Von Pago Pago nach ButaritariIch erinnere mich noch genau an diesen heißen Nachmittag in
Pago Pago. Wir standen auf dem staubigen Platz, die Sonne brannte auf unsere Köpfe, und
Harry Fischer – ja, DER
Harry Fischer – schoss gerade den Ball so weit ins Gebüsch, dass wir fast einen Suchtrupp losschicken mussten. Sommer 2022, Maturareise. Wir waren jung, frei und überzeugt, dass das Leben uns bald in die großen Stadien führen würde. Nun ja,
Harry hat es tatsächlich geschafft – irgendwie. Ich verfolgte seine verrückte Geschichte in
Amerikanisch-Samoa wie andere Leute Netflix-Serien. Trainer der
Black Roses, Interviews im lokalen Radio, Fotos mit Kokosnüssen. Der Typ lebte den Traum, während ich in
Bern zwischen Uni-Broschüren und Nebenjobs festhing.
Und dann kam dieser Gedanke:
„Wenn Harry das kann, kann ich das auch – aber noch exotischer!“ Ich wollte meine eigene Geschichte schreiben. Nicht in der
Super League, klar, aber irgendwo, wo die Leute noch barfuß spielen und der Schiedsrichter gleichzeitig Bürgermeister ist. Also setzte ich mich hin, öffnete meinen Laptop und begann, Bewerbungen zu verschicken. Ozeanien, Südsee, Inseln, die ich vorher nur aus Kreuzworträtseln kannte. Ich schrieb Mails an Vereine, deren Namen klangen wie Cocktailrezepte: „Bula FC“, „Tiki Warriors“, „Lagoon United“. Wochenlang keine Antwort. Dann, eines Morgens, ploppte eine Nachricht in meinem Postfach auf: „Welcome to
Butaritari FC –
Kiribati Islands.“
Ich musste erst mal googeln, wo das überhaupt ist. Ergebnis: Ein winziger Fleck im Pazifik, so weit weg, dass selbst Google Maps kurz gestottert hat. Aber hey, genau das wollte ich! Abenteuer, Fußball, Geschichten fürs Leben. Ich packte meine Sachen – ein paar Trikots, Sonnencreme und die Hoffnung, dass es dort WLAN gibt – und buchte den Flug. Von
Bern nach
Zürich,
Zürich nach
Tokio,
Tokio nach
Tarawa, und dann noch ein Boot nach
Butaritari. Ich schwöre, ich war länger unterwegs als die Postkarte, die ich meiner Mutter geschickt habe.
„Ich bin weiter weg als Harry – und wahrscheinlich auch weiter weg vom WLAN.“Dieser Gedanke kam mir, als ich auf dem Boot saß, umgeben von Kokosnüssen und einem Hahn, der mich die ganze Zeit anstarrte. Ich war müde, verschwitzt und fragte mich, ob ich gerade die dümmste oder die genialste Entscheidung meines Lebens getroffen hatte. Spoiler: Der Hahn hat gewonnen. Er hat mich die ganze Fahrt über angestarrt, als wollte er sagen:
„Du bist hier nicht der Chef, Freundchen.“Als ich ankam, war alles wie aus einem Traum: türkisblaues Wasser, Palmen, Häuser auf Stelzen. Und dann der Fußballplatz. Naja, „Platz“ ist großzügig gesagt. Ein Stück Wiese, halb Sand, halb Gras, mit zwei Toren, die aussahen, als hätten sie schon den Zweiten Weltkrieg überlebt. Aber die Jungs? Voller Energie, voller Leidenschaft. Sie spielten barfuß, lachten, riefen sich Dinge zu, die ich nicht verstand. Und ich? Ich stand da, der neue Trainer, 20 Jahre alt, aus
Bern, und fragte mich:
„Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?“Doch bevor ich den Platz genauer inspizieren konnte, hörte ich eine Stimme:
„Jan! Welcome to Butaritari! Swiss tactics meet coconuts!“ Ich drehte mich um und sah ihn:
Brendan McMahon, der Präsident des Vereins. Strohhut, breites Grinsen, und eine Aura, als hätte er gerade einen Werbespot für Kokosmilch gedreht. Er schüttelte meine Hand so fest, dass ich kurz dachte, er will mir die Knochen brechen.
„Danke… ich freue mich, hier zu sein.“ „Good! You live like us now. Simple life, big heart. Come!“Meine Unterkunft? Eine kleine Hütte, direkt am Strand. Moskitonetz über dem Bett, Eimerdusche, kein Strom nach 22 Uhr. WLAN?
Vergiss es. Das einzige Netz hier sind die Fischernetze.
Das erste Abendessen:
Palu Sami – Fisch in Kokosmilch, eingewickelt in Bananenblätter. Ich kaute vorsichtig und dachte:
„Okay, das ist besser als erwartet.“Die Leute? Freundlich, herzlich, aber ich verstand kaum ein Wort. „Mauri“ heißt Hallo, „Ko raba“ heißt Danke. Ich übte fleißig, aber meine Aussprache klang vermutlich wie ein betrunkener Papagei.
Und dann kam der erste Kulturschock: Ich wollte höflich sein und fragte, ob ich helfen kann. Antwort:
„Ja, hol die Kokosnuss vom Baum.“ Ich stand da, sah den Baum an und dachte:
„Ich bin 1,80 groß, aber das Ding ist 10 Meter hoch. Wie soll ich da rauf? Mit einem Schweizer Taschenmesser?“Am nächsten Morgen führte mich
Brendan zum Platz. Ich war bereit, meine erste Trainingseinheit zu planen – bis ich sah, womit ich arbeiten musste. Halb Sand, halb Gras, Torpfosten aus Holz, keine Linien, keine Netze. Die Spieler kamen lachend, einige barfuß, andere in Flip-Flops. Einer trug ein Trikot von
Real Madrid, das vermutlich älter war als ich.
„Wie soll ich hier eine taktische Revolution starten?“ Ich starrte auf den Platz, während
Brendan sich zu mir beugte und flüsterte:
„Tomorrow, Jan… you will see why we chose you.“