Was mir im ganzen Ukraine-Konflikt nicht ganz einleuchtet, ist das demographische Endspiel, welches Russland im Sinne hat.
Die ganze Militäraktion ist doch globalstrategisch langfristiger Blödsinn, wenn sich nicht die demographische Lage ändert.
Russland hat ein weitaus größeres, demographisches Problem, als der gesamte Westen. Nur China fällt mir spontan als Land mit einer ähnlich prekären Lage ein.
Wenn jetzt russische Soldaten sterben, fehlen diese noch Jahrzehnte als Väter, Steuerzahler, Arbeiter, Rentenzahler und Kindererzieher. Wenn Russland nicht angegriffen hätte, wäre die langfristige demographische Situation natürlich dennoch schlecht - aber jetzt wird sie ja noch schlechter.
These: Kann es also sein, dass Putin und sein innerer Kreis dachten dies sei die "letzte Chance" mit noch einigermaßen genügend Manpower angreifen zu können, bevor die globalstrategische Lage militärische Offensivoperationen dieser Größenordnung unmöglich macht?
Ähnlich wie China, hat ja Russland noch ein paar Jahre lang genügend wehrfähige Erwachsene und genügend ältere, aber noch im Arbeitsleben stehende Bürger. Das verschiebt sich ja in Zukunft dramatisch.
Was mich halt stutzig macht ist die Undurchdachtheit. Klar: NOCH hat man (angeblich) die Manpower für so eine Aktion. Aber: Man bindet sich ja mit der Ukraine einen Klotz ans Bein. Mir bleibt nur der Schluss, dass die wirklich im Kreml dachten, sie würden als Befreier gefeiert werden und/oder schnell eine loyale Marionette installieren können. Nur in diesem Szenario hätte die Aktion überhaupt einen Ausblick auf Erfolg.
Rational wäre es meines Erachtens viel schlauer gewesen, die noch vorhandene Manpower eben nicht in einem Angriffskrieg zu verbrauchen, sondern den relativen Abstieg Russlands von einer Supermacht zur Großmacht nun mehr zur Regionalmacht reibungslos zu moderieren. Aber gut: Deutschland hat ja nach dem 1. Weltkrieg auch nicht "akzeptieren" wollen, dass man nicht Herr von Europa werden könne. Erst der 2. Weltkrieg hat da alle "Hoffnungen" endgültig begraben.
Ist es das Schicksal von ehemaligen Imperien, dass diese anstatt einen lebensfähigen Rumpfstaat in die Zukunft zu retten, lieber All in gehen und krampfhaft versuchen das Imperium neu zu beleben - auch wenn die Chancen sehr gering sind?
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Für China sehe ich hier durchaus Lehren, die Peking nicht gefallen werden.
Ich glaube Peking wollte, dass die Nato und insbesondere die USA sich in Europa verheddern, um dann Taiwan relativ einfach ins chinesische Reich eingliedern zu können.
Zu sehr hätte sich wohl der chinesische Drache gefreut, wenn die USA sich auf Europa konzentrieren müssten. Das würde Taiwans Position schwächen. Auch in China ist die demographische Situation (und damit die wirtschaftliche!) so, dass ein Angriff auf Taiwan in den nächsten Jahren erfolgen müsste, solange man noch in einer Position der Stärke ist.
Jetzt sehen die vor ihren Augen die Russen ausbluten, ohne dass die Amerikaner ebenso ausbluten. Europa wird - so der langfristige Trend - in zehn Jahren sowieso keine US-Unterstützung zur Verteidigung mehr brauchen. Dafür hat ja der "Putinschock" jetzt gesorgt. Ergo haben die USA mit jedem Jahr das jetzt vergeht mehr Kapazitäten frei, um sich auf Taiwan zu konzentrieren.
Peking wäre es sicherlich lieber gewesen, wenn Russland da schnell durchmarschiert wäre und die Nato (damit auch die USA) massiv in Europa beschäftigt wären. Das wird nun definitiv nicht in dem Sinne der Fall sein, dass die USA keine Kapazitäten für Taiwan mehr haben. Die geschlossene Reaktion des Westens hat ebenso gezeigt, dass China mit mindestens so heftigen Sanktionen wie Russland im Falle eines Angriffskrieges rechnen müsste. Und Taiwan gegen den Willen der US-Flotte angreifen ist nochmals zehnfach schwerer als die Invasion der Ukraine - zeitgleich schließt sich das demographische Fenster Chinas, bevor interne Probleme einen Angriff praktisch unmöglich machen.
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Fazit: Ich glaube - der Angriff JETZT war kein Zufall. Es war so ziemlich das letzte, demographisch realistische Fenster (mit allem was da dran hängt, vorallem der Wirtschaft). Schlau und gar moralisch sinnig erscheint es mir aber nicht.