Zwei Gegentore! Unmöglich!! Ich will in einem Freundschaftsspiel gegen Alemannia Aachen die Defensivpower stärken. Wir verlieren 3:0.
November 2015
14.Spieltag
1.FC Union Berlin (11.) – FC Remscheid (1.)
Eisern Union, sage ich vor dem Spiel, muss heute mal kräftig entrostet werden. Dafür bringe ich in der alten und gut eingespielten 4-3-3-Formation folgende Recken:
Weidenfeller – Zimmermann, Corstjens, Zeitz, Laczkó – Lamertz – Rubén Pérez, Felipe Anderson – Rausch, John, Leandro
Ola John. Ist irgendwie ein Bauchgefühl. Ich mag ihn nicht. Opdam schaut auch ganz verwundert, als ich seinen Namen auf das Whiteboard schreibe.
„Doch, doch, Barry“, beschwichtige ich sofort noch während der Teamsitzung. „Ola ist zwar’n Penner, aber irgendwie… ich weiß nich… irgendwie isser ja schon ganz gut.“
Der Betroffene schaut etwas komisch, scheint aber meine Einschätzung nicht richtig mitbekommen zu haben. Für Philip Schuster allerdings bedeutet das: wieder kein Startelfeinsatz. Er quittiert das damit, dass er ohne Umschweife eine Dose Bier zischend öffnet.
Den Jungen mag ich.
Selbstverständlich habe ich für solche Fälle immer eine Dose in der Sakkotasche. Ich öffne sie ebenfalls und proste Philip mit erhobenem Blech zu.
Sportpsychologen mögen mein Verhalten vielleicht seltsam finden. Ich sage nur das:
0:1 Leandro (7.)
1:1 Holland (41.)
1:2 John (45.)
1:3 Höttecke (ET, 68.)
1:4 Wagner (90.)
Das Eigentor von Torwart Höttecke war ein besonderes Bonbon: Eckball von links, der Torschuss prallt an die Unterkante der Latte und von dort vor die Torlinie. Der am kurzen Pfosten stehende Verteidiger legt sämtliche Schußgewalt in den Befreiungsschlag und trifft mit 100 % Genauigkeit die Murmeln on Höttecke. Nicht nur, dass der Ball von dort in die Maschen jagt, nein, Höttecke fliegt auch noch in die andere Richtung davon. Köstlich!!
15. Spieltag
FC Remscheid (1.) – Erzgebirge Aue (6.)
Mit einem Selbstvertrauen so massiv wie die Erektion eines 14jährigen bei der Betrachtung des ersten Pornos, betreten wir das Spielfeld. Heute wollen wir das Bergvolk zurück zu den Weihnachtspyramiden schicken. Wieder springe ich über meinen Schatten und bringe Ola John von Beginn an.
Weidenfeller – Lüthi, Corstjens, Bosnjak, Laczkó – Lamertz – Rubén Pérez, Felipe Anderson – Rausch, John – Leandro
Rein statistisch schießt Aue genauso oft auf das Tor wie wir. Rein von der Begabung her unterscheidet uns aber dieses:
1:0 Rausch (3.)
2:0 Leandro (12.)
3:0 Corstjens (27.)
4:0 Rausch (44.)
Danach experimentiere ich und bringe ein paar Bankdrücker.
Mein Büro. Auf dem Schreibtisch alles, was man braucht: Bier, Playboy, Chips. Da klopft es und die Sekretärin steckt ihren Kopf herein. Sie wirkt eigenartig gepresst und scheint von hinten immer wieder gestoßen zu werden, da sich ihre Stimme beim Reden überschlägt.
Dieses Bild veranlasst mich zu einem dreckigen Grinsen.
„Herr… Way… da… ist… Besuch… für… sie!“
„Ah, meine Liebe… ich sehe es gerne, wenn man Spaß bei der Arbeit hat. Hähähähä!!“
„Ich… verstehe… nicht…“
„Naja, schon gut. Immer herein. Pfffffffffihihihi.“
Die Tür öffnet sich und es entwickelt sich eine Szene wie das Intro zur Muppet Show: immer mehr Individuen strömen in mein Büro. Es stellt sich dabei heraus: sie alle sind scheinbar türkischer Nationalität. Da sind Kinder, junge Frauen, ältere offenbar Mütter, junge Männer und alte Patriarchen. Sie alle kommen herein. Und sie alle reden. Laut. Durcheinander. Und natürlich Türkisch.
Ich warte, bis die letzte der schätzungsweise zwanzig Personen mein Büro betreten hat. Ich blicke durch die Menge durch, aber ich meine nicht, irgendjemanden davon zu erkennen. Dann aber sehe ich doch jemanden: Adili Endogan, meinen Stürmer.
Er bahnt sich den Weg durch die Menge und bleibt vor meinem Schreibtisch stehen.
„Trainer! Das jetzt kann bleiben in diese Raum.“
„Aha? Bin gespannt.“
Dieser mein erster Satz ist Auslöser für ein erneutes wildes Palaver. Kein Wort verstehe ich. Endogan beruhigt die Meute mit einem Handzeichen.
„Isch will spielen in Team. Will starten.“
Ich nicke und sage fröhlich: „Nö.“
Stille.
Dann wieder Palaver. Eine ältere Frau bückt sich und droht mir mit ihrem ausgezogenen Schuh.
Endogan beruhigt sie wieder.
„Trainer. Isch nur mit Mühe ruhig. Was Du wolle mit mir?“
„Ich könnte Dich verleihen. Was meinse?“
Wie ein Orkan bricht jetzt das Geschrei über mich. Endogan muss sich sehr bemühen, um das, was offensichtlich seine Familie ist, wieder zu beruhigen.
„Nein, Trainer. Isch will gehen ganz dann. Nix Leihe, isch zu gut.“
Ich nicke knapp. Allerdings fühle ich in mir auch dieses ungute Rauschen. Das Rauschen der Rebellion.
„Weisste was, Ali?“
„Adili“, brüllt die Frau mit dem Schuh und holt aus.
„Also, ich sach Dir: nix tuuse! Auffe Tribüne tuuse Dich setzen!“
Der Aufschrei ist jetzt nicht ganz so groß, wohl, weil die meisten meinen ausgeprägten Ruhrpottsläng nicht verstehen.
Endogan aber hat verstanden.
„Trainer“, presst er mühsam beherrscht durch zusammengepresste Zähne hervor. „Trainer, isch will gehen!!“
„Ja. Kannse. Pass auf, ich bestell’n Taxi. Für Euch alle!! Ich lade Euch ein! Tamam?? Einladung auf Kosten des Vereins!!“
Viele der Besucher gucken sich fragend an. Einige stupsen Endogan und fragen nach der Bedeutung. Er übersetzt. Nach und nach durchläuft es die Meute und sie fangen an, mir zu danken, erst zaghaft, dann deutlicher.
Währenddessen habe ich bereits das Telefon zur Hand genommen und rufe die Taxizentrale. Vier Vans bestelle ich vorsichtshalber.
Als ich aufgelegt habe, verdeutliche ich nochmals meine gute Absicht. Die ganze Familie erhält einen Ausflug auf Kosten des Vereins. Die Taxis dürften in wenigen Minuten auf den Mühlenparkplatz vor dem Stadion eintreffen.
Herzlich dankend verlassen alle das Büro. Endogan ist der letzte von ihnen und er reicht Opdam die Klinke in die Hand.
Barry schaut der wieder wild durcheinander redenden Masse hinterher, während er auf meinen Schreibtisch zugeht.
„Was war das denn, Herr Way?“
„Ach, wohl Ali Endogans Familie. Er hat geheult, weil er kaum spielt, die Lusche.“
Opdam denkt einen Moment über meine Worte nach.
„Dafür“, wendet er dann ein, „wirken sie aber recht zufrieden.“
„Jopp. Ich hab sie alle auf’n Ausfluch eingeladen mit’m Taxi.“
Jetzt dreht Opdam sich um und schaut mich verständnislos an.
„Taxi? Ausflug? Wohin denn?“
„Rotterdam.“
Als Holländer weiß Opdam natürlich sofort: da würde man jetzt nicht unbedingt als erstes hinfahren, wenn man nach Holland will.
„Wieso gerade dahin? Da ist doch nichts besonderes. Außer dem Hafen.“
„Genau. Und von dort geht die Fähre nach Hull.“
„Hull? In England?“
„Hull in England. Schönes Städtchen. Endogan wird da demnächst für unser Farmteam auflaufen. Zwar weiß er davon noch nichts, aber wenn er es erfährt, sind wir weit genug weg.“
Ich lehne mich in meinem Sessel zurück und male mir vor dem inneren Auge ein Meme über mich selbst aus: ‚Trouble shooting like a boss‘!