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Autor Thema: [FM 20 Journey] Lavayeux' Europatour - Die Geschichte eines Luxemburgers  (Gelesen 9167 mal)

Muffi

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Na, da bist du im Job-Interview bestimmt auf einen Verwandten von Ramirez getroffen  ;)

Tatsache, da sind einige interessante Vereine dabei. Mein Favorit wäre Sochaux, dicht gefolgt von Honved Budapest.
Hoffen wir mal, dass mindestens einer davon an dich herantritt.

Nationaltrainer hat mich bisher auch noch nie gereizt, obwohl ich bei meinem bisher ersten und einzigen Versuch in einem Online-Save gleich mit Marokko Afrikameister geworden bin.

Mach dir keinen Kopf, mich lässt du alles andere als im Regen stehen. Ich find's klasse deine Karriere zu verfolgen, mit all seinen Höhen und Tiefen. Ich bin sicher, ich finde auch bei Lavayeux' nächster Station einen Lieblingsspieler  :D
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Inter regnum ludium II



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In den ersten zwei, drei Wochen nach meinem Rückzug aus Winterthur - ich bin erstmal wieder zurück nach Luxemburg gezogen, mein Onkel hat ja ein großes Haus - klingelt noch ab und zu mein Smartphone.
Aber es sind sowieso eigentlich immer die gleichen Nasen, die was von mir wollen - Reporter, meist von Boulevardzeitungen, die dringend noch eine Story für die Lücke auf Seite 9 brauchen, irgendwas leichtes ohne allzugroßen Aufwand, das den geneigten Leser nicht allzusehr von der halbnackten Aushilfsgrazie auf der gegenüberliegenden Seite ablenkt.

Nachdem ich zum gefühlt hundertsten Mal die immergleichen hirnschreddernden Fragen beantwortet habe ("Wie fühlen Sie sich jetzt, genau 34 Tage nach Ihrem Rücktritt?", "Hat dieses katastrophale erste Saisonviertel emotionale Wunden hinterlassen?"), beschließe ich eines Morgens, dass es jetzt reicht.

Tabula rasa! Ich beschließe, zum nächstbesten Handyladen zu tigern und mir ein neues Smartphone, vor allem jedoch eine neue SIM-Karte zu besorgen.
Und zwar zum einen, weil ich die Faxen dicke von den Reportern habe - zum anderen auch, weil dann hoffentlich das Auf und Ab mit einer gewissen jungen Dame aufhört, die sich inzwischen seit mehreren Jahren nicht entscheiden kann, ob sie nun wieder Kontakt aufnehmen will oder nicht oder was.
Ich hab inzwischen bestimmt zwanzig mal Nachrichten von ihr erhalten - gerne mitten in der Nacht. Und wenn ich drauf geantwortet hab, kam wieder wochenlang nix zurück.

Reicht mir, echt jetzt!
Ich schlappe also zum Telefonhändler meines Vertrauens und drei Tage später sind zumindest die fernmündlichen Brücken in meine Vergangenheit abgebrochen.

Am nächsten Morgen - es ist inzwischen Winter geworden und draußen hat es über Nacht knöchelhoch Schnee hingeworfen - nehm ich mir einen Kaffee und ein paar Kekse, schlurfe in den Wintergarten und setze mich in den bequemen Ohrensessel, den mein Onkel dort platziert hat, jedoch aus unerfindlichen Gründen nie nutzt.
Bequem hier.
So und was nu?

Da ich die letzten Wochen nicht nur zum Rumsitzen und Telefonkaufen genutzt habe, sondern mir auch ein paar Gedanken gemacht habe, was ich eigentlich will, hab ich zumindest eine Idee für die nächsten Monate im Kopf.
Ich sortier die Gedanken nochmal.
Also ... erstens: ich möchte schon gerne weiter als Trainer arbeiten, die letzten Jahre waren die bisher aufregendsten meines Lebens, das Kribbeln vor einem Spiel und die sich plötzliche lösende Spannung nach einem Sieg möchte ich keinesfalls missen.
Zweitens: irgendwelche erstklassigen Angebote werd ich wohl kaum bekommen und wenn doch, dann wohl bestenfalls Schleudersitze. Ich möchte aber etwas, wo ich in Ruhe arbeiten und etwas aufbauen kann und wo ich nicht nach drei Monaten wieder Geschichte bin, nur weil der Punkteschnitt knapp unter 2,8 liegt.
Drittens: ich habe noch viel zu lernen. Sehr viel!
Viertens: die vier Jahre in Winterthur haben mein Bankkonto mit einem beruhigend dicken Polster gefüllt, so dass ich selbst bei großzügigen Ausgaben mehrere Jahre nicht arbeiten müßte, wenn ich nicht will.
Ich kann mir also Zeit lassen und auf eine passende Gelegenheit warten.
Das alles zusammengenommen gibt es eigentlich nur eine logische Schlußfolgerung.

Als erstes rufe ich bei einigen Zweit- und Erstligisten in der "näheren Umgebung" an. Was natürlich jetzt nicht Jeunesse Esch oder Swift Hesperingen bedeutet, sondern eher VfL Bochum, FC Sochaux oder Heracles Almelo - also Vereine in den Nachbarländern, die mir zum Beispiel vom Namen her sympathisch sind oder ein ästhetisch wertvolles Wappen haben.

Ich habe überall die gleiche Bitte vorzutragen - ich möchte hospitieren.
Idealerweise jeweils einen Monat lang möchte ich den jeweiligen Trainern über die Schulter schauen und lernen.
Mir kommt zugute, dass ich nicht mehr komplett unbekannt bin und so bin ich mit meinen Anfragen  erfolgreicher, als ich es für möglich gehalten hätte und nach zwei Tagen ausgiebigen Telefonierens bis in den Sommer hinein ausgebucht.
Als nächstes informiere ich meinen Onkel, dass ich mich auf eine längere Reise begeben werde und bitte ihn, die Dinge, die nicht in meinen großen Koffer passen, in meinem Zimmer lassen zu dürfen.
Danach gehts los: Europareise mit Bildungsauftrag.
Im Dezember bin ich in Sochaux, im Januar in Bochum, im Februar in Innsbruck, im März in München (bei 1860), im April in Le Havre, im Mai in Anderlecht und im Juni schließlich führt mich mein Weg in den Norden, nach Kopenhagen.
Überall werde ich freundlich aufgenommen und soweit möglich auch in den Alltag eingebunden.
Das Hauptziel der Reise - nämlich so viele Eindrücke wie möglich zu gewinnen und Ideen zu sammeln - erreiche ich dabei mühelos.
Aus "Bildungssicht" ist sie ein voller Erfolg.

Der zweite, nicht ganz so offensichtliche Zweck meiner Rundreise stellt sich allerdings als veritabler Tiefschlag heraus.
Ich hatte nämlich insgeheim gehofft, dass sich irgendwo auf dieser Reise die ideale Gelegenheit auftun würde - irgendein immens interessanter, aufstrebender Verein mit ruhigen Umfeld und mit zufällig gerade eingetretenem Trainermangel, der genauso zufällig nach einem Trainer mit durchwachsener Vita sucht, um in die zweite oder erste Liga aufzusteigen und wenn möglich an frühere Erfolge anzuknüpfen.
Bei den hunderten Menschen mit Fussballbezug, die ich in dem halben Jahr kennengelernt habe, war leider keiner dabei, der mir hinter vorgehaltener Hand unter dem Siegel der Verschwiegenheit flüsternd meinen neuen Traumarbeitgeber mitgeteilt hätte.

War möglicherweise auch ein bißchen blauäugig.

Wir schreiben inzwischen den ersten Juli und ich verabschiede mich von den Verantwortlichen des FC Kopenhagen, danke ihnen nochmals für ihre Gastfreundschaft und die äußerst lehrreichen vier Wochen und fahre dann mit dem Taxi zum Hauptbahnhof.
Habe irgendwie eine ungünstige Zeit erwischt, wie mir scheint - denn der Bahnhof ist schwarz vor Menschenmassen, die in alle verfügbaren Himmelsrichtungen hasten.
Eigentlich will ich einfach nur zu Gleis drei, aber in meiner Bewegungsfreiheit durch meinen überschweren rollenden Begleiter (also den Koffer) eingeschränkt werde ich mehrfach hin- und hergeschoben, abgedrängt und zweimal fast von Koffertaxis überfahren.
Von den dutzenden verschiedener Gerüche und Geräusche in verschiedensten Stadien der Erträglichkeit ganz zu schweigen.
Kurz gesagt: es ist die Hölle.

Mit letzter Kraft schaffe ich es, mich in eine Lücke zwischen einen Fotoautomaten und einer Telefonzelle zu retten, wo ich erst einmal durchatme und mein Smartphone zücke, um mich vielleicht mit Hilfe einer Navi-App zu Gleis Drei durchzuschlagen.
Aber es dauert keine drei Sekunden, da ist es mit der trügerischen Ruhe auch hier wieder vorbei.

"Da sind Sie ja! Ich hab Sie schon überall gesucht!", ertönt es in englisch direkt vor meinem gesenkten Kopf mit den ins Smartphone glotzenden Augen eine helle weibliche Stimme.
Ich blicke auf - und direkt in ein fröhliches herzförmiges Gesicht aus dem Malbuch für "attraktive skandinavische Gesichter", komplett mit roten Wangen, Stupsnase und blauen Augen, umrahmt von den blondesten blonden langen Haaren, die man sich an einer Dänin nur vorstellen kann. Anfang dreißig vielleicht, würde ich schätzen - aber ich verschätze mich bei sowas sowieso immer.
Ob sie von hier stammt, kann ich natürlich nur vermuten - ist mir aber gerade völlig egal.
Erstens brauch ich alle Selbstbeherrschung, um bei diesem Anblick nicht wie ein Idiot zu grinsen - und zweitens bin ich viel zu verwirrt ob der Ansprache, die mir gerade zuteil wurde, um mir auch noch Gedanken darüber zu machen, ob die vor mir stehende Erscheinung lokal verwurzelt oder nur auf der Durchreise ist.

"Öh ... 'xcuse me - Sie haben MICH gesucht? Wieso?", stammele ich völlig überrumpelt.
Die junge Frau lacht.
"Na weil wir zum Beispiel verabredet waren - vor einer Viertelstunde an Gleis drei."
Ich muß wohl immer noch aus der Wäsche gucken wie ein Leguan, der gerade aus der Nachtstarre erwacht ist - jedenfalls runzelt sie kurz die Stirn und setzt ein wenig zögerlicher und mit leichten Anzeichen von Unsicherheit hinzu:

"Svea Jensen ... wir haben ... vorgestern telefoniert und Sie kommen hierher, um mit meinem Vater wegen des Jobs zu ...."
Sie wird immer leiser und langsamer, das fröhliche Lächeln schwindet langsam aus ihrem Gesicht und macht einer tiefen Verlegenheit Platz.

"Sie sind gar nicht Daniel Ganther, oder?"

Ich reiße überrascht die Augen auf - Ganther war mal Trainer bei US Esch und Swift Hesperingen! Das letzte, was ich von ihm gehört habe, ist allerdings, dass er letzten Herbst in Hesperingen entlassen wurde.

Frau Jensen hat mich also mit Ganther verwechselt, na super. Aber immerhin klärt sich damit meine Verwirrung, wieso ich sie nicht kenne.
(Was ich übrigens jetzt schon bedaure - sie ist einfach hinreißend!)

"Oh wie peinlich, bitte entschuldigen Sie vielmals, das ist ja so ..."
Ihr Smartphone klingelt und sie geht mit einem weiteren "Entschuldigen Sie bitte..." ran.

"Svea Jensen, Guten Tag?"
Eine männliche Stimme, die Worte kann ich nicht verstehen - Sveas Gesicht verdüstert sich etwas, gute Nachrichten können es nicht sein.
"Das ist ... sehr schade, Herr Ganther. Und besonders schade, dass Sie uns das erst jetzt mitteilen. Aber gut, nicht zu ändern. Viel Erfolg, auf Wiederhören."
Ihre Stimme klingt kein Stück mehr glockenhell, viel eher könnte man Angst bekommen, dass sie gleich durch den Hörer kriecht und den Herrn Ganther am anderen Ende der Leitung schüttelt, weil er sie so schnöde versetzt hat.

In meinem Kopf rattert derweil die ganze Zeit eine Frage...
Kaum hat die schöne nicht-mehr-komplett-Unbekannte aufgelegt, sprudelt es aus mir heraus.
"Nicht sehr nett von diesem Menschen, Sie so kurzfristig zu versetzen!"

Sie nickt zustimmend - und zwar so nachdrücklich, dass die leicht gelockten Haare für einen Moment wie wütende Schlangen um sie herumzischen. Sie sieht wütend aus, möglicherweise auch ein bißchen verzweifelt, das kann ich schwer einschätzen, ich kenne sie ja kaum. Eigentlich gar nicht.
Während ich gebannt ihre Haare beobachte und ihr Gesicht zu lesen versuche, strafft sie sich plötzlich.
"Na gut, dann eben anders, irgendwas findet sich. - Entschuldigen Sie nochmal meinen Fauxpas, ich werde Sie nicht länger belästigen. Guten Tag!"

'Neeeeein!', schreit mich eine innere Stimme schrill an. 'Lass sie bloß nicht gehen, die siehst Du sonst nie wieder! Mach was!'

Hastig öffne ich den Mund.
"Frau Jensen, darf ich Ihnen eine Frage stellen, bevor Sie gehen?"

Sie hat sich schon halb zum Gehen gewandt, bleibt jedoch nun stehen und schaut mich ein wenig verwundert an.
"Ja sicher, was haben Sie denn auf dem Herzen?"

"Darf ich fragen welcher Art die Tätigkeit ist, die Sie diesem Herrn Ganther anbieten wollten?"

Sie runzelt die Stirn.
"Ich wüßte nicht, was Sie das angeht. Das ist eine Sache zwischen..."

Ich mache eine Handbewegung, um sie unterbrechen.
"Ich frage, weil es gut möglich ist, dass ich an der Tätigkeit interessiert bin. Sie waren mit Daniel Ganther, dem Fussballtrainer, verabredet, richtig? Mit DEM Daniel Ganther, der seit etwa zehn Jahren als Trainer in Luxemburg arbeitet, der unter anderem zwei Jahre bei US Esch und drei bei Alliance Aischdall gearbeitet hat und der im letzten Oktober nach reichlich zwei Jahren bei Swift Hesperingen in Luxemburg gehen mußte und seitdem vereinslos ist, korrekt?"

Sie legt den Kopf ein wenig schief und schaut mich mit großen Augen an.
"Das ist alles richtig, ja. Aber woher wissen Sie so viel über diesen Menschen?"

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, während ich antworte:
"Sagen wir es so - wenn der Job, den Herr Ganther anzutreten so unhöflich abgelehnt hat, das Trainieren einer Herrenfussballmannschaft ist, bin ich definitiv daran interessiert, mich darüber mit Ihrem Vater zu unterhalten.
Angenehm, Sie kennenzulernen, Frau Jensen." Ich strecke die Hand aus.
"Mein Name ist Gerard Lavayeux."


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« Letzte Änderung: 17.März 2023, 17:46:44 von Achtelprofi »
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Bayernfahne

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Ich hatte es vorhergesagt und du lehnst einfach ab! Warum bist du nicht zu Feyenoord gegangen?!  >:( >:( >:(
 ;)

Ich denke, die Regel mit den Bewerbungen zu brechen ist absolut legitim, die war ja vermutlich anfangs dafür gedacht, es dir schwieriger zu machen. Jetzt hat sie das Gegenteil bewirkt, also in jedem Fall nachvollziehbar. (Obwohl ich Feyenoord immer noch als realistischen Wechsel erachte!  :D)

Es gibt wirklich einige schöne Wappen und ich schwanke zwischen 4 Vereinen, aber weil es witzlos ist, tippe ich nur auf einen:
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Du erzählst mir was von Werten und denkst dabei an Preise?
Verdammt, ich müsste schreien! Doch ich bin viel zu leise...

t.oelpel

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Liest sich gut - wie immer!  8)
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Lavayeux on the Highway to Hellerup?
« Letzte Änderung: 17.März 2023, 22:46:37 von t.oelpel »
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wrdlbrmft

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Wenn die Schönheit des Wappens eine Rolle spielt: Akademisk oder B 1903?
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der vfb spielt im neckarstadion!

DrAlu

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Sehr schade, dass die Zeit bei Winterthur beendet ist, aber nun bin ich sehr gespannt wohin es dich nun verschlägt. Ich würde es mir ja wünschen wenn du bei BK Frem oder B1903 landest als große Vereine der Vergangenheit in Dänemark.
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Muffi

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Genial! Kannst du das Managen nicht lassen und nur noch solche Passagen zum Besten geben?  ;D
Nein, im Ernst, ich habe mich köstlich amüsiert, gern mehr davon.

Mein erster Gedanke war auch Lyngby Kopenhagen. Der Druck sollte eher gering sein und dort hast du gute Voraussetzungen um etwas aufzubauen.   :)
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knufschu

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Wortakrobatik im MTF! Herrlich! Bin gespannt, was aus dem zufälligen Treffen am Bahngleis erwächst.
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Eine Stunde später.
Wir sitzen in Valby, einem der besseren Kopenhagener Viertel, in einem schmucken kleinen Konferenzraum, der in einem ebenso schmucken kleinen zweigeschossigen gebäude untergebracht ist, das neben einem - Überraschung! - schmucken gar nicht mal so kleinen Stadion namens Valby Idrætspark liegt.
"Wir", das sind eine überaus attraktive junge Blondine namens Svea Jensen, ein drahtiger, braungebrannter, etwa fünfzigjähriger Blondschopf (mit ersten grauen Strähnen) namens Per Ole Jensen und ein immer noch relativ junger braungelockter Luxemburger, der nicht so recht weiß, was ihn hier eigentlich erwartet.
Was eine Handvoll leiser Stimmen im einem der Hinterzimmer seines Kopfes allerdings nicht daran hindert, wie kleine Jungs umherzutollen und dem armen Gerard immer wieder den gleichen völlig deplazierten Gedanken an den Rand des Bewußtseins zu schubsen:
"Los, hol Dir ihre Telefonnummer! Die Telefonnummer! Los, jetzt, mach schon, frag sie!"

Es nervt unsagbar.
Ich bin doch nicht hier, damit sich die unteren Stockwerke meines Körpers mit den niveauloseren Teilen meines Stammhirns verbünden und 'ne Hormonparty feiern!


Aber so sehr ich es auch zu ignorieren versuche, ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich zu Svea rüberlinse, die zum Glück davon nichts mitbekommt (oder vielleicht auch nur daran gewöhnt ist, von Mittdreißigern angestarrt zu werden und sich nichts anmerken läßt ...).

Ist insofern dennoch peinlich, als ich in solchen Momenten regelmäßig den Faden im Gespräch zu verlieren drohe.
Und das ist gelinde gesagt ungünstig.

Denn Papa Jensen hat zwar - genauso wie seine Tochter - bereits von mir gehört... aber blöderweise ist ihre Hauptquelle der Information ein im Englandurlaub gelesener Artikel im "Blackpool Observer" gewesen, in dem sich ein gewisser Klaus Müller-Lüdenscheidt (der verfolgt mich, der Mistkerl!) kurz nach seinem Amtsantritt beim Blackpool FC des langen und breiten über seine eigene Genialität ausließ. Und darüber, wie deutlich er mit Düdelingen den von Gerard Lavayeux trainierten CS FOLA Esch hinter sich gelassen hatte.

Glücklicherweise habe ich meinen Laptop dabei und kann den beiden Dänen mit drei Klicks zeigen, dass es sowohl in Luxemburg als auch in der Schweiz auch komplett andere Meinungen zu meiner Tätigkeit gibt.
Und jetzt sprechen wir eigentlich gerade darüber, ob ich eventuell ein guter Ersatz für den abgesprungenen Daniel Ganther wäre, um den Verein zu trainieren, den Herr Jensen als Präsident vorsteht, während Tochter Jensen die Teilzeitsportdirektorin mimt.
Ja, da hab ich schon ein bißchen geschluckt, als ich das gehört hab, muß ich zugeben.
Nicht, dass ich ihr nicht zutraue, einen Sportverein zu managen - so antiquiert sind meine Vorstellungen vom weiblichen Geschlecht nun wirklich nicht! - aber das erhöht den Druck, einen guten Eindruck zu hinterlasen, doch enorm.
Die pubertären Instinkte im Hinterzimmer versuchen mir nachdrücklich einzureden, dass durch diese Konstellation die Wahrscheinlichkeit steigt, zusammen Überstunden machen zu müssen und ...
... Mist, jetzt hab ich schon wieder den Faden verloren!

"Entschuldigen Sie bitte, Herr Jensen, ich war gerade kurz abgelenkt ... von dem Wappen Ihres Vereins." *hüstel*
Grinst der etwa spöttisch?!
"So, was hat Sie denn da so abgelenkt, Herr Lavayeux?"

Der grinst tatsächlich spöttisch! Und der Unterton seiner Frage ist entschieden süffisant. Mist!

"Ich ... äh .... also  das klingt jetzt vielleicht ein bißchen seltsam... " (und ob!) "...aber dieses sehr präsente Kreuz im Wappen ... ist der Verein möglicherweise christlich geprägt?"
(Boah, Gerard, Du Trottel! Was ist das denn für eine Frage?! Und was spielt das für eine Rolle?)

Jensen senior schmunzelt.
"Nein, keine Sorge. Das Kreuz ist Teil der Vereinstradition, aber wir sind kein christlicher Verein."

"Das ist ... gut." *Nachdrückliches Nicken meinerseits, um die Idiotie meiner Frage eventuell damit vergessen zu machen.
"Ich bin nämlich ... äh ... Atheist, wissen Sie?"

"Verstehe. Und würde es Ihnen unser Wappen unmöglich machen, hier zu arbeiten, wenn wir christliche Werte wie Nächstenliebe und Pazifismus hochhielten?"

"Äh ... nein, natürlich nicht, ich ... äh ...."
Ich seufze.
"Bitte entschuldigen Sie, ich bin heute irgendwie nicht so richtig auf der Höhe.
Jetzt grienen beide über alle Backen.
"Das ist deutlich."

Papa Jensen wird aber schnell wieder ernst.
"So, aber nu mal Butter bei de Fische. Wir freuen uns natürlich, dass Sie Interesse daran zeigen, diesen Verein zu trainieren und dass Ihnen die Herausforderung interessant genug erscheint, um grob gesagt für Kost und Logis zu arbeiten, ehrt Sie ebenfalls.
Aber ..."
'Oh Gott, jetzt kommts!', denke ich, ohne auch nur zu ahnen, was ich befürchte, was jetzt kommen könnte.

"... aber, Herr Lavayeux: wer garantiert uns, dass Sie nicht binnen kurzer Zeit wieder die Lust verlieren? Sie haben schon zweimal in Ihrer noch kurzen Karriere einen Trainerjob hingeworfen und das ist etwas, was wir hier überhaupt nicht gebrauchen können!"

Ich nicke und gebe den immer noch am Rand des Bewußtseins rumlungernden Pubertärgedanken einen metaphorischen Tritt.
"Ich verstehe Ihre Bedenken und möchte da gern ein, zwei Sätze zu verlieren, wenn es recht ist."
"Selbstverständlich, deswegen habe ich ja gefragt."

"Die beiden Situationen muß man getrennt betrachten, Herr Jensen. In Aspelt hat das Präsidium mit mir etwas abgesprochen und dann hinter meinem Rücken das exakte Gegenteil davon getan. Ich bin niemand, der unerfüllbare Forderungen an einen Verein stellt und ich verstehe, dass es in jedem Club kleinere und größere Sachzwänge gibt, die die Handlungsmöglichkeiten einschränken. Damit habe ich keine Probleme.
Was ich dagegen zugegebenermaßen nur schwer ertragen kann, ist das Gefühl, hintergangen und belogen zu werden. Solange der Umgang innerhalb des Vereins von Vertrauen und Ehrlichkeit geprägt ist, kann ich meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sich Aspelt nicht wiederholt."

Die Jensens nicken, ob skeptisch oder zustimmend, kann ich nicht hundertprozentig einordnen.

"In Winterthur dagegen habe ich den Rücktritt gewählt, weil mir bereits nach einem Viertel der zweiten Erstligasaison klar wurde, dass die Mannschaft einen Impuls von außen benötigt - und diesem Impuls wollte ich nicht im Wege stehen. Ich bin einmal mit der Mannschaft wieder runter in die Challenge League gegangen und ich hätte es auch wieder getan, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass ich der ideale Trainer in der Situation bin. Dieses Gefühl hatte ich nicht mehr. Und sowohl Teile der Mannschaft als auch Teile der Vereinsführung waren der gleichen Ansicht. Andere wiederum wollten an mir festhalten.
Ein Verein in akuter Abstiegsgefahr benötigt jedoch nichts mehr als absolute Geschlossenheit vom Präsidenten bis zum Greenkeeper. Wenn das nicht gegeben ist und sich zum Beispiel an der Person des Trainers Konflikte entzünden, dann sollte dieser beiseitetreten, wenn die Konflikte nicht anders gelöst werden können."

Die Jensens nicken wieder, diesmal ziemlich eindeutig zustimmend.
Dann ergreift Svea das Wort:
"Herr Lavayeux. gesetzt den Fall, Sie bekommen den Job - was wäre Ihre Vision für unseren Club?"

"Nun, abhängig vom aktuellen Kader würde ich spätestens im nächsten Jahr den Aufstig anpeilen - nach dem, was Sie mir bisher erzählt haben, gehört der Club mittelfristig sowieso wieder in die erste Liga. Es ist jetzt exakt einhundert Jahre her, dass der Verein den letzten Meistertitel gewonnen hat.
Wenn das kein guter Startpunkt ist, um die Tristesse der dritten Liga hinter sich zu lassen und nach Höherem zu streben, wann dann?"

Nicken. Dann spielt plötzlich ein feines Lächeln um ihre Mundwinkel.
"Letzte Frage: Sehen Sie sich in der Lage, sich mit mir als Ihrer Vorgesetzten professionell auf Ihre Arbeit zu konzentrieren?"

Sch...! Sch..., sch..., sch...! Sie hat es doch mitbekommen!
Vater Jensen prustet - der hatte es also auch bemerkt!
Na super!

Ich werde innerhalb eines Sekundenbruchteils knallrot, stammele kurz wie ein ertappter Pennäler, nehme dann meine ganze Selbstbeherrschung zusammen und nicke.
"Ja."

Die beiden tauschen einen amüsierten Blick, dann streckt sie mir ihre Hand entgegen.
"Sie sprachen ja davon, wie wichtig Vertrauen und Ehrlichkeit sind - und wir sind bereit, Ihnen dahingehend einen gewissen Vorschuß zu geben.
Enttäuschen Sie uns nicht."

Ein kräftiger Händedruck von ihr, ein noch viel kräftigerer von ihrem Vater.
"Willkommen an Bord, Herr Lavayeux."


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« Letzte Änderung: Gestern um 22:49:33 von Achtelprofi »
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Bayernfahne

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Da hätte der alte Lava-Lüstling seinen neuen Job doch fast nochmal in die Binsen gesetzt, geniales Intro!  ;D Dänemark finde ich sowieso klasse und dass es jetzt von der dritten Liga aufwärts gehen soll, gefällt mir auch! Recht haste, Feyenoord wäre wohl ein zu großer Schritt, hab mich da vielleicht auch etwas von den sonstigen Jobangeboten blenden lassen. Dann mal viel Erfolg beim BF Katholikenhagen!  ;D
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Lancelot

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Wenn man sich mit Dänemarks Fußball beschäftigt sieht es auf den ersten Blick häufig so aus als wenn der erst 1991 begonnen hätte. Was aber bei weitem nicht stimmt. Dänemarks Verband ist einer der ältesten der Welt. Und auch in seinen frühen Jahren einer der erfolgreichsten. Verantwortlich dafür u.a. ein gewisser Sophus Nielsen. Jetzt wird´s schon etwas speziell, Sophus schaffte vier Jahre vor Gottfried Fuchs 10 Tore in einem olympischen Fußballspiel. Und jener Sophus spielte für FREM. Keine Bange er wird dir dort nicht begegnen, höchstens als Geist. Sophus spielte auch für Holstein Kiel und führte die bis ins Halbfinale der deutschen Meisterschaft, dem größten Erfolg der Kieler bislang.
Doch zurück zu FREM, eine wirkliche Traditionsmannschaft und das finde ich gut. Wenn ich es richtig weiß, Gründungsmitglied der 1. Liga. Auf FREM muss man erstmal kommen, meinen Glückwunsch zu der Wahl.


Wie du uns das verkaufst ist wie meine Vorredner schon sagten äußerst speziell und damit Klasse. Ich bin gespannt was da abgehen wird. FREM muss in die Superligen und nicht nur das, ist ja jetzt schon klar das wir eine Hochzeit erleben wollen.  :)
So und nun genug gequatscht, hau in die Tasten.
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DrAlu

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Sehr, sehr cool. Da freue ich mich richtig drüber. Ein Verein der weit oben auf meiner Liste der zu trainierenden Teams steht. Einfach ein Verein mit so großer Geschichte, der dringen darauf wartet aus seinem Donröschenschlaf aufgeweckt zu werden. Dann hoffe ich mal das Herr Lava genau der richtige Mann ist um diesen großen Verein aufzuwecken. Viel Erfolg beim BK Frem!
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4Ramos

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Gute Vereinswahl, aber ob dir da nicht deine Gefühle im Weg stehen :D Oder am Ende führst du den Verein ins Glück und du findest auch dein Glück? :)
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t.oelpel

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Scheint eine spannende Aufgabe zu sein. Den Club kannte ich bislang überhaupt nicht. So wäre es mir allerdings mit jedem anderen dänischen Club der zweiten oder dritten Liga gegangen.

Was wird das denn für ein Songtitel? Ich tappe im Dunkeln und außer "Fram Zero to Hero" will mir nichts einfallen.
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Bayernfahne

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Was wird das denn für ein Songtitel? Ich tappe im Dunkeln und außer "Fram Zero to Hero" will mir nichts einfallen.

Ich schätze mal, es ist "Deny the Cross"  ;) (von Overkill)
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