Ich unterschreibe alles, was Der Baske in puncto Ansprache, Außenwirkung und Auftreten gesagt hat. Ich habe schon ganz vergessen, wie sich das anfühlt, einen Trainer da sitzen zu haben, der mediale Sticheleien entspannt wegmoderiert. Zumal er das immer sehr sachlich und dennoch mit einer kleinen Prise Humor tut. Er hat in der Hinsicht einfach eine grandiose Ausstrahlung. Timo Becker von Holstein Kiel hat zum Beispiel gesagt, dass es sogar auf dem Platz einen Unterschied macht, wenn da dieser Baum von einem Kerl an der Seitenlinie steht und das ihnen damals beim Spiel gegen Bayern ordentlich Respekt eingeflößt hat. Einem Kylian Mbappé oder Vini Junior wird das zwar herzlich egal sein, aber in Spielen gegen kleinere Teams kann das ja dennoch ein Faktor sein.
Taktisch bin ich hin- und hergerissen. Gegen den letzte Saison ungeschlagenen deutschen Meister hat man mit dieser Spielweise lediglich einen xG-Wert irgendwo zwischen 0,1 und 0,3 zugelassen. Das Gegentor fiel auch nicht aus einer zu hohen Abwehrlinie heraus, sondern als Resultat eines selbst verschuldeten Eckballs, bei dem anschließend kollektiv gepennt wurde und Andrich den Ball aber auch genau so erwischt, wie er ihn in der Szene erwischen musste. Man hatte in der Partie wirklich extrem viel Pech. Gegen Villa sah das schon anders aus, da war das Pressing in der gegnerischen Hälfte oftmals zu zaghaft, die Abwehrreihe war aber unverändert hoch, das führt zwangsläufig zu Problemen. Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass bei besserer Chancenverwertung auch in diesem Spiel deutlich mehr drin gewesen wäre und Aston Villa selbst mit 100% Effizienz maximal zwei Tore schießt. So richtig sauer war ich erst nach dem Spiel gegen die Eintracht. Gegen Leverkusen hat man nie geführt, gegen Villa auch nicht, dass die Mannschaft hoch steht, weil sie auf ein Tor drängt, finde ich verständlich. Aber in der 90.+3 auswärts beim direkten Verfolger und beim Spielstand von 3:2 für das eigene Team immer noch so hoch verteidigen zu lassen... Da hat man sich den Punktverlust ganz allein selbst zuzuschreiben, alle Klasse von Marmoush hin oder her, dieser Ausgleichstreffer war nichts als ein Gastgeschenk. Ich war nach dem Spiel erstmal so bedient und angepisst, dass ich mir PK und Interviews erst am nächsten Tag geben konnte.
Die Stimmen zum Spiel waren es dann auch, die mich mit etwas Abstand ein Stück weit differenzierter auf das Ganze blicken lassen. Die Spieler haben anscheinend richtig BOCK so zu spielen. Und ich schrieb schon vor einer Weile, dass mit keiner FC Bayern-Mannschaft der letzten 5-10, eigentlich sogar 15 Jahre etwas anderes als Dominanz und Ballbesitzfußball zu spielen ist. Van Gaal hat das diesem Verein so dermaßen in seine DNA eingebrannt, dass ich mich manchmal frage, ob man ihm dafür danken oder ihn verfluchen sollte. Jetzt hat man einen Coach, der das wieder mit jeder Faser seines Körpers lebt, der unter Guardiola gedient hat, dem besten Trainer, den es in dieser Hinsicht gibt. Der Mann ist seit ca. drei Monaten hier Trainer. Da klappt lange nicht alles, da kann noch gar nicht alles klappen. Insofern soll er mal machen und die Automatismen mit der Mannschaft trainieren und einstudieren, was wir am Ende davon haben, werden wir sehen. Unter Flick hat man ähnlich riskant gespielt, war hinten aber nochmal deutlich offener, obwohl man mit Boateng und Alaba die besseren Innenverteidiger hatte, führte dennoch zu sechs Titeln in einem Jahr. Das halte ich zwar für nicht wiederholbar, weil schon damals viel Glück alias der beste Manuel Neuer aller Zeiten einen massiven Anteil an diesen Titeln hatte. Dennoch wird die Flick-Zeit den meisten im Verein wohl sehr positiv in Erinnerung bleiben, weil damals einfach begeisternder Fußball gespielt wurde. Das hat Kompany auch vor und ich traue ihm zu, die Defensive in den Griff zu bekommen, die ist nämlich bereits jetzt überraschend stabil, gemessen an dem, was man tatsächlich zulässt. Gegen Frankfurt waren es in 90+X Minuten 4 Torschüsse, davon 3 drin. Den Schuss zum 2:1 hält Neuer außerdem in 5/10 Fällen. Das ist alles in allem schon verdammt gut.
Aber, aber, aber! Das waren jetzt drei ergebnisbezogen nicht zufriedenstellende Spiele in Folge, die kommenden Gegner sind ähnliche wenn nicht sogar stärkere Kaliber, es könnte sein, dass man da wieder überragend spielt und dennoch tiefer in die Ergebniskrise rutscht. Wie Kompany dann agiert, wird sich erst zeigen müssen. Da er in Burnley lieber mit seiner Art von Fußball abgestiegen ist, als etwas anzupassen, gehe ich nicht davon aus, dass sich an seiner gesamttaktischen Herangehensweise etwas ändern wird. Und das soll es wegen mir auch gar nicht. Er soll die Mannschaft nach der Philosophie auf- und einstellen, an die er glaubt, alles andere wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt. Aber in der 93. Minute bei Führung? Das ist der eigentliche Punkt, der mir Bauchschmerzen bereitet. Langfristige taktische Ziele zu verfolgen und jedes Spiel so anzugehen, als läge man bereits 0:1 hinten, das ist alles schön und gut, aber selbst innerhalb des Spiels nicht auf sich verändernde Bedingungen zu reagieren... Das finde ich weitaus bedenklicher, als die extrem offensive Grundordnung.
Aber wie gesagt, der Mann ist seit 3 Monaten da, hat mehr Expertise als ich und ist noch gar nicht mal sooo lange Trainer. Ich traue ihm den Sprung auf den Trainerolymp absolut zu, halte es aber ebenso für denkbar, dass er in ein paar Jahren neben Gertjan Verbeek und Zdenek Zeman auf dem Friedhof der in Schönheit Gestorbenen beigesetzt wird. Hoffentlich geschieht ersteres.