Aufgrund der momentan herrschenden Grippewelle und der teilweise recht panischen Berichterstattung möchte ich kurz den Stand der Dinge etwas beleuchten, um Euch vielleicht zu beruhigen, falls das nötig sein sollte.
Zunächst mal ist die Vogelgrippe eine Tierkrankheit. Das sollten wir uns stets ins Gedächtnis rufen. Sie wird ausgelöst durch eine Infektion mit dem Grippevirus. Es ist hier vielfach die Typologie H5N1 zu lesen und hören. H5N1 bezeichnet einen speziellen Grippestamm. Kurz zur Erläuterung: Viren werden über Proteine spezifiziert, die sich auf ihrer Oberfläche befinden. Beim Grippevirus nutzt man dazu die Proteine Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N). Entsprechend der veränderten Genfolge, die entdeckt wurde, werden die Proteine fortlaufend beziffert. Das Virus H5N1 besitzt also ein Hämagglutinin, welches vor seiner Entdeckung schon in vier anderen Versionen aufgetaucht ist.
Das Influenzavirus zeichnet sich durch die Eigenschaft der Genvariabilität aus, ähnlich wie auch das AIDS-Virus. Die Proteine H und N sind sehr flexibel, und jedes Jahr könnte ein völlig neuer Virusstamm auftauchen, der im Laufe des Winters seine Aussehen komplett geändert hat. Dieses "Verhalten" ist Teil der Überlebensstrategie, denn je unbekannter sich ein Virus für seinen Wirt präsentiert, desto unwahrscheinlicher ist eine Bekämpfung durch das Immunsystem innerhalb von kurzer Zeit. Das Virus kann sich vermehren. Das ist der Grund, weshalb jedes Jahr neue Grippeimpfungen stattfinden und man damit nie aktuell sein kann - denn das aktuelle Virus ist ja noch unbekannt.
Zurück zur Vogelgrippe. H5N1 ist, wie gesagt, ein Virus, dessen Wirt Geflügel ist. Trotzdem kann das Virus die Artengrenze überspringen und Menschen infizieren. In diesem Fall ist die Grippe - wie jede andere Grippe auch - potentiell lebensgefährlich! Jedes Jahr, so die Schätzungen der WHO, sterben in Deutschland ca. 10.000 Menschen an den Folgen einer Grippeerkrankung. Dabei werden die Menschen durch die Infektion derart geschwächt, daß andere Infektionen auftreten (man spricht in diesem Falle von "Superinfektionen") und zum Tod führen können. Oft ist das zum Beispiel eine Lungenentzündung. Die Vogelgrippe verdient aufgrund seines Gefahrenpotentials schonmal nicht mehr oder weniger Beachtung als die normale Grippe auch. Darüberhinaus ist eine Infektion mit H5N1 sehr unwahrscheinlich. Um sich mit dem Vogelgrippevirus zu infizieren, muss man Kontakt zu Kot und Sekreten von infizierten Tieren haben. Selbst aber ein Griff in Vogelschiss, der H5N1 enthält, muss nicht gleich zur Infektion führen. Es bleibt also die Frage nach der Wahrscheinlichkeit: wie oft gelangen Vogelexkremente in unseren Körper? Wie wahrscheinlich ist es, daß gerade die, die doch hinein gelangen, infiziert sind? Und selbst dann muss immernoch keine Infektion ausbrechen! Selbst wenn wir einer Person gegenüberstehen, die das große Pech hatte und H5N1-infiziert ist, müssen wir uns nicht in Sicherheit bringen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch wurde bisher noch nie beobachtet, und die Aufzeichnungen sind über siebzig Jahre alt! Ebenfalls können wir Geflügel essen, welches H5N1 enthält, vorausgesetzt, es wurde vorher auf etwas über 70°C erhitzt (zum Vergleich: 60°C ist die Temperatur, die man als Mensch gerade noch anfassen kann). Bei 70°C wird das Grippevirus zerstört.
Ist also der ganze Hype völlig umsonst? Nein, denn eine große Gefahr lauert ständig im Dunkel der Unkenntnis. Ein Grippevirus vermehrt sich, indem es eine Zelle des Wirts als "Bauhof" nutzt. Es dringt in die Zelle ein, speist sein Genom, also seine komplette Erbinformation, in den Zellkern der Wirtszelle ein, macht das zelleigene Genom unbrauchbar und lässt ab diesem Zeitpunkt die Zelle neue Viren herstellen, die schließlich die Zellmembran zerstören und sich neue Zellen suchen. Nun kann ein sehr unglücklicher Zustand eintreffen: ein Virus vom Typ H5N1 (sehr gefährlich für Vögel, aber nicht von Mensch zu Mensch übertragbar), infiltriert eine Zelle und startet seine Reproduktion. In eben dieser Zelle befindet sich aber schon ein normales Grippevirus (für Menschen gefährlich und auch von Mensch zu Mensch übertragbar). Es kann nun passieren, daß diese beiden verschiedenen Erbinformationen so kombiniert werden, daß am Ende ein Virus entsteht, daß potentiell tödlich und von Mensch zu Mensch übertragbar ist! Darüberhinaus ist noch kein Organismus weltweit mit dieser Kombination in Kontakt getreten und hatte die Chance, Antikörper aufzubauen. Die Welt, um es einmal reißerisch zu formulieren, wäre niemals mit solch' einem kleinen Killer konfrontiert gewesen. Man nimmt heute an, daß die sogenannte Spanische Grippe von 1918, die schätzungsweise zu 20-50 Millionen (manche Experten sagen gar 100 Millionen) Toten weltweit geführt hat, aufgrund einer solchen Rekombination ausgebrochen ist. Forscher in den USA, namentlich Jeffrey Taubenberger (den ich sogar kenne

), haben das Virus von 1918 rekonstruieren können und arbeiten nun an einem Impfstoff.
Was ist nun mit Grippeimpfungen? Das sollte man unbedingt machen, wenn man der allgemein als "Risikogruppe" definierten Gesellschaft angehört: kleine Kinder, Schwangere, Menschen über 60 und Heilberufler. Diese Regel gilt für alle Grippearten und für jedes Jahr.
Die Pharmazie hat für den Fall einer Grippeinfektion zwei Wirkstoffe auf den Markt gebracht: Zanamivir und Olseltamivir. Letzterer wird unter dem Handelsnamen Tamiflu (R) verkauft. Das Angebot an Tamiflu ist dabei knapp, denn viele Menschen haben das Produkt prophylaktisch gekauft. Dazu ist zu sagen: Tamiflu wirkt nur dann, wenn eine echte Grippe und nicht etwa ein grippaler Infekt vorliegt. Echte Grippe erkennt man daran, daß es einem binnen Stunden extrem schlecht geht mit Fieber und heftigen Gliederschmerzen. Grippale Infekte entstehen über einen längeren Zeitraum. Tamiflu wirkt auch nur dann, wenn es vernünftig dosiert wird. Wer das Mittel auf Verdacht einsetzt, züchtet Resistenzen und handelt damit extrem unverantwortlich.
Abschließend nochmal als Fazit: die Gefahr besteht, doch ist sie weit weniger groß als uns manche Medien glauben machen wollen. Dennoch darf man nicht sorglos sein. Grippeimpfungen sind immer empfehlenswert!