„Sehr geehrte Damen und…“ Mir fällt auf, dass nur Herren anwesend sind. Und die meisten sehen wenig sportlich aus. Ich will mich davon aber nicht ablenken lassen.
„Ein Versehen… also: guten Abend, meine Herren! Ich will mich sehr herzlich für Ihre Einladung bedanken und die Gelegenheit, hier vor Ihnen sprechen zu dürfen. Vielleicht kann ich anstößig sein - denkanstößig.“
Ein herzhaftes Lachen. Gut gemacht, Henning.
„Ich will meinen Vortrag gerne unter einen übergreifenden Kontext stellen: aus der Defensive in die Offensive. Eine Strategie, zugleich eine erstrebenswerte Philosophie.“
Wieder Applaus, sogar ein Pfiff. Sollten diese Taktiknerds so leicht zu beeindrucken sein?
„Nun, wie Sie sicher auch, hat mich vor allem die Frage umgetrieben: wie gelange ich schnellstmöglich aus einer defensiven, kauernden, ausgelieferten Position in eine offensive, überlegene und initiative Position? Wie gelange ich schnellstmöglich hinter die Abwehr?“
Da mich Scheinwerfer von höher oberhalb anstrahlen, kann ich nur die Herren der ersten Reihe sehen. Einige schauen interessiert, andere bereits leicht fasziniert, einige aber machen jetzt einen etwas verwirrten Eindruck.
„Ich will meine Einwürfe an konkreten Beispielen darlegen. Dabei ist grundlegend, dass ich mich in der Defensivhaltung befinde, mein Gegenüber aber offensiv agiert. Ich will das gerne umdrehen, kontern und, wie wir im Ruhrgebiet gerne sagen, dem anderen den Arsch versohlen.“
Beifall. Pfiffe. Was für ein reizendes Auditorium. Von wegen ‚langweilige Tafelbeschreiber‘.
„Grundsätzlich müssen wir unser Gegenüber analysieren, um eine geeignete Gegenstrategie zu finden. Beispiel eins: Kettenspielchen.“
Pfiffe, lauter als gerade.
„Sollte mein Gegenüber mit Ketten spielen, so ist die Gegenstrategie: scharfe Penetration vom Fleck weg!“
Applaus, sehr laut.
„Sollte das nicht möglich sein, wird das Gegenüber eben hinterlaufen und von hinten genommen, in den Rücken der Abwehr, sozusagen.“
Applaus, tosend.
„Eine Kettenverteidigung ist damit also gesprengt. Wie sieht es jetzt aber aus, man ein Mann oder eine Frau direkt gedeckt wird? In diesem Fall ist das Positionsspiel von größter Wichtigkeit. Möglichst viele Positionen mit vielen Positionswechseln – das Auge spielt da mit!“
Applaus, tosend. Und Bravo!-Rufe.
„Der Deckungsschatten wird in diesem Fall vielleicht vorhanden sein, aber man kann ihn nach seinen Empfindungen verlagern, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Gelächter. Pfiffe.
„Ein Manndecker – oder Fraudecker, hihi! – kann auf diese Weise zu großer Kreativität gezwungen werden. Das Wechselspiel zwingt ihn – oder sie – dazu, viele Lösungen zu finden. Sollten jedoch zu viele Schüsse losgehen und einer davon vielleicht ein goldener sein, dann muss das verhütet werden! Zur Not mit Ausputzer. Eine Trefferempfängnis muss unter allen Umständen verhindert werden!
Pfiffe, laute Pfiffe, Rufe.
„Aber zurück in die Offensive. Eine große Rolle kann hier das hängende Glied spielen.“
Erschrockenes Lufteinatmen.
„Wenn der Turm in der Schlacht zu stark rangenommen wird und sich wundläuft, dann muss er sich Atemluft verschaffen. Er muss hängend agieren. Durch diese gewonnene Freiheit findet er neue Löcher, in die er eindringen kann. So kann sein Spiel doch noch erfolgreich sein. Ganz besonders leicht ist das beim Dreiecksspiel.“
Applaus. Jubel. Viele Pfiffe.
„Damit kämen wir dann zu ihm: der Sechs. Man kann ihn sehr modern positionieren. In manchen Fällen sogar abkippend, was zur Störungen im Gleichgewicht bei Pärchenbildung führen kann.“
Gelächter, Applaus, Pfiffe. Whoo-Rufe.
„Und, meine Herren, sollte doch mal ein Treffer ins Ziel finden, wie Frau zum Kinde.“ Ich sehe auf und nehme mir mit großer Maximilian-Schell-Geste die Brille von der Nase, „dann empfehle ich eines: Pressing. Und aufpassen, dass das Kind nicht in den Brunnen fällt. Vielen Dank.“
Großer Applaus. Standing Ovations. Ich trete hervor und sehe die Zuschauer, von denen einige sogar glänzende Fußballtrikots in Latexoptik tragen. Welcher Verein das sein mag?