Ich kann Deine Gefühle durchaus nachvollziehen, sehe aber nicht das "es kommt vom politischen Gegner, also perse anti sein" als Problem, weil sich die großen Parteien hier inzwischen viel zu sehr angenähert haben. Mal ganz ehrlich, besonders eklatante Unterschiede zwischen SPD, CDU und ja selbst den Grünen gibt es doch immer weniger!
Hier täte etwas mehr "klare Kante" sicher gut, aber man will es sich halt mit niemandem verscherzen und so landet man zwangsläufig auf einer Ebene.
Ich persönlich sehe auch den Lobbyismus als das größte Übel an. Besonders die Autoindustrie, aber auch die Energiekonzerne könnten mit gesetzlichen Maßgaben viel mehr unter Druck gesetzt werden, ihre Forschung nicht auf immer weiter steigende PS-Zahlen zu lenken, sondern auf verbrauchsarme Fahrzeuge und neue Antriebsmodelle.
Warum wird nicht eine Regelung verabschiedet, dass alle (Elektro-)geräte die verkauft werden, auch so gebaut werden müssen, dass wieder eine Reparatur lohnt und nicht das gesamte Gerät (und damit wertvolle Ressourcen!) auf den Müll wandert? Auf der einen Seite sollen alle Handys einheitliche Ladekabel verwenden, aber in der Autoindustrie werden Spezialwerkzeuge nötig, ohne die man heute nicht einmal eine Scheinwerferbirne austauschen kann. In 5-10 Jahren wird es durch diverse Techniken nicht mal mehr möglich sein, selber von Sommer- auf Winterreifen zu wechseln.
Da kann ich Dein Gefühl verarscht zu werden absolut nachvollziehen. Dass genau diese Erkenntnis, die sich bei den Bürgern mehr und mehr durchsetzt, der ideale Nährboden für neue Parteien ist, hat schon der Erfolg der Piratenpartei gezeigt, die sich dann aber direkt assimiliert haben und in internen politischen Ränkelspielen untergegangen ist. Und jetzt hat die AfD dieses Vakuum geschickt für sich genutzt und den Fuß in die Tür geschoben.
Das war doch jahrelang das Parteiprogramm der Linken, man hat im Grunde genommen immer schön klingende Forderungen gestellt, von denen man sicher auch wusste, dass sie gar nicht in der Praxis umzusetzen sind, aber sie machten Eindruck. Man lief ja auch nie wirklich ernsthaft Gefahr mal an die Macht zu kommen und die eigenen Forderungen umsetzen zu müssen.
Ohne den Blitz der Erkenntnis wird sich aber vermutlich nicht wirklich entscheidend etwas ändern. Es wird immer mal kurzfristige Erfolge anderer Parteien geben, aber ohne Nachhaltigkeit. Welche Lösung wäre denn Deiner Meinung nach nach einem abgebrannten Reichstag eine machbare Alternative? Es reicht ja eben nicht ein besseres System vorzugeben, jedes System wird dann trotzdem wieder mit Menschen gefüllt und die werden dann auf den eigenen Vorteil achten.
Dazu kommt dann noch, dass das Wahlvolk schlicht und ergreifend belogen werden will. Stell Dir mal vor es gäbe bei der nächsten Wahl eine neue Partei, deren Spitzenkandidat würde mal ganz offen und ehrlich sagen, wie die Lage wirklich ist. Nämlich, dass wir alle den Gürtel für eine geraume Zeit bedeutend enger schnallen müssen, um unser Land wieder auf eine gesunde Basis zu stellen. Man wird einen erhöhten Finanzbedarf haben, um mit unterschiedlichen Programmen in Forschung und Bildung die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen. Jeder Bürger müsste pauschal 5% seines Einkommens abgeben, um das zu finanzieren, ohne Abzugsbeträge, Abschreibungen, Werbekosten und Co.
Der Kanzlerkandidat würde auch ganz ehrlich sagen, dass es einige Jahre dauern wird, bis man aus dem Tal heraus ist und dass es viel Blut, Schweiß und Tränen kosten wird, jeden einzelnen Bürger.
Steuerschlupflöcher würden geschlossen und wer staatliche Unterstützung haben will, muss ohne Wenn & Aber im Rahmen seiner Möglichkeiten auch anpacken, kein HartzIV, kein Wohngeld, keine Sozialleistungen ohne Anpacken. Firmen könnten sich nicht mehr steuerlich arm rechnen, sondern müssten auch ohne Tricksereien ihre Steuern zahlen, aber auch Karl Schwakowiak aus Wanne-Eickel könnte nicht mehr mit kleinen Schummeleien den einen oder anderen Euro sparen.
Wie groß glaubst Du, wären die Chancen einer solchen Partei bei der nächsten Wahl? Ich bin mir sicher, weit unter 5%, weil die etablierten Parteien wieder Wahlversprechen machen, die zwar hinterher gebrochen werden, aber der deutsche Michel möchte sie eben glauben. Also macht er sein Kreuz nicht bei der Person, die ihm ehrlich sagt, dass alle erst einmal persönlich ein paar Schritte zurück müssen, damit es wieder voran geht, sondern bei dem Politiker, der ihm blühende Landschaften und rosa Erdbeereis für alle verspricht. Er bekommt dieses rosa Erdbeereis zwar nicht, aber es ist ja schön davon zu träumen...