Nochmal zu Tuchel. Boehly hat ja jetzt nochmal bestätigt, dass die Trennungsgründe in erster Linie zwischenmenschlich waren. Ob das dann immer "fair" ist, sei dahingestellt, aber langfristig verschlechtert sich dann die Grundstimmung in einem Verein und das wirkt sich auch auf die sportliche Leistung aus. Da finde ich die Trennung von Tuchel dann nachvollziehbar. Ganz rational und unemotional gesehen.
Bei Bochum und Thomas Reis ist die Frage, wie auch da die Vereinsführung das Ganze drum herum bewertet. Wenn sie das Grundvertrauen (nicht sportliche Vertrauen) in Thomas Reis aufgrund unehrlicher/unglücklicher Handhabung von Vertragsverhandlungen mit Schalke und Bochum selbst verloren hat, dann ist eine erfolgreiche Zusammenarbeit in Zukunft eben schwer möglich. Rein von Außen hätte man Bochum gewünscht, dass sie da einen "Freiburger Weg" gehen oder wie Paderborn mit Baumgart. Der Kader ist wesentlich schlechter als letzte Saison. Die Konkurrenz im Abstiegskampf dafür sogar besser. Da ist der Abstieg einfach sehr wahrscheinlich trotz guter Arbeit, aber mit dem Trainer hätte man dann auch wieder schnell hochkommen können. Ob da jetzt die Vereinsführung oder Thomas Reis sich unglücklicher Verhalten haben, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls sehe ich für Bochum die große Gefahr wieder für mehrere Jahre abzutauchen. Erfolgreicher Sportdirektor weg, Erfolgstrainer jetzt auch weg, der Verein an sich hat aktuell nicht die wirtschaftlichen Voraussetzungen für mehr als Platz 15-25 unter den deutschen Profivereinen. Thomas Reis scheint dies mit seiner Art ein Stück weit wettgemacht zu haben.
Aktuell sieht man doch in Berlin, Freiburg und Köln was mit geringeren Mitteln möglich ist, wenn entweder der Verein selbst eine gesunde Atmosphäre schafft und den passenden Trainer findet oder wie bei Baumgart, wenn der richtige Trainer es schafft den ganzen Verein mitzureißen und zu verändern (plus das die aktuelle Vereinsführung generell mal eher Kompetenz als Namen eingestellt hat, auch auf Managementebene). Ähnlich wie damals Klopp bei Mainz und Dortmund und letztendlich auch bei Liverpool.
Da muss man dann auch mal aus Überzeugung sportliche Rückschläge in Kauf nehmen und ein Stück weit "einplanen". Paderborn hat ja auch beim ersten Aufstieg mit Trainerentlassung auf Teufel komm raus versucht die Klasse zu halten, obwohl der Kader nicht die Qualität hatte, was dann sogar im Durchreich in die 3. Liga, ohne "Lizenzentzug" 1860 eigentlich sogar in die Regionalliga, mündete. Umso mehr hatte man dann beim 2. Aufstieg unter Baumgart gelernt, dass eben etwas rationaler und strategischer zu betrachten und die Bundesligasaison mehr als kurzen sportlichen Ausflug zu sehen und gleichzeitig als Möglichkeit zu nutzen die finanziellen Mehreinnahmen zur Gesundung und Weiterentwicklung des Gesamtvereins zu nutzen. Ähnlich wie Darmstadt, die aber sogar einmal den Klassenerhalt schafften. Das waren strategisch kluge Entscheidungen, die den Vereinen langfristig mehr helfen, statt auf Krampf zu versuchen kurzfristig mit allen (eben auch unnötigen) Mitteln unrealistische sportliche Dinge zu erreichen. Organisches Vereinswachstum ist dann nicht möglich, weil die Mehreinnahmen für Abfindungen und Gehälter verpulvert werden. Bochum war dabei einen ähnlichen Weg zu gehen, aber ist gerade dabei diesen zu verlassen. Entweder finden Sie jetzt passenden Trainerersatz, der eben auch in das ganze Vereinsumfeld passt oder sie stürzen, was ich für wahrscheinlicher halte, wieder ins Mittelfeld der 2. Liga ab.
Als der FC Baumgart verpflichtete, hatte ich mehr Angst, dass Baumgart am Vereinsdrumherum und den Medien scheitert, als an seiner sportlichen Trainerqualität. Wenn man sich nämlich die Gegentorstatistiken seiner Vereine in Relation zur Liga angeschaut hatte, waren die nämlich gar nicht katastrophal bzw. schlecht wie es plakativ und oberflächlich in den Medien immer hieß. Die Bundesligasaison mit Paderborn mit einem 2.-3. Ligakader musste man da eben realistisch einschätzen und ausklammern bei der Bewertung.
Was Baumgart dann in der Vorbereitung auf 2021/2022 für eine Aufbruchsstimmung erzeugt hat, war schon phänomenal und hatte Kloppsche Züge, ein Menschenfänger, der aber auch nicht bei jedem gut ankommt und ankommen muss. Meine Skepsis blieb erstmal trotzdem, dass wenn hier mal die erste Krise kommt und das öffentliche Pendel umschlägt, es schwierig wird. Bloß die große Krise kam bis jetzt eigentlich nie. Gleichzeitig gab es schon kleinere Missstände und Minitäler, die er dann aber entweder ehrlich eingesteht und auf seine Kappe nimmt oder sich zumindest ehrlich erklärt und gesteht, dass die Überlegungen nicht aufgingen. Pokalaus gegen Hamburg letzte Saison + diese Saison in Runde 1, Hinspiel Fehervar, jetzt gg. Union die Aufstellung Hectors als Zehner als ein paar Beispiele.
Bei allem lauten Verzäll von Baumgart, steckt da am Ende des Tages immer Ehrlichkeit und Authentizität hinter. Egal ob zur Öffentlichkeit oder zu den Spielern. Deswegen schafft er es auch alle Spieler mitzunehmen, dass da keiner groß öffentlich rumstänkert. Selbst Anderssons Aussagen Ende August muss man da differenzierter betrachten und seine gesamte Zeit beim FC sehen. Der hat auch nicht gegen Baumgart gestänkert, sondern über seine medizinische Behandlung, dass er seit 3 Jahren quasi verletzt ist und die nun durchgeführte OP ihm wohl doch viel früher geholfen hätte. Da stecken 3 Jahre Schmerzen, Leiden, (sozial-) mediale Schelte und Frust hinter seinen Aussagen.
Ich wollte aufzeigen, wie schwer es ist den "richtigen" Trainer zu finden und das dazu viel mehr gehört als die sportliche Qualität. Und das deswegen Trainerentlassungen manchmal (noch viel zu selten) aus strategischen Gründen mehr Sinn machen als oft kurzfristig von Außen ersichtlich und wie blödsinnig oft Entlassungen aufgrund kurzfristiger sportlicher Dellen sind. Gleichzeitig zeigt es aber auch wie wichtig die Vereinsführung dann doch auch ist, auch wenn sie sich aus dem Tagesgeschäft raushält. Bei Bochum glaube ich daher, dass eher die Vereinsführung sowohl bei Schindzielorz als auch bei Reis den richtigen Moment für Vertragsgespräche verpasst hat und den Beiden somit nicht, auch bei erwartbarem Misserfolg in der Bundesliga, dieses langfristige Vertrauen ausgesprochen hat. Wodurch dann erst Schindzielorz ging und sich dann auch Reis seine Gedanken machte und mit Schalke kokettierte. Das er dabei ebenfalls keine ganz glückliche Handhabung zeigte, verstimmte dann wiederum die Vereinsführung und das Grundvertrauen zwischen den beiden Parteien war dahin. Stand heute würde ich daher sagen, dass Bochums Vereinsführung hier strategisch versagt hat. Aber vielleicht handeln sie ja jetzt doch wieder so klug, als sie damals Schindzielorz und Reis installiert haben. Trotzdem bleibt der Abstieg mehr als wahrscheinlich.