst folgt: Spanien 1962 - Mit Altstars nach Chile
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 17.Juli 2013, 16:30:39
geändert  :laugh:
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Don-Muchacho am 17.Juli 2013, 16:33:03
Das Close-Tag in der allerrsten überschrift hat keine öffnende Klammer. Und mach das weg, kriegt man ja augenkrebs.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: OneOrZero (RealLesar) am 18.Juli 2013, 20:08:08
Ein großes Lob! Ich kenne solche Threads eigentlich nur aus dem englischsprachigen fm-Foren. Weiter so. Es macht wirklich Freude hier mitzulesen.

Speziell das Thema totaler Fußball gefällt mir. Persönlich fließt alles was ich zu diesem Thema weiß, in meine Taktiken mitein. Egal ob in unteren Ligen, oder mit Erstligavereinen.   
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Flyinguwe am 26.März 2018, 14:13:58
Das Spiel wirkte lebhafter, intensiver. Ich bin jetzt nicht genau mit der Geschichte der Karten vertraut, doch meine ich zu wissen, dass auch wegen dem Farbfernsehen die gelbe und rote Karte eingeführt wurden.

Weiss da jemand genaueres zu? Habe ich ja noch nie gehört.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Tomminator4real am 26.März 2018, 14:30:38
Also, Quelle zu meiner Aussage war die Jubiläums-DVD der Fifa, wo es eben erwähnt wurde. Allerdings lese ich woanders, dass die Erfindung auf Erfahrungen der WM 1966 zurückgeht: Beim Spiel Argentinien gegen England kam es zu Rudelbildung und Tätlichkeiten, woraufhin der Schiedsrichter mündlich natürlich die Verwarnungen und einen Platzverweis aussprach. Aufgrund der Sprachbarriere war das aber für manche argentinischen Spieler nicht nachvollziehbar, zudem wussten natürlich auch die Fans im Stadion nicht Bescheid. Daraufhin hat wohl der englische Schiedsrichter Ken Ashton sich eben das Ampelsystem ausgedacht bzw, anhand der Verkehrsampel ist er eben auf dieses System gekommen. Die Gelb-rote Karte gab es ja erst ab 1991.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Maddux am 26.März 2018, 14:43:51
Und da es zu der Zeit kein Farbfernsehen gab und es später auch nicht überall verbreitet war hatten die Schiris die rote Karte in der hinteren Hosentasche und die Gelbe in der Brusttasche um Verwirrung bei den Zuschauern zu vermeiden. Von der roten Karte in der hinteren Hosentasche kommt auch der Ausdruck "die Arschkarte ziehen".
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Leland Gaunt am 25.November 2023, 20:07:03
Nach Fünfeinhalb Jahren muss hier mal wieder ein Beitrag rein und da ich nicht weiß,
wo er sonst reinpasst...

Ich habe ein wenig gegoogelt, finde aber leider recht wenig zur damaligen Taktik bzw. taktischen Ausrichtung / Analyse des "Magischen Dreiecks" vom VFB Stuttgart,
Mitte Ende der 90er Jahre.

Sollte jemand Links haben, gerne her damit :D
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: DragonFox am 26.November 2023, 02:28:59
Das Magische Dreieck hat eine eigene Wikipedia Seite: https://de.wikipedia.org/wiki/Magisches_Dreieck_(VfB_Stuttgart) (https://de.wikipedia.org/wiki/Magisches_Dreieck_(VfB_Stuttgart))
Da gibt es auch ein paar Links drunter. Zum Beispiel den hier: https://www.bundesliga.com/de/bundesliga/news/1996-97-magisches-dreieck-verzaubert-vfb_117221.jsp (https://www.bundesliga.com/de/bundesliga/news/1996-97-magisches-dreieck-verzaubert-vfb_117221.jsp)


Was für eine Art von Links suchst du den?
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Leland Gaunt am 26.November 2023, 14:33:29
Danke dir, die habe ich auch gesehen ;)
Mir geht es u.a. auch um die restliche Ausrichtung der Mannschaft, sozusagen die übliche Analyse von Spielverlagerung etc..
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: DragonFox am 26.November 2023, 16:47:52
Ich glaube aus dieser Zeit wird das schwer. Spielverlagerung hat erst vor ~12 Jahren angefangen auf dem Niveau Spiele taktisch zu diskutieren. Die Spielverlagerung gehört zu einer der ersten Internetseiten im deutschsprachigen Raum, die das meines Wissens gemacht hat. Podcasts oder Youtube Kanäle war damals quasi nicht existent. Das magische Dreieck war ja nochmal 15 Jahre vor dieser Zeit. Ich glaube damals gab es einfach noch keine Fußball-Nerds.  ;D
Zeitungsartikel aus der Zeit wird es geben, die aber nicht tief einsteigen werden. Vielleicht ein Feature in so etwas wie nem Kicker oder ähnliches. Die haben aber wiederum kein Heftarchiv online, wo man einfach mal die Ausgaben von 95 ansehen kann.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Octavianus am 26.November 2023, 17:22:02
Es ist schon so, dass Spielverlagerung auch historische Taktiken berücksichtigt, jedoch offenbar nicht das magische Dreieck des VfB. Vielleicht kann man sich ja noch was wünschen?

https://spielverlagerung.de/retroanalysen/
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: DragonFox am 26.November 2023, 18:49:45
Es ist schon so, dass Spielverlagerung auch historische Taktiken berücksichtigt, jedoch offenbar nicht das magische Dreieck des VfB. Vielleicht kann man sich ja noch was wünschen?

https://spielverlagerung.de/retroanalysen/

Stimmt schon. Aber existieren die eigentlich noch? Die letzte Analyse war 2022. Für ich wirkt die Seite relativ tod.
Titel: Re: Fußballgeschichte: (fast) vergessene Mannschaften
Beitrag von: Henningway am 26.November 2023, 19:08:57
Wollte ich auch gerade schreiben. Die haben schon lange nichts mehr gemacht. Maric ist ja auch in den Profifußball gewechselt. Vielleicht war er da die treibende Kraft. Oder es gibt inzwischen irgendwelche rechtlichen Beschränkungen.