Prolog 1.4Wir fuhren
schweigend.
Bradshaw hatte das Fenster einen Spalt geöffnet und
trommelte mit zwei Fingern aufs Lenkrad – ohne Takt, ohne Melodie, einfach nur, um die Stille zu vertreiben.
Die Sonne stand nun hoch über den Hügeln von
Basseterre, ihre Strahlen spiegelten sich
flirrend auf der Windschutzscheibe.
Auf dem Armaturenbrett lag eine weich gewordene Packung Kaugummis, daneben ein
zerknickter Notizblock mit einem Stift, dessen Kappe
zerkaut war.
Die Straße führte in engen Kurven hinunter zur Bucht. Links das satte Grün der tropischen Vegetation, rechts immer wieder kleine Blicke aufs Meer – türkisblau, fast zu
kitschig, um echt zu sein.
Wir passierten ein paar Kinder in Schuluniformen, die
lachend einen Fußball über den sandigen Straßenrand kickten.
Ein streunender Hund trottete träge an einem Müllcontainer vorbei.
Bradshaw sagte nichts. Ich auch nicht. Ich spürte nur, wie der Fahrtwind mir den Schweiß von der Stirn trocknete.
Meine Gedanken waren woanders – irgendwo zwischen dem miefenden Kabinenboden und dem leicht zitternden Daumen, mit dem ich nervös über meinen Oberschenkel strich.
Dann tauchte sie vor uns auf – die
Waterfront. Die bunten Häuser mit ihren roten und türkisfarbenen Dächern, das kleine Empfangsgebäude mit der Kuppel, die aus dieser Perspektive fast wie eine Krone wirkte.
Wie eine Karikatur eines Kolonialhafens, aufpoliert für Touristenkreuzfahrten – und doch:
schön.
Wir parkten zwischen zwei weißen Minivans.
Bradshaw stieg aus, riss die Fahrertür auf, ließ sie einen kurzen Moment lang offen stehen.
In der vordersten Reihe zum Meer stand auch das
Casino, auf das
äußerst dezent mit den riesigen bunten Lettern "
Slots,
Slots,
Slots" hingewiesen wurde.
Der Besitzer musste gute Beziehungen zur Stadtverwaltung haben – wie sonst konnte er eines der besten Grundstücke mit diesem
Bunker bebauen und vielen anderen Häusern die Sicht aufs Meer versperren.
Immerhin beherbergte das oberste Stockwerk auch ein
Café, das offenkundig unser Ziel war.
„Komm. Der Kaffee ist besser, als es hier aussieht.“„Und man hat einen netten Blick auf’s Meer vom Balkon.“ Er versuchte
überzeugend zu klingen.
„Außerdem bin ich mit dem Besitzer in Verhandlungen über einen Sponsorenvertrag, der unsere Kasse ordentlich aufbessern könnte.
Es stärkt vielleicht unsere Verhandlungsposition, wenn er sieht, dass ich mich öffentlichkeitswirksam hier blicken lasse.“Ich folgte ihm ohne ein Wort. Das Pflaster unter meinen Sandalen war
aufgeheizt, fast
brennend. Am Pier schlenderten ein paar ältere Touristen mit Strohhüten.
Eine junge Frau bot frisch gepresste Säfte an. Ein Mann mit Dreadlocks spielte auf einer verstimmten Gitarre und versuchte, sich ein paar Münzen dazu zu verdienen.
Alles wirkte ein wenig
künstlich. Als hätte jemand versucht für Touristen einen Ort herzurichten, wie er dachte, das sie sich die Karibikhäfen vorstellen würden.
Eine
salzige Brise zog durch die Luft – für einen kurzen Moment angenehm, doch kurz darauf war die
Hitze wieder da.
Das kleine
Café im Obergeschoss war einfach eingerichtet.
Zwei Holztische auf dem Balkon, dahinter ein schattiger Innenraum mit einem Ventilator, der ein leises
whupp-whupp-whupp von sich gab.
Es roch nach
Kaffee, Vanille – und ein bisschen nach diesen
„Spezialzigaretten“, von denen immer ein
einzigartiger, süßlicher Duft ausging.
Hinter dem Tresen stand ein
buckliger alter Mann, der sich mit einer Hand auf die Theke stützte und mit der anderen Kaffee in verschiedene Behältnisse füllte.
Im Mundwinkel klemmte ihm eine dieser
"Spezialzigaretten", die jedoch nur noch
glimmte und bereits halb aufgeraucht war.
Seine Bewegungen waren
sehr langsam und er schaute nur kurz auf als wir eintraten und das Türglöckchen klingelte.
„Baitshaw.“ krächzte er mit einer
tiefen, kratzigen Stimme, die nicht nur durch
jahrzehntelanges Rauchen, sondern auch durch das
ungesunde Trinkverhalten eines Baarkeepers, welcher wohl selbst sein bester Kunde war, in Mitleidenschaft gezogen wurde.
„Bradshaw.“ seufzte dieser – offenbar
müde, sich weiter dem alten Kampf um die richtige Aussprache zu stellen.
Der Alte murmelte sich etwas
Unverständliches in den Bart und hatte keinerlei Intresse daran uns länger seine Aufmerksamkeit zu schenken.
Er neigte den Kopf zur Seite und wandte sich wieder seinem Kaffee zu.
Wir setzten uns an einen freien Tisch auf dem Balkon, der einen direkten Blick auf das
kristallklare Wasser offenbarte - man konnte von hier aus sogar den
Meeresgrund erkennen.
Bradshaw winkte einer
Frau zu, welche anscheinend zum Personal gehörte, jedoch gerade im inneren, mit den zwei einzig anderen Gästen des Café´s an einem Tisch saß.
Sie nickte, offenbar kannte sie ihn ebenfalls – wahrscheinlich verirrten sich hier nur Stammkunden her, obwohl die Lage des Café´s kaum besser sein konnte.
Die
junge Frau, ca.
1,80m, war
schlank und hatte
lange schwarze Haare.„Was nimmst du?“ fragte mich
Mr. Bradshaw.
„Kaffee mit Milch. Und Zucker. Viel Zucker.“ erwiderte ich.
„Hätt’ ich mir denken können. Manches ändert sich nie.“Die
Kellnerin hatte offenbar mitgehört und ging direkt zur Theke. Dort
diskutierte sie mit
dem Alten, fast als
stritten sie sich ein wenig.
Dann kam sie mit zwei Tassen zu uns an den Tisch.
„Einmal wie immer für Mr. B. – und einmal ein bisschen Kaffee und Milch zum Zucker für seinen Gast.“ witzelte sie, bevor sie wieder zurück an ihren Tisch ging, ihr Handy nahm und anfing zu telefonieren.
„Wo bist du?... Warum?... Komm her und zieh dir was Vernünftiges an, Mr. B ist hier!... Ja...und macht nichts, wenn’s schnell geht.“Mein Kaffee
dampfte. Ich rührte langsam um, der Löffel
klirrte leise. Die Milch färbte sich
goldbraun, es duftete nach
Heimat – und ein wenig nach Du schaffst das irgendwie.
Sie kam zurück.
„Mein Bruder hatte heute nicht mit Ihnen gerechnet, Mr. B. Er sagt, es tut ihm sehr leid, aber er kommt sofort.“ sagte sie und lächelte dabei etwas
verlegen.
„Sie können ihm ausrichten, dass ich nur hier bin, um meinem Freund euer schönes Café zu zeigen – und dabei wird seine Anwesenheit nicht von Nöten sein.
Ich melde mich direkt bei ihm, wenn ich gedenke, übers Geschäft zu sprechen.“ sagte er
ungewohnt geschwollen.
„Oh, Ich werde es ausrichten. Genießen Sie Ihren Kaffee werte Herren.“ sagte Sie ein wenig
spöttisch, machte einen Knicks und verschwand wieder nach drinnen.
„Was war das denn?“ fragte ich.
„Du siehst ja, wie viel hier los ist, nämlich fast nichts. Unten im Casino ist es nicht großartig anders. Der Deal ist für sie genauso wichtig wie für uns." erklärte
Mr. Bradshaw und ging nicht weiter auf meine Frage ein.
Sie brauchen Publicity – wir brauchen das Geld. Und über wen wird hier am meisten berichtet, wenn die großen Hauptstadtclubs mal verlieren? Genau: über die wiedererstarkten Rockets und ihre Sponsoren.“Macht Sinn dachte ich - wenn es alles genau
so eintrifft.
Bradshaw ließ mich einen Schluck trinken, dann fuhr er fort:
„Aber deswegen sind wir heute nicht hier. Du hast gesehen, dass der Co-Trainer denkt, er würde jetzt befördert werden, nicht wahr?“ fragte er und schaute mich direkt an.
Ich nickte langsam.
„Er wird sicher nicht begeistert sein, wenn er erfährt, dass er in zweiter Reihe bleiben soll."Bradshaw schnaubte und lehnte sich zurück.
Ich trau’s ihm nicht zu. Aber er gehört zum Inventar, deswegen möchte ich ihn eigentlich auch nicht rauswerfen – zehn Jahre ist der gute Mann schon im Verein und gemeckert hat er nie.“Ich trank einen weiteren Schluck und stellte die Tasse ab.
„Wir können ihn auch gar nicht rauswerfen. Ich hab nämlich gar keine Lizenz.“Stille.Bradshaw sah mich an, als hätte ich gerade gestanden, sein Boot im Meer
versenkt zu haben.
„Wie bitte? Ich dachte, du hast all deine Scheine gemacht und…“Mehr brachte er nicht raus.
Enttäuschung überkam ihn.
Er sah seinen schönen Plan
davonschwimmen, wie ein Boot das den Hafen verlässt.
„Ich hab keine Lizenz. Noch nicht. Deshalb brauchen wir Ihn.
Auf dem Papier könnte er den Cheftrainerposten übernehmen und Ich wäre bloß der Assistent. Offiziell. In Wirklichkeit würde ich die Zügel in der Hand halten und die Richtung vorgeben“Bradshaw blinzelte, lehnte sich vor.
„Du hast dir also schon Gedanken gemacht?“„Natürlich. Ich bin vielleicht ohne Zettel, aber nicht ohne Plan.“„Glaubst du denn, du bekommst das hin?“Ich zuckte mit den Schultern
„Mit dem Team? Jeder Depp könnte mit denen aufsteigen. Selbst ohne Training wären sie mit Abstand die Besten in Liga zwei. Die Gegner da draußen sind doch höchstens zweitklassige Hobbykicker.
Wir dagegen haben einige gute Spieler aus der ersten Liga – aktuell nicht Fit, klar, aber immerhin. Garantieren kann ich natürlich nichts.“Bradshaw rieb sich übers Kinn und
überlegte einen Moment.
„Was sagst du zu fünftausend?“„Dollar?“„Ja klar, was glaubst du denn? Apfelsinen?“Ich trank aus, sah ihn an und setzte mein bestes Pokerface auf.
„Zehntausend. Plus Lizenz.“ sagte ich so
selbstbewusst wie nur irgend möglich.
Er
lachte trocken.
„Ganz schön frech.“„Du hast mich doch gefragt – und herbestellt.“ entgegnete ich ohne eine Miene zu verziehen.
Er schüttelte
grinsend den Kopf.
„Na gut. Aber dann fängst du morgen an und regelst das mit dem Co-Trainer. Zehn Uhr Training – wie besprochen.“„Deal.“ sagte ich
triumphierend und wir reichten uns die Hand.
Er drückte sie
deutlich fester als nötig und hielt meine Hand einen Moment lang fest. Als ich sie versuchte sie zurückziehen, drückte er noch ein wenig fester zu und schaute mir dabei tief in die Augen.
„Du weißt, dass ich mit dir einiges riskiere, oder? Sorge dafür, dass wir beide es nicht bereuen.“ Der Tonfall war
ernst und erst jetzt ließ er meine Hand wieder los.
Ich zog sie schnell zurück und versuchte wieder Gefühl darin zu bekommen, welches er mir zuvor komplett
herausgequetscht hatte.
Bradshaw lächelte nun wieder leicht, griff in seine Tasche und zog ein
zerknittertes DIN-A4-Blatt hervor.
Er klatschte es vor mir auf den Tisch und strich sorgfältig einige Male darüber.
Daneben legte er einen, mit feinen Linien
verzierten, silbernen Füller. Er hatte die Initialen
T.B. in
verschnörkelten, goldenen Lettern eingraviert und sah
ziemlich teuer aus.
„Ich bin ebenfalls gut vorbereitet." erklärte er
Stolz und
tippte auf das Blatt Papier.
"Unterschreiben."„Was zur Hölle… Wie konntest du…?“„10.000 per Anno – wie du wolltest. Die 250 sind für die Lizenz.“ rief er vergnügt.
„Ich kenn doch meine Jungs.“ lachte er und
verschluckte sich beinnahe.
Ich las das Papier nochmal genauer und
tatsächlich - auf dem Vertrag stand genau
10.250$ p.a.,
vorgedruckt – mit dem Computer.
Er hatte es nicht eben gerade erst
händisch eingetragen. Alles war bereits genau vorbereitet worden und er schien sich seiner Sache offenbar ziemlich sicher.
Bin ich wirklich so
leicht zu durchschauen? fragte ich mich.
Anscheinend liest er mich wie ein offenes Buch – gut, dass wir auf
derselben Seite stehen.
Wir
lachten beide.
Im Hintergrund schlug eine Welle gegen die Kaimauer. Ein
pelziger Straßenkater sprang
erschrocken zur Seite und riss dabei einen Blumenkübel in den Abgrund.
Er
zerschellte unten angekommen auf den Steinen, der Kübel,
nicht der Kater.
Ich nahm den Füller und wog ihn in der Hand noch ein paar mal hin und her.
Mr. Bradshaw sah mich
erwartungsvoll an.
Ich unterschrieb. Das war er also, mein
erster Vertrag.
Er war vordatiert auf den
09.01.23.Ich hatte also noch etwas Zeit, doch die Arbeit auf dem Platz würde schon morgen früh beginnen.
10:00.– Ende des Prologs –