Zu deiner letzten Überlegung kann ich aus eigener Beobachtung (und Meinung) etwas sagen: zwischen dem, was Harry Kane derzeit spielt und dem, was er in den letzten beiden Saisons gespielt hat, liegt nochmal ein klarer Leistungssprung zugunsten der aktuellen Saison. Damit meine ich nicht die Torausbeute, obwohl die sich auch etwas verbessert haben dürfte, sondern seine allgemeine Fähigkeit, das Spiel an sich zu reißen und praktisch in jeder Situation Herr der Lage zu sein. Den tiefen Ballverteiler hat er situativ zwar auch schon vorher gegeben, aber nicht mit dieser Selbstverständlichkeit und Zuverlässigkeit. Er ist als mitspielender Stürmer nicht nur ins Kombinationsspiel mit eingebunden, sondern diktiert es streckenweise und leitet viele Szenen selbst ein. Und trotzdem steht er auf irgendeine magische Weise ebenso am Ende der Kette und vollendet den Angriff. Von seiner unermüdlichen Defensivarbeit habe ich da noch gar nicht gesprochen. Rein subjektiv scheint mir das ebenfalls in dieser Saison nochmal deutlich mehr geworden zu sein. In Ballbesitzphasen des Gegners dauert es meist nur wenige Sekunden, bis sich die gesamte Bayernmannschaft hinter den Ball zurück gezogen hat, Kane ist dabei selten der Letzte, sondern unterstützt mit seinen Defensivläufen unaufhörlich.
Er hat selbst davon gesprochen, dass ihn der erste Titel seiner Karriere dazu motiviert hat, noch härter zu arbeiten und noch eine Schippe drauf zu legen. Ich finde, das merkt man sehr deutlich. Da spielt sicherlich auch mit rein, dass der gesamte Bayernkader derzeit deutlich über dem performt, was in den letzten beiden Saisons gezeigt wurde, wovon auch Kane profitiert, aber das bedingt sich gegenseitig und ist daher vielleicht ein Stück weit eine Henne-Ei-Frage.
Als Robert Lewandowski zu Bayern kam, habe ich prophezeit, dass das einer ist, dem ich den 40 Tore-Rekord zutraue. Er hat geliefert und war weiß Gott kein schlechter da vorne drin. Trotzdem würde ich den momentanen Harry Kane nicht gegen den 41-Tore Lewandowski von 20/21 eintauschen. Wenn Kane so weiter macht, pulverisiert er diesen Rekord und tut das mit mehr gelaufenen Kilometern, mehr gespielten Pässen und mehr bestrittenen Zweikämpfen als Lewandowski damals. Das ist absolut irre und die stärkste Leistung, die ich in 25 Jahren von einem Stürmer bei Bayern gesehen habe. Möglich, dass es ihm in der Premier League etwas schwerer fallen würde, aber nicht so signifikant, dass es sich allein damit erklären lässt. Ist aber nur Spekulation, denn den aktuellen Harry Kane hat die Premier League nie zu Gesicht bekommen. Wie gesagt, ich war bis zum Beginn dieser Saison kein hundertprozentiger Befürworter des Kane-Transfers. Die unbestreitbaren Gründe, das zu revidieren, hat Kane mir erst in dieser Spielzeit geliefert.