Kaum ist man mal unterwegs, schon fliegen hier die Fetzen.
Die Debatte um das Mitsingen der Hymnen ist einfach nur daneben. Als beliebtestes Gegenbeispiel sollte man wohl das WM-Finale von 1974 heranziehen (um euch das Googlen zu ersparen, kein Deutscher hat mitgesungen). Wer da nun mitsingt oder nicht, wer inbrünstig mitträllert oder nur vor sich hin stiert, das alles ist doch vollkommen irrelevant und sagt nullkommanichts über den Bezug der Spieler zu dem Land aus, das sie da auf dem Feld repräsentieren. Auch fehlenden Einsatzwillen oder Siegeswillen daran ablesen zu wollen, ist nichts weiter als Kaffeesatzleserei. Spiele gewinnt nicht der beste/emotionalste Männerchor, sondern das Team, das mehr Tore schießt.
Manche sollten vielleicht einsehen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, in dem viele (sehr viele, Millionen!) Menschen leben, die über einen Migrationshintergrund verfügen. Die Khediras, Özils und Boatengs haben uns mit ihrem Einsatz, ihren Toren oder Vorlagen zur WM geschossen, sie haben gestern gut bis hervorragend gespielt und somit jede Berechtigung, in der Startelf zu stehen und Deutschland zu repräsentieren.
Dass Özil so viel Elan ausstrahlt wie ein Sack Mehl, ist keine weltbewegende Neuigkeit. Der ist vom Charakter eben kein Kämpfer der Marke Briegel oder Förster. Dafür bringt er ganz andere Qualitäten mit, die die deutsche Nationalelf benötigt. Ja, Özil wirkt sehr häufig lethargisch bis melancholisch. Na und? Wenn er dafür spielerisch überzeugt, die entscheidenden Pässe spielt und uns zum Sieg verhilft, kann er die Schultern hängen lassen, so viel er will.
Wenn er wirklich schlecht spielt, dann kritisiert man ihn. Ist doch normal.
Ich finde die Ansicht vom Basken spannend. So eine ähnliche Einstellung hatte ich bis zur WM2006. Den Vizeweltmeistertitel von 2002 fand ich ziemlich erbärmlich, das Ausscheiden 2004 hat mich damals belustigt. Woran das lag? An der typischen Spielweise, die bis dato vorgeherrscht hat. Rumelfußball bis zum Abwinken. Und dann Siege durch irgendwelche dreckigen Tore. Doch seitdem sehe ich einen Wandel. Bei aller "Spielerei" geht mir manchmal die Effizienz ab und das kritisieren ja neben mir auch viele andere. Außerdem kann man die Nationalelf und ihren Trainer immer kritisieren, aber ich honoriere die Entwicklung, die dieses Team gemacht hat. Wenn Deutschland verliert, geht die Welt für mich dennoch nicht unter. Ist der Gegner eben stärker/cleverer gewesen. Ich sehe mich nicht als Offensiventhusiasten, aber ich erkenne die durchgemachte Entwicklung des Teams an. Natürlich missfallen auch mir die weiteren Entwicklungen wie die Installation eines Oliver Bierhoffs (zu welchem Zweck eigentlich? Werbung only?) oder das Glattföhnen aller Profis in den Leistungszentren. Aber das sind wohl die Auswüchse des modernen Fußballs.
Blendet man diesen Boulevardmist aus, dann kann ich mich an einer jungen Nationalelf erfreuen, in der einige Rohdiamanten schlummern, in der wir einige Spieler haben, die spielerisch auf dem Zenit ihres Könnens stehen (Neuer, Lahm, Müller, Özil, Mertesacker) oder ihn vielleicht erst noch erreichen (Götze, Kroos!!!). Trotz aller Unkenrufe im Vorfeld des Turniers steht da eine Mannschaft auf dem Platz, die imstande zu gutem Fußball ist und wenn Löw keinen Mist baut, hat dieses Team sehr gute Chancen bei dieser WM.