Halte dessen Ansicht für reichlich merkwürdig. Aussagen wie
"Und tatsächlich stellt sich die Frage: Würde ich über eine Brücke fahren wollen, die jemand gebaut hat, der keine Differenzialgleichung lösen kann? Oder wäre es sogar riskant, wenn der Planer selbst eine Differenzialgleichung aufgestellt und gelöst hätte? Eigentlich hoffe ich, dass eine für diesen Zweck akzeptierte Simulationssoftware im Einsatz war und dass sich alle Beteiligten an die Vorschriften gehalten haben."
sind in meinen Augen gefährlich. Da schwingt eine Technikgläubigkeit (vielleicht sogar -hörigkeit?) mit, die ich nicht teilen kann. Mathematik schult das logische Denken, ja Mathematik ist sehr formal und da gibt es keinen Spielraum. Entweder ist der Beweis richtig oder er ist es nicht. Hier geht es nicht ums Auswendiglernen. Hier geht es ums Verstehen. Mathematik ist ein Werkzeug, das jeder Ingenieur beherrschen sollte. Vielleicht braucht er es nicht täglich, aber die Grundlagen braucht er in jedem Fall.
Zudem vergisst der Mann, wozu ein solcher Abschluss eigentlich da ist. Da geht es nicht primär um eine Weiter-/Ausbildung, damit der Absolvent nachher auf dem Arbeitsmarkt funktioniert. Da werden Wissenschaftler ausgebildet und das wird bei all der Hysterie um Bologna leider oft vergessen. Korrektes Arbeiten, ein Nachvollziehen von Prozessen und vieles mehr ist nur dann möglich, wenn man die Grundlagen verstanden hat. Und zu denen zählt Mathe in Ingenieursstudiengängen zweifellos.
Und sorry, aber
"Aber meine Erfahrungen mit Studierenden, die sich im ersten Semester mühevoll an Schulstoff wie Bruchrechnung und elementare Umformungen erinnern müssen, machen mir wenig Hoffnung auf einen solchen langfristigen Effekt."
wer schon damit Probleme hat, dessen Maschinen, Brücken oder Gebäude will ich lieber nicht benutzen. Was in der Schule in Mathematik unterrichtet wird, ist zu 90% Rechnen. Das ist trivial, weil es der immergleiche Prozess ist, der eingeübt werden muss. Dafür besucht man ja die Schule und wiederholt mehr oder weniger ständig diese Rechnerei bis zum Abschluss. Elementare Umformungen wie der Dreisatz sollte jeder Mensch beherrschen, weil man das quasi täglich gebrauchen kann. Wenn Erstis damit schon Probleme haben, scheint es um unser System schlecht bestellt.