Sooooo, nach etwas längerer Stadion-Abstinenz weil sowohl ein erster geplanter Besuch bei GD Estoril Praia als auch bei Os Belenenses aus diversen Gründen nicht zu Stande kamen, hat es zumindest mit Estoril jetzt im zweiten Anlauf geklappt.
Gestern habe ich mir die Partie GD Estoril vs. FC Arouca um 20:15 Ortszeit angesehen. Die Ausgangslage war folgende, dass Estoril mit einem Sieg den Relegationsplatz sicher würde verhindern können, er war aber ohnehin nur noch sehr unwahrscheinlich. Arouca auf der anderen Seite kämpft noch um den Einzug in die Conference League, stand vor dem Spieltag auf dem 5. Platz, Vitória Guimarães ist jedoch mit einem Sieg bei Rio Ave am Sonntag vorbeigezogen. Es ging also für beide Teams um einiges.
Diesmal war ich schon einige Stunden vor Spielbeginn am Stadion und wollte mir schonmal vorsorglich ein Ticket kaufen. Etwas kurios war dann, wie der Verkauf abgewickelt wurde. Mein kaum vorhandenes Portugiesisch lies mich verstehen, dass es zu jedem Ticket einen Schal dazu gab. Wie mir dann später erklärt wurde war es tatsächlich aber so, dass der Kauf des Schals Bedingung für das Ticket war, nicht umgekehrt. Kurz und gut: ich bin nun stolzer Besitzer eines GD Estoril Praia Schals.

Weil danach noch einiges an Zeit zu vertrödeln war bin ich einmal komplett um das Stadion herumflaniert, welches mitten in dem Städtchen liegt (Estoril gehört zur Metropolregion Lissabon, aber nicht mehr zur Kernstadt). Im Norden grenzt es an weitere Fußballplätze, die zum Verein gehören und wo zu dem Zeitpunkt das Jugendtraining stattfand, im Süden steht ein großer Pingo Doce Supermarkt. Östlich daneben verläuft eine Hauptstraße, im Westen am Hang gelegen befindet sich ein Wohngebiet. Alles in allem sehr zentral und von einigen der Häuser hat man wahrscheinlich einen guten Blick ins Estádio António Coimbra da Motta. Das fasst laut Internet 18.000 Zuschauer, wie viele tatsächlich da waren kann ich schwer sagen, es wurde keine Zahl durchgegeben, jedenfalls nicht, dass es mir aufgefallen wäre. Ein Blick auf vergangene Zuschauerzahlen sagt, dass diese in den letzten Partien knapp unter 2.000 lagen, mit einem Ausreißer nach oben mit über 4.000. Meinem subjektiven Eindruck nach waren gestern deutlich mehr Menschen da, mindestens 5.-6.000, aber es ging ja auch um viel. Den Gästeblock konnte ich von meinem Platz auf der Gegengeraden aus nicht so gut sehen, weil er auf derselben Tribüne genau gegenüberlag, er dürfte aber weitestgehend leer geblieben sein. Gehört hat man von den Arouca-Fans jedenfalls nichts. Die Estoril-Ultras hingegen haben mich schwer beeindruckt. Es waren zwar nicht viele, ein paar hundert vielleicht, die sich genau schräg gegenüber von mir und genau neben der Haupttribüne versammelt haben, aber die machten 90 Minuten Alarm. Ich hatte im Vorfeld mit einer ähnlich schweigsamen Vorstellung wie bei Casa Pia gerechnet, weil kleiner Club und kleine Fanbase, aber das war Mitnichten der Fall. Klar, in einem 18.000er Stadion, das nur über drei Tribünen verfügt, die allesamt unterbrochen sind, machen ein paar hundert Stimmen nicht einen solchen Lärm wie die zahlenmäßig überlegenen Benfica-Fans im großen, komplett geschlossenen Estádio da Luz, aber in Sachen Ausdauer brauchten sich die Estoril Fans nicht zu verstecken. Genau so wenig im Übrigen wie die Spieler, denn was die abgerissen haben, lies mich 90 Minuten lang zweifeln, wer hier der Abstiegskandidat und wer der Europapokalanwärter sein sollte.
Vom Anpfiff weg machten die Gastgeber in Gelb und Blau ordentlich Dampf, vor allem über die rechte Seite ging die Post ab und auch wenn bis auf einen geblockten Kopfball nach Ecke zunächst wenig Zählbares heraussprang, sah man deutlich, dass Estoril gewillt war, den Klassenerhalt klar zu machen. Oft misslang dann jedoch der letzte Pass bzw. der letzte Kontakt. Arouca kam auf der anderen Seite einmal nach einem Freistoß von rechts, der nicht richtig geklärt wurde, im Strafraum per Direktabnahme zum Abschluss, der Ball wurde jedoch geblockt. Das war für lange Zeit die einzige gefährliche Szene der Gäste. Die Heimmannschaft hingegen schaltete nach Ballgewinnen immer wieder schnell um und stürmte mit mehreren Mann überfallartig auf den Arouca-Strafraum zu. Nach einer stürmischen Anfangsphase beruhigte sich das Spiel dann etwa ab der 20. Minute, in dieser Phase kam Arouca über ihren Linksaußen zu zwei Distanzschüssen, bei welchen er jeweils von links nach innen zog und mit rechts versuchte den Ball aufs Tor zu schlenzen, er verzog allerdings deutlich. Anschließend konnte sich GD wieder etwas mehr befreien und schaffte es einige Konter einzuleiten, diesmal jedoch aus tieferer Position heraus und nicht mit ganz so vielen Spielern. In der Folge wurden einige gute Aktionen durch den Schiedsrichter abgepiffen, die für mich alle nach 50:50 Entscheidungen aussahen. Das Stadion war außer sich. Direkt im Anschluss an eine solche Szene nutzte Arouca das Unverständnis bei den Gastgebern und schaltete blitzschnell um, der Ball kam wieder zum Linksaußen und abermals versuchte er den Ball mit rechts aufs lange Eck zu schlenzen. Diesmal hielt das ganze Stadion für einen Moment den Atem an, denn der Ball knallte an den Innenpfosten und von da ins Feld zurück, wo ein Abwehrspieler klären konnte. Das war wirklich haarscharf. GD blieb aber weiterhin die bessere Mannschaft, erzielte sogar ein Tor, das (wohl wegen Stürmerfoul) zurückgepfiffen wurde und brachte einen langen Ball in Richtung Strafraum, den der Gästekeeper weit vor seinem Kasten vor dem heraneilenden Stürmer wegfausten konnte. Aus meiner Position fast auf Höhe der Strafraumlinie würde ich sagen, dass die Hand schon minimal außerhalb des Sechzehners war. Aber zugegeben, unparteiisch war ich zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr.

Nebenbei räumte der Torwart bei dieser Aktion noch seinen eigenen Verteidiger ab, der behandelt werden musste, schon zuvor hatte es bei Arouca einen verletzungsbedingten Wechsel gegeben. Die Nachspielzeit betrug dann folgerichtig schon zur Halbzeit drei Minuten. In diesen versuchte es Estoril nochmal, kam auch zu einer Ecke (wenn mich mein Zeitgefühl nicht im Stich lässt) aber zu keiner nennenswerten Gelegenheit mehr.
Im zweiten Durchgang wirkte es dann kurz so, als hätte Arouca sich etwas vorgenommen, es ging sehr schnell in Richtung des Estoril-Strafraums, die Hintermannschaft konnte jedoch klären. Der drohende Ansturm erwies sich schließlich als laues Lüftchen, denn Estoril machte sehr bald genau da weiter, wo sie in der ersten Hälfte aufgehört hatten. Hier verlässt mich wieder mein Zeitgefühl, aber es gab einmal eine Drangphase mit mehreren Halbchancen, dann noch einen Fernschuss, den der Torwart nur zur Ecke abwehren konnte und sogar fast einen direkt verwandelten Eckstoß! Bei diesem wurde die Ecke von links mit rechts hoch rein getreten und der Ball senkte sich gefährlich in Richtung Tor, landete aber schließlich auf der Latte. Geplant war das aber glaube ich nicht, denn während des gesamten Spiels wehte ein ziemlich heftiger Wind von Norden, der die Flugrichtung des Balls bei Abstößen und Flankenwechseln vor allem in Halbzeit zwei immer wieder in Richtung des Arouca-Gehäuses korrigierte. Ob das beim längst überfälligen 1:0 auch der Fall war, vermag ich nicht zu beurteilen, selbiges fiel jedenfalls nach demselben Schema, welches Aroucas Linksaußen mehrmals vergeblich versuchte. Doch beim Schuss des Estoril-Spielers (ich glaube, nach kurz ausgeführtem Eckball) senkte sich das Spielgerät nach wunderbarer Flugkurve perfekt ins lange Eck und das Stadion explodierte! Zu dem Zeitpunkt waren schon über 70 Minuten gespielt und langsam machte sich die kräfteraubende Spielweise der Gastgeber bemerkbar. Man spielte zwar weiterhin nach vorne, tat dies nun aber immer häufiger aus einer tiefen Position heraus und je näher die 90. Minute kam, desto weniger gelang es, für Entlastung zu sorgen. Das war dann folgerichtig Aroucas stärkste Phase im Spiel, in welcher man zu einigen eher ungefährlichen Distanzschüssen und einem alles andere als ungefährlichen Kopfball kam, den der Torhüter aber abwehren konnte. Die anderen Flanken wurden allesamt rausgeköpft und so schön der Offensivfußball Estorils das gesamte Spiel über anzuschauen war, so mitreißend war jetzt ihre Abwehrschlacht. Zur Wahrheit gehörte aber auch, dass sich dreimal Spieler von Estoril nach Zweikämpfen sehr, sehr viel Zeit ließen, wieder aufzustehen und so einiges an Zeit von der Uhr nahmen. Als der vierte Offizielle dann aber ganze 9 (NEUN!) Minuten Nachspielzeit anzeigte, wirkte das schon ziemlich überzogen. Im Stadion konnte es auch keiner verstehen, aber statt mit der Entscheidung zu hadern zeigte Estoril direkt eine Reaktion und fing sofort wieder an, das Heil in der Offensive zu suchen. Kurz nach Verkündung der Nachspielzeit konnte einer der Angreifer über links kontern und hatte viel, viel grün vor sich. Im/am Strafraum bekam dann ein kreuzender Mitspieler den Ball in den Lauf, der aus spitzem Winkel abzog. Der Torwart konnte zwar parieren, aber den Ball nur zur Mitte abklatschen, wo ihn dann ein Stürmer mit vollem Körpereinsatz über die Linie drücken konnte. Das vorentscheidende 2:0, selbst wenn danach bestimmt noch sechs oder sieben Minuten zu spielen waren. In denen kam Arouca zwar nochmal zu einem Schuss aus zentraler Position, den der Torhüter aber festhalten konnte. Ansonsten spielte nur noch Estoril. Zu einem weiteren Treffer kam es zwar nicht mehr, womöglich auch, weil der Schiedsrichter mitten in einen vielversprechenden Angriff hinein abpfiff, aber unter'm Strich stehen drei hochverdiente Punkte und der sichere Klassenerhalt. Zur Feier des Ereignisses gab es dann noch ein kleines Feuerwerk.
Von allen Spielen, die ich bislang in Portugal gesehen habe, bin ich an dieses mit den geringsten Erwartungen herangegangen, aber die wurden dafür um ein Vielfaches übertroffen. GD Estoril Praia hat sich gestern einen kleinen Platz in meinem Herzen erkämpft und den Schal werde ich auf jeden Fall in Ehren halten.
