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Autor Thema: [FM 20 bis 24] Lavayeuxs Europatour - Die Geschichte eines Luxemburgers  (Gelesen 213667 mal)

FlutLicht1900

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und sie wissen nicht was sie tun. 😮
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Karagounis

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Hmmm da kommen wohl Feyernoord und Rotterdam in Frage... bin gespannt :)

4Ramos

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Ich bin gespannt wo es hingeht, Feynoord wäre interessant, aber Athletic Club Bilbao, wäre ja noch viel geiler :)
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knufschu

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Hmm, irgendwie hätte ich RWE gerne noch in der Bundesliga gesehen... Ich wage hier mal einen Hot-Take, den sonst nur die Regionaljournalisten im Ressort Sport bei der "Bald" wagen: RWE spielt in 5 Jahren wieder in der Regionalliga.

Ich stimme für Sparta Rotterdam.
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Noergelgnom

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Interludium

Wenn man von einem Tag auf den anderen vom Rund-um-die-Uhr-Vollzeitjob auf die Couch wechselt, heißt das ja nicht, dass plötzlich die Tage langsamer dahinschweben - nö, die Zeit rast genauso wie vorher, vielleicht sogar noch ein bißchen mehr.

Und so ist plötzlich Mitte Juni, die ersten europäischen Ligen starten bereits wieder mit der Vorbereitung - und ich habe es inzwischen immerhin geschafft, meine Essener Wohnung zu kündigen und auszuräumen.
Die paar Möbel und Habseligkeiten, die ich behalten will, hab ich eingelagert (ein volles Bankkonto ist was Feines, echt jetzt - mit Geld kann man so viele Probleme lösen, ohne selbst auch nur einen Finger krumm machen zu müssen ... kein Wunder, dass die Millionäre dieser Welt immer so sch...fröhlich aus den Boulevardzeitschriften grinsen!)

Abgesehen von dieser organisatorischen Errungenschaft bin ich allerdings ziemlich erfolglos gewesen in den letzten knapp zwei Monaten.
Nen neuen Job hab ich jedenfalls nicht.

Das liegt allerdings nicht daran, dass es keine Angebote gäbe - ganz im Gegenteil.
Ich werde nahezu täglich mit neuen Anfragen konfrontiert, aus ganz Europa kommen Vereinpräsidenten, Berater, Sportdirektoren und Geschäftsführer Sport auf mich zu und haben alle die gleiche Frage:
"Wir würden Sie gern zu einem Vorstellungsgespräch einladen, um bei uns den Posten des Trainers zu übernehmen - könnten Sie sich das vorstellen?"

Und selbstverständlich bleiben diese Anfragen in schöner Regelmäßigkeit auch der Presse nicht verborgen - mein nigelnagelneuer Berater, den ich vorerst eingestellt habe, kommt mit dem Sichten und Sammeln der Berichte und Schlagzeilen, dem copy/paste-Beantworten der immer gleichen Reporteranfragen und dem Sortieren der Clubanfragen kaum hinterher.
Eigentlich hatte ich ihn nur für den Zeitraum meiner Vereinssuche engagieren wollen, aber ich glaube, das Arrangement behalte ich bei.

Der positive Aspaekt ist natürlich, dass mir überhaupt erstmal wirklich bewußt wird, wie bekannt und gefragt ich inzwischen bin.
Fühlt sich zugegeben ziemlich surreal an, denn bis auf ein paar unterklassige Aufstiege sowie das eine Double mit den Bohemians habe ich ja nun noch nicht wirklich die Riesen-Erfolge in der Vita - aber meinem Ego ist das wurscht, das passt an manchen Tagen neben mir gar nicht mehr durch die Tür.
Sagt jedenfalls Felix.

Wer Felix ist?
Na der gerade angesprochene nigelnagelneue Berater, für den vor allem zwei Dinge sprechen:
Erstens - sein Enthusiasmus.
Und zweitens - die Next-Gen-Kommunikationstechnik, die er (wahrscheinlich mit Hilfe eines Raumzeit-Diskontinuums) aus dem 28. Jahrhundert geholt hat.
Behauptet er jedenfalls.


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Oh, der dritte seiner beiden Vorzüge ist sein unglaubliches Talent, wirklich beeindruckend häßliche Collagen zu fertigen.
Und das macht er auch.
Ständig.
Irgendwie ist er der Meinung, dass eine Schlagzeilen-Collage für mich genauso eine ästhetische Offenbarung ist wie für ihn. Entweder das oder er hat das Kunstverständnis eines Erstklässlers.


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Davon mal abgesehen ist er aber eine echte Hilfe - auch beim Zusammenstellen meiner "Hallo, ich bins!"-Route durch ein gutes Dutzend westeuropäische Städte.
Denn nachdem ich eine Woche lang Gesprächsangebote sortiert habe, bin ich inzwischen zu dem Schluß gekommen, dass ich einfach mal eine kleine Rundreise mache. Ich kanns mir ja leisten.
Zuerst dachte ich daran, das mit dem Taxi zu erledigen, aber nach einer kurzen Fahrtzeitüberschlagsrechnung und einer kurzen Nachdenkphase ("Was werden wohl meine Knochen und Muskeln dazu sagen?") bin ich schnell wieder davon abgekommen.
Jet wäre natürlich großartig, ist aber aus zwei Gründen keine Option:
Erstens, die arme Umwelt!
Zweitens, mein armes Portemannaie!

Und so kommt es, dass ich am 21.06. in Echternach in den Bus steige.
Echternach?
Ach so, stimmt, hab ich gar nicht erwähnt - ich bin natürlich zwischenzeitlich mal bei meiner Familie eingefallen, wenn man schon frei hat, muß man das nutzen, sonst ist die Mutti traurig.
Kennt ja jeder, das Phänomen.
Mein Vater hat die günstige Gelegenheit voller Enthusiasmus genutzt, um mir Vorhaltungen darüber zu machen, dass er es unter aller Kanone findet, dass ich in Essen rausgeflogen bin.
Was ich im ersten Moment für ein unvermutetes "Rückenstärken" halte, entpuppt sich innerhalb von zwei Sätzen als Vorwurfskaskade, die darin gipfelt, mir zu unterstellen, dass ich das doch garantiert wieder mal selbst zu verantworten hätte.
Immerhin sei Hannes ja noch Trainer dort, der wisse wohl den Wert eines sicheren Arbeitsplatzes in unsicheren Zeiten besser zu schätzen als ich.
Aber das sei ja schon immer mein Problem gewesen: den Kopf ständig in den Wolken, die Füße ohne Bodenhaftung, die Augen geschlossen, die Ohren zugestopft, das Hirn auf Standby und das Portemannaie permanent offen, damit die Hände stets und ständig sein sauer verdientes Geld zum Fenster rauswerfen können.
Und so weiter ...
... und so weiter ....
Und. So. Weiter.
Ächz.
Nach zehn Minuten bereue ich bereits, zu Besuch gekommen zu sein, nach drei Stunden halte ich es nicht mehr aus, schütze einen dringenden Termin vor und mach mich vom Acker.
Ab in den Bus und nach Luxemburg City.
Die Nacht verbring ich in einem der besseren Hotels der Stadt - und am Morgen besteige ich den Zug nach Belgien, genauer gesagt nach Lüttich.
Denn auf der langen Liste von Vereinen, die mich gern mal persönlich kennenlernen möchten, stehen auch zwei Lütticher Erstligisten.
Zum einen der mir aus diversen Phantastereien gut bekannte RFC Liege (jaja, genau der Bosman-Club), zum anderen aber auch Royal Standard de Liege, besser bekannt als Standard Lüttich!
Die Vorstände dieser beiden Vereine sind also meine ersten Zwischenstationen der Reise.

(Ich hätte selbstverständlich all diese Termine auch online über irgendeines der mehr oder weniger gut funktionierenden Online-Konferenz-Tools wahrnehmen können, aber das wollte ich nicht. Und zwar aus dem ganz einfachen Grund, dass man vor Ort einen wesentlich besseren Eindruck bekommen kann als online. Gilt wahrscheinlich generell, aber bei einem Vorstellungsgespräch umso mehr.)

Die beiden Gesprächsrunden laufen gar nicht übel - zumindest auf zwischenmenschlicher Ebene.
Sportlich und finanziell sind das eher mittlere Desaster.
Der RFC steht kurz vor der Insolvenz und möchte, dass ich mehr oder minder mit der U18 um den Klassenerhalt kämpfe - wohlgemerkt ohne zu wissen, wieviele Spieler besagter U18 bis Anfang August noch den Verein verlassen werden.
Und bei Standard gabs ein kleines Übersetzungsproblem zwischen deren Sportdirektor und meinem famosen Agenten. Der Club möchte mich gar nicht als Herrentrainer, sondern als Co für die U18.

Nuja, dann eben weiter, der nächste Halt ist gar nicht weit - grade mal zwanzig Kilomenter nördlich (und einen kleinen Grenzübergang) entfernt liegt die niederländische Stadt Maastricht, wo ich mit dem MVV-Sportgeschäftsführer verabredet bin.
Aber auch hier gibts einen Reinfall - ich bin nämlich einfach zu spät dran, wie sich herausstellt.
Der Verein hat gerade heute morgen beschlossen, Jonas Schafstall (den Großneffen eines mäßig bekannten deutschen Kulttrainers) zu verpflichten und der Sportchef hebt nur bedauernd die Schultern, als er meiner ansichtig wird.
"Sorry, Herr Lavayeux, das wurde holterdipolter eine Ebene höher beschlossen. Ich habs auch gerade erst erfahren."

Als ich das höre, bin ich sehr froh, zu spät zu sein - klingt unglaublich gut organisiert, der Club, gerade auch im Hinblick auf die interne Kommunikation...

Also ab zurück in den Zug.
Diesmal ist die Fahrt etwas länger, denn es geht an die Küste.
In der Stadt mit dem größten Containerhafen Europas habe ich gleich drei (!) Gesprächstermine, denn Sparta, Excelsior und sogar auch Feyenoord Rotterdam haben mich eingeladen.
Alle drei Gespräche verlaufen gut, insbesondere der Sparta-Vorstand scheint auch durchaus geneigt, mich eventuell zu verpflichten.
Allerdings erwarten die Verantwortlichen noch ein gutes Dutzend weiterer Bewerber -  kein Wunder, Sparta Rotterdam ist schließlich nicht irgendein Dorfverein.

Wir vereinbaren, dass ich innerhalb einer Woche die finale Rückmeldung bekomme.
Paßt mir ganz gut, denn ich habe jetzt eine längere Reise vor mir.
Zuerst nach Brüssel und von dort mit dem Schnellzug nach Nordspanien, nach Bilbao.

Jetzt, wo dieses Reiseziel immer näher rückt, bemerke ich erst so richtig, wie aufgeregt ich deswegen bin.
Athletic Bilbao!
Ein Verein, dessen Mythos selbst in meiner frühen Kindheit im verschlafenen Echternach schon hell genug strahlte, dass ich damals schon allein beim Klang des Namens jedesmal ein Lächeln auf den Lippen hatte.
Und jetzt, wo ich erwachsen bin, hat sich daran nichts geändert.

Als ich in Brüssel in das erste-Klasse-IC-Abteil steige, bin ich einer der ersten Fahrgäste - einer der Vorteile, wenn man am Startbahnhof einsteigt.
Mein reservierter Platz liegt direkt am Fenster des kleinen Sechser-Abteils, von den anderen fünf Mitfahrenden (der Zug sei ständig überfüllt, sagte mir die freundliche Servicemitarbeiterin am Schalter, Reservierung sei daher sehr zu empfehlen) ist noch nichts zu sehen.
Soll mir recht sein!
Ich stelle meinen mitgebrachten Kaffee auf die kleine Ablage am Fenster und hole mein Tablet raus.
Wird höchste Zeit, dass ich mein Wissen über Athletic auf den neuesten Stand bringe, ich will diesen Job!
Der Gedanke verwundert mich ein bißchen, denn dass ich sooo darauf hinfiebere, in Bilbao an der Seitenlinie zu stehen, war mir bisher gar nicht aufgefallen ... aber jetzt merke ich, wie "jede Faser meines Körpers vibriert", um mal einen etwas abgedroschenen Ausdruck zu benutzen, der meine generelle nervliche Verfassung nichtsdestotrotz ganz gut beschreibt.

Um mich abzulenken, nehme ich einen Schluck aus dem Kaffeebecher und vertiefe mich dann in die Lektüre.
Geschichte, Managerhistorie, Ligaplatzierungen, Rekorde, bekannte Spieler, Vereinsphilosophie, aktuelles Board und und und...
... da gibts genug zu lesen!
Irgendwann merke ich bei einem Blick aus dem Fenster, dass wir bereits fahren. Da ich allerdings einige Stunden unterwegs sein werde, zucke ich nur mit den Schultern und schaue wieder auf mein Tablet, das ist deutlich interessanter als die Landschaft draußen oder die Mitreisenden.
Denn ja, inzwischen sitze ich offenbar auch nicht mehr allein im Abteil.
Hab gar nicht mitbekommen, wann die reingekommen sind!
Egal, die sind unwichtig.
Die Rothaarige, die mir gegenüber sitzt, ist ganz hübsch, hab ich aus dem Augenwinkel festgestellt - aber auch das ist nichts, was jetzt wichtig wäre.
Jedenfalls nicht wichtiger als die bestmögliche Vorbereitung auf Bilbao!

Gebannt lese ich weiter und greife dabei wieder zum Kaffe.
Ohne aufzusehen natürlich, ich weiß ja genau, wo er steht.
Naja, ich weiß es zumindest fast, wie sich herausstellt.
Meine Finger streifen den Becher - gerade mit genug Druck, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Hektisch schaue ich nun doch auf - und schaffe es dadurch, aus nächster Nähe mitzuerleben, wie mein Kaffeebecher horizontal und kurz darauf auch vertikal beschleunigt, eine ästhetisch wertvolle Flugkurve beschreibt, mein Knie knapp verfehlt und einen Sekundenbruchteil später in seinen Flugversuchen jäh durch den Abteilboden aufgehalten wird.
Die abrupte Geschwindigkeitsänderung veranlaßt den Deckel des Bechers dabei zu - leider sehr erfolgreichen -Sezessionsbewegungen.

Oder prosaischer ausgedrückt:
Als der Becher auf den Boden knallt, platzt der Deckel weg und der zum Glück nicht mehr allzugroße Rest Kaffee ergießt sich über zwei Fußpaare.
Meins - das ist schlimm genug, weil meine neuen hellgrauen Stoffschuhe dadurch ein eher ländlich geprägtes Motiv erhalten.
Und dazu (und das ist viel schlimmer!) zieren die Kaffeeflecken nun auch die - ausnehmend hübschen ... schon seltsam, was einem alles so auffällt in einem solchen Moment! - Knöchel der Dame mir gegenüber.
Mit hochroten Ohren und wahrscheinlich selten dämlichem Gesichtsaudruck blicke ich vom Malheur hoch in das Gesicht meiner Mitreisenden - ein Gesicht, das den Knöcheln in keinster Weise nachsteht.
(Und nein, das bedeutet nicht, dass mir gegenüber eine knochige Hexe sitzt...)

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"Äh ... das ist mir jetzt aber peinlich ...", stammele ich, während ich fieberhaft nach Taschentüchern taste.
Die schöne Unbekannte scheint eher amüsiert als verärgert und reicht mir mit einer unfaßbar eleganten Geste - und einem ebenso unfaßbaren ironischen Lächeln - eine Packung Feuchttücher, die sie Gott weiß woher gezaubert hat.
Sie schafft es sogar, sich einige der Tücher für den Eigengebrauch aus der Packung zu zupfen, während sie mir eben diese Packung reicht...

"Weniger entschuldigen, mehr wischen.", grinst sie und beginnt währenddessen damit, ihre (glücklicherweise abwischbaren) Schuhe zu säubern.
Auch wenn ich vor Verlegenheit im Boden versinken möchte, tu ich natürlich, wie mir geheißen - einfach, weil mir gar nichts anderes übrigbleibt.
Und ich tu es verlegend und überrascht grinsend - denn ihre gelassen-spöttische Reaktion ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich erwartet habe.
Nach einigen Augenblicken haben wir in gemeinsamer Anstrengung das Schlimmste beseitigt und ich setze noch einmal an:
"Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen Ihr Schuhwerk ..."

Weiter komm ich gar nicht, denn sie winkt lächelnd ab.
"Ist doch gar nichts passiert. - Und außerdem find ich es furchtbar, wenn Menschen vor lauter Verlegenheit gar nicht wissen, wohin mit ihren Händen ... so wie Sie gerade."
Ups, gut beobachtet! Ich werde möglicherweise noch etwas röter, aber sie hilft mir schnell über diesen erneuten peinlichen Moment hinweg.

"Verraten Sie mir lieber, was Sie eigentlich so fesselt, dass Sie seit einer halben Stunde ohne aufzublicken lesen ... Gerard."
Ich schaue Sie mit weit aufgerissenen Augen an.
"Woher wissen Sie..."
"...Ihren Namen?", lacht meine Gesprächspartnerin. "Steht hinten auf ihrem Tablet. Zusammen mit einem durchaus interessanten Logo."
Ach stimmt ja, das Tablet war ein Geschenk der Schule bzw von Herrn Müller-Lüdenscheid persönlich an diejenigen, die das Studium am Kolleg in Locarno bestanden hatten.
Versehen mit dem Logo des FC Locarno (weil die ein bißchen mitgesponsort haben) und damit wir die Tablets nicht verwechseln können, sind sie alle mit dem jeweiligen Vornamen gekennzeichnet.

Immer noch breit grinsend, schenkt sie mir einen undefinierbaren Blick und sagt:
"Eloïse."
Nach einer Viertelsekunde Pause setzt sie hinzu:
"Und ich wäre Ihnen wirklich verbunden, wenn Sie meine Frage noch beantworten könnten. Also sobald Sie Ihre Sprache wiedergefunden haben."

Aus Richtung Tür ertönt leises Kichern, die beiden älteren Damen, die sich dort gegenübersitzen, empfinden die Szenerie wohl als äußerst kurzweilige Reiseunterhaltung.
Ich dagegen habe das Gefühl, dass mir diese Situation mit jedem vergehenden Augenblick mehr entgleitet.
Welche Frage meint sie denn bloß?
"Was Sie da lesen, Gerard."
Kann die Frau Gedanken lesen oder was?!

"Äh ... ach so ... stimmt ... öhm ....", ich verstumme kurz und hole tief Luft, in einem verzweifelten (und zum Glück auch nicht ganz erfolglosen) Versuch, mich zu sammeln.
Dann setze ich nochmal neu an.
"Bitte entschuldigen Sie das Gestammel, ich war gerade völlig überfordert mit ... mit allem. Und in Gedanken auch zum Teil noch bei der Lektüre. ... Um Ihre Frage nun endlich zu beantworten: ich komme gerade von einem Geschäftstermin in Rotterdam und bin auf der Reise nach Bilbao zum nächsten Meeting. Und auf dieses bereite ich mich gerade vor, weil ich dort bestmöglich vorbereitet erscheinen möchte."
"Sieh einer an", erwidert Eloïse. "Und ich dachte, Sie läsen einfach irgendwas über Fussball. Wegen des Logos, Sie verstehen schon. Tut mir leid, dass ich Ihnen da unrecht getan habe."
Jetzt lächle ich.
"Tun Sie ja gar nicht. Fussball und Geschäft schließen sich doch nicht aus."
Sie hebt mit einem Ausdruck der Überraschung ihre rechte Augenbraue.
"Jetzt bin ich neugierig. - Dürfen Sie darüber sprechen, worum es bei dem Termin geht?"
"Ich möchte aus Gründen der Diskretion nicht ins Detail gehen, ich hoffe Sie verstehen das. Soviel kann ich verraten: es geht um eine mögliche Arbeitsstelle."
"Ach, Sie loten Ihre Optionen aus und wollen dann zwischen Rotterdam und Bilbao wählen?"
"Das ist zumindest nah an der Wahrheit. Sehen Sie, ich ..."

In diesem Moment vibriert mein Telefon. Auf dem Display leuchtet Felix' Nummer auf.

"Einen Moment", sage ich entschuldigend und hebe ab.
"Hallo Felix, was gibts?"
Felix teilt mir aufgeregt mit, dass sich soeben eine neue Option aufgetan habe. Und da er ja wisse, dass ich für diesen Verein große Sympathien hege ...
Den Vereinsnamen verstehe ich nicht, weil genau in diesem Moment die Durchsage "Nächster Halt: Paris, Gare du Nord!" durchs Abteil hallt.
Felix wiederholt den Namen des Clubs.
"Metz?", staune ich in den Hörer. "FC Metz?!"
Mein Agent bestätigt das und fragt, ob er eine Terminanfrage des Clubs für in drei Tagen bestätigen könne - bis dahin sei ich ja längst wieder da aus Spanien, oder?
"Ja mach das, absagen kann ich ja immer noch."
Der FC Metz will mich als Trainer, glaubt mans denn!

Als ich auflege, sehe ich ein großes Fragezeichen in Eloïses Gesicht. Sie zieht sich gerade ihre Jacke an und fragt dabei:
"Sagen Sie bloß, Sie haben nun auch noch einen Geschäftstermin in Lothringen."
Ich nicke.
"Gut erkannt", bestätige ich.
"Aber wieso verwundert Sie das so?"
Sie steht auf und greift nach ihrer Tasche.
Während sie sie öffnet, sagt sie:
"Ich habe die ganze Fahrt über gegrübelt, wo ich Ihr Gesicht schon mal gesehen habe. Und ich glaube, ich weiß es jetzt. Und wenn ich recht habe, bin ich erstens sehr überrascht - mir war nicht klar, dass Sie überhaupt noch auf dem Markt sind - und muss zweitens wirklich dringend mit Ihnen sprechen."
Sie greift in die Tasche, holt eine Visitenkarte heraus und reicht sie mir.
"Bevor Sie irgendwo zusagen, rufen Sie mich bitte unbedingt an. UN.BE.DINGT!"
Der Zug kommt zum Stehen und sie wendet sich zum Gehen.

Ich schaue auf die Karte...

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Und als ich das Vereinslogo unten rechts sehe, klappt mir der Unterkiefer runter.

Als ich wieder zu ihr blicke, sehe ich gerade noch, wie Eloïse mir beim Durch-die-Tür-Schreiten zuzwinkert und ihr Lockenkopf dann im Gang verschwindet.

Die beiden Damen kichern wieder.
"Na, da ham se aber ordentlich Eindruck hinterlassen, Sie Scharmööör! - Hätte nicht gedacht, dass Kaffee auf die Schuhe kippen so ne erfolgreiche Masche ist!"

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Der Rest der Fahrt verläuft ereignislos, ich kann mich aber nicht mehr so recht auf die Lektüre konzentrieren.
Mehrfach nehme ich mein Telefon zur Hand und überlege, ob ich Eloïse nicht lieber gleich anrufen soll ... aber ich lege es jedesmal wieder weg.
Ich bin auf dem Weg nach Bilbao, weil ich den Job dort will.
Falls Frau Mertens tatsächlich Sportgeschäftsführerin bei dem Verein ist, dessen Logo auf ihrer Visitenkarte prangt, wird sie hoffentlich Verständnis haben, dass ich erstmal dem einen, bereits vereinbarten, Termin nachkomme und mich erst dann bei ihr melde.

Als ich in Bilbao ankomme, ist es glücklicherweise auch noch früh genug, um ein noch geöffnetes Schuhgeschäft zu finden und mich unterhalb der Knöchel neu einzukleiden.

Danach rufe ich bei Athletic an, bestätige den Termin für morgen früh, suche mir ein schönes Hotel und gehe zeitig in die Heia.
Schlafen kann ich allerdings nicht so recht.
Eloïse geht mir nicht aus dem Kopf - und der Verein, für den sie angeblich arbeitet, erst recht nicht.
(Von Metz ganz zu schweigen!)

Am nächsten Morgen bin ich zum Glück dennoch halbwegs ausgeruht und gehe demzufolge (ebenfalls zum Glück!) nicht gähnend zum Gespräch.
Mein Gesprächspartner heißt Ander Garcia, soviel weiß ich immerhin schon.
Ich bin auf dem Weg durch die Stadt meinen Spickzettel nochmal durchgegangen und fühle mich gut vorbereitet.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Das Vorstellungsgepräch mit den drei Garcias (Ander, Bixente und Fermin - nicht verwandt, nicht verschwägert, aber höchst baskisch) verläuft spektakulär unspektakulär - soll heißen, wir machen offensichtlich einen guten Eindruck aufeinander.
Die finanziellen Rahmenbedingungen sind schnell geklärt - 2 Millionen Euro Jahresgehalt, bei Aufstieg nochmal ne kleine Million oben drauf.
Meiner kurzen Verwunderung darüber, wie sich ein Absteiger das leisten kann, begegnen die drei mit einem unergründlichen Lächeln und einem Schulterzucken.
"Wir wirtschaften eben gut."

Nun das mag sein, aber sportlich liegt doch einiges im Argen - der Abstieg als abgeschlagener Tabellenletzter der Primera Division, pardon, LaLiga, war schon ernüchternd.
Aber nichtsdestotrotz planen die Nicht-Gebrüder Garcia den Kader zusammenzuhalten und sogar noch kräftig zu investieren.
"Selbstverständlich nur, sofern sich gute Basken finden, die zu verpflichten es sich lohnt."
"Selbstverständlich.", nicke ich.

Dann ist der erste Teil auch schon vorbei und Ander bittet mich, ihm zu folgend, damit er mir eine "Gelände- und Bürotour" geben kann, wie er mit etwas gequältem Lächeln sagt.
Meine verwunderte Nachfrage, was er denn habe, quittiert er mit einem lapidaren "Werden Sie gleich sehen, Herr Lavayeux."

Wir wenden uns der Treppe in den ersten Stock zu, wo wie mein baskischer Geschäftspartnert mir über die Schulter mitteilt, "Ihr Büro liegen wird."
Nach einigen Metern bleibt Ander stehen, öffnet die Tür zu seiner Linken und macht eine einladende Geste.
"Ihr Büro, Herr Lavayeux. - passen Sie auf, wo Sie hintreten."
Verwundert ob dieser Warnung, mache ich den Schritt an ihm vorbei und drehe mich zur Türöffnung.
Was ich dort sehe, ergibt allerdings derart wenig Sinn, dass ich im ersten Moment an einen Scherz glaube.

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Der gesamte Raum ist vollgestopft mit Tresoren, Geldsäcken, Notenbündeln und dergleichen. Selbst auf den Stühlen und Tischen stapeln sich die Finanzen, von der Decke hängen Geldsäcke.

"Wenn das ein Scherz sein soll, versteh ich die Pointe nicht", sage ich konsterniert.
"Ist leider kein Scherz," erwidert Ander und schaut mich regelrecht unglücklich an.
"Wir wissen selbst nicht, wieso - aber seit zwei Jahren sammelt sich auf dem Vereinsgelände immer mehr Geld an. Erst haben wir es in den Vereinstresor gepackt, aber da paßt schon lange nichts mehr rein. Dann haben wir es in den Kellerräumen gelagert, die sind seit einem Jahr aber auch voll. Und nun wissen wir langsam nicht mehr wohin damit. Zu den Behörden können wir nicht, die suchen doch nur einen Grund, um uns Basken ans Bein zu pinkeln. Wenn wir da mit mehreren hundert Millionen Euro unklarer Herkunft ankommen .... ist also auch keine Lösung.
Wir haben inzwischen schon verschwiegene Leute angestellt, die das Geld auf dem Vereinsgelände vergraben, aber wir kommen kaum hinterher und müssen in immer mehr gebäuden zwischenlagern.
Und ehrlich gesagt: ich hoffe, die Stadionaufsicht kommt nicht auf die Idee, sich die Räume unter den Tribünen genau anschauen zu wollen..."


"Auch vollgestopft?"
Ander nickt und sieht wiederum sehr unglücklich aus.
Und ich frage mich, ob ich wohl gleich aufwache und wenn ja, was dieser Traum wohl tiefenpsychologisch über mich aussagt.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Wie sich herausstellt, ist das Ganze aber kein Traum.
Nach einer weiteren Stunde finanzgeprägter Vereinsführung verabschiede ich mich von den Garcias und schlappe zurück zum Bahnhof.
Aus mir völlig unerfindlichen Gründen hat sich meine Begeisterung über einen möglichen Trainerjob in Bilbao in den letzten 3 Stunden regelrecht in Luft aufgelöst.

Als ich im Zug zurück nach Paris sitze, ziehe ich mein Telefon aus der Jackentasche und tippe eine Nummer ein.
Es klingelt kurz, dann meldet sich eine dunkle Frauenstimme:
"Mertens?"


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« Letzte Änderung: 26.Mai 2025, 19:00:34 von Noergelgnom »
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Ex-Achtelprofi


“Goodness is about what you do.
 Not who you pray to.” (Terry Pratchett)

knufschu

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Spannend und schön geschrieben, wie immer auf hohem Niveau.

Ich habe mich bei der Geschichte rund um den Berater Felix an eine Geschichte aus Rengs "Der große Traum" erinnert. Dort hat sich ein gewisser Dante wie ein Putzerfisch an einen Bundesligaprofi, der auch mal beim BVB war, gehängt und seine ganz alltäglichen Dinge erledigt und sich dabei unbemerkt immer ein paar Euro von seinem großen Vermögen abgezwackt. Zumindest habe ich das so in Erinnerung.
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Sonzee87

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Eine sehr unterhaltsame Zwischenepisode die mir sehr gut gefallen hat. Felix ist natürlich eine kauzige Type aber irgendwie genau das richtige :D
Und Eloise ... Was ein Name ... ;)

Wo du schreibst was für Möglichkeiten Bilbao hat, verstehe ich warum du geladen hast. Also ehrlich das klingt jetzt nicht sonderlich spannend mit so viel Geld um sich werfen zu können, da geht irgendwie jede Motivation flöten. Verstehe ich komplett warum du dich dann anders entschieden hast, bin trotzdem sehr gespannt welcher Verein es jetzt am Ende sein wird.
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Olé, olé, Olé, ola, der FCK ist wieder da,

Olé, olé, Olé, ola, die roten Teufel sind ganz wunderbar

Karagounis

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Wieder einmal herrlich und sehr unterhaltend geschrieben! So viele Anfragen, so viele spannende Vereine. Bilbao wäre sehr interessant gewesen, aber kann deine Beweggründe durchaus nachvollziehen (auch wenn ich gerade bei einem Verein bin, der nur so mit Geld um sich wirft). Dann warten wir mal gespannt auf die nächste Episode!

Noergelgnom

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Interludium II


Für einen Sekundenbruchteil bin ich überrascht - außerdem holt ihre Stimme sofort die Erinnerung an die Generalpeinlichkeit des vorherigen Tages wieder in mein Bewußtsein.
Was mich dazu zwingt, erstmal tief Luft zu holen, damit ich nicht das nächste Gespräch mit Frau Mertens als stammelnder Depp beginne.
Was SIE dazu bringt, verwundert und ein bißchen mißtrauisch "Hallo?" zu fragen.
Eigentlich logisch: wenn man sich am Telefon meldet und als Reaktion auf die eigene Begrüßung beginnt der potentielle Gesprächspartner mit schwerer Atmung, ist Mißtrauen eine völlig berechtigte Gegenreaktion.
Ich räuspere mich schnell.
"Hrmm ... hallo Frau Mertens, hier ist Gerard. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Tollpatsch mit dem Kaffee, der ..."
Jetzt lacht sie - puh, Kurve grad noch so bekommen!
"Oh hallo Gerard ... Sie haben ja eine äußerst, nunja, originelle Art, sich am Telefon zu melden - ich wollt schon wieder auflegen!"
"Öhm ... das tut mir sehr leid, ich..."
"Sie entschuldigen sich ja schon wieder. Ist das so eine Art Hobby von Ihnen?"
"Äh ... nein. Also wirklich nicht ..."
Sie lacht wieder.
"Kommen Sie, wenn Sie sich so leicht verunsichern lassen, macht das doch gar keinen Spaß!"
Dann wird sie unvermittelt ernst. Man kann ihrer Stimme regelrecht anhören, wie sie sich selbst zur Ordnung ruft und sich vielleicht sogar in diesem Moment gerade hinsetzt.
"Gerard, ich möchte wie gesagt sehr gern etwas Geschäftliches mit Ihnen besprechen, vorher habe ich allerdings eine Frage, weil ich nicht gern wie ein kompletter Idiot dastehen möchte."
Im Gegensatz zu mir, oder was?
"Seien Sie so nett und verraten mir bitte Ihren Nachnamen?"
"... Okay, natürlich. Ich heiße mit vollem Namen Gerard Lavayeux."
Eloïses "HAH!" ist so laut, dass mir fast das Ohr abfällt.
Sie setzt zum Glück deutlich gesitteter "Wußt ichs doch!" hinzu, gefolgt von einem "Wo sind Sie gerade?".
"Im Zug, Frau Mertens. In ca 4 Stunden sollen wir in Paris eintreffen, wo ich nach Luxemburg umsteigen wollte und ...."
"Macht es Ihnen etwas aus, mich in Paris zu treffen? Ich möchte Sie gern zum Essen einladen. Und bei diesem Essen hör ich auch auf, in Rätseln zu sprechen und verrate Ihnen, worum es eigentlich geht."
Jetzt kann ich endlich auch mal auftrumpfen.
"Das weiß ich bereits, denke ich."
"Oh?!"
"Nun, sofern Sie mir nicht frecherweise eine gefälschte Visitenkarte in die Hand gedrückt haben, ist Ihr Verein seit drei Tagen trainerlos. Was ein bißchen ungünstig ist, weil die Saison in Ihrem Land ja bereits in einem reichlichen Monat beginnt und, soweit ich das in der Kürze der Zeit recherchieren konnte, in Ihrem Kader auch die eine oder andere Lücke gähnt, weil der neue Sportdirektor - oder sollte ich '-direktorin' sagen? - gerade frisch im Amt ist, ein solches Amt das erste Mal bekleidet und sich bei der Kaderplanung eigentlich auf eben jenen Trainer stützen wollte, der sich nun von einem Tag auf den anderen zur AS Monaco abgesetzt hat. Hab ich etwas Wesentliches zu erwähnen vergessen?"
Eine Sekunde lang höre ich sie nur atmen.
Dann sagt sie, mit erstaunlich leiser und schockierenderweise sogar etwas brüchiger Stimme:
"Sie sind verdammt gut informiert, Gerard. - Ein Grund mehr, dass wir uns unbedingt unterhalten müssen. Sie steigen Gare du Nord aus, oder?"
Ich schaue kurz auf den Reiseplan, dann nicke ich.
Als mir auffällt, dass man das am Telefon meist nicht sieht, sage ich:
"Ja, Gare du Nord, korrekt."
"Gut, bleiben Sie bitte einfach am Bahnsteig, ich hole Sie ab."

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Der Bahnhof ist das reinste Chaos - "vollgestoppt bis unter die Hutkrempe", wie man bei uns zuhause sagen würde.
Reisende aus aller Herren Länder hasten von links nach rechts, von vorn nach hinten, von oben nach unten - denn selbstverständlich hat dieser international vernetzte Verkehrsknotenpunkt mehrere Etagen.
Gemessen daran ist es ein regelrechtes Wunder, dass mich Eloïse innerhalb von zwei Minuten ausfindig macht und mich nach weiteren fünf Minuten bereits aus diesem Irrenhaus hinaus und in eine nahe gelegene Seitenstraße gelotst hat, wo die Menschenmassen wie von Zauberhand verschwunden und die allgegenwärtige Bahnhofshektik einer vergleichsweise ruhigen Pariser Caféatmosphäre gewichen ist.
Meine Begleiterin scheint sich hier auszukennen und führt mich in ein verstecktes Bistro, wo wir uns erstmal einen schönen Kaffee bestellen und ich sie, nachdem ich mit einem tiefen erleichterten Atemzug die Ruhe willkommen geheißen habe, erwartungsvoll anschaue.
"So Frau Mertens, ich bin ganz Ohr."
Sie seufzt und sieht für einen Moment sehr müde und sehr ausgelaugt aus.
Dann schüttelt sie unmerklich den Kopf, wendet meinen Geheimtrick (tief Luftholen) an und schaut mich direkt an.
"Wo soll ich anfangen? Vielleicht einfach erstmal damit, dass ich Ihren vorhin nur halb ausgesprochenen Verdacht bestätige: ja, ich hoffe inständig darauf, dass ich Sie irgendwie überzeugen kann, als Trainer bei ...."
Der Kellner unterbricht sie, in dem er zwei große Glasbecher mit Kaffee vor uns abstellt.
Sie ordert schnell noch einen "Happenteller des Hauses" und setzt dann neu an.
"...also dass Sie bei uns den Trainerjob übernehmen. Sie haben mit allem recht gehabt, was Sie vorhin gesagt haben: uns läuft die Zeit davon."
"Aber warum gerade ich? Warum den gerade geschassten Trainer eines deutschen Zweitligisten? Ich bin mir sicher, dass ein Verein wie ..."
Ich werde unterbrochen: direkt vor dem Cafè kommt ein alter blauer Citroen per Vollbremsung zum stehen, der Fahrer lehnt sich aus dem Fenster und unterhält die Straße kurz mit einer Beschreibung der charakterlichen Nachteile des jungen Burschen, der ihm gerade fast vors Auto gelaufen wäre.
"Wo war ich? Ach ja: ein Verein wie der Ihre hat doch bestimmt ganz andere Möglichkeiten?"
"Ja - und nein."
Sie seufzt erneut, blickt in ihren Kaffee, als enthielte der die Lösung ihrer Probleme und scheint einen kurzen Kampf mit sich selbst auszufechten.
Dann schaut sie wieder zu mir.
Und als sie zu sprechen beginnt, ist in ihrer Stimme kaum noch etwas von der fröhlich-ironischen, höchst selbstbewußten jungen Frau zu hören, die ich im Zug und am Telefon kennengelernt habe.
Die Eloïse, die jetzt mit leiser Stimme spricht, ist ganz offensichtlich der Verzweiflung nahe.
"Ich werde ganz ehrlich mit Ihnen sein - und ich hoffe, Sie behalten, das was ich Ihnen jetzt sage, zu einhundert Prozent für sich."
Ich nicke einfach nur, um sie nicht zu unterbrechen.
"Also gut... meine Visitenkarte ist zwar echt, aber sie fühlt sich für mich mehr und mehr wie eine Lüge an. Ich ...", sie ringt nach Worten, "... das ist mein erster Job als Sportdirektorin - und ich wollte den nichtmal! Francois hat meine Anstellung gegen den Willen des Vereins durchgedrückt und jetzt hab ich das Gefühl, dass alle gegen mich arbeiten und dass ich einfach nichts hinkriege. Im Studium klang das alles so klar und einfach, aber ... und die Spieler haben alle Ausstiegsklauseln und die Berater der potentiellen Neuzugänge nehmen eine Frau in dem Business einfach nicht ernst und ...."

Über mich bricht ein verbaler Wolkenbruch der Frustration herein.
Nach und nach kristallisiert sich jedoch ein immer klareres Bild heraus:
Eloïse hat vor zwei Monaten ein Sportmanagement-Studium erfolgreich abgeschlossen - zur großen Überraschung und Freude ihrer Familie, die sie schon als hoffnungslosen Fall und schwarzes Schaf abgestempelt hatten, weil sie mit 33 immer noch nichts zählbares in der Hand hatte.
(Das kommt mir irgendwie bekannt vor ...)
Ihr schwerreicher Onkel Francois, dessen Firma einer der Hauptsponsoren des Vereins ist, der aber selbst kaum etwas von Fussball versteht und der vor allem gegen alle Realität glaubt, alle Männer auf diesem Planeten wären in der Lage, Leistungen von Frauen in "Männerdomänen" problemlos hinzunehmen und anzuerkennen ...

... dieser Onkel also wollte ihr dann unbedingt "etwas Starthilfe für die Karriere" geben und hat - gegen ihren fortgesetzten Protest - all seinen Einfluß im Club geltend gemacht, um Eloïse als neue Sportdirektorin durchzudrücken.
Mit der vorhersehbaren Folge, dass sich die Alphatiere um den vorherigen Sportdirektor, der nunmehr zum Sponsorenakquisebeauftragten weggelobt wurde, mit allen Mitteln dagegen sträuben, sich "von einem Neuling, noch dazu einer Frau!, die Butter vom Brot nehmen zu lassen".
Sagt natürlich keiner offen - das würde ja Probleme mit dem Sponsor bedeuten.
Und Eloïse will erst recht nicht, dass es ihr Onkel erfährt und vielleicht einschreitet, weil das aus ihrer Sicht die Zweifler ja nur bestätigen würde.

Von diesem blödsinnigen Konfliktherd mal abgesehen, hat der Club allerdings auch handfeste Probleme auf und neben dem Platz:
zunächst einmal sportliche Bedeutungslosigkeit, was für einen mehrfachen Meister und Pokalsieger natürlich unerhört ist. Dazu ein Kader, der aktuell ganze siebzehn Spieler umfaßt - die aber fast alle eine Ausstiegsklausel haben und seit Öffnung des Transferfensters heftig umworben werden.
Positiv an dieser Stelle: sowohl Gehalts- als auch Transferbudget (und auch das Vereinskonto) lassen ordentlich Spielraum für eventuelle Ersatzverpflichtungen, die Ausstiegsklauseln sind auch gut genug, dass sie der "Kriegskasse" deutlich weiterhelfen.
Negativ: Eloïse erlebt vornehmlich Berater, die sie über den Tisch zu ziehen versuchen, was die Vertragsverhandlungen sehr unangenehm macht.

Ich höre mir ihre Leidensgeschichte mit wachsendem Ärger (über meine Geschlechtsgenossen) und wachsender Verwunderung an.
Irgendwann halte ich es nicht mehr aus.

"Eloïse, ich muß das jetzt einfach fragen: wieso glauben Sie, dass ausgerechnet ich die Lösung dieses vielschichtigen Problems sein könnte? Gab es da nicht noch bessere Kandidaten?"
Sie nickt und lächelt, ein bißchen traurig irgendwie.
"Bessere nicht, nein - aber es gab einen anderen Kandidaten, der mir empfohlen wurde, ja.
Allerdings hat der Trainer des SC Amiens mir heute abgesagt. Für den saß ich ja überhaupt im Zug gestern..."

"Hmm.... wurde ich dann auch empfohlen oder wie sind Sie auf mich gekommen?"
"Damian Jamro hat derart positiv über Sie gesprochen, dass ich das als Empfehlung gewertet habe."
"Jamro?! Wann haben Sie den denn getroffen?"
"Ach, der ist einfach ein Abgänger mmeiner Universität, einfach nur ein paar Jahre frührer. - Und da die Universität regelmäßig Treffen mit Abgängern
organisiert, die aus der Praxis berichten können und auch dabei helfen, den lehrplan nah an den realen Anforderungen zu halten, war er halt auch mal da. Und er hat regelrecht von der Zusammenarbeit mit Ihnengeschwärmt - Sie seien unbedingt vertrauenswürdig und ein absolutes Vorbild an Loyalität, dazu eine fachliche Koryphäe.... solches Zeug halt. Er war sehr überzeugend und deswegen hab ich danach öfter die Artikel gelesen, die im "Kicker" oder bei "11 Freunde" oder "spielverlagerung" oder auch bei fourfourtwo" und so weiter über Sie veröffentlicht wurden."

"... Ich wußte gar nicht, dass es da so vieles über mich gibt."
"Oh doch!"
"Okay, point taken. Dritte und letzte Frage. Nehmen wir mal an, ich sage zu und übernehme den Trainerposten bei..."
Der Kellner unterbricht mich und stellt einen Teller mit kleinen Baguetteschnittchen (mit verschiedensten Belägen) auf den Tisch.
"...also nehmen wir an, ich werde Trainer bei euch - wie haben Sie sich das denn vorgestellt, wie genau soll ich helfen?"
Jetzt lächelt sie richtig.
"In meiner Idealvorstellung werden Sie Trainer und eine Art stellvertretender Sportdirektor in Personalunion. Das heißt konkret, dass ich Sie gern bei Vertragsverhandlungen dabei hätte, dass Sie mir neben dem Training vielleicht auch noch den einen oder anderen Tip hinsichtlich passender Spieler geben könnten .... ganz allgemein gesagt: dass Sie mir den Rücken nach Möglichkeit freihalten.
Gerard, ich brauche unbedingt einen Verbündeten in diesem Schlamassel, denn alleine schaff ich das nicht.
Erstens, weil ich noch völlig neu und unerfahren bin und diesen Job niemals jetzt schon hätte übernehmen sollen und zweitens, weil eine Handvoll mißgünstiger Typen in diesem Verein nichts lieber sähen, als wenn ich mit Karacho auf die Schn... pardon, Nase falle.
Und diesen Triumph will ich weder denen noch meiner Familie gönnen."

Ich nicke.
"In Ordnung."
"Sie machen es?!"
"Na soll ich Sie etwa mit den Möchtegern-Haien alleine lassen? - Das würde ich mir doch nie verziehen! Ich hab aber zwei Bedingungen."
Sie strahlt.
"Alles was Sie wollen!"
"Vorsicht, Eloïse - wenn junge attraktive Frauen solche Blankoschecks ausstellen, gibt es immer jemanden, der das schamlos ausnutzt."
Ich zwinkere ihr zu.
"Aber mal im Ernst - folgende zwei Bedingungen.
Erstens: ich schicke Ihnen heute noch eine offizielle Aktivbewerbung, weil ich gelesen habe, dass Ihr Trainer gegangen ist und ich Ihren Verein als extrem spannend ansehe und daher gern der neue Übungsleiter werden möchte. Wenn wir das so drehen, starte ich unbelastet im Verein, weil keiner eine Verbindung zwischen uns zieht."

Sie nickt.
"Einverstanden, das klingt clever. Und zweitens?"
"Zweitens möchte ich - innerhalb eines von Ihnen vorzugebenden Budgets - freie Hand für meinen Trainerstab. Wenn ich Ihnen bei Ihrer Arbeit unter die Arme greifen soll, brauche ich im Gegenzug Leute, die mir bei meiner Arbeit bestmögliche Unterstützung bieten können."
"Das klingt fair. Einverstanden."
"Sehr gut, dann schicke ich Ihnen heute noch die Bewerbung. Und sobald ich Ihre Zusage habe, sage ich allen anderen Bewerbern ab."


Zwei Tage später erscheint der von vielen Experten als großes Talent angesehene Luxemburger Gerard Lavayeux zum Vorstellungsgespräch bei einem der ältesten Vereine Kontinentaleuropas, überzeugt die Sportdirektorin Eloïse Mertens durch seine klare Analyse der Situation und seinen ebenso klaren Plan für das Team und am Mittag des gleichen Tages läuft in den Sportredaktionen, die Neuigkeit über den Ticker, dass Gerard Lavayeux nach seinem Aus bei Rot-Weiss Essen binnen kurzer Zeit einen neuen Verein gefunden hat - und dabei die Karriereleiter nicht allzu überraschend mindestens eine, wenn nicht gar zwei Sprossen hinaufgefallen ist.

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« Letzte Änderung: 19.Mai 2025, 20:59:48 von Noergelgnom »
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Ex-Achtelprofi


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Sonzee87

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Ohhh spannende Station. Belgien ist eine sehr coole und interessante Liga, mit der Teilung in die Meisterrunde die Abstiegsrunde oder wie auch immer die heißt. Und der Club ist auch echt cool. Da bin ich jetzt echt gespannt wie es weiter geht, ich glaube da wird was richtig unterhaltsames draus. Und der Sprung von der zweiten Deutschen in die erste Belgische ist jetzt auch nicht so abwegig.
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Olé, olé, Olé, ola, der FCK ist wieder da,

Olé, olé, Olé, ola, die roten Teufel sind ganz wunderbar

Elemotion

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Interessante Station mit sehr viel Freiräumen, mal sehen was der Luxemburger im Nachbarland anstellt
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Karagounis

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Ein grosser Sprung, und ein sehr spannender Verein. Viel Erfolg!
« Letzte Änderung: 27.Mai 2025, 22:50:37 von Karagounis »
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FlutLicht1900

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Dann mal Belgien.
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Ledwon

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Royal Antwerp! Cooler und sehr spannender Verein. Hätte Bilbao dennoch sehr spannend gefunden, trotz Kohle. Muss man ja nicht nutzen  ;)
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Muffi

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Eine sehr schöne Überleitung zum neuen Verein. Und bei Eloise als Vorgesetzter konnte man ja auch schlecht nein sagen. Ich bin gespannt, auch wenn mir in Belgien Standard und Lierse SK sympathischer sind. Wie steht Lierse denn zurzeit? Haben sie den Aufstieg geschafft?
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Noergelgnom

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Mein zweiter Arbeitstag.
Die erste Rundtour durch die Gefilde meines neuen Vereins fühlt sich ein bißchen wie eine Tour de Force an.
Wir hetzen durch Gänge, ich schüttele Hände, wir winken Angestellten zu, flitzen über die beiden fertiggestellten Tribünen des "Baustelle!" schreienden altehrwürdigen Bosuil-Stadions....
Allzuviel bleibt zugegebenermaßen nicht hängen - nur das Gefühl, dass hier alles noch ein bißchen größer, besser, imposanter und traditionsbewußter ist als zum Beispiel in Essen.

Oh und natürlich das Quadrumvirat.
Die garnichtmalsoGlorreichen Vier.
Der Bund der Alphas.
Oder ganz profan: die vier starken Männer im Verein.

Eloïse hat sie mir im Vorfeld bereits kurz beschrieben und charakterisiert, so dass ich nicht gänzlich unvorbereitet in die "Vorstandsbegrüßung" gehe, wie das skeptische Beschnuppern des Neuen (vulgo: mir) genannt wird.

Zuerst natürlich Vereinspräsident Christos Petrocheilos, ein 56jähriger dank florierendem Tourismushintergrund ausreichend reicher Grieche mit extravagantem Kleidungs- und Einrichtungsstil, der schon von Weitem daran zu erkennen ist, dass er (von der unvermeidlichen Krawatte und dem Gürtel abgesehen) ausschließlich weiß oder im Ausnahmefalle ein helles Grau als Kleidungsfarben akzeptiert.

Petrocheilos ist seit 2030 im Amt und zeigt nicht die geringste Neigung, selbiges auch nur mittelfristig zu verlassen.
Der Wiki-Artikel zu ihm ist erschreckend dünn für einen Milliardär mit derart ausgeprägtem Geltungsdrang, genausgenommen steht nicht viel mehr drin als sein Geburtsdatum und -ort (Lesbos).

Bei meiner Vorstellungsrunde ist er derjenige, der am nachdrücklichsten den jovialen Typen zu spielen versucht - er wirkt allerdings eher wie ein lauerndes Raubtier und taxiert mich sehr unverhohlen und sehr mißtrauisch, wann immer er glaubt, ich sähe es nicht.



Die Nummer zwei in der Vereinshierarchie ist Finanzdirektor Albert Langevin. Der schlanke Endvierziger gibt sich gelassen und entspannt - macht seinen Standpunkt jedoch irgendwann kurz vor dem Ende des Treffens mit der schlecht als Witz getarnten Halbsatzdrohung "...und bei all Ihren Aktivitäten hab ich natürlich immer ein Auge auf die Finanzen, haha" deutlich.
Langevin ist von Petrocheilos als eine der ersten Amtshandlungen nach dessen Wahl installiert worden und gilt als die rechte Hand des Griechen.



Die Nummer drei ist der Technische Direktor Fabio Signorini, den Petrocheilos vor zwei Jahren aus Palermo losgeeist hat. Der Mittfünfziger mit dem stechenden Blick ist die höchste Instanz in allen Personalfragen des Vereins und somit Eloïses direkter Vorgesetzter. Er gilt als neutraler, objektiver Macher - "ein Bild, das er vortrefflich zu pflegen versteht", wie es in einem italienischen Kommentar einer Lokalzeitung aus Palermo hieß, kurz nachdem er von dort weggelotst worden war.
Und weiter heißt es dort: " 'Objektiv und neutral' kann aber eben auch bedeuten, dass ein Mensch weder vor Freunden noch vor Verwandten halt macht, wenn es 'objektiv' nötig ist..."
Klingt nach einem absoluten Sonnenschein.



Zu guter Letzt wäre da noch Antoine Dubois, der einzige Belgier im Vorstandsrudel. Dubois ist genau der ehemalige Sportdirektor, der für Eloïse weichen mußte und sie lieber gestern als heute scheitern sähe.
Dubois wurde mit dem wohlklingenden und komplett sinnfreien Titel des "director of public relations and global finance aquisition" abgespeist, der in der Realität "Klingenputzen und um Sponsoren betteln" bedeutet, neben der eher offensichtlichen Verantwortung für die Öffentlichkeitsarbeit des Clubs.
Entsprechend gutgelaunt ist der Vorzeigehipster auch, als er mir "Hallo" sagt.



Alles in allem eine Viererbande mit beträchtlichem Potential, Eloïse und mir Steine in den Weg zu werfen, gegebenenfalls auch den einen oder anderen Felsbrocken.

Bevor ich mir darüber jedoch allzuviele Gedanken machen kann, steht erstmal noch ein weiterer, vielleicht sogar noch wichtigerer Termin an:




Eigentlich dachte ich ja, dass ich inzwischen ganz ordentlich Routine mit Pressekonferenzen habe - aber Royal Antwerpen zieht nochmal ein anderes Level an Aufmerksamkeit auf sich als alles, was ich in Tschechien und im Ruhrgebiet erlebt habe.
Die Antrittspressekonferenz ist derartig gut besucht, dass der Verein sogar eine zusätzliche Stuhlreihe aufstellen lassen muß.
Auch aus den Nachbarländern sind Reporter angereist - aus meiner Heimat Luxemburg gleich zwei! Und als Krönung des Ganzen ist sogar ein Vertreter des deutschen "Kicker" anwesend. Unfaßbar.
Ich hoffe, ich kann hier einen guten Eindruck machen!
Als ich zusammen mit Eloïse aufs Podium trete und mich setze, bin ich jedenfals heilfroh, dass René (unser Pressesprecher) mich heute morgen schon ein bißchen "eingenordet" und mir ein paar Tips bezüglich verschiedener "Stammgäste" gegeben hat.

"Sie müssen vor allem aufpassen, sich nicht von den beiden 'Furien' in eine Falle locken zu lassen. Die drehen Ihnen mit Vergnügen das Wort im Munde herum."
" 'Furien?' "
"Ja, Floris Meyssen von den 'Antwerp Football Papers' und Sophia Stevens von 'DH Les Sports'. Für die beiden gibts nur ein Ziel - Klicks. Und um das zu erreichen, werden sie mit Vergnügen 'Skandale' und 'Hammer-News' zusammenfabulieren. Allerdings, das muß der Neid ihnen lassen, hangeln sie sich dabei immer derart haarscharf an der Wahrheit entlang, dass ihre Artikel sowohl gern gelesen als auch von anderen Journalisten mitunter als Grundlage genutzt werden. Das heißt übrigens auch, dass diese beiden maßgeblichen Einfluß auf die öffentliche Meinung über den Club und seine Protagonisten haben. Wenn ich Ihnen jetzt noch sage, dass beide Damen auch ausgezeichnete Kontakte in unsere Vorstandsetage haben ... lassen Sie es mich so sagen: wenn auch nur eine der beiden den Daumen senkt, sind Sie hier innerhalb einer Stunde Geschichte. Sehen Sie sich also vor."


Floris Meyssen



Sophie Stevens


Dann senkt er die Stimme, linst nach links und rechts und flüstert mir zu:
"Die gleiche Vorsicht empfehle ich Ihnen bei Ihrer täglichen Arbeit. Nicht jeder, der Sie hier freundlich anlächelt, meint es gut mit Ihnen."
Sprichts und lächelt mich an...

Die Pressekonferenz beginnt mit einigen einleitenden Worten von René, der sowohl die anwesende zweibeinige Presselandschaft als auch seine immer noch relativ neue Sportdirektorin und den komplett neuen Trainer begrüßt.
Dann nickt er Eloïse zu, die nickt zurück und wendet sich nun ihrerseits an die mittelgroße Menschenmenge vor ihr.

"Ja, dann auch von mir natürlich Herzlich Willkommen zu dieser außerordentlichen Pressekonferenz unseres Vereins. Und ich möchte ohne große Vorrede sofort zum Grund dieser Veranstaltung kommen:
Wir freuen uns wirklich außerordentlich, dass wir Ihnen heute unseren neuen Cheftrainer vorstellen können.
Gerard Lavayeux hat sich in der zurückliegenden Dekade einen guten Ruf erarbeitet, der natürlich vor allem auf den beiden extrem erfolgreichen Episoden in Prag und Essen fußt.
Er gilt als akribischer Trainer, der seine Spieler auf vielerlei Weise besser macht: individualtaktisch, mannschaftstaktisch, athletisch und mental.
In unseren Gesprächen wurde sehr schnell klar, dass Herr Lavayeux voller Begeisterung und Vorfreude für diese Aufgabe steckt und dass er Royal Antwerpen ganz sicher nicht als Sprungbrett betrachtet.
Seine Verpflichtung wird uns - davon sind wir überzeugt - dabei helfen, Royal Antwerp wieder zu altem Glanz zu verhelfen."


René wartet kurz - und als er feststellt, dass diese kurze Vorstellung alles ist, was seine Sportdirektorin zu sagen hat, nickt er der Besitzerin eines der emporschnellenden Arme zu.

(Floris Meyssen) "Floris Meyssen, Antwerp Football Papers. Herr Lavayeux, zunächst auch von mir ein Herzliches Willkommen bei Royal Antwerpen. - Als erstes würde ich gern wissen, wie Sie auf die Idee gekommen sind, sich hier zu bewerben ... meine Informationen sind doch korrekt und dies IST eine Aktivbewerbung gewesen, oder?"

(Gerard Lavayeux) "Da haben Sie recht, Frau Meyssen, ich habe mich aktiv beworben. Und der Grund ist ganz einfach: ich verfolge den Verein zumindest mit einem Auge bereits seit langer Zeit und wollte die unvermutet auftauchende Gelegenheit beim Schopfe packen. Sehen Sie, ich komme aus Luxemburg. Und bei uns sind die großen Vereine der vier großen Fussballnationen, die unser kleines Land umgeben, sehr beliebt.
Gerade Royal Antwerpen als ältester belgischer Verein ist wahrscheinlich jedem Luxemburger, der auch nur das Geringste für Fussball übrig hat, ein Begriff. Und zwar einer, der mit großem Respekt ausgesprochen wird. Die Geschichte dieses Clubs ist einzigartig.

Als ich las, dass mein Vorgänger von einem Tag auf den anderen nach Marseille entschwunden war, musste ich mich einfach bewerben. Es nicht zu tun, hätte ich mir nicht verziehen."


(Sophie Stevens) "Sophie Stevens, DH Les Sports. - Herr Lavayeux, Sie haben bisher in der zweiten schweizer Liga, der ersten tschechischen Liga und zuletzt der zweiten deutschen Liga gearbeitet. Fürchten Sie nicht, dass Royal Antwerpen, ganz platt gesagt, eine Nummer zu groß für Sie sein könnte?"

(Gerard Lavayeux) "Wenn ich die Option des Scheiterns nicht mitbetrachten würde, wäre ich ein Phantast. Also ja: natürlich kann es sein, dass ich hier nicht so erfolgreich bin wie in meinen bisherigen Vereinen. Aber ich habe andererseits genug Vertrauen in mich und vor allem in die Mannschaft und die Mitarbeiter hier, dass ich mich voller Optimismus dieser Aufgabe stelle. Im Endeffekt läuft es doch in jeder Liga, in jedem Land auf die gleiche Grundfrage hinaus: schafft es der Trainerstab, die Mannschaft so ein- und aufzustellen, dass sie den Herausforderungen der jeweiligen Liga gewachsen ist und ihre Ziele erreichen kann? Wir werden es sehen - und ich bin sehr zuversichtlich, dass die Antwort auf diese Frage für mich und Royal Antwerpen 'ja' lauten wird."

(Denzel Jarstein) "Denzel Jarstein, Antwerp News. Sie sprachen gerade die Mannschaft an - inwieweit kann man dieses Wort denn überhaupt schon in den Mund nehmen? Zur Zeit handelt es sich doch eher um ein Rumpfteam, oder? Können Sie schon etwas zu eventuellen Zugängen sagen? Und werden Sie auch Spielern aus der Jugend eine Chance geben?"

(Gerard Lavayeux) "Das einzige, was ich definitiv sagen kann, ist: wir werden auf jeden Fall noch einige Zugänge benötigen, quer durch alle Mannschaftsteile ist der Kader noch nicht auf dem Niveau, das wir brauchen. Die einzige Ausnahme davon würde ich eventuell im Sturm sehen, dort sind wir wirklich herausragend aufgestellt, sofern ich das nach dem gestrigen Ersteindruck überhaupt schon einschätzen kann.
Also nochmal ein klares JA, es wird Zugänge geben, erwarten Sie Bewegung im Kader.
Zu den Jugendspielern - ich hatte leider noch nicht die Gelegenheit, bei den Jugendmannschaften vorbeizuschauen, kann Ihnen aber versichern, dass der Nachwuchs bei mir immer einen großen Stellenwert genießt, das wird hier in Antwerpen genauso sein."



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(Sophie Stevens) "Sie sagten eben 'quer durch alle Mannschaftsteile'. heißt das, dass sich auch Stammkeeper Krumrey auf neue Konkurrenz gefaßt machen muß?"

(Gerard Lavayeux) "Stand jetzt haben wir zwei Keeper im Kader, wenn ich das recht mitgezählt habe - und die Ligaregularien verlangen die Registrierung von drei Keepern. Schon allein aus diesem Grund lautet die Antwort auf Ihre Frage 'Ja'. "


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(Theo Verhaegen) "Theo Verhaegen, Brussels Extra. Herr Lavayeux, was glauben Sie, wo Sie mit der Mannschaft in dieser Saison landen können?"

(Gerard Lavayeux) "Es ist schwierig, diese Frage zu diesem Zeitpunkt zu beantworten, weil ich im Moment die Hälfte des Kaders ja noch gar nicht kenne und auch nicht weiß, ob wir eventuell noch Abgänge haben. Das vorhandene Kernteam sollte aus meiner Sicht aber allemal stark genug sein, um nicht wieder im Niemandsland der Tabelle zu landen. Ich lehne mich mal ein bißchen aus dem Fenster und sage: wenn wir die aktuellen Spieler halten und einige gute Zugänge verpflichten können, sollte ein Platz in der oberen Tabellenhälfte allemal drin sein. Jede präzisere Prognose wäre zu diesem Zeitpunkt Kaffeesatzleserei, daran möchte ich mich nicht beteiligen. Sie sind allerdings herzlich eingeladen, mir bei der ersten Pressekonferenz nach Schließung des Transferfensters diese Frage erneut zu stellen. Ich verspreche Ihnen, dann etwas ausführlicher darauf zu antworten."

(Verhaegen lächelt, nickt und notiert sich etwas)


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(Floris Meyssen) "Herr Lavayeux, was sagen Sie eigentlich zu den angeblichen Querelen innerhalb der Führungsriege des Vereins?"

(kurzes Getuschel unter den Journalisten)

(Gerard Lavayeux) "Dazu kann ich nichts sagen, da ich bisher nichts entsprechendes gehört habe."

"Floris Meyssen) "Nun, die gewöhnlich gut informierten Kreise behaupten, dass die auf Drängen des Hauptsponsors erfolgte Versetzung des bisherigen Sportdirektors Antoine Dubois intern für deutliche Verstimmung gesorgt habe."

(weiteres Getuschel)

(Gerard Lavayeux) "Ich denke, die Frage nach Herrn Dubois' Stimmung sollten Sie am besten Herrn Dubois persönlich stellen. Ich kann dazu, so leid mir das tut, wirklich absolut nichts sagen."

(Floris Meyssen) "Und wie steht es mit Ihnen, Frau Mertens?"

(Eloïse Mertens) "Kein Kommentar."

(kurzes Raunen)

(Sophie Stevens) "Letzte Frage, Herr Lavayeux: Sie gelten mit Ihrer oft emotionalen, aber mitunter auch kumpelhaften Art als Menschenfänger. Was sagen Sie zu dem wenig schmeichelhaften Titel 'Westentaschen-Klopp', den Ihnen die BALD verliehen hat?"

(Gerard Lavayeux) "Westentasche oder nicht - mit Jürgen Klopp verglichen zu werden, ist eine absolute Ehre. Ich finde nicht, ihm in meiner Art allzusehr zu ähneln, fände es aber auch völlig in Ordnung, wenn es doch so wäre."



Die beiden Pressegrazien sind - soviel steht schon nach der ersten Konferenz fest - beunruhigend gut informiert.
Und gerissen bis hinterhältig - denn wie sich herausstellt, hat die BALD mich keineswegs als "Westentaschen-Klopp" bezeichnet, aber genau dieser Begriff taucht wie selbstverständlich auf den Titelseiten auf.
Nuja, hab ich eben einen neuen Spitznamen.

Dass sie auch gleich noch öffentlich Unruhe in den Verein gebracht haben, indem sie - erneut erstaunlich gut unterrichtet - über die Unruhe im Verein berichten, ist dann Boulevard vom Feinsten, leider.

Kann ich mich im Moment allerdings nicht wirklich drüber aufregen, wir haben Wichtigeres zu tun.
Das Transferbudget ist mit mehr als 2,5 Millionen im Minus und daher sind wir auf dem Transfermarkt ein bißchen eingeschränkt - auch
wenn die gut 2 Millionen, die im Gehaltsbudget noch frei sind, natürlich einen guten Handlungsspielraum für eventuelle ablösefreie Transfers bieten.

Die Aufgabe ist jedenfalls gigantisch.
Wir haben noch vier Wochen bis zum ersten Spiel und Stand jetzt sind wir mangels Kadertiefe kaum konkurrenzfähig.

« Letzte Änderung: 27.Mai 2025, 21:14:51 von Noergelgnom »
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“Goodness is about what you do.
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FlutLicht1900

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Was kommt mir den da so bekannt vor?  :police: :D
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4Ramos

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Geiles Interview, super Bild, tolle Aufmachung wie immer. Bin gespannt was du in Belgien reißen kannst, aber ich glaube an den maximalen Erfolg!
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Karagounis

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Grafisch wird das ja hier im Forum echt nice! Richtig tolle Bilder, ganz nach FlutLicht1900 ;) Talent scheint da zu sein, aber ob das sofort hinhaut? Das wird eine Challenge!

knufschu

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Nur hübsche, royal anmutende Menschen, da bei Antwerpen, der Stadt der Diamanten.

Von eben jenen Fußballdiamanten wird Lava bestimmt einige zu Tage fördern. Bin gespannt!
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