Ich finde, man muss da ein bisschen differenzieren. Grundsätzlich stimme ich euch völlig zu, Henningway und Tony Cottee. Allerdings beeinflusst die Politik dies noch auf einer anderen Ebene: durch den Abbau des Sozialstaats, die vielen prekären Beschäftigungsverhältnisse, die schlechten Renten etc. Denn dass jemand, der aus seiner Sicht auch "ohne Wenn und Aber liefern" muss, seinen Job los ist wenn er es nicht tut und seine Schäfchen dann nicht im Trockenen, sondern sich vielleicht im Mindestlohnbereich oder mit drei Minijobs über Wasser hält, keine Reserven hat und fürchten muss, bei Jobverlust in Dauerarbeitslosigkeit zu versinken unter Umständen den Reflex hat, "heul doch" zu sagen, kann ich auch in gewissem Maße nachvollziehen.
Ob dies tatsächlich die Menschen sind, die sich so äußern, wage ich hingegen aber zu bezweifeln.
Das Interessante an der Sache ist, dass es ja Matthaeus und Metzelder waren, die sich da sehr negativ ueber Mertesacker geaeussert haben.
Meine Erfahrung - gerade in solchen "Neidthemen" - ist genau das: Andere Priviligierte schwingen sich zu Moralhuetern auf und weisen darauf hin, was diese Aussage wohl fuer weniger Priviligierte bedeuten koennte. Woher wollen Matthaeus und Metzelder das wissen, die waren in ihrem ganzen Leben noch nicht unterpriviligiert?!
Empathie bedeutet ja gerade, dass man sich in die Gefuehlswelt anderer versetzen kann und das geht auch sehr gut ueber soziale Grenzen hinweg (und zwar in beide Richtungen). Ich glaube, viele 'harte Arbeiter' koennen gerade den Druck nachvollziehen, den Mertesacker beschreibt.
Druck entsteht auch voellig unabhaengig von der Gehaltsklasse und zwar in ganz unterschiedlichen Auspraegungen. Ich habe in den letzten 15 Jahren ganz persoenlich die gesamte Bandbreite erlebt:
Vom Gerichtsvollzieher, der an meiner Tuer klingelte und den Freunde von mir ausloesen mussten, ueber diverse Aushilfsjobs, bis zu einem sehr priviligierten Leben, das ich aktuell mit Frau und Kind in Singapur fuehre - und das in einem sehr schnellen Takt, wenn sich das alles in 15 Jahren so entwickelt.
Ich habe Druck als Tresenkraft in einem Restaurant erlebt. Da haben im Zweifel 100 Gaeste keine Getraenke bekommen, wenn ich meinen Job nicht gemacht haette und das Feedback waere sehr direkt ausgefallen.
Ich habe Druck als Hilfsarbeiter auf dem Bau gespuert. Wenn ich da nicht schnell gelernt haette, was es heisst richtig zu arbeiten, dann waere ich den Job schnell wieder losgeworden und haette nicht gewusst, wie ich meine Schulden bezahle und meinen Kuehlschrank fuelle.
Ich habe Druck gehabt, als ich eine Pruefung abgelegt habe, die nach abgebrochenem Studium die letzte Chance war noch etwas in den Haenden zu halten, was mich beruflich weiter bringen koennte (mit 30 Jahren).
Ich hatte Druck in diversen Assesment Centern, in denen Psychologen und Fuehrungskraefte beurteilen wollten, ob ich geeignet bin, gewisse Fuehrungsaufgaben zu uebernehmen.
Ich habe Druck, weil ich fuer ueber 40 Mitarbeiter und ein Millionenbudget verantwortlich bin.
Ich habe Druck, weil ich ploetzlich nicht mehr nur fuer mich selbst privat verantwortlich bin, sondern eine Frau und ein Kind ernaehren muss, die fuer mich und wegen mir ihre Heimat, ihren Job und ihre Familie verlassen hat und nun auf dem anderen Ende des Globus ist.
Ich kann da nicht differenzieren, in welcher Situation der Druck fuer mich am Hoechsten war und wann ich damit am Besten umgegangen bin. Ich kann nur sehr gut nachvollziehen, wenn sich ein Nationalspieler, auf den zig Millionen Menschen schauen, massiv unter Druck fuehlt, wenn er eine WM spielt. Sein Gehalt und seine Leidenschaft fuer den Sport, den er da betreibt, spielen dabei ueberhaupt keine Rolle.