So ist Kgope also Geschichte und dem Herrn Herzog habe ich auch ein Ei ins Nest gelegt. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Oder auch sieben Fliegen, wenn ich Herzogs Volumen entsprechend des Fliegen-Maßstabs hochrechne.
Ich sitze im Büro und überlege, was ich mit der neuen alten Freiheit, für Transfers alleine verantwortlich zu sein, anfangen kann. Lange überlegen muss ich nicht, denn ich bin in diesen Dingen natürlich gut vorbereitet: Spielerlisten, sortiert nach Prioritäten und Potential, einen Adressenroller und eine gute Datenbank.
Organisation und Überblick ist alles.
Umso erstaunlicher das, was mir heute widerfahren ist.
Alles fängt an mit Marcel Kovarik, dem 2,5 Millionen-Einkauf von Slavia Prag. Der hat mir die letzten Wochen die Nüsse rundgelutscht mit seiner ständigen Anfrage nach einem Stammplatz. Zuletzt hat er gar nicht mehr darum gebeten, sondern diesen offen gefordert.
Wie üblich habe ich diese Forderungen ignoriert und mich öffentlich über den Mann lustig gemacht.
Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis mir einer der Spieler seinen Anwalt auf den Hals hetzt. Nun ist es soweit.
Ein Mensch im Anzug von feiner Qualität, der im krassen Gegensatz zur Ästhetik des Doppelkinns und der überkämmten Halbglatze steht, legt ein Blatt Papier auf den Schreibtisch.
Der Arbeitsvertrag von Kovarik.
Ich blicke den Mann gelangweilt an und zucke wortlos mit den Schultern.
„Herr Way, sie kennen dieses Blatt. Es handelt sich um den Arbeitsvertrag des FC Remscheid mit meinem Mandanten Marcel Kovarik, hier und im Folgenden als ‚Spieler‘ bezeichnet.“
Ich blicke den Mann weiterhin mit demonstrativer Langeweile an und rühre mich nicht. Er fährt jedoch routiniert fort.
„Wie ich herausgefunden habe, Herr Way, nutzen sie als Arbeitsvertrag ein Standardformular, welches von Ihnen als Manager und Trainer, hier und im Folgenden der Einfachheit halber als ‚Vereinsvertreter‘ bezeichnet, und dem Spieler unterzeichnet wird.“
Da hat er Recht, der Dicke. War meine Idee. Standards machen vieles einfacher.
„Ihre Ignoranz ist ja allen wohl bekannt, daher erlaube ich mir, Sie auf Seite Drei zu verweisen.“
Der Mann beugt sich vor, was zu einem unschönen Knacken seiner zugeknöpften Anzugjacke führt, und blättert um.
„Ich zitiere aus Paragraph Fünf“, sagt er und richtet sich auf, als wolle er ein Gedicht am Fuße des Balkons seiner Liebsten vortragen.
„Die vertragliche Vereinbarung zwischen dem Verein FC Remscheid e.V. und dem Unterzeichnenden bzw. dessen Vormund endet-“
An dieser Stelle beiße ich geräuschvoll in einen Apfel und blicke weiter vollkommen ungerührt.
„-zum vertraglich fixierten Zeitpunkt“, schließt der Mann mit leicht verärgertem Blick. „Nun, nichts Besonderes an dieser Stelle, wäre da nicht – ja, wäre da nicht Absatz ZWEI!“
Er spreizt Zeige- und Mittelfinger und hält mir seine Hand entgegen.
Der Apfel schmeckt ganz gut, stelle ich dabei fest.
Der Anwalt zieht den Arm wieder ein, raschelt kurz mit dem Papier und blickt wieder auf den Vertrag.
„Paragraph Fünf, Absatz Zwei: ‚Hat der Verein in einem Zeitraum von achtzehn Monaten achtzig Prozent der möglichen Punkte geholt, so wird der Zeitpunkt des genannten Erreichten zum vertraglich fixierten Endpunkt.“
Bedeutungsschwer lässt der Anwalt das Papier sinken. Er blickt mich mit spöttischem Lächeln an.
Ich blicke zurück. Und warte.
Aber er sagt nichts.
„Und?“ frage ich und hebe die Hände zu einer fragenden Geste.
Langsam schiebt der Anwalt das Papier in ein Kuvert und blickt dabei überlegen herab.
„Herr Way, ihnen scheint nicht klar zu sein, was das bedeutet.“
„Höchstens, dat ich mich langweil.“
„Ja, sicher. Ich dachte mir das.“
Er blickt von dem Kuvert hoch, das gerade in einer bordeauxroten Ledertasche verschwindet. Das messingfarbene Schloss klackt zu.
„Herr Way, sind sie in Kenntnis von der Anzahl der erreichten Punkte in den letzten eineinhalb Jahren? Nein? Nun, die Mühe nehme ich Ihnen gerne ab. Sehen sie hier.“
Er legt mir zwei Grafiken auf den Schreibtisch. Tabellen der Ligen. Daneben jeweils Excel-Berechnungen mit den kumulierten Punkten.
„Wie sie unschwer erkennen können, haben sie in den letzten eineinhalb Jahren einhundertvierundvierzig Punkte eingefahren. Eine reife Leistung, das muss ich schon sagen!“
Kurz lächle ich wegen dieses Kompliments, werde aber sofort wieder ernst, als ich bemerke, dass der Kerl mich manipulieren möchte. Ich bemühe ich um einen genervten Gesichtsausdruck.
„Möglich wären gewesen“, fährt der Kerl fort, „einhunderteinundsiebzig Punkte. Leicht auszurechnen: das macht runde vierundachtzig Prozent.“
Der Anwalt macht einen Schritt zurück. Er blickt mich stumm, aber mit triumphierender Miene an.
Ich brauche ein paar Augenblicke, um zu verstehen, was hier passiert. In mir rauscht es. In langsamen Schüben, erst schwach, dann immer stärker werdend, überspült mich die Erkenntnis. Aber wie so oft in solchen Situationen, kommt mir auch hier wieder eine unschätzbare biochemische Komponente zu Gute.
Mein Ruhrpott-Proletariats-Enzym.
Ich lasse die Hände auf den Tisch fallen. Der laute und plötzliche Knall erschreckt den Anwalt.
„Na gut. Dann isset wohl so. Un getz? Wat willse denn damit saagn?“
„Herr Way, verstehen sie denn nicht? Ich…“
„Doch, doch, mein Dickerchen, ich versteh dat schon. Nur: et interessiat mich nich. Weil nämmich dat hier gar keine Rolle spielen tut. Und weisse warum? Nää? Is ganz einfach: dein kleine Spieler, wie heissta noch? Ach, egal! Dein Kleiner will spielen? Gut, kanner: an sich selbst! Der kommt inne U23 zu den anderen pubatierenden Jungens. Weil dat hier völlich egal is! So, da hasset!“
Der Anwalt ist offenbar erschrocken von meiner Wortgewalt, versucht sich aber nichts anmerken zu lassen. Seine Miene ist weiter überlegen, wenn auch mit einer Spur Unsicherheit.
„Herr Way, schön und gut, aber sie werden doch wohl die juristischen Fakten nicht abstreiten wollen!“
„Wat ich will is, datte mich in Ruhe lässt. Und dein Stinker auch.“
„Ich glaube nicht, dass wir so weiter kommen.“
„Watt willse eigentlich? Willse nich, datt Dein Stinker spielt? War dat nich, watte zuers wolltes?“
„Korrekt.“
„Warum dann sonne Schow hier?“
„Nun, ich…“
Ich springe auf. Ist doch alles völlig klar!
„Nee, ich weisset! Bekommt Dein Lütten nich mehr Spielzeit, gehse mit dem Wisch hier anne Presse? Richtich?“
Der Anwalt lächelt nur milde und schüttelt leicht den Kopf.
„Nun, Herr Way, mir würde sowas nicht im Traum einfallen. Das wäre Erpressung.“
„Da sachse wat.“
„Allerdings: Herr Herzog müsste darüber natürlich schon informiert werden, als Vertreter des Präsidium.“
Oh je. Böser Fehler.
„Ha!“ rufe ich laut aus, dass es ein brummendes Echo im Büro gibt.
Der Anwalt schreckt auf. Eine Haarsträhne gleitet von der überkämmten Glatze zur Seite.
„Dat mach ich gleich!“
Ich drücke den Knopf auf der Sprechanlage, mit dem ich Herzogs Büro erreiche. Er ist rot und ich habe mit viel Mühe eine Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger darauf eingeritzt.
„Ja, bitte, Herr Way?!“, schnarrt Herzogs genervte Stimme aus dem Lautsprecher.
„Hömma, hier steht sonnen Winkeladvokaat, der meint, unsere Verträge sin falsch. Der hat wat zu melden!“
Der Anwalt blickt mich überrascht an, verfällt aber sofort wieder in sein triumphales Lächeln.
„Verträge? Way, wovon reden Sie da?“, blafft Herzog zurück.
„Soll er ihnen selbs sagen! Ich schickn hoch!“
„Wer ist denn das überhaupt, Way?! Verdammt, was machen sie denn?“
„Weiß nich, der Name is mir entfallen. Nennen wir ihn hier un im Folgenden einfach ‚Fusselklöte‘, dat passt.“
Der Anwalt lässt sich nichts anmerken.
„Schicken sie ihn bitte hoch, Herr Way.“, sagt Herzog leise nach einigen Momenten der Stille.
Ich lasse den Knopf los.
„Du kanns jetzt gehen, Du…“
„SIE, Herr Way. Für sie immer noch ‚Sie‘“
„Na gut. SIE können jetz gehen, HERR Fusselklöte. Tschö.“
Ich lasse mich in meinen Bürostuhl sinken und öffne demonstrativ die Website YouPorn.
Es dauert ein paar Sekunden, dann dreht sich der Anwalt um und geht wortlos hinaus.