Ich verstehe den Unmut über die Ungerechtigkeiten des Systems. Ja, wer in Bremen ein Abitur macht, kann das in keiner Weise mit dem Abitur in Sachsen und Bayern vergleichen. Das ist ungerecht, aber von den Machern des Grundgesetzes bewusst so implementiert worden, um eine Zentralisierung und Auswüchse wie im Nationalsozialismus zu vermeiden. Ich halte den Föderalismus auch für suboptimal, aber bevor wir das ändern, sollten wir eher über die Zusammenlegung einzelner Bundesländer nachdenken. Es gibt zudem bereits jetzt verbindliche Standards für alle Abiturienten und diese Standards kann man durchaus noch ausweiten. Die KMK ist nicht bekannt dafür, schnell und adäquat zu reagieren, aber wenn gesellschaftlicher Druck ausgeübt wird, dann bewegt sich da auch etwas.
Auch verstehe ich den Unmut über die Ungerechtigkeit an den einzelnen Schulen. Ja, es gibt gute und es gibt schlechtere Lehrer, das kann man nicht völlig verhindern, zudem entwickeln sich auch wir Lehrer als Persönlichkeiten noch weiter, nachdem wir das Referendariat abgeschlossen haben. Da jeder das System Schule durchlaufen hat, kann jeder auch anekdotisch berichten, welche Lehrkräfte einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben (sei es nun positiv oder negativ). Ich möchte meiner Zunft dennoch zugutehalten, dass auch wir nur Menschen sind und Fehler machen. Das soll nicht entschuldigen, dass manche Lehrkräfte nur halbgare Arbeitsblätter versenden und keinerlei Rückmeldungen geben (um den Vorwurf zu Beginn der Pandemie aufzugreifen), aber meine Stunden sind garantiert keine Musterstunden oder wenn, dann funktionieren nur 20% aller Stunden nach dem Muster, wie ich mir das vorgestellt habe. Unterricht lebt nicht zuletzt von den Herausforderungen des Alltags. Wenn jede Stunde gleich ablaufen würde, säßen vor mir keine Menschen, sondern Roboter. Und auf diese heranwachsenden Menschen vor mir muss ich Rücksicht nehmen.
Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass man auf die Personen hinter dem Lehrerpult Rücksicht nehmen muss. Es gibt Menschenfänger und es gibt Fachidioten. Genauso gibt es introvertierte und extrovertierte Schüler und alle wollen gleichermaßen integriert oder nach neuestem Stand sogar inkludiert werden. Im Klassenzimmer bringt jeder sein Päckchen an heimischen Problemen oder guten Startvoraussetzungen mit und letztlich ist es eine schwierige Aufgabe, allen gerecht zu werden.
Ich weiß, das klingt, als wolle ich mich von Verantwortung freisprechen, aber das ist gar nicht mein Anliegen. Ich möchte nur erklären, warum das System solche Beispiele produziert. Daher werden Stellschrauben gedreht und ich sehe die schrittweisen Veränderungen. An vielen Universitäten gibt es nun Orientierungsverfahren für alle angehenden Lehramtsstudenten. Wie verbindlich diese sind, hängt konkret von der Uni ab (Föderalismus, da bist du wieder...). Auch wird bereits im Studium ein Teil des Referendariats als Praxissemester in immer mehr Bundesländern etabliert, sodass der berüchtigte Praxisschock im eigentlichen Referendariat nach dem Studium nicht mehr so groß ausfällt. Das sind nur zwei Maßnahmen, die zeigen sollen, dass die Politik durchaus einsieht, dass die Ausbildung zum Lehramt nicht ideal verlaufen ist und es noch Spielraum gibt.
Was wünsche ich mir konkret? Ich wünsche mir ernsthaft mehr Möglichkeiten der Supervision. Ja, niemand von uns lässt sich gern komplett über die Schultern schauen, aber wenn ich die Möglichkeit hätte, auch nach nun 8 Jahren Berufserfahrung bei anderen Kollegen zuzuschauen, würde ich das gerne tun. Wir müssen offen dafür sein, uns Feedback geben zu können. Wir müssen offen dafür sein, gute Beispiele aus dem Unterrichtsalltag miteinander zu teilen. Im Gegenzug wünsche ich mir definitiv kleinere Klassen. Eine sinnvolle Einzelförderung ist bei 27 Schülern oder mehr nicht möglich, wenn ich nur 4 Stunden Deutsch pro Woche habe. Wenn das Ziel wirklich ist, für jeden Schüler in der Zukunft differenzierte und auf ihn abgestimmte Lerninhalte und Methoden zu entwickeln, dann wird das auf Dauer nicht in so großen Lerngruppen funktionieren bzw. muss dann der Lernraum Schule neu konzipiert werden mit Wochenplänen usw., was dann aber auch nicht jedem Schüler gerecht wird, da längst nicht alle Schüler diese intrinsische Motivation zum Selbstlernen haben und extrinsisch motiviert werden müssen.
Abschließend ein paar Gedanken bezüglich Kunst, Musik und Turnen und Religion. Ja, als Schüler gehörte ich definitiv zu denjenigen, die die Sinnhaftigkeit dieser Fächer bezweifelt haben. Kunst, Musik und Sport waren in meinen Augen absolute Zeitverschwendung, was aber auch daran lag, dass mein musisches Talent in den unteren Klassenstufen nicht gerade groß gefördert worden ist. Wenn ich mir ansehe, was meine Mitreferendarin in Kunst mit ihren Schülern gemacht hat, hätte ich als Schüler deutlich mehr Interesse und Spaß am Kunstunterricht entwickelt. Da wurde ein Pinselführerschein gemacht, Grafitti wurden entwickelt usw. Es gibt also neue pädagogische Konzepte, die ihren Weg in die Schulen finden. Ich sehe auch den Mehrwert dieser Fächer, wenn sie zur Persönlichkeitsentwicklung beizutragen vermögen. Ich bin nun mal kein Mannschaftssportler bzw. habe selbst nie den Ehrgeiz gehabt, im spießigen Sportunterricht unbedingt gewinnen zu wollen. "Mir doch egal, wer die meisten Tore schießt" Aber Sport, Musik und Kunst sind dennoch wichtige Fächer, die den Schülern als praktischer Ausgleich dienen müssen zu all den theorielastigen Fächern. Ich hätte mir als Schüler einen noch stärkeren Theoriebezug gewünscht, aber ich denke, die Mischung sollte es in diesen praktischen Fächern machen, um alle einigermaßen bei Laune zu halten.
Was Religion anbelangt, bin ich bei euch. Jedes Bundesland nennt das Kind anders, aber ich glaube, dass Schüler nicht mehr nach Konfessionen getrennt unterrichtet werden sollten. Gerne kann man die Klassen für Ethik, Moral oder wie auch immer die Alternative in eurem Bundesland heißt, neu einteilen, um Strukturen innerhalb der Klassen ein wenig aufzubrechen, aber in diesem Fach kann man gerne in den unteren Klassenstufen all die Grundlagen der monotheistischen und anderer Religionen lernen, um Toleranz usw. zu entwickeln und ab der Mittelstufe sollte es dann darum gehen, Texte aus dem Zeitalter der Aufklärung zu lesen, moralische Problemfragen zu entwickeln und Lösungen dafür zu suchen. AUch dürfen gerne philosophische Konzepte der Antike zurate gezogen werden, um beispielsweise über Hedonismus und Konsum zu sprechen, um den Bogen zur Bedeutung des Geldes für die Gesellschaft zu schlagen.
Medienkompetenz wird übrigens nach und nach in unseren Lehrplänen verankert. Wir entwickeln derzeit unser Medienbildungskonzept bzw. Curriculum, aber die sinnvolle Integration benötigt Zeit und v.a. die Entwicklung guter Unterrichtsideen, die eben nicht in der Aktentasche einzelner Lehrer versanden, sondern möglichst oft weiterverbreitet werden.
Ich möchte abschließend eine Lanze dafür brechen, wie gut viele Kollegen mit dem online Unterricht umgegangen sind. Im März 2020 hatte keiner von uns eine Ahnung, wie man den Unterricht von heute auf morgen organisieren soll. Ja, da wurden viele Fehler gemacht und noch immer werden Fehler gemacht. Im letzten Schuljahr wurden Konzepte entwickelt und ausprobiert und auch dieses Schuljahr ist man nach wie vor dabei, Bewährtes weiterzuentwickeln. Ist das System perfekt? Natürlich nicht! Sind alle Lehrer medienaffin? Gott bewahre, wenn ich da an Kollegen von mir denke. Aber wir arbeiten daran und wir motivieren uns durchaus gegenseitig, das Beste daraus zu machen.
Was man sich jedoch wünschen würde, wären verbindliche Vorgaben und Konzepte, die zumindest einheitlich je Bundesland gelten. Wie da teilweise Schulen bei Lockdowns im Stich gelassen worden sind bzw. die Verantwortung einfach so nach unten abgegeben worden ist, war nicht in Ordnung. Das war am Ende jeden Sommers zumindest meine größte Kritik an der KMK. Schule kann vieles auffangen, aber vage Aussagen und Konzeptlosigkeit auf oberster Ebene sind einfach kontraproduktiv für unseren Alltag.