Eine Stunde und drei Tassen Kaffee später hatte ich meinen Ärger vorerst runtergespült. Während des Frühstücks studierte ich eifrig die Mappe, die mir Graham gegeben hatte und in der ich alle wichtigen Informationen zum Verein, der Stadt und natürlich zum Kader fand. Was die Mitarbeiter betraf, so hatte ich mich schon Wochen vor meiner Unterschrift erkundigt und als geheimer Trainingsgast, die Arbeit des Personals begutachtet. Am Ende meiner Beobachtung musste ich feststellen, dass Altrincham quantitativ weit über seinem Budget agierte, von der Arbeitsleistung der Mitarbeiter aber sogar von denen eines deutschen Bürgeramtes überholt würde. Entsprechend hatte ich hier erste Änderungen veranlasst. Der Kader war für mich allerdings noch eine große Unbekannte. Zwar hatte ich bereits einige Spieler ins Auge gefasst, mit denen ich arbeiten wollte, doch ein umfassendes Bild der gesamten Mannschaft wollte ich mir mit Billy machen, den ich am Flughafen abholte, um nun mit ihm zum Vereinsgelände zu fahren.
Dort angekommen, wartete Graham schon und begrüßte uns überschwänglich. Kein Wort zu meinem kleinen Ausraster von heut Morgen. Der Mann war gutmütiger als meine Oma. Die Führung um das Vereinsgelände dauerte nur gut vier Minuten, denn faktisch bestand das, was unser Chef als sein Lebenswerk bezeichnete, lediglich aus zwei Trainingsplätzen und einem kleinen Pub, der als Vereinsheim diente und in dem alle administrativen Dinge geregelt wurden. Umkleidekabinen gab es hier keine und die vom schlechten Wetter aufgeweichten Plätze glichen eher einer Moorlandschaft. Ich schaute zu Billy, der wortlos auf den Acker starrte, der uns als Trainingsstätte dienen sollte. Ich war mir sicher, dass wir in diesem Moment das gleiche dachten.
„Also meine Herren, wie gefällt es Ihnen?“
„Es ist…anders, als ich erwartet hatte. Sehr speziell.“ sagte ich, in der Hoffnung möglichst diplomatisch zu klingen.
„Allerdings, das ist es. HAHAAH… Da kommt das Team. Kommen Sie, ich stelle Sie kurz vor und überlasse dann Ihnen das Feld.“
90 elendig lange Minuten später schlug ins die Ernüchterung kälter ins Gesicht, als das englische Wetter. Immer wieder hatten Billy und ich Kommandos aufs Feld gerufen. Beim Spiel auf dem Großfeld, wollten wir unser neues Team besser kennen lernen. Doch anstatt Fußball zu spielen, gaben sich unsere Jungs im Stile von Vinnie Jones ordentlich auf die Knochen.
„Patrick, das wird ein hartes Stück Arbeit. Ich hoffe nur, dass deine Frau wirklich gute Kontakte hat. Mit diesen Jungs ist der Aufstieg nicht mehr als ein Wunschtraum.“
„Das sehe ich ähnlich, wir sollten noch heute eine Analyse erstellen und entscheiden, wen wir gebrauchen können.“
„Das dürfte schnell gehen. Der Großteil gehört eher in die Metzgerei, denn auf den Fußballplatz.“
„Seien sie nicht so pessimistisch Billy. Diese Jungs spielen mit Herz und Leidenschaft. Das ist der Geist des englischen Fußballs. So sind wir ´66 Weltmeister geworden.“ Solche Worte konnten nur von einem Mann kommen, der das Kick-and-Rush mit der Muttermilch aufgesogen hat.
„´66 genau! Aber 2011 sind andere Elemente gefragt. Patrick hat mich geholt, um attraktiven Fußball spielen zu lassen. Aber mit diesen Holzhackern sehe ich da schwarz.“
Ich befürchtete die erste Auseinandersetzung zwischen den beiden und wollte gerade dazwischenhaken. Doch wieder überraschte mich Graham mit seiner Gelassenheit, die er an den Tag legte, als er sagte: „Abwarten Billy, nur unter Druck entstehen Diamanten. Seien Sie ganz unbesorgt, ich habe Patrick bereits zugesichert, jede Änderung des Kaders abzusegnen, solang Sie nur unser Gehaltsbudget nicht sprengen. Aber denken Sie daran, dass wir Spieler brauchen, mit denen sich die Fans identifizieren, also werfen Sie nicht alle auf einmal raus.“
„Keine Sorge Chef, einige haben Potential. Aber Billy und ich müssen erst einmal beratschlagen, wo wir Bedarf sehen.“
„Gut, dann kommen Sie beide morgen in mein Büro und teilen mir Ihre Ergebnisse mit. Kommen Sie nun, es wird Zeit für die PK. Ach und Patrick, nimm die hiesigen Reporter nicht allzu ernst. Einige verwechseln den Altrincham Standard gern mit der SUN.“
Was wollte er mir damit sagen? Schnell griff ich zur Zeitung, die Billy in seiner Tasche hatte. Als ich die Titelseite des Sports fand, wurde mir klar, worauf Graham hinaus wollte. In schwarzen Lettern prangte dort:
Jackpot - Star wins Altrinchamlottery
Senile chairman Rowley signs unknown former handballer Patrick Star
Diese Botschaft war angekommen. Doch denen würde ich es noch zeigen.
@Leland: OK, das werde ich so mal ausprobieren, dann wird der Textteil auch mal etwas aufgelockert und außerdem weiß ich aus eigener Erfahrung, dass Visualisierung immer gut ist ;)
Blue Square Bet North – 1. Spieltag
Die Sonne schien an diesem Samstagnachmittag, was ich als gutes Zeichen wertete. Die Vorbereitung war glänzend verlaufen und alle Spieler waren ohne Verletzungen durchgekommen. Zudem konnten wir Tage vor dem ersten Spieltag mit Rocky Siberie noch einen Spieler für die Offensive unter Vertrag nehmen. Er stellte sofort die Verstärkung dar, die ich für den linken Flügel noch gesucht hatte und so bot ich ihn von Beginn an auf.
Es war alles angerichtet für das erste Pflichtspiel des Jahres. Schon Stunden vor dem Anpfiff wechselten meine Empfindungen im Minutentakt. War ich im einen Moment voller Vorfreude und sehnte das Spiel herbei, war nur Augenblicke später Nervosität das vorherrschende Gefühl. Ich zwang mich mir äußerlich nichts anmerken lassen und schwor meine Truppe auf das Spiel ein. Gegner war Corby Town, eine Mannschaft, die von allen Experten in Mittelfeld der Tabelle erwartet wurde. Dann war es soweit, meine Jungs machten sich bereit für den Einlauf ins gut besetzte Stadion an der Moss Lane, wie unsere Heimstätte heißt. Unterdessen richtete Graham ein paar letzte Worte an mich.
„Hah, Patrick mein Junge. Nun gilt´s. Deine Ideen zum Ticketverkauf scheinen ja zumindest schon mal zu funktionieren. Da draußen sitzen an die tausend Leute. So viele Zuschauer hatten wir hier seit Jahren nicht. Ich wünsche dir viel Glück da draußen und genieße es.“
„Danke Graham, ich werd es versuchen. Die Jungs sind heiß und ich hab ein sehr gutes Gefühl für das Spiel.“
FC Altrincham – Corby Town FC 2:1
Tore: Siberie, Redshaw;
MoM: ganz klar Siberie (8,4)– ein Tor gemacht, eins vorbereitet: perfekter Einstand
Überraschenderweise begann meine Mannschaft sehr nervös und nach gut 20 min. war mein gutes Gefühl dahin. Nach einem dicken Schnitzer in der Hintermannschaft gingen die Gäste mit 1:0 in Führung. Doch offensichtlich waren die Spieler nun wachgeschüttelt. Angeführt vom überragenden Siberie, der noch in Hälfte eins ausglich und später den Siegtreffer durch Redshaw vorbereitete, drehten wir das Spiel und der erste Dreier meiner Trainerlaufbahn war in Sack und Tüten.
Mein Einstand war geglückt und ich erhielt viel Zuspruch von Vereinsnahen Personen. Lediglich einer wollte mir die gute Stimmung vermiesen. Während der Vorbereitung war es lange ruhig um den Schmierfink des Standard gewesen, doch nun hatte er sich wieder aus seinem Versteck herausgewagt und setzte erneut zum Schlag gegen mich an. So war am Tag nach dem Spiel zu lesen:
Where is your offensivepower Star?
Despite a poor display new Altrincham manager grabs first win
Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Mann und konnte mir nicht erklären, worin sein Antrieb bestand. Auch, wenn man ihm Recht geben konnte was das Offensivspiel meiner Mannschaft anbelangte, so hatte er dennoch unterschlagen, dass wir uns grandios in das Spiel zurückkämpften und letztlich verdient gewannen. Ich beschloss diese inkompetente Kritik nicht an mich heranzulassen und sie zu meinem Vorteil zu benutzen.
Blue Square Bet North – 2. Spieltag
Während die Mannschaft auf dem Feld war, um sich warm zu machen bereiteten Billy und ich in der Kabine etwas für die Mannschaft vor. Wir hatten auf jedem Platz ein Exemplar des Artikels von Sinnot gelegt, indem er unserem Team die Qualität in der Offensive absprach und ernsthafte Zweifel an unseren Aufstiegsambitionen formulierte – nach gerade mal einem absolvierten Ligaspiel. Nun wollte ich ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.
„Männer, lest euch das gut durch. Dieser Mistkerl ist doch tatsächlich der Meinung, dass wir Probleme haben das Spiel zu bestimmen und einen Gegner an die Wand zu spielen. Doch ich weiß etwas, dass er nicht weiß: ihr seid die stärkste Truppe dieser Liga und der Aufstieg wird nur über uns gehen, also geht jetzt daraus und werft diesem Spinner seine Worte um die Ohren.“
Noch vor Monaten hätte ich über solche Phrasen gelacht und sie als Machwerk eines minderwertigen Hollywoodstreifens abgetan, doch nun stand ich selbst in der Kabine und spürte, dass meine Worte bei der Mannschaft ankamen. Insbesondere Fergus Bell, der in der Vorwoche sehr unglücklich agierte, sah nun wesentlich entschlossener aus. Mit geschwellter Brust und ein wenig Wut im Bauch ging meine Mannschaft ins Spiel und zeigte Sinnot von Beginn an den Mittelfinger.
Sollihull Moors FC – FC Altrincham 0:3
Tore: Wales,Bell (2)
MoM: Fergus Bell (8,8)
Bereits nach zehn Minuten setzte sich Gary Wales mit einem klasse Solo gegen die Defensive des Gastgeber durch und vollstreckte gekonnt aus 16m – wegen solcher Aktionen hatten wir ihn verpflichtet. In der 20. Minute dann ein kurzer Schockmoment, noch einem bösen Foul an Harris, musste dieser mit einem gebrochenen Knöchel vom Platz, der Übeltäter kam gänzlich ohne Strafe davon. Mein Team reagierte mit Trotz und noch vor der Pause erhöhte Bell mit einem Doppelschlag auf 0:3. In den zweiten 45 Minuten passierte nicht mehr viel, was mir angesichts der überragenden 1. Hälfte nahezu egal war. Wir ließen wenige Chancen für den Gegner zu und obendrein hatten beide Stürmer getroffen. Genugtuung machte sich in mir breit, erst recht als ich am Abend auf die Tabelle sah – wir waren Spitzenreiter. Zwar lagen noch 40 Spiele vor uns, doch ich war wild entschlossen, diesen Platz bis zuletzt zu verteidigen, denn es fühlte sich verdammt gut an. Auf der Rückfahrt gröhlten die Spieler im Bus und genossen ihr Siegerbier. Doch von alldem bekam ich wenig mit, denn ich hatte nur einen immer wiederkehrenden Gedanken im Kopf – In your face Sinnot!
Spät abends, ich war gerade in meinem Appartment angekommen, klingelte mein Telefon, es war Graham, der mit freudig erregter Stimme zu mir sprach.
"Hallo Star. Das war ein unglaublich gutes Spiel, wie wir Sollihull dominierten und gleich drei Tore, kurz es war eine Augenweide."
"Wenn dir das gefallen hat, dann warte, wozu diese Jungs im Stande sind, wenn sie sich erst perfekt aufeinander eingestimmt haben. Aber du hast Recht, es war ein sehr schönes Spiel. Dennoch müssen wir nun weiter hart arbeiten, wenn wir dort oben bleiben wollen. Und das will ich unbedingt. Zudem haben wir es diesem Schmierenheini von Sinnot gezeigt."
"Ach Patrick, regst du dich immer noch über diesen Kerl auf? Der ist doch nur sauer, weil sein Bruder Lee Sinnot im Frühjahr gehen musste, kurz bevor du kamst. Der meint das nicht so. Also lass es gut sein."
Daher wehte also der Wind. Um seinen Bruder zu rächen, versuchte er nun mich in einem möglichst schlechten Licht darstehen zu lassen. Da hatte sich der Kerl den Falschen ausgesucht. Wenn er spielen wollte, dann hatte er in mir seinen Gegner gefunden. Ich beschloss von nun an offensiv mit dieser Geschichte umzugehen.