
Monkey Hill Blues
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Prolog 0.1
GONG.
Laut. Schrill. Metallisch. Er ertönte pünktlich wie immer und zerschnitt die drückende Mittagshitze wie eine Machete das Buschwerk. Ich zuckte kurz zusammen und erwachte aus meinen Tagträumen.
Ob Rosalie mich heute wohl ihren Eltern vorstellen würde? Warum sonst wollte sie, dass wir uns erst treffen, wenn sie von der Arbeit zurück sind? Normalerweise freuten wir uns doch über die sturmfreie Bude ohne die neugierigen Blicke der Eltern.
Wie aus dem Nichts stand Miss Augustin plötzlich an meinem Tisch – eigentlich erstaunlich, dass ich die äußerst korpulente Frau in den Vierzigern nicht hatte kommen sehen – und warf einen Blick auf meinen Zettel. Leer, wie fast immer. Ein paar geometrische Formen und ausgeixte Kästchen waren mein gesamtes Werk der letzten anderthalb Stunden.
"Haben wir ein Problem, Johnathan?" fragte sie, wie immer mit diesem Ton, als würde sie sich sogar darüber freuen, mir wieder einmal erzählen zu können, wie enttäuscht sie doch von mir ist, und was für eine gute Zukunft ich doch hätte, würde ich nur mitarbeiten und mich in ihrem Unterricht konzentrieren statt ... ja, was genau machte ich eigentlich stattdessen? Ich konnte diese falsche Schlange noch nie leiden. Tut immer so, als würde sie sich für die Kinder interessieren und nur ihr Bestes wollen ... Bei der nächsten Gelegenheit würde sie wieder jedem, der ihr nicht bis zum Hals in den Arsch kroch, einen reinwürgen. Natürlich hatten es diese Leute laut ihrer Meinung auch völlig "verdient", da sie keine gute Arbeitsmoral besaßen oder was weiß ich ...
Ich versuchte meine Aggression zu unterdrücken und sagte nichts. Was sollte ich auch sagen?
Während ich so tat, als würde ich noch überlegen, rannte der Rest der pubertierenden Meute bereits kreischend aus dem Raum. Die letzten beiden Mädchen sahen sich beim Hinauslaufen noch einmal zu mir um. Ich hörte sie einen kurzen Moment später draußen auf dem Flur kichern. War sicher wieder witzig, dass der einzige Weiße der Schule wieder eine Standpauke bekam und sie es brühwarm auf dem Schulhof erzählen konnten.
Auf St. Kitts, besser gesagt hier in Cayons Highschool – hinter Monkey Hill, von wo aus man auf die Hauptstadt Basseterre hinunterschauen konnte – gab es nur zwei Fraktionen: Cricket-Spinner und Fußball-Fanatiker. Beide Seiten waren überzeugt, dass nur ihre Sportart die Seele der Insel verkörperte. Auf welcher Seite ich mich sah, konnte man durch meine Beschreibung der Spieler schnell ausmachen. Es war natürlich Fußball. Cricket? Kein Kommentar.
"Haaaallooo? Jemand zu Hause?"
Miss Augustin wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum wie ein müder Animateur im Hotelpool.
"Ich glaube, ich muss wirklich mal mit deinen Eltern sprechen. So kann das nicht weitergehen."
Ihre Stimme klang dabei nicht besorgt, sondern eher verzückt, als würde sie sich freuen, ihnen endlich mal erzählen zu können, was sie von ihrem Balg so hielt.
Apropos Eltern ...Meine Mutter Alexandra war "pharmazeutisch-technische Assistentin", wie man heutzutage sagt, und hatte ihre eigene Apotheke an der Hauptstraße. Die hatte sie vor ein paar Jahren von ihrem ehemaligen Chef übernommen, nachdem dieser meinte, es wäre auf Anraten seines Arztes an der Zeit, kürzer zu treten und der Jugend jetzt auch ein Stück vom Kuchen abzugeben – nur um im nächsten Atemzug zu erwähnen, was genau er denn nun gerne an Miete hätte. Ich dachte nur, wie klein dieses Stück denn wohl sein soll ...
Sie war selten zu Hause, meistens müde, immer bemüht. Ich glaube, sie meinte es gut, aber sie wusste nicht, wie man "gut meinen" auch in "gut machen" übersetzt. Bei ihrer Arbeit störten sich die meisten der Einwohner nicht an ihrer Hautfarbe. Ich hatte eher das Gefühl, dass es dem Geschäft sogar ein wenig Auftrieb gegeben hat, da viele dachten, sie würde die "modernen" Medikamente aus Großbritannien oder den USA bekommen. Dass sie beim gleichen Pharmavertreter kaufte wie die Konkurrenz zwei Straßen weiter, hatte wohl noch niemand bemerkt. Vielleicht war es auch der nicht vorhandene, selbst ernannte Schamane – gleichzeitig Ehemann der Konkurrentin – der den Kunden zusätzlich heilende Säfte, Puppen und andersartigen Firlefanz verkaufen wollte und außerdem im Nebenzimmer seine sogenannten "Austreibungen" vollzog, die man teilweise noch bei uns in der Straße hörte ...
Mein Vater? Johnathan Whitecliffe Sr.? Hat meine Mutter im Laufe der Jahre überredet, das langweilige England mit seinen ganzen Miesepetern zurückzulassen und hierher nach St. Kitts & Nevis auszuwandern, um im "Paradies" zu leben. Dass man auch hier für sein Geld arbeiten müsste und keiner der hier einen Job ausschrieb ausgerechnet auf ihn – den "härtesten Trinker Wycombes", wie er sich einmal stolz im Vollrausch nannte – gewartet hatte, ist ihm damals bei seinem super durchdachten Plan nicht in den Sinn gekommen. Und so ist er irgendwann mal wieder zurück aufs Festland, um zu "arbeiten", wie er damals meinte – das war vor elf Jahren. Seitdem kam nur noch ab und zu eine Postkarte aus Miami mit einem Spruch drauf wie "Chase your dreams" oder "It's always sunny in Florida". Ich hätte ihm gern mal geschrieben, dass es hier auch sonnig ist. Jeden verdammten Tag. Aber den alten Säufer interessiert außer sich selbst sowieso nichts. Und – "Klugscheißer mag niemand, Junge!", wie er damals schon immer gerne sagte, wenn ich ihn auf seine idiotischen Aussagen hinwies ...
Ich lebte also mit meiner Mutter und den ständigen Ermahnungen unseres Nachbarn "Uncle", der fand, ich sollte mit meinem schlauen Köpfchen doch mal "etwas aus mir machen". Und nein, es ist nicht mein richtiger Onkel, und nein, ich weiß auch nicht seinen richtigen Namen - weil ihn alle nur "Uncle" nennen. Als ich ihn doch einmal danach fragte, schaute er mich nur an wie ein Auto und meinte, er verstünde die Frage nicht. Danach ging er ganz schön abrupt mit seinen ziemlich schief eingehängten O-Beinen ins Haus und knallte die Tür unverhältnismäßig doll ins Schloß.
Was aus mir machen ... hier ...
Die Wahrheit war: Ich wusste gar nicht, was ich aus mir machen wollte. Ein Sportler war ich nie. Zu schmächtig für Rugby, zu klein für Basketball und zu langsam für Fußball. Und trotzdem ... Fußball hatte etwas. Kein Sport wie die anderen. Im Fußball konnte man auch von außen etwas bewirken. Fußball war ... Dreck. Schweiß. Streit. Leidenschaft auf dem Feld, und taktisch-analytisch, berechnend und psychologisch daneben. Die letzteren Eigenschaften besaß ich ...
Vielleicht mochte ich Fußball deshalb. Oder weil es das Einzige war, bei dem ich wusste, wovon ich sprach.
"Johnathan, ich rede mit dir!"
Miss Augustins Stimme klang jetzt doch einen Hauch genervter.
"Mhm", murmelte ich.
Sie schnaubte, stempelte meine "Arbeit" mit einem großen, roten Strich – und watschelte mit ihren Stöckelschuhen, auf denen Sie jedoch offensichtlich nicht sehr gut laufen konnte davon, als hätte sie gerade eine besonders anstrengende Pflicht erledigt.
Ich blieb noch einen Moment sitzen. Die Sonne warf gleißende Dreiecke durch die Fenster auf den Boden. Stimmen und Bälle hallten vom Schulhof herüber.
Und ich? Ich überlegte ob Rosalie Ihren Eltern bereits erzählt hatte das sie einen weißen Jungen mit nach Hause bringen würde. Schwarz, Weiß, Grün... - "Ist doch Scheißegal" dachte ich, woraufhin sich Miss Augustin umdrehte und mir einfiel das ich womöglich laut gedacht hatte. "Bin schon weg, keine Fragen, schönen Tag noch!" versuchte ich mich, in dem nettesten mir möglichen Ton, aus der Affäre zu ziehen. Miss Augustin verdrehte ihre Augen und wollte wohl gerade mit der nächsten Belehrung loslegen, da war ich jedoch schon samt Heft und Rucksack zur Pause auf den Schulhof verschwunden. "Hey vielleicht reicht es ja doch zum Profi" dachte ich und musste schmunzeln.

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Erstmal einen guten Abend an alle die sich hier eingefunden haben. Ich spiele schon seit über 15 Jahren FM aber hab noch nie eine Story geschrieben, dies wollte ich nun mal nachholen.
Ich mag selbst gerne ausgeschmückte Geschichten, deshalb wird das Tempo wohl dementsprechend langsam. Ich hoffe der Anfang des Prologes gefällt überhaupt jemandem, bei nichtgefallen kann ich es ja sonst sein lassen und mich in etwas anderem versuchen

Mal schauen wie weit ich überhaupt komme, geplant ist auf jeden Fall ein Save im Concacaf auf St. Kitts und Nevis und im weiteren verlauf evtl auch andere Länder in der Region. Ich habe auch einen Langfristigen Plan, den würde ich dann mitteilen wenn ich es schaffe hier kontinuierlich zu posten, bringt ja nichts Luftschlösser zu bauen wenn ich nicht dranbleibe nech
