Man kann sich an verschiedenen Stellen dem Kapitalismus kritisch gegenüberstellen und gleichzeitig konsumieren und dadurch das kapitalistische System unterstützen. Das ist genau so, wie man sich für die Natur, Umwelt, den Klimaschutz einsetzen kann und trotzdem Auto fahren oder seine Wohnung heizen darf. Dabei ist es nur paradox - nichts weiter.
Paradox und notwendig. Als Teilnehmer in einem kapitalistischen System wird man immer irgendwo als Konsument beteiligt sein. Das sagt nicht aus, dass man mit der Gesamtsituation zufrieden ist und man es nicht gerne anders hätte.
Gleichzeitig entwertet es "antikapitalistische Produkte", weil durch das Paradox sofort impliziert und angeprangert werden kann, dass das gar nicht wirklich gegen den Kapitalismus ginge, weil es selbst Kapitalismus ist. Schließlich wird damit Geld verdient. Genau so wie Flyer auf der Umweltschutzdemo, der eigentlich nicht existieren dürfte, sonst würden einem die Bäume nicht wirklich am Herzen liegen.
Ich sehe bei dem Gedankenanstoß aus dem Buch die Gefahr, dass man genau in diese Neigung verfällt. Systemkritiker sind einfach zu entwerten, weil sie während ihrer Systemkritik am System teilnehmen. Wie der Journalist der in der Zeitung schreibt das Journalismus doof ist...
Entweder der Gedankengang führt in diese Richtung und ist ein sehr einfacher Versuch die politische Einstellung von Menschen zu entwerten oder er führt da hin, dass es ein notwendiges Übel ist das gar nicht so spannend ist.
Siehst du noch andere Wege was man mit der Idee anfangen sollte?
Klar kann man dem Kapitalismus kritisch gegenüberstehen und weiterhin konsumieren...
und man kann es auch bei den "Konsumenten" differenzierter sehen, ich würde nicht sagen, dass dadurch alle Systemkritiker entwertet werden
jedoch:
Ich verstehe den Autor dahingehend anders, dass die Gefahr besteht, dass viele angebliche Systemkritiker gar nicht merken, wie ein Markt um Sie herum entstanden ist, der genau bestimmte Knöpfchen drückt...
Natürlich achtet man auf Sparsamkeit hier und da, trinkt nur noch Leitungswasser bspw., aber auf das neue Apple Iphone kann man dann doch nicht verzichten...
Ist mir die Marke nicht Bio genug nennt man sie einfach BioBio...und die wird gekauft
Ist die Waschmaschine wirklich energieeffizient produziert und energiesparsam, weil das bei der Googlesuche in den ersten 5 Suchergebnissen so angepriesen wird...?!
...und les ich nur noch Artikel dazu, die mich im meinem Handeln und Wirken bestätigen, der Journalist bedient das und verdient dabei gut...
usw.
Naja. Aber gerade dieser Kritik sind Menschen die sich gegen die schlechten Seiten des Kapitalismus oder für so Dinge wie Umweltschutz einsetzen ausgesetzt. In ihrer ganzen platten Welle: Wie oft lies man unter den Artikeln oder Videos mit Inhalt Friday for Future, dass die Schule schwänzen aber wenn sie dann ein Handy brauchen oder in den Urlaub gehen wollen ist der Aktivitmus ganz klein. Oder man solle ihnen im Winter einfach mal die Heizung abstellen, dann wäre schnell vorbei mit den Wünschen CO2 zu sparen. Man erwartet absoluten Verzicht von Menschen, die sich aus Überzeugung gegen etwas einsetzen ohne zu sehen wie unrealistisch die Forderung ist. Bequem daran ist, dass man sich dann nicht wirklich mit ihren Forderungen auseinander setzen muss. Das kam mir in den Sinn, als ich über den Grundgedanken nachdachte, weil ich Parallelen sehe.
Zu deinem jedoch...
Ich finde den ersten Vergleich unpassend in dem Sinne, dass er nicht zu dem Beispiel steht. Die Marke Apple steht weder für "kleinen" Kapitalismus, Umweltschutz oder sonst was. Das ist kein Markt, der sich auf eine politische Agenda gesetzt hat. Vielleicht verstehe ich das falsch?
Wenn ich für Klimaschutz bin und als Single SUV fahre, im Jahr drei mal nach Thailand fliege und jeden Tag 2 Avocados auf meinem Toastbrot brauche bevor ich mir Mittags das Billigschnitzel in der Kantine reinpfeife habe ich entweder sehr gute andere Gründe den Klimaschutz in meinen Gedanken zu rechtfertigen oder bin eventuell inkonsequent und was ich denke und tue liegen außeinander. Könnte man sagen und denken. Mach ich jetzt aber nicht, weil ich dann in meine eigenen Worte von oben fallen würde.
Im Grunde kommt es auf die Schwelle an, die ich einer Person bereit bin ihre Agenda und dem was sie wirklich tut zu glauben. Ich würde wahrscheinlich jedem in diesem Forum eine Haltung gegen den Kapitalismus eher abnehmen als Jeff Bezos.
Und vielleicht ist es genau so wie du sagst: Eine Person ist sparsam im generellen Konsum, trinkt nur Leitunsgwasser, fährt kein Auto, fliegt nie und kauft sich dann eben das IPhone. So what? Der mit dem negativen CO2 Fußbadruck werfe das erste CO2-Kompensations-Zertifikat.
Bio, oder noch besser, vegane Produkte sind schon eher ein gutes Beispiel. Rügenwalder macht mittlerweile mehr Umsatz mit veganen Produkten als mit Produkten von Tieren. Aber hey, ist das nicht ein Henne Ei Problem? Wenn ich eine politische Überzeugung habe und mir ein Konzern eine Lösung dafür anbietet die mit meiner Überzeugung übereinstimmt, dann kann ich doch konsumieren. Werde ich dabei ausgenutzt? Der Konzern gibt mir etwas das ich möchte. Ob er das geziehlt für mich hergestellt hat, um mich "zu locken" oder ich ihn gefunden habe, weil er zu mir passt, dass ist am Ende nicht mehr klar trennbar.
Das ist eventuell mein zweites Problem mit dem Grundgedanken. Dazu später mehr.
Bei dem nächsten Punkt stimme ich dir zu. Hier geht es aber vor allem um Vertrauen. Zumindest bei Produktbeschreibungen. Haltbarkeit, Qualität, Herkunft der Rohstoffe, Produktionsstandordte, faire Bezahlung der Produktions und Lieferketten, Verbrauch, Inhaltsstoffe, laufende Kosten sind unter Anderen alles Kriterien die ich bei meinem Konsum berücksichtigen kann. Die Priorität der Kriterien bei der Masse steigt und fällt. Vor 20 Jahren hat es viele Konsumenten noch nicht so stark interessiert wo KiK seine Kleidung nähen lässt. Es ist also eher eine Frage der Transparenz und das Vertrauen in das Unternehmen oder in Informationsquellen. Ich weiß nicht wer die ersten fünf Quellen in Google mit Informationen gefüttert hat.
Wer in irgend einer weiße nachhaltig oder sonst wie konsumieren will muss eventuell etwas tiefer gehen als fünf Quellen, oder sich den nachhaltigen Kosum nicht auf die Plakette schreiben wollen. Am Ende ist er allerdings abhängig von seinen Informationsquellen und muss vertrauen.
Beim Aufwand den man in die Informationsbeschaffung steckt, sind wir wieder bei dem Beispiel von oben. Wie glaubwürdig sind Personen in dem was fordern und was sie tun? Wobei das keine leichte Frage ist. Man könnte einer Person, die in einem 8 Euro T-Shirt aus dem Produktionsstandort Bangladesh herumläuft von Grund auf verbieten sich gegen den Kapitalismus einzusetzen. Schließlich trägt die Person die Abgründe des Kapitalismus auf ihrer Haut. Eventuell ist die Person aber auch in der Ausbildung, in einem Niedriglohnsektor oder hat sonstige finanziell prekäre Hintergründe und kann sich einfach nicht mehr als 8 Euro für ein T-Shirt leisten. Wer will da von Inkonsequenz sprechen und der Person die Meinung widerspenstig machen?
In Bezug auf die Grundidee, bedeutet das natürlich, dass der "neue Kunde" mit seinen "neuen Präferenzen" auf "neue Arten" ausgetrickst werden kann. Aber das gab es schon immer. Es ändern sich nur die vermeintlich wichtigen Kriterien über die man nicht richtig informiert ist.

Und auch das Journalismus-Beispiel stimmt im Grunde. Medien produzieren was Leute konsumieren. Ich denke es gibt heute um ein vielfaches mehr Kochbücher, Berichte, Blogs und Co für veganes Essen als vor 20 Jahren. Ist das jetzt eine Ausbeute von veganen Menschen die zum Kauf und Konsum animiert werden? Oder schafft die Interesse an veganem Essen einen Markt der im Kapitalimus einfach bedient wird? Damit sind wir wieder bei dem Henne und Ei Problem.
An der Stelle könnte man eventuell über Filterblasen reden. Aber das gibt der Grundgedanke nur schwer her und wer steckt nicht in einer Filterblase?
Das Henne Ei Problem könnte man auch positiv betrachten. Nicht die Unternehmen diktieren was der Konsument will und "nutzen ihn aus". Dadurch, dass Menschen auf eine bestimmte Art und Weiße konsumiert verändert er die Welt. Für jede Packung vegane Wurst die verkauft wird, verkauft Rügenwalder eine Packung normale Wurst weniger. Es wird nicht plötzlich mehr konsumiert, nur anders. Und im Endeffekt ist die Konsumentscheidung die Entscheidung über die Produktion.
Rügenwalder, dem Journalisten und dem Waschmaschinenhersteller ist es völlig egal was gekauft wird. Wenn es vegan, grünpolitisch und ökologisch wertvoll sein soll, dann wird eben genau das produziert (Wobei ich das nicht für jedes Unternehmen, Journalisten und Co so stehen lassen würde, es aber in einem kapitalistischen Modell eine Vereinfachung darstellt, die ich mir an der Stelle erlaube). Die Produzenten die sich an den Konsumentenwunsch anpassen können gewinnen. Auch die Sicht aus der Perspektive des Konsumenten der den Markt durch Nachfrage formt wird vom Kapitalismus abgedeckt.
Dabei ist das allerdings keine Alternative. Konsument und Produzent sind ein einer Wechselbeziehung und wirken gegenseitig aufeinander ein. Deswegen ist die Grundidee schon richtig. Sie lässt meiner Meinung nach aber die Hälfte aus. So steht dann der Konsument als passives Opfer da und bemerkt gar nicht was mit ihm geschieht, während der böse Kapitalist seinen Gutglauben, für die richtige Sache zu stehen, ausnutzt.

Du merkst es vielleicht auch: Es ist nicht so einfach die Beispiele immer auf den Kapitalismus zu münzen, deswegen reden wir immer etwas drum herum. Aber ich denke es ist klar, dass die Beispiele stellvertretend funktionieren. Ein Produkt gegen den Kapitalismus wäre vielleicht etwas wie eine Ethikbank, Produkte die eine faire Bezahlung aller teilnehmenden Wertschöpfer sicherstellt oder ein Buch zum Thema. Dazu gehören Konsumerverhalten, wie auf Unternehmen wie Amazon zu verzichten und den Einzelhandel zu unterstützen. Um mal ein paar Stellvertreter zu nennen.
Gerade das Beispiel mit Amazon kennt jeder. Irgendwie sagen alle, dass Amazon doof ist, aber es juckt nicht bei der Entscheidung wo gekauft wird. Das ist aber nicht das was in dem Buch scheinbar beschrieben wird; es gleicht eher dem IPhone Beispiel.