Wer mal ein Gefühl dafür bekommen will, wie Politik in einer Bananenrepublik gemacht wird, sollte sich mal etwas mit der Schalker Vereinspolitik beschäftigen, gerade zur heutigen Mitgliederversammlung. Ich hole mal etwas aus, damit man mir hinterher halbwegs folgen kann:
Erstmal zur Struktur des Vereins: Das zentrale Entscheidungsorgan ist die Mitgliederversammlung (MV). Sie wählt einen Teil der Aufsichtsräte (ein paar werden von Sponsoren usw. gestellt) und Mitglieder anderer Gremien, und stimmt über allgemeine Anträge (einfache Mehrheit) und Änderungsanträge an der Vereinssatzung (Zweidrittelmehrheit) ab. Der Aufsichtsrat (AR) bestimmt die drei Vorstände (Sport, Marketing, Finanzen) und führt Aufsicht über deren Geschäfte, wobei der AR natürlich die Richtung vorgeben kann, indem es Geschäfte verweigert, die nicht der gewünschten Richtung entsprechen. Aktueller Vorsitzender ist Clemens Tönnies. Der ist somit laut Satzung keineswegs der Boss auf Schalke, wie es in der Bild und anderen Zeitungen gerne dargestellt wird, sondern nur oberster Kontrolleur der Vorstände, wobei er für seine Entscheidungen in der Hinsicht immer noch eine Mehrheit im Aufsichtsrat benötigt.
Wie kann man Aufsichtsrat werden? Früher konnte man sich einfach auf der MV zur Wahl stellen, wobei jedes Jahr zwei oder drei Posten neu für drei Jahre vergeben werden. Da das zu ziemlich viel Chaos geführt hat, wurde der Wahlausschuss (WA) eingeführt. Der wird von der MV jedes Jahr gewählt und sucht aus allen Bewerbern die geeignetsten Bewerber aus (in der Regel doppelt so viele, wie es Plätze gibt).
Das ganze hat recht lange ohne größeres Murren von allen Seiten funktioniert. Der Wahlausschuss war nicht allzu kritisch gegenüber den amtierenden Aufsichtsräten, die neuen Kandidaten waren auch nicht allzu unbequem Tönnies gegenüber. Bis die kritischen Teile der organisierten Fanszene den WA als Mittel entdeckt hat, Einfluss auszuüben, indem man auch Tönnies-Kritiker zur Wahl zum AR-Kandidaten zulässt. Nach der Di Matteo-Saison (wenn ich mich nicht im Jahr vertue) ging das ganze sogar so weit, dass beide amtierenden Aufsichtsräte, deren Mandat auslief, nicht wieder zur Wahl zugelassen wurden.
Letzte Saison ist das Ganze dann eskaliert, als Tönnies' Amtszeit zu Ende ging. Aus Kreisen der Vereinsführung wurde das Gerücht verbreitet, dass der WA quasi einen Putsch plane, indem man Tönnies nicht wieder zulasse (was nicht passiert ist). Außerdem waren zwischenzeitlich zwei "oppositionelle" Aufsichtsräte durch den (ebenfalls voll auf Tönnies-Linie liegenden) Ehrenrat suspendiert worden. Der eine, weil er eine Anwaltskanzlei beauftragt hatte, sich die Entscheidungsstruktur im AR anzuschauen, v.a. weil es dort einen unter Magath eingeführten Eilausschuss gab, der nur aus AR-Vorsitzendem und seinem Stellvertreter bestand und bei dringenden Entscheiden auch zu zweit Geschäfte duchwinken konnte, was ausgiebig genutzt wurde. Der andere, weil er im Vier-Augengespräch Tönnies mehr oder weniger zum Rücktritt aufgefordert hatte, wo jemand mitgelauscht und ihn dann angezeigt hatte. Beide Suspendierungen sind inzwischen von Gerichten einkassiert worden. Beim ersten ist festgestellt worden, dass die Strukturen im AR höchst intransparent sind. Beim zweiten ist dem Ehrenrat vom Gericht grobe Unbilligkeit und Willkür bescheinigt worden.
Kurz darauf ist der Vorsitzende des WA zurückgetreten, weil man von außen versucht hätte, die Arbeit des WA zu beeinflussen. Daraufhin hat man sich darauf geeinigt, bei der MV eine Satzunsänderung einzubringen, die den WA reformiert, indem jedes Jahr nur ein Viertel der Mitglieder gewählt wird, um eine zu starke Beeinflussung durch spontane Stimmungen beim Wahlvolk zu verhindern. Der Antrag ist angenommen worden, und auch Tönnies ist wiedergewählt worden, wenn auch nur mit den zweitmeisten Stimmen aller Bewerber.
Man könnte ja meinen, damit sei die Sache gegessen, doch dieses Jahr trommeln die drei Vorstände und die Tönnies-freundlichen Aufsichtsräte für eine erneute Reform des WA, bevor das letztjährig beschlossene System überhaupt nur einmal zum Zuge gekommen ist. Der Änderungsantrag sieht vor, dass nur noch die Hälfte der WA-Mitglieder überhaupt gewählt wird, der Rest wird von Vereinsgremien gestellt, unter anderem auch vom Aufsichtsrat und ihm unterstehenden Gremien. Mit anderen Worten: Der AR könnte effektiv Kandidaten für den AR blockieren, die ihm unliebsam sind. Begründet wird der Vorschlag damit, dass man so mehr Fachkompetenz in den WA einbringen könnte.
Anschließend hat man groß die Werbetrommel für den Antrag gerührt. Man hat eine E-Mail an alle 140.000 Mitglieder geschickt, in der man dem aktuellen WA vorwirft, seiner Aufgabe nicht gerecht zu werden. Dabei hat man so geschickt formatiert, dass unter dem Artikel die Logos aller großen Fan-Organisationen prangen, obwohl die zum danach folgenden Text gehören und die allesamt gegen den Antrag sind, selbst der sonst eher zahme Fanclub-Dachverband hat sich dagegen ausgesprochen.
Dazu hat man mal wieder ausgenutzt, dass die Sportteile der beiden reichweitenstärksten Zeitungen im Ruhrgebiet, nämlich der Bild und der WAZ, von mit Tönnies befreundeten Journalisten geleitet werden, wo dann prominent Interviews mit Leuten aus der Vereinsspitze platziert wurden, die für den Antrag werben.
Die Pointe ist, dass der Antrag von der Vereinsführung damit beworben wird, dass endlich wieder alle im Verein an einem Strang ziehen müssen.