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Autor Thema: Monkey Hill Blues  (Gelesen 20418 mal)

Signor Rossi

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #60 am: 21.August 2025, 08:10:34 »

Spezialzigaretten soll es da ja auch geben O0
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steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #61 am: 22.August 2025, 23:47:25 »

Kapitel 1.8 – Das Pokalfinale






Der Morgen des Finaltages roch nach mehr – nach Erwartung, die in der Luft hing.
Kein Wind regte sich.
Nur dieses flirrende, stehende Glühen, das die Haut brennen ließ.




Ich saß auf der Terrasse, die Tasse in beiden Händen wie einen Talisman, und starrte auf den Kalender an der Wand.
Meine Mutter kam hinaus, barfuß, in ihrem leichten Hauskleid.
Sie legte mir eine Hand auf die Schulter.

„Mach dir keinen Kopf“, sagte sie. „Es ist nur ein Spiel.“

Nur ein Spiel.
Über 2000 Leute würden im Warner Park sein.

Über 2000.


In einer Liga, in der man sonst froh war, wenn mal hundert Zuschauer kamen, war das eine Völkerwanderung.
St. Paul’s United, der dreifache Titelverteidiger, stellte sich uns in den Weg.
Und wir? Wir wollten die Geschichte neu schreiben.

Der Vormittag zog sich wie Kaugummi.
Ich stand auf, setzte mich wieder, ging ins Wohnzimmer, schlug eine Zeitung auf, las eine halbe Überschrift – und fand mich schon wieder über der Aufstellung brüten.
Roberts oder Williams auf rechts? Heute vielleicht nur mit einem Stürmer?
Ich legte die Zeitung weg und trat ans Fenster. Nichts als Sonne.

Ich versuchte, mich abzulenken: ein bisschen Hausarbeit, Geschirr in die Spüle, Wäsche aufgehängt.
Aber selbst die flatternden Hemden erinnerten mich an die Trikots, die am Abend im Warner Park auflaufen würden.

Jazza rief kurz an. Keine großen Worte, kein Taktikgespräch.

„Ich habe für heute die doppelte Menge Wasser besorgt. Die Hitze killt uns sonst.“


Ich musste lachen, auch wenn es trocken klang.
Er dachte wohl, er könnte die Kosten von mir erstattet bekommen – ich verwies ihn an Bradshaw, der war ja auch für den Rest der Finanzen zuständig.

Gegen Mittag versuchte ich zu essen: ein Teller Reis, ein bisschen Gemüse.
Der Appetit war weg.
Zwei Bissen, dann schob ich den Teller von mir.
Der Bauch war voll mit Knoten, flatternden Schmetterlingen und allem anderen außer Hunger.
Der Kopf spielte alle möglichen Szenarien durch: frühes Gegentor, schnelle Führung, rote Karte, Elfmeterschießen.

Die Stunden danach klebten wie Honig am Tag.
13 Uhr.
Ich legte mich aufs Bett, Augen zu.
Für ein paar Minuten dachte ich, ich könnte schlafen.
Aber hinter den Lidern lief das Spiel schon: Flanken, Standards, Jubel, Pfiffe.
Ich stand wieder auf, lief durchs Zimmer, griff nach der Notizmappe, blätterte Aufstellung und Gegnerberichte durch – obwohl ich sie längst hunderte Male durchgegangen war.

Irgendwann wanderte ich zurück auf die Terrasse.
Die erste Schachtel Zigaretten hatte ich nun schon durchgebracht.
Der Himmel stand weißglühend über den Hügeln, selbst die Palmenblätter wirkten schlaff und müde.
Ich zog an der letzten Zigarette aus der Schachtel, die nur noch mäßig schmeckte und versuchte, die Gedanken zu bündeln.
Es war nur ein Spiel, hatte meine Mutter gesagt.
Aber mein Herz pochte, als hinge die Welt daran.

Um kurz nach fünf packte ich meine Tasche: Mappe, Stift, Wasserflasche. Schuhe geputzt, Hemd glattgestrichen.
Fast wie bei einer Beerdigung, dachte ich kurz – nur dass heute kein Mensch sterben sollte, sondern vielleicht ein Mythos namens St. Paul’s United.
Oder wir kamen um bei dem Versuch.

Draußen tuckerten schon die ersten Autos, Spieler, die eintrafen – einer nach dem anderen.
Bertie mit Kopfhörern, den Blick nach innen gerichtet.
Nelson, nervös lächelnd, als wäre es ein Pflichttermin wie Zahnarzt.
Goodridge, gelassen wie immer, mit einem kleinen Plastikbeutel in der Hand, der sicher nichts anderes enthielt als Deo und Shampoo.

Der Warner Park empfing die Zuschauer wie ein aufgeheizter Backofen.
Schon von weitem sah man die Menschen: Schlange stehend, schwitzend, aber euphorisch.
Kleine Kinder mit Fahnen, Männer mit Bier in Plastikbechern oder Trommeln.
Ein ganzes Dorf, das zum ersten Mal seit Jahren wieder Hoffnung in der Luft schmecken konnte.

Es waren ungefähr gleich viele Fans für beide Teams.
Die einen (1008) in rot-schwarz für St. Paul’s Utd, die anderen (1012) in weiß-grün für die Cayon Rockets.
Auch wenn es eine gewisse Rivalität gab, herrschte kein böses Blut unter den Fans – schließlich mussten sich alle die eine Tribüne teilen.

In der Kabine hätte man hören können, wie eine Stecknadel fällt.
Keiner der Spieler sagte etwas, die Anspannung war bei allen sichtbar.
Es war nicht nur das Pokalfinale – es war auch der erste ernstzunehmende Gegner in dieser Saison.
Selbst in den vorherigen Runden des Pokals hatten wir Losglück und mussten nur gegen schwächere Teams antreten.
Die anderen Favoriten warfen sich gegenseitig raus.
So standen wir letztlich ohne große Gegenwehr im ersehnten Finale.

Eine große Ansprache brauchten Jazza und ich uns nicht einfallen zu lassen.
Alle wussten, worum es in diesem Spiel ging – und was ein Sieg für den Verein bedeuten würde.
Nach der Schmach der letzten Saison, nach dem Gang in die zweite Liga, könnten wir diesmal nicht nur direkt zurückkehren, sondern gleich auch noch den Pokal gewinnen.
Es wäre ein Ausrufezeichen, ein Signal an die anderen Teams, dass mit uns wieder zu rechnen ist.
Auch in der nächsten Saison.

Ich ermutigte die Spieler, sich zu konzentrieren, sich von Anfang an reinzuhängen und so zu spielen, wie wir es die ganze Saison getan hatten.
Es wäre großartig, wenn wir den Pott holen könnten.
Aber die Welt würde auch nicht untergehen, falls wir es nicht schaffen sollten.
Die Ansprache erzielte offenbar den gewünschten Effekt: ausnahmslos alle Spieler wirkten entspannter, glücklicher, zufriedener.

Nachdem der Schiedsrichter uns seine Bereitschaft signalisiert hatte, betraten wir den Gang hinaus aufs Spielfeld.
Das dumpfe Dröhnen der Trommeln, das Stampfen auf der Tribüne und die Gesänge der Fans schlugen uns entgegen.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Mit dem Auflaufen auf das Feld gab der Stadionsprecher die Aufstellungen durch.
Die Fanlager jubelten stets bei den eigenen Spielern, pfiffen und buhten bei den gegnerischen.

Unsere Aufstellung:


– Im Tor: Kendale Somersall
– Innenverteidigung: Dihjorn Simmons und Clyde Mitcham
– Rechts verteidigte: Malique Roberts, links: Kezandre Buchanan
– Mittelfeld: links Leon Morimoto, rechts Gregory Goodridge, im Zentrum Jayan Duncan und Mervin Lewis
– Angriff: Vinceroy Nelson und Tormaschine Carlos Bertie

Der Leiter der Partie: Kimball Ward.
In dieser Saison hatte er bereits 45 Spiele gepfiffen: eine rote Karte und 123 gelbe verteilt.

Nachdem sich die Spieler im Anstoßkreis aufgereiht hatten, wurden noch ein paar Sponsoren verlesen – diese hatten sich die Nennung natürlich erkauft – und als letzter Akt wurde die Nationalhymne gespielt.

Dann war es endlich soweit.
Bei nun windigen, 35 Grad wurde das Spiel mit etwas Verspätung um 19:08 Uhr angepfiffen.


Nach knapp drei Minuten gab es Abstoß für St. Paul’s.
Keeper Francis brachte den Ball ins Spiel – völlig unplatziert, direkt in unsere Reihen.
Kezandre Buchanan nahm die Kugel an, startete über links, setzte sich schön durch und flankte...

...auf Bertie.

Und da war das 1:0!

Vierte Minute.

Eine butterweiche Flanke von Buchanan, und Bertie netzte frei ein – sein 36. Saisontor.

Buchanan
hatte sich gegen J. Leader durchgesetzt und den Ball fast von der Seitenlinie, hoch in den Strafraum geschlagen.
Bertie, Arm erhoben zum Zeichen, dass er ihn haben wollte, stieg hoch, setzte sich gegen den einzigen Verteidiger in seiner Nähe durch – und nickte ein.

Das ging viel zu einfach.
Offenbar war St. Paul noch gar nicht im Spiel.
Vielleicht eingeschüchtert von der Kulisse, vielleicht hatten sie uns unterschätzt.
Jedenfalls bestrafte Bertie sie sofort – und jubelte in gewohnter Manier.

Direkt nach Wiederanpfiff spielte St. Paul die Szene fast haargenau nach.
Über links, Flanke aus dem Halbfeld – diesmal kam J. Leader zum Kopfball.

Er machte seinen Fehler beinahe wett, doch der Ball segelte knapp über die Latte.
Ein erster Schreckmoment.

In der achten Minute kassierte Malique Roberts Gelb, nachdem er etwas zu spät in den Zweikampf ging.
Für mich eine lächerlich harte Entscheidung, es war sein allererstes Foul.
Ich machte meiner Meinung lautstark Luft – sofort lief der Schiedsrichter zu unserer Bank und ermahnte mich.

Was für eine Witzfigur, dachte ich nur.

Keine 60 Sekunden später war der Ball wieder bei uns, wieder nach einem gegnerischen Fehlpass.
Eine schöne Passstafette, dann Goodridge am Ball.
Er ließ seinen Gegenspieler aussteigen, stürmte die rechte Außenbahn entlang – kein 53-Jähriger auf dieser Welt läuft so.

Er hatte den Kopf oben, blickte in den Strafraum.
Bertie startete in den freien Raum.

Flache, harte Flanke.

Bertie erläuft sie kurz vor dem Fünfer – direkter Abschluss – und der Keeper schaut nur hinterher.

2:0.

Zehnte Minute.

Wir konnten es kaum glauben.
St. Paul ließ sich auskontern wie ein Zweitliga-Amateurteam.
Jubel auf unserer Bank, frenetische Gesänge von den Rockets-Fans – während auf der anderen Seite nur enttäuschte Gesichter zu sehen waren.

In Minute zwölf dann fast der nächste Nadelstich.
Duncan steckte den Ball perfekt in die Gasse zu Bertie, der alleine auf den Keeper zulief, ihn ausguckte und vorbei schob...

Tooo...

...nein, Pfosten...

Der Ball sprang ins Aus.
Abstoß.

Die 20. Minute: Bertie geht nach einem Kopfballduell zu Boden.
Oh nein. Er bleibt liegen.
St. Pauls Woodridge spielt den Ball fair ins Aus, während bei uns jeder die Luft anhält.
Eigentlich sah es harmlos aus – aber Bertie rührte sich nicht.

Der Schiedsrichter winkte Richtung Bank.
Jazza und ich schauten uns an – dann schnappte er sich den Medizinkoffer und sprintete aufs Feld.
Erst in diesem Moment fiel mir ein: unser Physio liegt krank im Bett.
Ausgerechnet heute!

Zum Glück dauerte es nicht lange.
Jazza half Bertie hoch, der Topscorer stand bald wieder, humpelte kurz und musste einmal raus – aber das Signal war klar: nichts Ernstes, er konnte weitermachen.
Ein Schreck, mehr nicht.

St. Paul bekam weiterhin keinen Zugriff aufs Spiel.
Wir pressten hoch, eroberten die zweiten Bälle und unser Plan ging voll auf.

36. Minute: Morimoto durfte sich zeigen.
Er setzte sich links durch, flankte – hoch und lange in der Luft.

Wieder Bertie, der das Kopfballduell gewann und das Leder aufs Tor nickte...

...diesmal parierte Francis stark.
Erste richtige Aktion des Keepers.

Morimoto schnappte sich direkt den Ball zur anschließenden Ecke.
Aber zu flach hereingegeben.
Der Ball wurde rausgeköpft.

Doch Lewis erlief sich die freiliegende Pille, passte zu Duncan...
...der legte raus zu Buchanan.

Bis zur Grundlinie nahm dieser Fahrt auf und wollte flanken...
...doch seine Hereingabe wurde geblockt.
Wieder nur Einwurf.

Wir blieben dominant, ließen nichts zu.
Unsere Spieler arbeiteten Chancen heraus, während St. Paul nicht mal Entlastung zustande brachte.
Jeder zweite Ball gehörte uns.

Kurz darauf erneut Morimoto, diesmal mit Pass in den Rückraum.
Mervin zog einfach ab – abgefälscht, Ecke.

Auch die verpuffte und St. Paul bolzte den Ball nur noch blind nach vorne.
Kein Plan erkennbar. Keine Kreativität dahinter.

Ihr erster halbwegs gefährlicher Angriff kam erst kurz vor der Pause – natürlich über einen Standard.
Hernandez schlug eine Ecke hinein, doch Simmons köpfte sie raus.
Ein Schussversuch prallte ebenso einfach ab und ging ins aus.
Ecke Nummer zwei, ebenso harmlos.
Aber immerhin wachten die rot-schwarzen Fans nach dem ersten Schock wieder auf und machten etwas Stimmung.

Es blieb bei einem kurzen Aufflackern.
Danach: Gelbe Karten.
Buchanan und Morimoto bei uns, Sargeant bei St. Paul.

Dann pfiff Kimball Ward zur Pause.

Halbzeitstand:
– 2:0
– Ballbesitz: 60:40 für die Rockets
– Schüsse: 8 (5 aufs Tor) zu 2 (0 aufs Tor)
– xG: 1,29 zu 0,18


In der Kabine war die Botschaft klar:

„Jungs, genau so weitermachen. Ich bin zufrieden – mehr geht in einer ersten Hälfte kaum.“

Und die Zahlen gaben mir recht: Wir lagen verdient vorne, kontrollierten Ball wie Gegner und hatten das Spiel fest in der Hand.

In der Pause sorgte eine lokale Band für ein wenig Stimmung, die Verkaufsstände machten Rekordumsätze.
Es roch nach frittiertem Fisch, kaltem Bier und nach Hoffnung, die über den Tribünen waberte.

Es fühlte sich kaum wie fünf Minuten an, da bat Kimball Ward uns erneut auf den Rasen.
Ohne große Umschweife wurde die zweite Halbzeit angepfiffen.

Sie begann mit einer Ecke für uns.

Morimoto brachte den Ball scharf herein, doch Keeper Francis fing ihn sicher ab.
Für einen Moment sah es nach einer Möglichkeit für einen schnellen Konter aus, doch er ließ sich zu viel Zeit und die Gelegenheit verpuffte.
Am Ende drosch er den Ball weit in unsere Hälfte – problemlos per Kopf geklärt.

Kurz darauf kam Roberts an die Kugel und spielte einen Pass nach vorne.
Erst wirkte er ungenau, sprang zwischen den Spielern umher, bis Bertie ihn kontrollierte.
Er tankte sich in den Strafraum...

...doch ein Verteidiger bekam im letzten Moment den Fuß dazwischen.
Abgeblockt.

Im nächsten Moment erlief Morimoto einen langen Ball, wurde aber rustikal abgeräumt.
Ecke.
Diesmal Goodridge.
Seine Hereingabe sollte jedoch keinen Abnehmer finden...

...doch irgendwie landete der Ball über Umwege bei Lewis – der aber zögerte, spielte zurück und plötzlich rollte der Ball über das halbe Feld zurück zu Somersall.

Ich konnte nur die Hände in die Hüften stemmen – frustrierender ging es kaum.

Dann aber eine Ballstafette wie aus dem Lehrbuch: fast jeder war am Ball.
Lewis eröffnete, Bertie legte ab, Wallace versuchte es – doch Francis parierte.

Ecke.
Wieder probierte es Morimoto.
Gefühlvolle Hereingabe…

...Bertie kam ran, traf aber nur den Gegenspieler – erneut Ecke.

Doch auch diese brachte nichts ein.

Die folgenden Minuten verliefen zäh und wurden durch viele Spielunterbrechungen geprägt.
Der Spielfluss war dahin, als hätte jemand Sand ins Getriebe gestreut.

Erst in der 67. Minute kam St. Paul mal gefährlich nach vorne.
Wir hatten eigentlich alles im Griff, doch plötzlich bekam Blanchette den Ball und keiner war bei ihm.
Er konnte ungestört einige Meter machen und flankte von links auf Freeman...

...dessen Kopfball flog zum Glück über die Latte.
Ein Warnschuss – der erste richtige seit langer Zeit.

Ich war ganz und gar nicht erfreut über diese Achtlosigkeit.
Jazza und ich besprachen uns und kamen zu dem Schluss, dass wir frische Kräfte benötigten.

Wir reagierten.

Morimoto (gelb belastet) raus, Wallace rein.
Auch Roberts nahm ich vom Feld, ebenfalls schon verwarnt.
Devontrelle Williams kam als frische Kraft auf rechts.

Die Zeit lief langsam und qualvoll herunter, doch bisher verteidigten wir gut...

...in der 73. Minute baute St. Paul das Spiel von hinten auf.
Casco mit einem langen Ball auf Steven Rua

...der nahm den Ball sauber an, rauschte am neuen Mann Williams vorbei wie ein Schnellzug an einem Bahnhof ohne Halt...

Über rechts schlug er eine scharfe Flanke in den Strafraum...

...Kapitän Freeman stieg hoch – Kopfball...

..."TOOOOR!" hörte ich es durchs Stadion schallen.

Somersall ohne Chance.


2:1, der Anschlusstreffer.
Es waren noch fünfzehn Minuten zu spielen.
Jetzt durften wir uns nicht nervös machen lassen.
Das war jedoch einfacher gesagt als getan – schließlich war St. Pauls Utd. eine abgeklärte Mannschaft, die nicht zum ersten Mal im Finale stand.

Sie schnappten sich den Ball sofort nach dem Tor und rannten zurück zum Mittelkreis.
Jetzt wollten sie mehr.

Wir wollten noch einmal etwas Sicherheit nachlegen.
In der 75. Minute wechselten wir erneut:
Duncan runter, Kimaree Barnes rein.
Ein Ballgewinner, einer zum Zerstören – gegen einen Spielgestalter, jetzt ging es ums Verteidigen.

Doch St. Paul kam ins Rollen und einige unserer Spieler waren sichtlich verängstigt nach dem Anschlusstreffer.

Sie kamen wieder mit Rua, wieder über rechts...
...Flanke – wieder Freeman

...diesmal knapp vorbei.


Ich schrie und fuchtelte wild gestikulierend mit den Händen herum, wies die Verteidiger auf freistehende Angreifer hin und versuchte, die Mannschaft wieder wachzurütteln.

Kurz darauf Freistoß aus dem Mittelkreis...
...weit in unseren Strafraum.
Wir klärten zwar, aber die Unruhe war spürbar.
Jede Aktion brachte jetzt Gefahr.

Die Minuten verrannen gefühlt immer langsamer.
Schließlich fühlte es sich an, als würden wir in Zeitlupe spielen.
Wir wehrten uns, bolzten den Ball aus der Gefahrenzone und schauten immer wieder gebannt zur Uhr.

Der vierte Offizielle hielt die Tafel mit der Nachspielzeit hoch:

Drei Minuten.

Noch drei Minuten hatten wir zu überstehen – sie fühlten sich wie dreißig an.

Zum Glück konnten wir die letzten Bemühungen der Gegner alle zunichte machen.
Auch wenn es nur pures Nach-vorn-Gebolze war.

Wir warfen uns in jeden Zweikampf, klärten, bolzten, kämpften.
Dann kam die Szene, die die Tribüne in zwei Hälften zerreißen sollte:

Buchanan
dribbelte über links, spielte einen Doppelpass mit Williams.
Lewis rückte in den Halbraum, bekam den Ball, steckte steil auf Bertie...

...Bertie lief ein – Kontakt.
Er ging zu Boden.

Die Kugel rollt unberührt weiter und wurde schließlich geklärt.
Der Verteidiger räumte erst den Mann ab, dann schlugen sie den Ball heraus.

Ward zeigte: „Ball gespielt.“ Kein Pfiff. Kein Elfmeter.

Unmöglich, das konnte nicht sein Ernst sein.

Die Bank sprang geschlossen auf, ich brüllte mir die Stimmbänder wund, die Fans schrien, fuchtelten, schrien noch mehr – doch alles vergebens.
St. Paul nutzte das Chaos, ging in den Konter.
Barnes grätschte im Rückraum und schickte das Leder ins Aus.

Das Stadion kochte – aus Wut, aus Angst, aus allem.

Ich zeigte dem Schiedsrichter, dass die Nachspielzeit bereits abgelaufen war, doch er hatte nur ein müdes Lächeln dafür übrig.
Auch Jazza tobte an der Seitenlinie wie Rumpelstilzchen, stampfte mit den Füßen auf den Boden, als wolle er den Rasen aufreißen.

Dann wahrscheinlich endlich die letzte Aktion des Spiels:

St. Paul schlug noch einmal den Ball aus dem Halbfeld nach vorne...

Eine Flanke von links, wir köpften jedoch nur halbherzig raus.

Der Ball landete frei am Strafraumrand.

Steven Rua sprintete hin, nahm ihn mit, legte quer auf Angier...

...Der hob die Kugel hoch in den Fünfer....

Blanchette kam eingelaufen...

...Williams zu spät.


Kopfball.


TOOOOR! TOOOOR! TOOOOOOR!


Somersall sprang – vergeblich.

Das ganze Stadion bebte.
Ihre Ersatzspieler stürmten von der Bank aufs Feld, rissen die Arme hoch.

Unsere Spieler sanken zu Boden, als hätte man ihnen die Seele aus dem Leib gerissen.
Auf der Gegenseite ein Orkan aus Jubel, Trommeln, rotschwarzen Fahnen.

Das ist der Wahnsinn, quasi mit dem Schlusspfiff erzielt St. Paul hier den Ausgleich.

Williams geht schlecht in den Zweikampf mit Blanchette, der kann fast unbedrängt einköpfen...

...Somersall schaut dem Ball nur ungläubig hinterher...

2:2

Welch ein Drama für die eine, welch eine Sensation für die andere Seite.
Freude und Schmerz liegen so eng beieinander – manchmal sind sie nur einen Sitzplatz von einander entfernt.

Ich fand schon immer, dass die Kommentatoren häufig übertreiben, aber in diesem Fall musste sogar ich zustimmen.
Mir fehlten die Worte...
Entsetzen stand mir ins Gesicht geschrieben.

Ausgerechnet in der Nachspielzeit.
Der Jubel der rot-schwarzen Fans war ohrenbetäubend.
Kimball Ward ließ sich den Ball noch zum Mittelkreis bringen, nur um dann sofort abzupfeifen.

Schlusspfiff.

Jetzt hieß es Verlängerung.

Ich versuchte, die Jungs während der erneuten Seitenwahl sofort wieder aufzubauen.

„Ihr macht das gut! Das 2:2 ist unglücklich gefallen. Aber wir brauchen nur ein Tor – und alles kippt wieder auf unsere Seite. Wir haben schon zwei geschossen, wir müssen nur an unsere Leistung aus der ersten Halbzeit anknüpfen. Streicht die zweite einfach aus eurem Gedächtnis und wir starten wieder bei Null. Kopf hoch Jungs! Und jetzt geht da raus und holt den Pott!“


Und tatsächlich: die Körpersprache besserte sich.
Bertie wirkte wieder fokussiert, Lewis entschlossen und auch Barnes sah man an – er war bereit, alles zu geben.

Die Spieler stellten sich wieder auf und der Schiedsrichter vergewisserte sich noch einmal, ob alles bereit war.



Alles bereit für die Verlängerung?


PS:

Heute hat es geregnet^^
« Letzte Änderung: 22.August 2025, 23:49:29 von steffanovic »
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MorbusDerbe

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #62 am: 23.August 2025, 09:05:52 »

Das es noch einen fieseren Cliffhanger nach dem letzten geben könnte - damit hätte ich nicht gerechnet!

Ich würde jetzt nicht sagen wollen, dass ich dir Regen im Urlaub wünsche, aber... ;D

Starker Teil - die Stimmung wird fantastisch transportiert.

LG und noch einen schönen Urlaub!
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steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #63 am: 24.August 2025, 16:34:41 »

Kapitel 1.8.1 - Die Verlängerung




Die Seitenwahl war schnell erledigt.
Ein paar Tropfen Wasser, ein paar tiefe Atemzüge – mehr blieb nicht.


Der Schiedsrichter blickte in die Runde.
Ein Nicken hier, ein kurzes Anheben der Hand da.
Ich versuchte, die Spieler noch einmal aufzubauen.

„Jungs, das war unglücklich. Aber wir brauchen nur ein Tor – und dann kippt wieder alles auf unsere Seite. Wir haben schon zwei gemacht, wir dominieren dieses Spiel. Also: kein Grund zur Sorge. Kopf hoch!“


Man konnte sehen, wie die Worte Wirkung zeigten.
Bertie fokussiert, Lewis entschlossen, Barnes mit breiter Brust.
Sogar Nelson, eben noch enttäuscht, lächelte kurz.
Nur die Kondition war ein Problem – Bertie und Buchanan wirkten angeschlagen, jeder Sprint ein Kraftakt.
Und unsere Bank… nun ja.
Nicht gerade ein Füllhorn an Optionen.

Die Spieler schleppten sich zurück auf den Platz, schwer atmend, aber mit neuem Willen in den Augen.
Ward blickte noch einmal in die Runde, dann der Pfiff – die Verlängerung begann.


Man merkte sofort, wie schwer die Beine waren.
Jeder Schritt wirkte, als hinge ein Sandsack am Knöchel.
Der Schweiß tropfte von Stirnen, rann in Strömen über die Wangen.
Bertie schüttete sich schon nach wenigen Minuten eine komplette Wasserflasche über den Kopf, als könnte er noch ein paar Tropfen Kraft herausholen.
Buchanan beugte sich nach einem Sprint vornüber, stützte die Hände auf die Knie, pumpte wie ein Fisch nach Sauerstoff.

Gleich die erste Szene ließ die Luft gefrieren:
 
Goodridge bekam den Ball rechts, schlug eine Flanke – eigentlich niemand von uns in der Nähe...
...doch ein St.-Paul-Verteidiger fälschte unglücklich ab, der Ball tanzte knapp am Pfosten vorbei.
Die Rockets-Fans sprangen schon halb auf, rissen die Arme in die Luft – und hielten im selben Moment den Atem an.

Ein raunen ging über die Tribüne, wie ein Windstoß durch Palmenblätter.
"Ecke", lautete das Urteil von Ward!

Goodridge führte aus, hob den Arm, brachte den Ball hoch in den Strafraum.
Francis, der Keeper, faustete wuchtig heraus.
Lewis erlief die Kugel, verlagerte auf Buchanan.
Der zog an, fast bis zur Grundlinie, flankte – zu ungenau.
Ein Verteidiger klärte per Kopf ins Aus.

Noch eine Flanke, wieder von Buchanan.
Nelson stieg hoch – doch sein Kopfball ging deutlich drüber.

Dann wieder Gefahr auf der anderen Seite.
Steven Rua, unermüdlich, kam über rechts.

Flanke.
Geklärt.


Doch der Ball sprang zurück zu ihm, er zog direkt ab – Somersall parierte gerade so, lenkte zur Ecke.
Rua selbst brachte sie herein.
Der Ball segelte gefährlich in den Strafraum...

...ein Rockets-Spieler sprang unter ihm durch, die Kugel prallte vom Rücken eines Gegners ab – zum Glück ins Toraus.

Durchatmen.

Halbzeit der Verlängerung.

Die Spieler schleppten sich zur Seitenlinie.
Jeder griff zu einer Flasche, trank gierig, kippte den Rest über den Kopf.
Goodridge setzte sich kurz ins Gras, massierte seine Waden.
Lewis ließ sich den Nacken abreiben, schüttelte die Arme aus.
Jazza ging durch die Reihen, verteilte Lob und klatschte mit allen ab.

Alle waren durch.
Kaputt.
Aber keiner dachte ans Aufgeben.
Es blieb keine Zeit für eine Ansprache, Kimball Ward wollte sofort weiterspielen lassen.


So blieb es bei einem aufmunternden: "Auf geht's Männer! Ihr packt das!"

Die Mannschaften wechselten die Seiten und das Spielgerät wurde wieder auf dem Anstoßpunkt platziert.


Anpfiff zur zweiten Hälfte der Verlängerung.

Zum Start gleich ein Schock:
Mitcham spielte beim Aufbau einen Fehlpass direkt in die Füße des Gegners.
Sofort ging es über Ruanatürlich über wen auch sonst.
Flanke auf Freeman...

...Williams, der Junge mit den frischen Beinen, grätschte hinein und eroberte die Kugel.

Aufatmen!

Er leitete zu Goodridge weiter, der über rechts sprintete, flankte...

...Nelson kam ran, aber der Schuss wurde zur Ecke geklärt.

Goodridge übernahm wieder die Verantwortung und lief an.
Mit 53 Jahren schien er mehr Luft zu haben als mancher Jungspund.

Er hob den Arm in typischer Manier, brachte den Ball hinein – aber zu flach.

Geklärt.

Die Minuten krochen dahin.
Jeder Zweikampf ein kleiner Krieg, jeder Einwurf ein Schluck aus der Wasserflasche.
Die Rockets-Fans schrien, trommelten, sangen, während die St.-Paul-Anhänger jeden Ballgewinn feierten wie ein Tor.

Es lief bereits die 116. Minute.
Freistoß für uns – fast an der Mittellinie.

Buchanan legte sich den Ball zurecht, rannte an und drosch ihn weit nach vorne.
Wallace setzte nach, erreichte ihn fast an der Grundlinie und brachte eine Flanke in den Strafraum.

Bertie stieg hoch, gewann das Kopfballduell und legte quer auf Goodridge.
Der stand fast am Fünfmeterraum, nahm den Ball an, hob den Kopf – und legte noch einmal in die Mitte...

...dort stand Nelson. Frei.

Er brauchte nur einzuschieben, flach, präzise, unhaltbar.

3:2!

Die Warner Park explodierte in Grün und Weiß.
Ein Beben, das bis in die Hügel rollte.
Fahnen wehten, Trommeln hämmerten, Menschen schrien, als würden sie das Dach vom Warner Park reißen.
Nelson breitete die Arme aus und ließ sich feiern.
Die Spieler stürzten auf ihn, eine menschliche Lawine in weiß-grün.

Doch noch war es nicht vorbei.
Die letzten Minuten.
St. Paul warf alles nach vorn.


118. Minute.
Freistoß für St. Paul aus dem Mittelkreis.
– Identische Situation –
Alle Mann vorne, selbst Keeper Francis kam aus seinem Kasten gelaufen.

Clark brachte den Ball hoch in den Strafraum...
...wir klärten per Kopf, doch der Ball kam zu Sargeant.
Noch ein Versuch...

...er spielte rechts raus, wieder Rua.
Der wollte durchbrechen – doch Nelson (!) sprintete zurück und blockte den Ball zur Ecke.

Der Sprint brachte Nelson nicht nur den Ball, sondern auch tosenden Szenenapplaus von der Tribüne.
In der 118. Minute noch einmal einen 50 Meter Sprint anzuziehen um den Ball zu blocken zeugt von maximalen Einsatz.
Auch wenn er sonst eher ein Spaßvogel war, wenn es drauf ankam war er zur stelle – das mussten Jazza und ich anerkennen.

120. Minute.

Die wohl letzte Ecke.
Francis, der Torwart, stand auch wieder im Strafraum.
Rua brachte den Ball hinein, hoch und weit...

...Somersall stieg auf – faustete ihn raus!
Hierbei sah er alles andere als Sicher aus...

...und der Ball kam wieder zurück zu Rua.
Noch einmal Flanke – Abseits!

Somersall legte den Ball hin, sehr gemächlich...

...verzögerte noch ein wenig, blickte zum Schiedsrichter.
Wir winkten, flehten, schrien.
Ward schaute auf die Uhr.

Pfiff.

Abpfiff!

Pokalsieg!

Wir konnten es kaum glauben, doch wir hatten es geschafft.

St. Paul’sder Seriensieger – saß mit weit aufgerissenen Augen im Gras und verstand die Welt nicht.
Wir – der Zweitligist – rannten Richtung Tribüne, sprangen, schrien, lachten, fielen übereinander.

Die Fans hielt es nicht mehr auf ihren Sitzen, einige sprangen direkt übers Geländer auf das Spielfeld.
Andere waren Sekunden nach dem Spiel schon damit beschäftigt sich ein Stück des Rasens zu sichern, auf dem das kleine Wunder geschehen war.
Der Platzwart und die fünf Security-Männer versuchten sie zurückzuhalten – natürlich vergeblich.

Ich sah Bertie, wie er die Fäuste ballte; Nelson, der sich die Tränen aus dem Gesicht wischte.
Goodridge, letztlich völlig entkräftet aber grinsend, wurde kurzerhand von den Fans in die Höhe geworfen.

Mervin klopfte jeden ab, Barnes hatte ebenfalls Tränen im Gesicht und Somersall stand da, die Handschuhe an die Stirn gedrückt, als müsse er sich kneifen.
Das alles wurde durch die Trommelschläge und Jubelrufe der Zuschauer untermalt und gab ein Bild, welches wir alle nie vergessen würden.

Später, viel später, würden wir sagen:
Das war nicht nur ein Pokalsieg.
Das war der Abend, an dem eine zusammengewürfelte Mannschaft zu einem Team wurde und der ganze Ort, jede Gasse, jede Bar, war für einen Abend im Rausch.

Ein Kapitel Fußballromantik auf Inselgröße.
Ein Kapitel, das bleibt.



Szenen nach dem Spiel
(click to show/hide)


Spielstatistik
(click to show/hide)


Die Zeitungsartikel
(click to show/hide)


PS:

Vielen Dank @MorbusDerbe
+
Es hat zwar nicht geregnet, aber ich wollte euch auch nicht zu lange auf die Folter spannen ;)


« Letzte Änderung: 06.September 2025, 00:38:05 von steffanovic »
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #64 am: 25.August 2025, 11:15:44 »

Jawoll! Herzlichen Glückwunsch zum Pokalsieg! Endlich "richtige" Silberware zum Austellen.

Erneut ein richtig guter Part!

Freue mich schon, was sich zur neuen Saison alles verändert, oder ob die Jungs so zusammenbleiben können/dürfen und sich in der ersten Liga präsentieren.

Gibt es eigentlich irgendeine Teilnahme am internationalen Geschäft, oder ging das nur über die Liga? Habe das nicht mehr auf dem Schirm.

LG
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Signor Rossi

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #65 am: 25.August 2025, 16:16:04 »

Herzlichen Glückwunsch zum Pokalsieg! Sowas von verdient!
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steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #66 am: 26.August 2025, 22:15:06 »

Vielen Dank @MorbusDerbe und Signor Rossi

Ehrlich gesagt weiß ich es selber gar nicht wie das mit dem internationalen Geschäft im Falle des Pokalgewinns abläuft.
In den Pokalregeln steht nämlich nichts davon, dass man an irgendeinem Wettbewerb teilnehmen wird.
Deswegen werde ich mich selber überraschen lassen müssen, was passiert ;)

Auf jeden Fall kann ich aber schon einen kleinen Ausblick geben:

Es wird sich in Sachen Mannschaftszusammensetzung einiges ändern...
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steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #67 am: 29.August 2025, 20:01:16 »

Kapitel 1.9 – Katerstimmung





Die Nacht nach dem Pokalsieg roch nach Rum und Schweiß, nach frittiertem Fisch und kaltem Bier.
Wir hatten uns in eine Bar am Hafen verzogen – eigentlich ein ganz gewöhnlicher Laden mit schief hängenden Neonröhren und klebrigen Holztischen, wo sonst Fischer ihre Netze austauschten und Hafenarbeiter ihre letzten Dollars in Domino-Runden versenkten.
Heute aber war es der Mittelpunkt der Insel.





Das halbe Dorf war schon da, bevor wir überhaupt eintrafen.
Kaum standen wir in der Tür, da brach ein Jubel los, als hätten wir die Champions League gewonnen.
Hände schnellten in die Höhe, Plastikbecher flogen durch die Luft, einer traf fast den Ventilator an der Decke.
Die Security – zwei bullige Cousins des Besitzers – versuchte verzweifelt, den Eingang freizuhalten.
Doch draußen drängte sich eine Menschentraube, die unbedingt hineinwollte: Frauen in Glitzerkleidern, Männer in Arbeitskleidung, Jugendliche mit gefälschten Ausweisen.
Jeder wollte dabei sein, niemand draußen bleiben.
Schon jetzt war der Laden so voll, dass man kaum einen Schritt machen konnte, ohne gleich drei fremde Rücken an seinem eigenen zu spüren.

Drinnen tobte das Chaos:
Kimaree Barnes, unser Jüngster, hatte schon nach einer halben Stunde den Pegel eines alten Seemanns erreicht.
Er hielt gleich zwei Frauen im Arm, die beide mindestens doppelt so alt waren wie er, und grinste wie ein Honigkuchenpferd, während er ihnen ins Ohr lallte.
Niemand nahm es ihm übel – er hatte den Abend seines Lebens.

Vinceroy Nelson hatte längst die Rolle des Animateurs übernommen.
Er kletterte auf den Tresen, entkorkte eine Flasche Champagner und spritzte das klebrige Zeug quer über die Menge.
„Rocket Power, baby!“, brüllte er, bevor er mit den Hüften wackelte wie ein überdrehter Calypso-Tänzer.

Gregory Goodridge dagegen stand mit zwei, drei alten Bekannten am Rand, ein Bier in der Hand, den Blick ruhig, beinahe wehmütig.
Er nickte hier und da einem Gratulanten zu, aber sein Platz blieb eher abseits – als wäre er sich seiner Legendenrolle zu bewusst, um mitten ins Gedränge zu springen.

Mervin Lewis dagegen ließ die Zurückhaltung sausen.
Mit Rosalie an der Seite eroberte er die Tanzfläche, beide im Rhythmus verschlungen, lachend, schwitzend, vollkommen in ihrem Element.
Die Blicke der halben Bar klebten an ihnen, doch sie ließen sich nicht stören.

Carlos Bertie hingegen wirkte wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Umringt von einer jubelnden Traube, alle wollten ihn anfassen, ein Foto, ein Selfie, ein Autogramm – den Pokalhelden einmal berühren.
Er schwitzte fast mehr als auf dem Platz, lächelte hilflos und suchte immer wieder nach einem Fluchtweg, doch der Pulk ließ ihn nicht entkommen.

Und ich?
Ich stand wie so oft im Hintergrund, mit einem Glas in der Hand.
Jeder, der an mir vorbeikam, klopfte mir auf die Schulter.

„Klasse Coach, ohne Sie wär das nicht möglich gewesen!“

„Danke, dass Sie auf mich gesetzt haben!“

„Sie sind der Mann, Coach!“


Ich stieß mit allen an, ließ die Worte über mich hinwegspülen, als gehörten sie mehr der Nacht als mir.

Irgendwann – die Stunden verschwammen schon – wurden wir in einen improvisierten VIP-Bereich gelotst.
Ein paar Vorhänge waren abgehängt und als Sichtschutz umfunktioniert worden und einige Sofas aus irgendeinem Lager gezerrt.
Daneben stand ein Kühlschrank mit Eiswürfeln.
Nur für die Mannschaft, die Angehörigen, die engsten Freunde.
Natürlich schafften es trotzdem ein paar Fremde hinein, aber irgendwann war das egal.
Je später die Nacht, desto feuchter die Kehlen, desto lockerer die Hemden.
Selbst Jazza gab irgendwann seine Zurückhaltung auf: Er stand barfuß auf einem Tisch, das Hemd ausgezogen, und wedelte es über dem Kopf wie ein Pirat, der gerade sein erstes Schiff geentert hatte.

Die Nacht gehörte uns.

Als es draußen schon dämmerte und die letzten Gäste den Heimweg antraten, saß die Mannschaft immer noch fast vollzählig zusammen.
Einige schliefen bereits auf den Stühlen oder Sesseln, doch niemand wollte nach Hause gehen.
Mervin kam mit Rosalie zu mir und sie eröffneten mir, dass sie beschlossen hatten wegzuziehen – allerdings erst übernächstes Jahr, wenn das erste Kind in den Kindergarten kommt.
Deshalb hatte er für die kommende Saison noch einmal verlängert und würde uns weiterhin zur Verfügung stehen.
Darauf stießen wir natürlich noch einmal an und anschließend wollte er mich unbedingt umarmen.
Ich versuchte es zu verhindern, war jedoch machtlos – der verschwitze, nach Alkohol und Schweiß riechende Mervin hing an meinem Hals und hauchte mir irgendwelche unverständlichen Wörter ins Ohr.
Ich schaffte es nur mit Rosalies Hilfe, ihn wieder loszuwerden und wir warfen ihn kurzerhand auf eine Couch.
Er schlief sofort ein – und schnarchte wie ein ganzes Sägewerk bei Hochbetrieb.

Doch nach erfreulichen Nachrichten kommen wie gewöhnlich auch schlechte hinzu…

Als ich wieder etwas abseits des Geschehens stand und schon dabei war einiges von dem Chaos aufzuräumen, stand wie aus heiterem Himmel Goodridge neben mir und fragte, ob ich Zeit hätte, mit ihm zu sprechen.
Selbstverständlich kam ich seiner Aufforderung nach und wir gingen ein wenig an die frische Luft, um den Sonnenaufgang zu beobachten.
Die ersten Möwen zogen bereits ihre Kreise und es hörte sich an, als würden auch sie uns zum Erfolg gratulieren.

Ein Auto fuhr an uns vorbei, machte kurz darauf eine Vollbremsung, setzte zurück und hielt neben uns an.
Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und zum Vorschein kamen vier junge Männer – mehr oder minder alkoholisiert.

„Eyyyy, ihr seid doch die von den Rockets!!“

„Ja Mann, das sind die!“

„Voll die geile Scheiße, die ihr da abgezogen habt! Den habt ihr’s gezeigt, den Affen hinterm Hügel!“

„Auf jeden – Cayon for life!“


Dann fuhren sie mit quietschenden Reifen und durchgedrücktem Gaspedal davon.
Goodridge und ich schauten uns an und fingen beide an zu lachen.

„Was ist hier gerade passiert?“, fragte ich.

„Die neue Generation, schätze ich“
, entgegnete Goodridge.

Dann schlug er jedoch ernstere Töne an.

„Coach, ich hätte mir nie erträumen lassen, dass wir so erfolgreich werden.
Ich hatte gedacht, ich spiele hier noch ein bisschen zum Spaß, auf meine alten Tage und fahre dann wieder nach Hause.
Aber das, was wir hier gestern geschafft haben, toppt alles, was ich in meiner bisherigen Karriere erlebt habe.“


„Das freut mich zu hören, Gregory. Ich finde auch, dass wir uns echt gut geschlagen haben. Und nächste Saison greifen wir ganz oben an.“

„Genau darüber wollte ich mit dir reden, Coach.
Ich habe mich diese Saison so gut gefühlt wie lange nicht mehr und endlich mal wieder richtig Spaß gehabt.
Aber ich möchte das so in Erinnerung behalten, wie es jetzt ist.
Besser geht’s nicht – und ein weiser Mann sagte einmal: Man soll aufhören, wenn’s am schönsten ist.“


„Du willst mir nicht ernsthaft erzählen, dass du jetzt Schluss machen willst … gerade jetzt?“

„Doch, das will ich.
Ich habe länger darüber nachgedacht und die Entscheidung steht fest.
Ich habe meinen Mietvertrag bereits gekündigt.
Ich wollte es dir nur mitteilen, bevor du es von jemand anderem erfährst – nicht mit dir diskutieren.


„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll … Warum?“

„Ich möchte, dass die Fans mich so in Erinnerung behalten: als 53-Jährigen, der noch einmal alle schwindelig gespielt hat – und nicht nächste oder übernächste Saison als alten Sack, der auf der Bank versauert.
Außerdem gefällt mir überhaupt nicht, was Mr. Bradshaw da mit mir geplant hat.
Dieses ganze Werbe- und Marketingzeug – das bin nicht ich.
Ich will nicht das Gesicht für irgendeinen Mist sein, den ich selber nicht kaufen würde.
Deshalb ist es so am besten.
Wir hatten eine tolle Zeit und ich wünsche euch natürlich alles erdenklich Gute für die Zukunft.“


„Ich bin echt platt … aber ich respektiere dich.
Und deshalb respektiere ich auch deine Entscheidung und will dir das nicht ausreden.
Offensichtlich hast du dir das gut überlegt – und ehrlich gesagt finde ich die Ideen von Bradshaw auch zum Kotzen, einfach ausgedrückt.
Ich wünsche dir natürlich alles Gute und vor allem Gesundheit.
Die braucht man ja vor allem im hohen Alter, nicht wahr? 
Hast du schon einen Plan, wie es weitergeht?“


„Haha, genau so ist es … Ich werde bei mir zu Hause eine Jugendmannschaft aus meinem alten Viertel trainieren.
Die Jungs brauchen jemanden, der sie von der Straße holt.
Und da ich ja doch immer mal wieder in den Medien war, will ich die Gunst der Stunde nutzen und möglichst viele auffangen, die woanders keine Chance bekommen.
Ich mache das zusammen mit einem alten Bekannten, der das Ganze auf die Beine gestellt hat.
Sie brauchen nur noch jemanden, der an die Kids rankommt, sie mitreißen kann …“


„Das ist ja echt ein nobler Gedanke.
Toll, dass du dich so einsetzen willst.
Gib mir gerne mal Bescheid, wie’s läuft – meine Nummer hast du ja …


„Werde ich machen, Coach.
Vielleicht kommst du uns ja mal besuchen …“


Nach diesem intensiven Gespräch gingen wir wieder hinein und mussten feststellen, dass beinahe alle bereits gegangen waren.
Der Wirt hatte schon fast komplett aufgeräumt, und die Reinigungskräfte schrubbten, was das Zeug hielt.

„Alle dachten, ihr seid schon weg – deswegen sind sie auch schon gegangen …“ meinte Rosalie, als sie uns erblickte.

„Nur Mervin, Carlos und ihr beide seid noch da. Und Carlos auch nur, weil er sich nicht raus traut – wegen der Paparazzi.

Wir lachten gemeinsam, weckten Mervin und verließen die Bar ungesehen durch den Hinterausgang.
Zusammen spazierten wir noch am Strand entlang und genossen die Ruhe, bevor die ganzen Sonnenanbeter kamen und sich brutzeln ließen.
Schließlich riefen wir uns ein Taxi, das zuerst Bertie zu Hause absetzte, dann zu Goodridges Wohnung weiterfuhr und schließlich Mervin und Rosalie heim brachte.

Ich blieb allein im Taxi zurück und ließ meine Gedanken auf dem Weg nach Hause streifen.
Ein toller Erfolg, eine tolle Nacht und eine tolle Verlängerung von Mervinbesser hätte es eigentlich nicht laufen können, wenn da nicht die überraschende Entscheidung von Goodridge gewesen wäre, einfach nicht mehr weitermachen zu wollen.

Auch in diesem Fall ein Wechselbad der Gefühle.
Ich war zu müde, um meine Gedanken dazu zu ordnen.
Froh war ich nur, als ich endlich zu Hause ankam – und den wohlverdienten Schlaf nachholen konnte.


Schlechte Nachrichten



 
Ein paar Tage später saßen wir wieder im Büro – nüchtern, mit Kaffeetassen statt Bierbechern. Jazza, Bradshaw und ich.
Der Pokal thronte auf der Fensterbank, das Sonnenlicht spiegelte sich in seinem Silber.
Doch heute ging es nicht um Glanz und Jubel, sondern um Zahlen, Spieler, Analysen.

Jazza lümmelte wie gewohnt halb auf seinem Stuhl, kaute auf einem unsichtbaren Grashalm und starrte auf die Kaffeetasse, als hoffte er, sie würde sich von allein nachfüllen.
Bradshaw dagegen war schon wieder voller Energie.
Die Krawatte hing ihm schief um den Hals, auf dem Tisch stapelten sich Blätter mit Tabellen, Kalkulationen und Kritzeleien.
Er schwitzte, redete und fuchtelte mit den Händen, als wolle er den nächsten Stadionausbau gleich hier im Büro durchsetzen.
Und ich?
Ich hielt mich an meinem Becher fest wie ein Schiffbrüchiger am Holzbrett.
Die Augenringe fühlten sich schwerer an als die Trophäe auf der Fensterbank.
Der Kaffeeduft war stark, aber nicht stark genug.

Der Rausch war vorbei. Jetzt kam die Arbeit.

Wir nahmen uns die Mannschaft vor, einen nach dem anderen – Saisonabschlussbericht.

Bertie21 Einsätze, 37 Tore. Spieler der Saison, traf aus allen möglichen Lagen – mit links, mit rechts, mit dem Knie, einmal sogar mit der Schulter. Quasi unsere Lebensversicherung.

Nelson19 Spiele, 16 Tore, 6 Vorlagen. „Unser Mann für die großen Momente“, sagte ich. Bradshaw nickte nur.

Goodridge23 Spiele, 14 Tore und unser Vorlagenkönig mit 22 Stück. Und das mit 54 Jahren! Jazza schlug sich auf die Stirn. „Schade, dass er sich entschieden hat zu gehen.“

Wir gingen weiter:
Duncan: Regisseur im Mittelfeld, Lewis als Dauerläufer gute Leistungen gezeigt.
Roberts und Buchanan auf den Außen stark, aber oft gelbgefährdet.
Die Torhüter: Souza im Tor anfangs solide, später stetig abgebaut; Somersall ist noch grün hinter den Ohren, aber er hat Potenzialund Souza den Rang abgelaufen.
Und die Jungen – Williams, Wallace, Barns, Rouse – jeder bekam seine zwei, drei Einsätze.
Talent war vorhanden und blitzte zwischenzeitlich auf – zumindest für unser Niveau.
Manchmal jedoch noch zu wild, manchmal zu brav.

Nach einer halben Stunde waren wir mit der Liste durch.
Jazza stand auf, streckte sich, grinste.

„Genug für heute, ich bin dann mal weg. Wir sehen uns nächste Woche.“

Er wartete nicht auf eine Antwort, nahm seine Tasche und entschwand zur Tür hinaus.


Saisonabschlussbericht




Es blieb still im Raum. Nur Bradshaw und ich.

Die Kaffeemaschine gluckerte im Hintergrund, der Geruch von starkem Bohnenkaffee hing noch immer in der Luft.
Bradshaw schob die Papiere vor sich hin und her, wischte sich eine Schweißperle von der Stirn und atmete schwer durch die Nase.
Ich nippte an meinem Becher, der längst lauwarm war, und starrte auf den Pokal auf der Fensterbank.
Er funkelte wie ein stummer Zuhörer.

Ich stellte den kalten Kaffee zurück und sah ihn an.

„Sag mal, was ist eigentlich mit dem Lizenzlehrgang?“

„Irgendwann musste es ja so weit kommen.“ Bradshaw seufzte.

„Was meinst du?“

Er lehnte sich zurück, stützte die Hände auf seinen Bauch, als wolle er sich sammeln.

„Ich hatte gehofft, es möglichst lange hinauszuzögern. Aber da ich den Club vertrete, muss ich hier leider egoistisch sein. Natürlich hatte ich auf eine tolle Saison gehofft – dass die Sache aber so durch die Decke geht, hätte ich mir nicht träumen lassen. Ich befürchte, dass ich dem ausgemachten Deal so nicht mehr zustimmen kann.“


Er hielt kurz inne, senkte den Blick, dann wieder zu mir.

„Denn mit Lizenz wirst du für andere Klubs interessant – und wir wollen dich auf keinen Fall an größere und bessere Vereine verlieren. Wenn du weiterhin solche Fortschritte machst und auch noch eine Lizenz besitzt, werden schon bald einige bei uns auf der Matte stehen und sich nach dir erkundigen.“

Ich starrte ihn ungläubig an. „Das ist nicht dein Ernst.“

„Doch“, sagte Bradshaw, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Wir brauchen dich hier. Die Rockets können sich keinen Trainer leisten, der mit anderen Vereinen in Verbindung steht. Wenn er ein paar Scheine mehr geboten bekommt als er hier verdient, schaltet sich auch noch die Presse ein – und dann ist die Kacke am Dampfen. Nein danke.“

Mir schoss das Blut in den Kopf. Er will mich kleinhalten. Mir die Flügel stutzen.
Wir hatten uns doch darauf geeinigt. Ich spürte das Adrenalin hochschäumen.


„Das ist lächerlich!“ fuhr ich ihn an. „Du willst mich kleinhalten, nur weil du Angst hast, dass ich zu gut werde? Dass ich den Verein besser mache als du es könntest?“

Er hob die Hände, tat unschuldig.

„Es geht um Sicherheit. Stabilität. Egoistisch, ja – aber notwendig.
Außerdem glaubst du doch wohl nicht, dass dich jemand wegen deiner Taktik will. Es geht ums Image – und das gehört uns.“


„Egoistisch trifft es. Genau das.“


Ich spürte, wie die Wut in mir hochkochte.

„Weißt du was? Dein Verhalten und deine Aktionen in der letzten Zeit gingen mir schon gehörig auf den Geist. Aber das hier – das schlägt dem Fass den Boden aus.“


„Nun mach mal halblang.“

Seine Stimme wurde kühler, härter.

„Schließlich habe ich dich hierher geholt und bezahle dich dafür, dass du die Mannschaft trainierst. Die anderen Dinge gehen dich überhaupt nichts an. Und wenn du meinst, mir blöd zu kommen, finde ich jederzeit einen geeigneten Nachfolger. Es gibt genug Leute, die gerne in deiner Position wären – und die wären nicht so undankbar wie du.“

Für einen Moment war es, als knisterte die Luft zwischen uns. Ich ballte die Fäuste unter dem Tisch, mein Herz hämmerte in den Schläfen.

„Ich hab die Schnauze voll. Ab sofort bin ich im Urlaub!“

„Moment, wir sind hier noch nicht fertig. Ich…“

Doch weiter kam Mr. Bradshaw nicht.
Kurz entschlossen packte ich meine Mappe, stand auf und schlug die Tür so hart hinter mir zu, dass der Pokal auf der Fensterbank vibrierte und klirrte.
Ohne mich umzudrehen und auf Bradshaw einzugehen, der hinter mir ebenfalls aus der Tür stürmte und weiter auf mich einreden wollte, lief ich mit hochrotem Kopf schnurstracks nach Hause.
Die Stimmen im Büro hallten mir noch in den Ohren, jede Silbe brannte wie ein Stich.


Ich brauchte jetzt erstmal Abstand. Den Kopf freikriegen, die Gedanken neu ordnen.
Und ich hatte auch schon eine Idee, wie …



Lizenz – Keine Chance



« Letzte Änderung: 06.September 2025, 00:38:36 von steffanovic »
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #68 am: 29.August 2025, 20:30:15 »

Poah, wie undankbar >:( Schade, dass Goodrigde aufhört, was für eine unfassbare Saison von ihm.
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #69 am: 01.September 2025, 18:54:35 »

Bradshaw die alte Natter!

Schade, hätte wirklich gehofft, dass Goodridge weitermacht. Aber bei 54 Jahren macht wohl auch der FM keine Ausnahme...
Sonst war es ja der krönende Abschluss einer tollen (ersten) Saison - mögen noch viele hier folgen!  :)

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #70 am: 02.September 2025, 10:57:18 »

Erstmal Glückwunsch nachträglich zu Aufstieg und Pokaltriumph! Wirklich eine fantastische Saison! Dennoch kehrt keine Ruhe ein. Ich bin gespannt, wie es in Zukunft weiter geht!
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...und der Teufel schickt uns einen Kuss, wir haben von alledem gewusst!

steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #71 am: 06.September 2025, 15:18:29 »

Kapitel 1.9.1 – Semestererinnerungen und Sonnenschein





Manchmal kam es mir so vor, als lägen die Jahre in London nur einen Atemzug entfernt.
Ich brauchte nur die Augen zu schließen – und schon hörte ich wieder das Rattern der roten Doppeldeckerbusse, das Pfeifen der Züge unter der Erde und irgendwo das Knarzen eines alten Pubs, wenn die Tür aufgestoßen wurde.
Wir waren jung, pleite und voller Energie – und doch fühlte es sich an, als würden wir auf einer Bühne stehen, die größer war als wir selbst.

Dort hatte ich ihn kennengelernt: meinen Kommilitonen Josh, der ursprünglich aus den USA kam.
Ein Kerl, der stets eine Baseballkappe trug, als wäre sie Teil seiner DNA und dessen Lachen lauter war als jede Glocke vom Big Ben.
Er redete ständig von Sonne, Palmen und warmen Nächten in Florida – ein Kontrast zu dem feuchten, grauen Nebel, der sich über London legte.



 

Wir verbrachten unzählige Abende in Bibliotheken und Pubs, wechselten fließend von Fachbüchern über Fußballmanagement zu hitzigen Taktikdebatten.
Außerdem schwärmte er für amerikanische Sportarten – Baseball, Basketball, Eishockey – und, genau wie ich, für das Moneyball-Prinzip aus dem Baseball:
Die Oakland Athletics stellten ihr Team trotz knappen Budgets mithilfe computergestützter Statistiken neu zusammen und verpflichteten Spieler, die klassische Scouts gering einschätzten – und die deshalb bezahlbar waren.
Wir waren überzeugt, dass sich dieses Prinzip auch im Fußball und in anderen Sportarten anwenden ließe.

Das prägendste Erlebnis unserer Studienzeit war jedoch ein Spiel an der Stamford Bridge: Chelsea gegen Arsenal, damals unter Arsène Wenger und in José Mourinhos zweiter Amtszeit.
Josh feierte Wenger und die Gunners, ich die Blues nicht so sehr – dafür Mourinho umso mehr.

Wir hatten kaum Geld, kratzten unsere letzten Pfund zusammen – und selbst das hätte eigentlich nicht gereicht.
Doch der Nachbar aus unserem Studentenwohnheim hatte einen Vater, der als Platzwart im Stadion arbeitete.
Über ihn kamen wir irgendwie an zwei Karten. Ganz oben, fast unter dem Dach, wo der Wind durch die Ritzen zog.
Aber was machte das schon? Wir waren froh, überhaupt einen Platz ergattert zu haben, und das bei einem Derby, das sonst immer restlos ausverkauft war.
Schulter an Schulter standen wir da und blickten hinunter auf die großen Namen: Čech, Terry, Lampard, Hazard – und auf der anderen Seite Özil, Ramsey, Mertesacker, Giroud.
Es war, als hätten wir unsere Jugendposter plötzlich in Fleisch und Blut vor uns.

Und dazwischen – Mourinho und Wenger.
Zwei Männer, die allein durch ihre Körpersprache mehr elektrisierten als mancher Spieler mit dem Ball am Fuß.
Mourinho, the „Special One“, fuchtelnd, provozierend, mit diesem eisigen Blick, der selbst bis zu uns hoch in die obersten Reihen zu dringen schien.
Und Wenger, der ewige Professor, mit verschränkten Armen, langen Schritten an der Seitenlinie, als würde er über das Schachbrettmuster des Rasens philosophieren.

Vielleicht war es aber auch das, was nach dem Abpfiff geschah.
Wir blieben noch lange auf unseren Plätzen, während sich das Stadion leerte.
Irgendwann trauten wir uns hinunter zum Spielfeldrand, zwischen Ordnern und den letzten Journalisten hindurch.
Ich hatte damals eine kleine Mappe bei mir – vollgekritzelt mit Notizen, Aufstellungen, ein paar Analysen von Spielen.
Eine Mischung aus kindlichem Eifer und ernsthaftem Versuch, den Fußball zu verstehen.

Und dann stand er plötzlich da: Mourinho, auf dem Weg in den Kabinengang, der Mantel wie eine Rüstung um ihn geschlungen.
Ich weiß nicht, wie ich den Mut fand – aber ich streckte ihm die Mappe entgegen.
Für einen Moment sah er mich an, nahm sie kommentarlos in die Hand und verschwand. Kein Wort. Nur dieses kurze Nicken, das alles bedeutete – oder mir zumindest so vorkam.

Josh dagegen hatte mehr Glück. Er erwischte Olivier Giroud, der noch Autogramme schrieb, und bekam tatsächlich eine Unterschrift auf seine Mütze.
Wir liefen wie berauscht zurück in die Nacht, mit kalten Händen und warmen Herzen.
Für uns war klar: Fußball war nicht mehr nur ein Spiel. Es war eine Welt, die uns rief.

„Eines Tages“
, sagte Josh damals, „werden wir ein Teil dieses Spiels sein. Nicht als Zuschauer – mittendrin.“

Damals lachte ich über diesen Satz. Heute klang er wie eine Prophezeiung.

In den Jahren danach hatten wir nie den Kontakt verloren.
Mal ein paar Nachrichten zu Geburtstagen, mal ein Anruf zu Weihnachten, manchmal auch nur ein Link zu einem Spielbericht mit dem Kommentar: „Das musst du dir ansehen!“
Vor einigen Wochen hatte er mir dann geschrieben, ich solle doch endlich mal rüberkommen – Urlaub machen wie jeder normale Mensch es tut.
Er hätte ein Gästezimmer, und Miami sei im Dezember ohnehin angenehmer als jeder andere Ort.

Und vielleicht war es genau dieser Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, als ich Bradshaws Büro verließ und die Tür so hart ins Schloss knallte, dass die Bilder an der Wand zitterten.
Ich hatte die Schnauze voll – von seinen Sprüchen, von den ewigen Alleingängen, von dieser Intransparenz. „Ich bin im Urlaub!“, hatte ich gebrüllt.
Noch gar nicht zu Hause angekommen, dachte ich an Josh. An seine Mails, die schon seit Monaten in meinem Postfach lagen: „Miami ist besser als jeder Therapeutenstuhl.“
Also schrieb ich zurück, knapp, fast trotzig: „Ich komme. Jetzt …“

Also packte ich meine Sachen, buchte ein Ticket und saß wenig später im Flieger – auch wenn es einen horrenden Aufpreis kostete, so kurzfristig zu buchen und der Trip mit dreimal Umsteigen fast 22 Stunden dauerte.
Ich war bereit, diesen Preis zu zahlen.
Ich musste hier weg.

Fast zwei Tage später stieg ich in Miami aus dem Flugzeug.
Eine der kleinen Propellermaschinen hatte natürlich wieder Verspätung und so saß ich stundenlang in einem stickigen Provinzterminal fest, döste auf harten Plastikstühlen und zählte die blinkenden Anzeigetafeln.
Als der Anschluss endlich kam, war ich längst zu müde, um mich zu ärgern – nur noch der Gedanke an Ankunft hielt mich wach.

Und dann, endlich: die Türen gingen auf und eine schwüle Hitze umhüllte mich sofort.
Vor dem Terminal herrschte ein buntes Chaos: hupende Taxis, Palmen im Wind, Menschen mit Sonnenbrillen und Strohhüten, die aussahen, als wären sie direkt einer Postkarte entstiegen.

Und dann sah ich ihn.
Breites Grinsen, die alte Cap, in der Hand ein Plakat, auf dem ein weißes Kliff abgebildet war.
Ich musste lachen, ehe ich überhaupt bei ihm angekommen war.
Wir umarmten uns fest, klopften uns auf die Schultern, als müssten wir uns vergewissern, dass all die Jahre nichts an dieser Freundschaft geändert hatten.

„Willkommen in Florida, mein Freund“, sagte er. „Bereit für Sonne, Strand … und das ein oder andere Spiel?“

Er schnappte sich meine Tasche, dirigierte mich zum Parkplatz und ehe ich mich versah, saß ich auf dem Beifahrersitz seines Wagens.
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, begann er schon loszuplappern. Sein Wagen war ein typischer Amerikaner – groß, breit, viel zu durstig – und roch nach einer Mischung aus Babyöl und Fastfood.
Zum Glück war ich Hitze gewohnt, doch diese hier war keine trockene Sonne, die die Haut bräunt und Schweiß verdunsten lässt.
Sie war schwer, feucht, eine Last, die sich wie ein nasser Vorhang auf Brust und Schultern legte.
Bald klebte mir das Hemd am Rücken, die dunklen Flecken breiteten sich aus wie Landkarten unbekannter Länder.
Die Klimaanlage röchelte und spie etwas Luft – eher der Hauch eines lauwarmen Föhns als ein erfrischender Windstoß.

Josh strahlte trotzdem, als säße er in einer Cabrio-Tour durch die Anwesen der Hollywoodstars.
Mit der Begeisterung eines euphorischen Fremdenführers riss er die Arme hoch, deutete nach links und rechts, als gehörte ihm die Stadt.
Wolkenkratzer ragten wie Glasspeere in den dunstigen Himmel und warfen lange Schatten voraus. Hotels blitzten mit ihren glatten Fassaden um die Wette und buhlten um die Gunst der Urlauber.
Über allem flimmerten Neonlichter, die den Abend in ein ständiges Blinken und Flackern tauchten – eine Szenerie, die surreal wirkte, als sei sie direkt einem Cyberpunk-Universum entsprungen.

Wir rollten durch Downtown Miami, vorbei an Palmen, deren Blätter im Wind klatschten und endlosen Reihen hupender Taxis.
Die Stadt war ein brodelndes Mosaik: Salsa-Musik aus offenen Fenstern, Schilder in Spanisch und Englisch, Graffiti an Betonwänden.
Irgendwann bog er in ruhigere Straßen ab und mit jedem Block wurde es grüner, heller, wohlhabender.
Die Hochhäuser verschwanden im Rückspiegel, stattdessen tauchten gepflegte Vorgärten, makellose Einfahrten und saubere Bürgersteige auf.

„Da wohnen die, die’s geschafft haben“, grinste Josh.

Wenige Minuten später parkte er vor einem hellen, modernen Haus mit Glasfront, viel Stein und noch mehr Stil.
Kein Vergleich zu den Studentenbuden, in denen wir uns früher mit Wasserkochern und wackligen IKEA-Regalen über Wasser gehalten hatten.

„Datenanalyse, mein Bester. Big Data, Big Money“
, sagte er nicht ohne Stolz, während er mein Gepäck hineinwuchtete.

Drinnen glänzte alles: polierter Holzboden, schicke Möbel, ein riesiger Fernseher an der Wand.
Er führte mich in ein Gästezimmer, das größer war als unser Küche und das Wohnzimmer zusammen.
Ein Bett mit frisch bezogener Decke, ein Schreibtisch, sogar ein kleiner Balkon.

„Hier pennst du. Mach’s dir gemütlich – aber nicht zu gemütlich, wir hauen gleich wieder ab.“

„Was? Josh, ich bin fast zwei Tage unterwegs gewesen … ich will nur duschen und schlafen.“

„Keine Chance!“, rief er lachend. „Du musst unbedingt einen Spieler sehen. Junge, der Typ ist unglaublich. Ich will, dass du ihn dir anschaust, sonst glaubst du mir nie!“

Ich stöhnte, doch sein Enthusiasmus war ansteckend.
Widerwillig zog ich die Schuhe wieder an und kurz darauf saßen wir erneut im Wagen.
Diesmal führte uns die Fahrt hinaus aus der Stadt. Die Skyline blieb zurück, Straßen wurden breiter, der Verkehr lichter.
Statt Beton flogen nun Palmenhaine, Motels und Fast-Food-Ketten an den Scheiben vorbei.
Der Lärm der Stadt wandelte sich zu einem gedämpften Summen der Vororte.

Nach einer Viertelstunde tauchte ein kleiner Ground auf – Flutlichtmasten, die gegen den rosa Abendhimmel ragten, eine Tribüne, kaum größer als eine Schulturnhalle.
Als wir auf den Parkplatz einbogen, hörte man schon die Pfiffe und Rufe von Spielern und Trainern.

„Wir sind ein bisschen spät dran“, grinste Josh.

„Aber keine Sorge, der Junge spielt die vollen neunzig. Eigentlich spielt er in North Carolina bei Tobacco Road, aber die haben heute hier ein Auswärtsspiel. Das ist doch ein Zeichen.“

Wir setzten uns auf die Holztribüne; die Hälfte der Zuschauer waren Familienangehörige und Freunde der Spieler.
Ich brauchte nur wenige Augenblicke, um zu erkennen, wen er meinte. Ein großer Kerl, breitschultrig, kaum zwanzig Jahre alt, aber mit der Präsenz eines alten Hasen.
In der Abwehr räumte er kompromisslos ab, führte Zweikämpfe hart, aber fair, dirigierte seine Mitspieler mit lauten Rufen.

„Alex Knight“, sagte Josh leise, fast feierlich. „Merk dir den Namen. 1,91, Linksfuß, brutal stark im Stellungsspiel. Der Junge wird groß.“

Ich nickte, ohne den Blick vom Feld zu nehmen. Da war etwas an diesem Knight eine Mischung aus Ruhe und Entschlossenheit.
Er klärte jeden Ball der in seine Nähe kam souverän und leitete ein paar mal sogar einen Konter mit einem tollen langen Ball ein.

„Er erinnert mich an …“, begann ich.

„… ja, ich weiß!“, fiel Josh mir ins Wort. „Genau das denke ich auch.“

Wir sahen das Spiel bis zum Abpfiff, tranken danach noch einen Kaffee in einem kleinen Diner an der Ecke.
Während der Ventilator über uns quietschte, redeten wir über Alex Knight, über alte Zeiten in London, über Mourinho und die Mappe.
Irgendwann fielen mir fast die Augen zu.

Viel später, zurück im Gästezimmer, sackte ich ins Bett.
Es war weicher als jede Matratze auf der ich bisher gelegen hatte – aber auch nicht zu weich.
Der Jetlag holte mich endgültig ein.
Der Urlaub hatte begonnen, nur von Erholung war noch keine Spur.


Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, war mein Körper völlig erholt, doch mein Kopf war immer noch im Flugzeug.
Schwer, träge und dieser Druck im Ohr, wenn man zu schnell an Höhe gewinnt.
Die Sonne hatte längst den Kampf gegen die dünnen Vorhänge gewonnen und brannte erbarmungslos ins Zimmer.
Eine Klimaanlage mühte sich ab, die Luft umzuwälzen, doch sie klang mehr wie ein alter Propeller als nach ernsthafter Hilfe.

Josh stand natürlich schon wieder in der Küche.
In Shorts, barfuß, mit einer dampfenden Tasse in der Hand, als wäre es seine Hauptbeschäftigung, früh aufzustehen und den Tag zu begrüßen.
Aus der Pfanne wehte der süße Duft von Pancakes, irgendwo klebte Sirup und auf dem Tisch wartete ein Stapel bunter Früchte – Papayas, Mangos, Ananas.

„Na, sieh mal einer an, Sleeping Beauty lebt!“, grinste er.

Ich knurrte etwas Unverständliches und griff nach der Kaffeekanne.
Vier Löffel Zucker später fühlte ich mich zumindest wieder wie ein Mensch.

„Gestern war erst das Vorspiel“, meinte Josh und wedelte mit der Pfanne. „Heute zeig ich dir meine Stadt.“

Ich starrte ihn an, als hätte er mir gerade ein Straftraining bei dreißig Grad angekündigt.

„Großartig“, murmelte ich. „Kaum gelandet, schon ein Sightseeing-Marathon.“

Er lachte nur und meinte: „Alles genau wie früher.“

Und so saßen wir wenig später – trotz weiterer Proteste – wieder im Wagen. Auch genauso wie früher.

Miami bei Tag war ein anderes Level, immer noch geschäftig und auch tagsüber wollten die Leute angeben mit dem was sie fuhren, trugen, besaßen, aber es war wesentlich entspannter.
Die Skyline glitzerte im Sonnenlicht, jede Glasfront spiegelte das Meer, das dahinter lag.
Auf der Ocean Drive reihten sich Cafés und Restaurants aneinander, Kellner balancierten bunte Cocktails durch die Hitze und über allem lag das dumpfe Brummen der Klimaanlagen.
In Little Havana hingen die Zigarrenläden voller Plakate, auf den Gehwegen saßen Männer in Leinenhemden, die Domino spielten.
Aus offenen Türen strömte Salsa-Musik, gemischt mit dem Geruch von starkem Kaffee.

Wir hielten an einem kleinen Straßencafé, Josh bestellte auf Spanisch zwei Cafecitos – winzige Tassen, aber so stark, dass mir fast die Augenbrauen wegbrannten.
Danach noch ein Abstecher in eine Boutique, wo Josh mit dem Verkäufer über bunte Hemden diskutierte, als hätte er vor, sein Leben in ein karibisches Musical zu verwandeln.
Ich schüttelte nur den Kopf und ließ die Sonne auf mein Gesicht strahlen – etwas Lichtschutzfaktor hätte sicherlich nicht geschadet.

Am Nachmittag fuhren wir hinaus zum Strand.
Der Sand war weiß wie Puderzucker, türkisfarbene Wellen schlugen ans Ufer.
Wir ließen uns in Liegestühlen nieder, Josh erzählte Anekdoten aus seiner Arbeit in der Datenanalyse („Big Data, Big Dollars“), ich hörte nur halb zu, die andere Hälfte widmete ich dem Rauschen des Meeres.
Für einen Moment war da tatsächlich Urlaub.

Doch Josh wäre nicht Josh, wenn er es dabei belassen hätte.

„Komm, wir fahren nochmal rüber zum Training“, sagte er irgendwann.

„Du musst den Jungen noch mal sehen. Die verbringen noch das Wochenende hier, gestern Abend war nur ein Vorgeschmack.“


Widerwillig stand ich auf – der Sand klebte an meinen Füßen, der Jetlag nagte zwar noch immer, aber lange nicht so schwer.
Kurz darauf saßen wir wieder im Wagen.
Diesmal führte die Fahrt weiter hinaus, vorbei an Motels mit flackernden Neonreklamen, an Tankstellen, an Parkplätzen mit Foodtrucks.
Schließlich erreichten wir einen kleinen Trainingsplatz: ein Rasen, der bessere Tage gesehen hatte, ein paar verbeulte Bänke, ein Umkleidecontainer.

Unter der gleißenden Sonne trainierte eine Handvoll Spieler.
An der Seitenlinie stand ein Mann mit Basecap und Sonnenbrille, der Anweisungen brüllte – offensichtlich der Trainer.

Und mitten auf dem Feld: Alex Knight.
Er bewegte sich mit der Selbstverständlichkeit eines Spielers, der wusste, dass hier niemand an ihm vorbeikam.

Nach dem Training winkte uns der Trainer heran. Josh übernahm die Vorstellung und schnell kamen wir ins Gespräch.

„Alex ist unser Rückgrat“, sagte der Coach, stolz wie ein Vater.

„Ohne ihn hätten wir letzte Saison nichts geholt. Aber …“ Er zuckte mit den Schultern. „Am Ende sind wir eben nur ein Amateurverein. Mehr können wir nicht bieten.“

Ich hob die Augenbrauen. „Amateurvertrag?“

„Genau. Null Ablöse. Aber wenn Sie ihn haben wollen – müssen Sie ihn überzeugen.“

Josh grinste, als hätte er diesen Moment geplant.
Und tatsächlich: Kurz darauf stand Knight vor uns, schweißgebadet, aber freundlich.
Ein Händedruck, ein vorsichtiger Blick.

„Ich habe ehrlich gesagt noch nie von den Rockets gehört“, gab er zu. „Ihr spielt… wo genau?“

„Auf St. Kitts & Nevis“, erklärte ich.

„Eine kleine Liga, ja – aber wir haben gute Chancen uns für den internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, stehen wir nächstes Jahr auf einer größeren Bühne.“

Man sah ihm an, dass der Gedanke in ihm arbeitete. Neugier, Hoffnung, vielleicht auch ein Hauch Skepsis.

„Internationale Spiele … das wäre etwas“, murmelte er. „Ich muss es mir überlegen. Aber … es klingt interessant.“

Wir ließen es dabei bewenden. Der Junge sollte Zeit haben.

Am Abend saßen Josh und ich noch in einem Diner.
Der Ventilator quietschte ausnahmsweise mal nicht, der Kaffee schmeckte jedoch nach altem Filter, aber wir lachten viel – über London, über gestern, über das Leben.
Diesen Abend waren wir etwas früher zurück und ich konnte tatsächlich noch etwas entspannen.
Der Jetlag war noch nicht besiegt, aber die Gedanken kreisten längst nicht mehr um Bradshaw.
Sie kreisten um einen jungen Innenverteidiger namens Alex Knight.

Die folgenden Tage vergingen wie in einem Schwebezustand.
Josh schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, mir wirklich jede Ecke seiner Stadt zu zeigen.
Wir schlenderten über bunte Märkte, auf denen Früchte so prall und glänzend dalagen, als hätten sie den Sonnenschein selbst in sich gespeichert.
Wir saßen in Straßencafés, nippten an eisgekühlten Getränken – während Bodybuilder mit freiem, glänzend eingeöltem Oberkörper wie auf einem Laufsteg auf und ab stolzierten.
Offenbar war gerade Balzzeit bei dieser Spezies und wir konnten nicht anders, als herzhaft zu lachen, wenn einer der Kandidaten schon zum zehnten Mal vorbeischlenderte und dabei „ganz zufällig“ immer dieselbe Frau anstarrte.
Doch die Dame erlöste den armen Mann nicht, sondern verschwand schließlich allein, während er ratlos zurückblieb – dabei hatte er doch wirklich alles gegeben.

Am Nachmittag fuhren wir an einen anderen Teil des Strandes, ließen die Füße im warmen Wasser spielen und sahen Möwen kreischend über die Wellen stürzen.
Die Sonne brannte, der Sand klebte an den Waden und für eine Weile sagten wir beide kaum ein Wort – jeder hing seinen Gedanken nach.
Doch lange konnte Josh nicht schweigen.
Bald schon landeten wir wieder beim Fußball.

Und immer wieder fiel der Name Alex Knight.
Josh erzählte, der Junge habe schon als Teenager alles wegverteidigt, was ihm vor die Füße kam.
Dass er hier längst über die Liga hinausragte, aber eben nie den Sprung geschafft hatte, weil ihn keiner wirklich gesehen hatte.

„Du kannst der Erste sein“, sagte Josh. „Der Erste, der ihm die Tür aufstößt.“

Später lagen wir am Pool, die Sonne spiegelte sich auf der Wasseroberfläche und Josh erzählte zum dritten Mal irgendeine Anekdote aus seiner Firma, als mein Handy vibrierte.
Eine unbekannte US-Nummer.

„Coach? Hier ist Alex Knight.“
Seine Stimme klang klar, ohne Zögern. „Ich hab nachgedacht. Ich will die Chance nutzen. Ich will für die Rockets spielen.“

Ich setzte mich auf, das Herz schlug ein Stück schneller. „Das freut mich, Alex. Eine gute Entscheidung. Bei uns kannst du dich entwickeln, zeigen, was du draufhast – und eine Menge lernen.“

„Genau das will ich“, antwortete er sofort. „Ich brauche nur eine Gelegenheit. Mehr nicht.“

„Die wirst du bekommen“, sagte ich.

„Wir setzen in den nächsten Tagen einen Vertrag auf – zu fairen Konditionen. Nichts Übertriebenes, aber solide. Du wirst das Gefühl haben, endlich irgendwo angekommen zu sein.“

Am anderen Ende hörte ich ihn leise lachen.

„Coach, glauben Sie mir – nach all den Jahren ohne echten Vertrag ist mir fast alles recht. Alles ist besser als gar nichts.“


„Dann sind wir uns einig“, sagte ich.

 „Willkommen bei den Rockets, Alex. Ich hoffe wir profitieren alle von diesem Wechsel und werden eine erfolgreiche Zeit zusammen haben. Alles Weitere klären wir per Mail.“

„Danke, Coach. Ich freu mich schon drauf.“

Wir verabschiedeten uns, ich ließ das Handy sinken und lehnte mich zurück. Josh hob sofort die Augenbrauen und grinste breit.

„Na? Hab ich dir zu viel versprochen?“, fragte er. „Mein Tipp, mein Spieler. Ohne mich würdest du jetzt noch am Strand liegen und Dosenbier trinken.“

Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Du alter Wichtigtuer. Aber ja – diesmal hast du recht gehabt.“

Josh klopfte mir auf die Schulter, als hätte er selbst den Transfer eingetütet.

„Merke dir das, mein Freund: Datenanalyse, Instinkt – und ein bisschen Josh. Die perfekte Mischung.“


Neuzugang Alex Knight
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Am Abend rief ich Jazza an.

„Hör zu“, sagte ich.

 „Wir haben einen neuen Mann. Innenverteidiger, Linksfuß, jung, hungrig. Name: Alex Knight. Schick ihm einen von den Verträgen per Mail, die ich schon vorbereitet habe.
Die müssten in dem Vertragsordner abgespeichert sein. Ich habe ihn mir persönlich angeschaut, der wird uns direkt weiterbringen.“


Jazza lachte leise am anderen Ende. „Verstanden, Boss. Wird gemacht.“

Und so war es beschlossen – zwischen einem verbeulten Trainingsplatz, einem amerikanischen Freund mit zu vielen bunten Hemden und einer Nacht in Miami, die plötzlich voller Möglichkeiten schien.

Die Tage danach verliefen ruhiger, fast schon gemächlich.
Wir pendelten zwischen Strand und Pool, tranken zu viel Kaffee in kleinen Diners und ließen uns durch die Stadt treiben.
Josh erzählte mir von neuen Bekannten die er kennengelernt hatte, von Bettgeschichten und natürlich wie so oft von seinem Job.
Ich überlegte währenddessen insgeheim, wie viel ein Spieler wie Knight bei uns bewirken würde und welche Summer er wohl in einiger Zeit erzielen könnte.

Manchmal fuhren wir noch zu anderen Spielen, schauten uns Talente an, von denen Josh ebenfalls gehört hatte.
Es war ein bunter Mix: flinke Flügelspieler, bullige Stürmer, ein Torhüter, der sich in die Bälle warf, als hinge sein Leben daran.
Doch spätestens beim Thema Geld endeten alle Gespräche.
Viele von ihnen hatten längst Nebenjobs oder kleine Verträge in Semi-Profi-Ligen, die mehr zahlten, als wir auf der Insel je auf den Tisch legen könnten.

„Amerikas Amateure sind teuer geworden“, seufzte ich einmal, als wir nach einem dieser Spiele in der Abendsonne über den Parkplatz liefen.

Josh lachte, doch ich spürte, dass auch er den Unterschied sah. Knight war ein Glücksfall – einer, der gerade so in unser Raster passte.

Die letzte Nacht verbrachten wir auf der Veranda seines Hauses.
Über uns zirpten Grillen, irgendwo plärrte ein Fernseher mit einer Baseballübertragung und das Meer war nur ein fernes Rauschen.

Der Abschied von Josh fiel mir schwerer, als ich erwartet hatte.
Wir umarmten uns am Flughafen, wünschten uns gegenseitig viel Erfolg und ich bedankte mich noch einmal für die Hilfe bei Alex Knight.
Dann war ich auch schon auf dem Weg durch die Sicherheitsschleusen.
Die Stunden im Flieger verschwammen ineinander: Filme ohne Ton, Kaffee, der nach Plastik schmeckte und immer wieder das Brummen der Turbinen.
Irgendwann tauchte unter mir das glitzernde Meer auf, dann die vertraute Küstenlinie meiner Insel.

Als ich durch die Schiebetüren ins Ankunftsterminal trat, stand Jazza schon da – Hände in den Taschen, das Haar wie immer zerzaust und ein Grinsen im Gesicht, das nichts Gutes verheißen konnte.

„Boss“, begrüßte er mich, „schön, dass du wieder da bist. Aber bevor du nach Hause fährst – wir haben noch was zu erledigen.“

Ich zog die Augenbrauen hoch und dachte mir: "Nicht schon wieder".

„Sag bloß, du hast wieder einen deiner spontanen Geistesblitze gehabt.“

„Nicht nur einen“, erwiderte er.

Bradshaw und ich haben uns gezwungener Maßen zusammengetan, du bist ja abgehauen. Wir haben ebenfalls neues Personal an Land ziehen können, zwei Spieler um genau zu sein, beide ablösefrei.
Und beide sind schon auf dem Weg hierher. Wenn du fünf Minuten wartest, siehst du sie gleich selbst.“


Wir setzten uns in das kleine Café im Flughafen, welcher im Verhältnis zum Miami-Airport aussah wie ein kleine Hütte auf einer Modelleisenbahn.
Der Kaffee schmeckte dünn, aber immerhin stark genug, um den Jetlag zu überdecken.
Dann kam Bewegung in der Ankunftshalle.
Zuerst sah ich zwei Schatten hinter der Glasfront, dann hörte ich spanisches Lachen, schnell, warm, vertraut – als hätten sie sich nicht erst auf dem Langstreckenflug kennengelernt.
Jazza hatte ihnen absichtlich denselben Flug gebucht, einmal umsteigen in Mexiko-Stadt: Antonio Pedroza und Ulises Agüero.
Zwei Lebensläufe aus dem spanischsprachigen Zentral-Amerika-Raum, die für ein paar Stunden denselben Gang, dieselbe Bordküche, dieselben Turbulenzen geteilt hatten.

Pedroza kam zuerst durch die Schiebetür – kompakt, Seesack über der Schulter, an den Schläfen ein Hauch Grau.
Gleich dahinter Agüero, drahtig, noch mit dieser leicht scheuen Energie eines jungen Spielers, der weiß, dass er jetzt auf einer anderen Bühne steht.
Sie redeten weiter, während sie auf uns zusteuerten, Hände, Augenbrauen, Schultern – alles erzählte, dass das Eis zwischen ihnen bereits auf 10.000 Metern Höhe geschmolzen war.

Jazza begrüßte beide auf Spanisch und die letzten Reste Anspannung fielen von ihnen ab.

„Ablösefrei, sauber durch die Hintertür des Marktes“, murmelte Jazza mir zu.

 „Pedroza vorn: Erfahrung, Instinkt. Agüero außen: Tempo, Lernkurve. Und ja – ich hab sie bewusst zusammengesetzt. Sprache, Kultur, das hilft. Die kommen im Paket an und sind im Paket schneller drin.“


Wir fuhren gemeinsam in die Stadt.
Im Auto tauschten die beiden Geschichten aus: Hotels mit dünnen Wänden, Nachtbusse, Kunstrasenplätze unter Flutlicht, auf denen jeder Zweikampf blutig enden konnte.
Ich brachte sie in einem kleinen Hotel nahe des Trainingsgeländes unter – kein Luxus, aber sauber und nah dran.
In der Lobby noch ein letzter Blick: zwei neue Trikots, eine Sprache.
Ich zündete mir draußen auf dem Parkplatz eine Zigarette an und dachte: Manchmal braucht Integration nur einen gemeinsamen Flug und die richtige Zimmertür.
Dabei fiel mir auf, dass ich im Urlaub kaum geraucht hatte – oder hatte ich mir das nur eingebildet?

Doch der Urlaub war nun vorbei, der Alltag wartete.


Neuzugänge Pedroza und Agüero
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Ein paar Tage nach meiner Rückkehr traf ich mich mit Jazza im Warner Park.
Das Stadion lag still da, keine Zuschauer, kein Training, nur das Zirpen der Grillen und das Knarren der alten Holztribüne, auf der wir saßen.
Die Nachmittagssonne hing schwer über dem Platz, ließ den Rasen flimmern und die weißen Torpfosten gleißen wie Relikte aus einer anderen Zeit.

Jazza hatte wie immer eine Mappe unterm Arm, dick vollgestopft mit Notizen, Ausdrucken und Zahlen.
Er schlug sie auf, blätterte kurz, dann sah er mich mit diesem typischen Grinsen an, das meistens bedeutete: Jetzt kommt was, das dir nicht gefallen wird.

„Also, Boss. Erst mal die größte Nachricht: Adolphus Jones hat auch aufgehört.“


Ich schwieg.
Mein Blick wanderte automatisch zum Tor am anderen Ende des Feldes.
Dort hatte er gestanden, fast zehn Jahre lang – ein Rocket Urgestein, mit Handschuhen und einer Ruhe, die früher jeden Stürmer nervös machte.
Früher.
Denn die letzten Jahre waren hart für ihn gewesen, die Reflexe langsamer, die Sprünge kürzer, der Körper schwerer.

„Neunzehn Jahre Karriere“, fuhr Jazza fort.

„Sieben Länderspiele, unser Pokalsieg 2023. Und Bradshaw hat ihm schon eine kleine Verabschiedung organisiert. Ohne dich. Extra so, glaub ich. Der wollte dich ein bisschen ärgern.“

Ich musste lachen. „Typisch Bradshaw. Kindisch wie immer.“

„Na ja, so richtig dicke warst du mit Jones ja auch nicht, oder?“

Ich nickte.

„Er war loyal, keine Frage. Aber sportlich hat er extrem abgebaut. Von daher … es ist in Ordnung, dass er aufhört. Ich ruf ihn trotzdem noch an, einfach um ihm alles Gute zu wünschen. Das hat er verdient.“


Jazza blätterte weiter.

„Dann die Finanzen: Ticketpreise wurden erhöht. Zwölf Euro im Schnitt, Dauerkarte fünfundvierzig. Erwartete Einnahmen: knapp 57.000 Euro im Jahr. Ein Plus von sechzehn Prozent.“


Ich schnaubte und zog die Stirn kraus.

„Großartig. Stadion eh nie voll, aber die Preise hochschrauben. Vielleicht sollten wir erst mal die 3.500 Plätze füllen, bevor wir die Leute abzocken.
Bradshaw denkt wieder mal nicht weit genug. Bei höheren Preisen kommen doch eher noch weniger als mehr Fans... “


Jazza grinste schief und fuhr ohne weiteren Kommentar dazu fort. „Und jetzt zu den Zielen die er uns aufgetragen hat.“

„Na, jetzt kommt’s“, murmelte ich.

„Defensiv solide spielen. Konterfußball bevorzugen.“

Ich riss die Augenbrauen hoch.

„Echt jetzt? Wir haben Stürmer, die Tore am Fließband schießen könnten, Fans, die unterhalten werden wollen – und Bradshaw will Betonfußball.
Wenn wir uns hinten reinstellen und keine Initiative ergreifen können wir keine Spiele gewinnen“


„Und sportlich: dieses Jahr das Finale der Superliga erreichen. Bis nächstes Jahr den Titel holen.“

Ich lachte trocken, schüttelte den Kopf.

„Klar. Defensive Spielweise fordern und dann den Titel gewinnen wollen, ist das sein Ernst? Warum nicht gleich Champions League gewinnen?
Das ist viel zu ambitioniert, Jazza. Wir brauchen Aufbau, Entwicklung und keine Luftschlösser.“


Er ließ mich schimpfen, wartete, bis ich fertig war und schloss dann die Mappe mit einem leisen Klapp.

„Und? Gefällt dir davon etwas?“, fragte er mit gespielter Unschuld.

Ich musste grinsen.

„Die neuen Spieler. Knight, Pedroza, Agüero – das sind die einzigen die mir gefallen.
Alles andere? Reines Bradshaw-Geschwurbel – Zahlen, die vielleicht auf dem Papier schön aussehen, aber im Tagesgeschäft nicht funktionieren werden.
Aber mit neuen Spielern haben wir zumindest gute Chancen oben mitzuspielen.“


Einen Moment saßen wir still nebeneinander.
Die Sonne senkte sich langsam hinter die Tribünen, der Rasen leuchtete golden, als wolle er uns einen Vorgeschmack auf das geben, was kommen würde.

„Danke für die Aufklärung, Jazza, sagte ich schließlich.

„Wir sehen uns dann im neuen Jahr – zum Trainingsauftakt.“

Er grinste, stand auf und klopfte mir auf die Schulter.

 „Alles klar, so machen wir’s, Boss.“

Ich blieb noch kurz sitzen, ließ den Warner Park auf mich wirken.
Urlaub vorbei, das Jahr fast zu Ende.
Ein Urgestein verabschiedet, neue Gesichter im Anflug, Bradshaw mit Forderungen, die größer waren als das Stadion selbst.

Die nächste Saison würde alles andere als ruhig.


Ziele, Zahlen und ein Karriereende
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Die Wochen bis zum Jahreswechsel vergingen leiser, als ich es gewohnt war.
Weihnachten feierte ich mit meiner Mutter – kein Tannenbaum, keine Lichterketten, nur ein kleiner Tisch voller Essen, Geschichten aus alten Zeiten und das leise Rauschen der Brandung draußen.
Auf St. Kitts sah Weihnachten anders aus als in England.
Kein Frost an den Fenstern, kein Kaminfeuer – stattdessen Kerzen im warmen Wind, Sand zwischen den Zehen und ein Abendhimmel, der in Gold und Violett glühte.

Neujahr kam, wie es hier immer kam: mit Feuerwerk über der Bucht, mit Trommeln, Musik und den Rufen der Menschen, die tanzend ins nächste Jahr sprangen.
Ich hielt mich zurück, dachte an die neue Saison, die Neuzugänge, die Spieler, die bald zurückkehren würden und an unsere unrealistischen Zielsetzungen.

In der ersten Woche des neuen Jahres standen wir bereits wieder auf dem Platz.
Die Sonne knallte, der Rasen im Warner Park glänzte sattgrün und meine Spieler kehrten in unterschiedlicher Verfassung zurück.

Um es vorsichtig auszudrücken: Einige haben die Feiertage besser überstanden als andere.

Clyde Mitcham, Jayan Duncan, Malique Roberts, Dihjorn Simmonds und Mervin Lewis kamen in Topform zurück, austrainiert, konzentriert, bereit für die nächsten Wochen.
Man sah es an jedem Sprint, an jeder Bewegung – die Jungs hatten sich nicht hängen lassen.

Andere dagegen … nun ja.
Mancher Bauch wirkte runder, mancher Atem kürzer, als er sein sollte.
Es war der übliche Januar-Mix: ein paar Profis mit der richtigen Einstellung und ein paar, die Weihnachten etwas zu sehr gefeiert hatten.

Ein Thema aber lag mir schwer auf der Brust: Gregory Goodridge.
Ich hätte ihm gerne ein Abschiedsspiel gegeben – ein letztes Mal, um ihn zu ehren, wie es einem Spieler seines Formats gebührte.
Doch Bradshaw blockte ab.

„Nur eine Saison bei uns, keine Legende, keine Show“, hatte er gesagt.

Kein T-Shirt, keine Limonade, kein Spektakel mehr.
PR-Müll abgehakt. Ich knirschte mit den Zähnen, aber was blieb mir übrig? Goodridge war fort, und sein Kapitel bei den Rockets würde ohne Epilog enden.

Doch wir bekamen weitere Verstärkung.

In der Kabine wartete ein neues Gesicht: Devaughn Elliott, frisch verpflichtet, nachdem sein Vertrag beim Ligakonkurrenten, den Village Superstars, ausgelaufen war.
Ein erfahrener Flügelspieler für hinten wie vorne.
Klein, quirlig, mit einer Technik, die er sich über Jahre in halb Mittelamerika angeeignet hatte – Antigua, Guatemala, El Salvador, überall hatte er gespielt.

Seine Verpflichtung war eine direkte Folge des Karriereendes von Gregory Goodridge.
Niemand konnte „Goody“ ersetzen, schon gar nicht seine Aura – aber auf dem Platz brauchten wir dringend jemanden, der die rechte Seite belebte.
Elliott war die pragmatische Antwort.

Er stellte sich mir ruhig vor, ein fester Händedruck, ein freundliches Lächeln.
Die meisten kannten ihn ohnehin, hatten gegen ihn gespielt oder mit ihm trainiert.
Hierarchisch würde er sich sofort im einflussreichen Bereich einfügen, sportlich würde er zeigen müssen, dass er noch einmal die letzte Etappe seiner Karriere prägen konnte.


Goodridge Ersatz: Devaughn Elliott
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„Also, Boss“, meinte Jazza, als wir nebeneinander über den Platz blickten, „das ist die Truppe für die neue Saison. Manche topfit, manche schwer aus den Feiertagen zurück. Aber alle heiß.“

Ich nickte, ließ den Blick über den Platz wandern.
Neue Gesichter, alte Routiniers, ein frischer Jahresbeginn.
Meine erste Amtshandlung im neuen Jahr war es, Mervin Lewis wieder zum Vize-Kapitän zu machen.
Er hatte sich in den letzten Monaten zusammengerissen, war Topfit aus dem Urlaub gekommen und wieder der Leader geworden, den wir brauchten.
Die Jungs respektierten ihn und ich wusste, wie wichtig er für die Kabine war.

Die Kabine roch im übrigen nach Putzmittel, nassen Stutzen und dem elektrischen Knistern eines Neubeginns.
Jazza hatte eine Reinigungsfirma beauftragt, die für die neue Saison eine Grundreinigung durchführte – die war auch bitter nötig.
Die Jungs saßen auf den Holzbänken, manche noch müde, andere hibbelig wie Rennpferde.

„Jetzt wo alle anwesend sind“, begann ich, „möchte ich euch bevor wir starten drei neue Gesichter vorstellen.“

Ich drehte mich um, und Devaughn Elliott trat nach vorne.
Klein, drahtig, mit wachen Augen.

„Devaughn kennt ihr alle“, fuhr ich fort. „Er kommt von den Village Superstars. Ein erfahrener Mann für beide Seiten, technisch stark, dazu ein Spieler, der die Liga kennt wie seine Westentasche.“

Applaus, zustimmendes Gemurmel, ein paar Zurufe.
Dann hob ich die Hand.

Antonio hier, hat mindestens schon genauso viel gesehen.“

Antonio Pedroza trat nach vorne – kompakt gebaut, drahtig, die Haare kurz geschnitten, der Blick ernst.
Ein Stürmer, der das Leben kannte, von Mexiko über Costa Rica bis jetzt hierher.

„Antonio bringt uns vorne drin Erfahrung, Instinkt und Ruhe. Er ist ein kleiner Wandervogel – aber einer, der überall seine Tore gemacht hat.“

Während ich das sagte, schmunzelte ich und stichelte ihn ein wenig mit dem Ellenbogen.
Er verstand den kleinen Scherz und musste ebenfalls grinsen.
Einige Spieler pfiffen anerkennend, andere tauschten skeptische Blicke.
Jeder wusste: Von einem Mann in diesem Alter erwartete man Tore – nichts anderes.

Schließlich stellte ich den Jüngsten der Runde vor: Ulises Agüero. Gerade mal 21, aus Argentinien, schmal, drahtig und nervös lächelnd.

Ulises hier, ist ein junger Außenverteidiger mit Tempo, Technik und Mut. Ulises ist zu uns gekommen, um sich zu weiterzuentwickeln – und ich erwarte, dass ihr ihn dabei unterstützt.“


Einige der Älteren nickten ihm aufmunternd zu, einer klopfte ihm auf die Schulter.

Drei Spieler, drei völlig verschiedene Geschichten.
Ein quirliger Routinier von den Inseln, ein alter Haudegen aus Mexiko, ein schüchterner Newcomer aus Argentinien.
Und alle jetzt Teil der Rockets.
Die Spieler klatschten, einige riefen „¡Bienvenido!“, andere grinsten neugierig.

Ich ließ den Blick durch die Runde wandern.

„Wir haben eine gute Truppe und wir haben hochgesteckte Ziele. Ich verspreche euch: Wenn wir unser Spiel spielen und uns nicht verstecken, dann haben wir eine gute Chance sie zu erreichen.
Und vielleicht schließen sich uns zusätzlich noch ein paar gute Kicker an, Konkurrenz belebt schließlich das Geschäft“


Die Jungs schauten mich an, manche ernst, manche mit einem kleinen Lächeln.

Alex Knight fehlte noch – Papierkram und Reiseplanung, die berühmte ITC-Freigabe (und ein verspäteter Inlandsflug), hielten ihn für ein paar Tage in den USA fest.

„Spätestens Ende der Woche“, hatte er geschrieben. Ich glaubte ihm. So, wie ich ihm auf dem Platz geglaubt hatte.



Der Alltag war zurück. Aber es fühlte sich gut an.
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #72 am: 07.September 2025, 12:46:08 »

Toller Part wiedermal. Besonders wie du den Transfer eines talentierten US-Amerikaners in eine vergleichsweise kleine Liga realistisch eingebunden hast. Richtig stark, ich freue mich auf die neue Saison!  :)
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...und der Teufel schickt uns einen Kuss, wir haben von alledem gewusst!

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #73 am: 08.September 2025, 12:12:49 »

Wow, wieder ein sehr schöner Part deiner tollen Geschichte!
Alex Knight wird hinten sicher den Laden zusammenhalten und alle Stürmer an seiner (Ritter-)Rüstung abperlen.  ;D
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Nur der HSV!