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Autor Thema: Monkey Hill Blues  (Gelesen 20468 mal)

steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #20 am: 15.Juli 2025, 15:26:57 »

Sehr, sehr starke Story bislang! Man sieht, wie viel Mühe du da reinsteckst - und genauso liest sich das auch. Fanatstisch!
Für mich die perfekte Urlaubslektüre (und darüber hinaus natürlich auch). Hoffe du hast beim schreiben genauso viel Spaß wie ich beim lesen!

Ich bleibe definitiv dabei!

Beste Grüße


Vielen lieben Dank @MorbusDerbe – das bedeutet mir viel und motiviert mich ungemein!
Ich freu mich riesig, dass du so mitgehst und es dir gefällt.

Auch wenn es ziemlich zeitintensiv ist, so macht es mir aktuell doch großen Spaß die Geschichte voranzutreiben - natürlich umso mehr wenn sie solche Reaktionen hervorruft.  😊

Vielen Dank nochmal und weiterhin einen schönen Urlaub wünsche ich dir.

Beste Grüße
« Letzte Änderung: 15.Juli 2025, 15:29:28 von steffanovic »
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steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #21 am: 16.Juli 2025, 02:14:55 »

Kapitel 1 – Der erste Tag – Fortsetzung




Die Sonne stand schon fast senkrecht am Himmel. Keine Wolke, kein Wind, kein Erbarmen.

Nach dem Training war ich direkt runter zum Strand gegangen – nicht, weil ich Lust auf ein Bad hatte, sondern weil ich irgendwohin musste, wo es weniger nach Schweiß, Rasen und unentschiedenen Lebensentwürfen roch.
Die Turnschuhe knirschten über die schmale Promenade, der Sand leckte bereits gierig an der Betonstufe, die zum Wasser führte.
Ich ging hinunter und suchte mir einen Platz im Schatten eines halbverfaulten Ruderboots, das aussah, als hätte es seit Jahren keinen Tropfen Wasser mehr berührt.
Ein paar Kinder planschten am Ufer, eine alte Frau watete mit hochgezogenen Röckchen durchs Wasser, und irgendwo flimmerte Reggaeton aus einem tragbaren Radio, das mehr rauschte als spielte.

Ich ließ mich auf den nicht allzu heißen Sand im Schatten des Boots sinken, streckte die Beine aus und zog mein Handy aus der Tasche.

Zeit für das Gespräch, das ich den ganzen Vormittag über vor mir hergeschoben hatte.

Anruf: Mervin Lewis

Tuut.
Tuut.
Tuut.
Mailbox.


„Okay, nochmal.“

Wieder dasselbe Spiel. Dreimal. Viermal.
Beim fünften Mal hob ich resigniert den Blick zum wolkenlosen Himmel.

Als würde er mich absichtlich ignorieren.

Schon aus der Ferne hörte ich:

„Billiger, billiger, billlliger!“

Die Stimme kam näher.
Dann sah ich ihn – ein dunkelhäutiger Mann, vermutlich aus Westafrika.
Er trug mehrere Kleidungsschichten: ein weites, langärmeliges Shirt unter einem bunt karierten Stoffhemd, darüber ein Strohhut mit roten Schleifen – die ohne den nötigen Wind einfach nur träge herunterhingen.
Dazu eine glitzernde Sonnenbrille, die so groß war, dass sie wie Spielzeug wirkte.
Sein Bauchladen war monströs – ein Holzgestell, das ihm mit dicken Gurten über den Schultern hing, vollgestopft mit allem, was man nicht brauchte: bunte Ketten, Billigsonnenbrillen, aufblasbare Delfine, klappernde Armbänder, Plastikuhren, Räucherstäbchen, Flipflops in Größe 30.
Das Ding musste mindestens 30 Kilo wiegen.
Zusätzlich trug er noch einen ganzen Stapel Strandhandtücher, die er sich über einen Arm gehängt hatte – bestimmt nochmal 25 Kilo.

Seine Füße waren nackt – die Sohlen auffallend hell, fast weiß, als hätte der Sand sie in Stein gemeißelt.

„Lookie lookie, Chef! Heute alles billiger!“

Bevor ich etwas sagen konnte, kniete er sich mit einem tiefen Stöhnen neben mich in den Sand und legte die Handtücher beiseite.

„Guckst du hier – schöne Kette, original Sunglasses! Oder brauchst du diese?“

Er zeigte auf einen rosa Miniventilator, der einen schwächlichen Windstoß von sich gab.
Ich schaute ihn ein wenig irritiert an, und bevor ich etwas sagen konnte, setzte er direkt nach:

„Heute billig, morgen teuer!“

„Nein danke.“, stieß ich hervor.

„Chef, guckst du! Mach ich dir "Special Price", nur für dich – nur heute!“

Er ließ nicht locker. Offensichtlich war er schon einige Jahre im Business und kannte alle Tricks.
Manchmal ruhten sich die Strandverkäufer auch einfach mal kurz aus, auch wenn sie wussten, sie würden diesmal nichts verkaufen – schließlich war es ein Knochenjob, den ganzen Tag schwer bepackt durch den Sand zu laufen.

Er hielt kurz inne, zog dann ein Foto aus seiner Hemdtasche und hielt es mir hin.

„Chef, guckst du! Meine Familie. Fünf Kinder. Muss ich viel verkaufen.“

Er küsste das Foto, bekreuzigte sich und blickte gen Himmel.
Den Zeigefinger hatte er ebenfalls erhoben und zeigte damit in dieselbe Richtung.

Ich seufzte, griff in die Tasche und reichte ihm ein paar Dollar.

„Nimm das. Aber ich kauf nix, klar?“

Sein Gesichtsausdruck wandelte sich schlagartig. Er grinste über beide Ohren wie ein Honigkuchenpferd.

„Danke, danke, Bossman! Vielen Dank! Warte – ein Geschenk!“

Bevor ich reagieren konnte, nestelte er ein buntes, selbst geknüpftes Armband aus einer seiner Taschen und streifte es mir ungefragt ums Handgelenk.
Es sah aus wie eines dieser Freundschaftsbändchen, die sich junge Mädchen gegenseitig schenken, wenn sie zeigen wollen, dass sie ganz dolle befreundet sind.

„Nichts kaufen, hab ich gesagt... Das muss jetzt nicht sein.“

„Doch doch! Geschenk! Bringt viel Glück! Und vieeeel Power, wenn Zeit für Sexy Time, du verstehst?“, erklärte er mit einem schelmischen Grinsen.

Ich lachte unweigerlich laut auf und ließ es über mich ergehen.

Er stemmte sich mit einem ächzenden Ruck hoch, wirbelte dabei etwas Sand in meine Richtung, nahm seine Handtücher und marschierte los.
Er drehte sich noch einmal um, lächelte mir zu und winkte. Ein paar Meter weiter fing er wieder laut an zu rufen:

„Billiger!
Billiger, billiger, billiger!
Heute billig, morgen teuer!“


Ich schüttelte den Kopf, schob das bunte Bändchen halbherzig weiter hoch am Arm, als ob es dann weniger peinlich wäre, und tippte auf den nächsten Namen.

Anruf: Rosalie

Zweimal tutete es. Dann:

„Ja?“

Ihre Stimme klang müde, aber nicht genervt. Irgendwie... weich. Fast erleichtert.

„Hey Rose...alie. Ich hoffe, ich störe nicht.“
Früher hatte ich sie immer Rose genannt und hätte es beinahe wieder getan – dann fiel mir ein, dass das vielleicht gar nicht mal so angebracht war. Zumindest im Moment.

„Nein, nein... ich hab fast schon damit gerechnet, dass du dich meldest.“

Natürlich hast du das. Du kennst ihn besser als ich.

„Ehm, ja... Mervin war heute nicht beim Training und ans Telefon geht er auch nicht.
Ich wollte fragen, ob du weißt, was los ist. Dein Dad meinte, mit ihm war nichts abgesprochen.“


„Typisch. Dann ist er wohl 'unterwegs'. Heute Nacht ist er nicht nach Hause gekommen.
Wir hatten gestern Abend Streit, und dann ist er einfach abgehauen. Ohne was zu sagen.“

Es wirkte so, als wäre das nicht zum ersten Mal der Fall. Ich spürte, wie mir der Schweiß am Rücken klebrig wurde.

„Unterwegs? Wohin?“

Ich versuchte bewusst, nicht auf den Streit einzugehen. Ich hatte schon genug mit mir selbst zu tun.

„Keine Ahnung. Wir haben uns gestritten. Also – nicht laut, aber du weißt schon...“

Meine Güte, ich hab’s verstanden, ihr habt euch gestritten. Und ja, ich weiß es genau.

„Er war sauer. Eifersüchtig. Hat sich reingesteigert und unsinniges Zeug geredet.
Dann ist er wutentbrannt rausgestampft wie ein trotziges Kind. Einfach so. Ohne ein weiteres Wort.“


Ich lehnte mich zurück, spürte die Sonne auf dem Gesicht, das Armband am Handgelenk, das irgendwie mehr wog, als es sollte.
Aufstellung, Taktik – damit sollte und wollte ich mich beschäftigen. Nicht mit einem Beziehungsdrama.

„Ich... bin trotzdem froh, dass du wieder da bist.“

Sie sagte es sanft. Kein Vorwurf. Kein Zucken.

Ich zögerte.

„Ich auch.“

„Wolltest du nicht… wir hatten doch gesagt, vielleicht Kaffee? Die Tage?“

Mein Magen zog sich leicht zusammen. Ich starrte auf das Meer hinaus, auf das schimmernde, perfekte, schweigsame Blau.

„Ja. Die Tage. Aber…“

Ich holte Luft. Suchte nach einem Ausweg.

„Gerade ist so viel los. Ich muss mich erstmal um alles kümmern, weißt du? Training. Papierkram.
Die Jungs auf Kurs bringen. Und überhaupt – mich erstmal wieder einleben.“


„Ich versteh schon. Mach dir keinen Stress. Alles in Ordnung.“

Pause.

„Wenn du ihn findest… sag ihm, er soll nach Hause kommen. Oder sich wenigstens melden.“

„Na klar, mach ich.“

„Danke.“

Klick.

„Hallo?“

Ich schaute aufs Handy.
Sie hatte das Gespräch ziemlich abrupt beendet. Kein „Tschüss“, kein „Wir sehen uns“, kein „Bis bald“.
Ich hab nichts falsch gemacht, überzeugte ich mich in Gedanken selbst und ließ das Handy neben mir in den Sand sinken, während ich die Beine ausstreckte und kurz die Augen schloss.

Eifersucht. Verletzter Stolz.
Und ich mittendrin.




Ich wusste nicht genau, wo ich anfangen sollte.
Aber mein Bauchgefühl sagte mir: Wenn er irgendwo ist, dann dort, wohin er früher schon flüchtete - wenn er sauer war oder sich ungerecht behandelt fühlte.
Also schlug ich die Richtung ein, in der ich die alte Bar von damals vermutete.
Früher waren wir da oft – nach Spielen, nach Niederlagen, nach allem, was man wegspülen wollte.
Der Weg dorthin war in meiner Erinnerung klar… dachte ich.

Nach zehn Minuten Fußweg war ich mir plötzlich nicht mehr sicher.
War es die große Kreuzung mit der halben Palme davor? Oder die, mit der schmale Gasse und dem verrosteten Lieferwagen dahinter?

Ich ging einmal im Kreis, dann noch mal zurück.
Hatte ich’s mir eingebildet? Sie musste doch irgendwo hier sein. Oder war ich einfach schon zu lange weg gewesen und konnte mich schlichtweg nicht mehr richtig erinnern?

Nach weiteren zehn Minuten wollte ich die Suche gerade einstellen, doch dann sah ich das Gebäude.

Oder besser gesagt: das, was davon übrig war.

Die Fenster zugenagelt, die Tür aus den Angeln, das Holz verwittert wie in einer Dschungelruine.
Das ehemals über dem Eingang hängende, aus bunten Neonröhren bestehende Schild, lag im Staub und zog schon lange keine Gäste mehr an.
„Lighthouse Lounge“ hatte früher darauf gestanden – doch nun fehlte das L, das e war zerbrochen und auch die restlichen Buchstaben hatten ihre beste Zeit schon lange hinter sich gelassen.

Ich trat näher heran, blickte ins Dunkel.

Nichts. Staub. Stille. Vielleicht ein paar Geister.

Es roch ziemlich übel.

Einige Obdachlose hatten das leer stehende Gebäude wohl als Schlafplatz auserkoren, andere wohl eher als Toilette und wieder andere als Müllhalde.
Zumindest roch es nach alten Fäkalien, durchnässten Kleidungsstücken, verschimmelten Essensresten und auch ein wenig nach nassem Hund.

"Nichts wie weg hier! Nicht mal für Geld würde ich mich auch nur eine weitere Minute hier aufhalten."
Dachte ich und hielt mir beim rausgehen mein T-Shirt vors Gesicht um den ekelhaften Gestank nicht einatmen zu müssen.

Meine nächste Station würde das Amüsierviertel werden. Hier reihten sich die Bars aneinander und vielleicht hatte ich Glück und würde ihn in einer davon antreffen.

Die erste Bar, die ich aufsuchte, war eine nicht ganz so heruntergekommene Spielunke – aber nah dran.
Beim Öffnen der Tür stieß ich mit einer stark alkoholisierten Frau zusammen, die gerade im Begriff war, das edle Etablissement zu verlassen.
Sie sah fast genau so edel aus, wie der Schuppen aus dem sie gerade heraustorkelte.

Lange, fettige Haare, ein paar unechte, viel zu lange Fingernägel sowie ein Parfüm, das man wohlwollend als "Eau de Muff" bezeichnen konnte.
Abgerundet wurde das Bild durch einen viel zu kurzen Jeansrock, viel zu hohe Absätze, auf denen sie nicht mal geradeaus laufen konnte, und Makeup, das aussah, als hätte sie es mit dem Hochdruckreiniger aufgetragen..

"Ehhh, pass doch auf du Trottel" fuhr sie mich harsch an.

"Behandelt man so etwa eine Lady" lallte sie weiter.

"Oh, tut mir leid – ich wusste nicht, dass eine Lady anwesend ist. Ich bitte vielmals um Verzeihung."

Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.

"Arschloch" rief sie mir noch hinterher, doch ich war schon auf dem Weg zum Barkeeper.

Trotz des Anblicks der Bar, war sie überraschend gut gefüllt.
Lediglich ein paar wenige Tische waren unbelegt. Die Stimmung war ausgelassen, die Musik war laut und es wurde sogar vereinzelt getanzt. Mein Blick glitt durch den Raum, Mervin konnte ich jedoch nirgends entdecken.
An der Theke angekommen, fragte ich den Barmann nach ihm.
Dieser war allerdings keine große Hilfe, denn entweder wollte er mir nicht helfen oder er kannte ihn wirklich nicht.
Das Meiste was er sagte, konnte ich aufgrund der lauten Musik sowieso kaum verstehen.
Ich musste Wohl oder Übel weitersuchen.


Die zweite Bar die ich betrat, war hell, steril, modern – und völlig leer.
Der Barkeeper war jung, arrogant und zu cool, um sich mit mir zu beschäftigen.
Kein Wunder das der Laden nicht lief.

Die dritte Adresse war einer dieser Irish Pubs, die es offenbar überall auf der Welt gab.
Ganz schön weit gereist die Iren.
Draußen standen grüne Plastikstühle, an grünen Tischen, mit grünen Tischdecken.
Die grünen Sonnenschirme waren mit Kleeblättern verziert, die natürlich ebenfalls grün waren - nur der Farbton war leicht unterschiedlich.
Jetzt wussten zumindest meine Augen, was ein Kulturschock war.
Mervin konnte ich in all dem Grün nicht ausmachen.

Schräg gegenüber der grünen Hölle, lag noch einer kleinere, unscheinbare Bar, die ihren Eingang in einer Seitengasse hatte.

Über der Tür war lediglich ein kleines Neonlicht angebracht auf dem "Open" stand.
An der Wand neben der Tür, war eine Karte angebracht, die wohl früher von einem Glaskasten umgeben war.
Jetzt lagen nur noch einige Scherben davor auf der Erde und die Schrift war unleserlich.

Schon beim Eintreten schlug mir der Geruch von Alkohol, Fett und Desinfektionsmittel entgegen.

Basslastige Musik pumpte aus einem Lautsprecher, der eindeutig nicht für diese Lautstärke gemacht war.
In der Mitte des Raums stand ein Tisch.
Und darauf: Mervin.
Tanzend.

Um ihn herum eine Traube Menschen, größtenteils jüngeren Jahrgangs.
Einige gröhlten, andere lachten, es wurde gepfiffen, gefilmt, kommentiert.

„Ey, guck dir den mal an!“

„Wie peinlich!“

„Schnell, nimm das auf!“ – „Ja man, ich stream das live!“



Ein Trauerspiel.

Mit halb heruntergelassener Hose, weit offenem Hemd und nur einem Schuh, schwankte er über den Tisch.
Tanzen konnte man es eigentlich gar nicht mehr nennen. Ohne Takt oder Rhythmus, hielt er gerade so das Gleichgewicht.
Er stampfte auf, ruderte mit den Armen und zeigte Obszöne Gesten.
Leere Becher flogen, Bierfontänen schossen durch die Luft wie beim Formel-1-Podium.
Er grinste breit, als hätte er genau dort gerade gewonnen.

Ich musste dem Ganzen ein Ende bereiten, bahnte mir einen Weg durch die Menge und ging direkt auf ihn zu.

„Mervin! Runter da.“

Ich packte seinen Arm, er wirbelte halb herum, verlor das Gleichgewicht – und kippte mir direkt in die Arme.
"Buuhhh!", "Spielverderber!", "Endlich unternimmt mal einer was!", waren die verschiedenen Meinungen die lautstark kundgetan wurden.
Mervin war äußerst wackelig auf den Beinen, doch ich hielt ihn fest, bugsierte ihn auf einen nahegelegenen Stuhl und dann passierte es.

Kaum das er saß, beugte er sich vor und hustete ein paar Mal.
Um auf Nummer sicher zu gehen, begab ich mich hinter ihn.



Ein Moment der Stille.



Und dann:

„Uuurrggh…“

Es folgte ein Strahl von immensem Ausmaß.
 
Ohne Zurückhaltung, ohne Scham, die volle Breitseite.

Eine "Mojito-Knabberspaß-Mischung" ergoss sich mitten auf den Boden – vor allen Gästen.

Zwei, drei Wiederholungen folgten.

Das Geschrei der Damen war mindestens dreimal so laut wie das Gelächter der Herren.

Schnell machte ich mich auf den Weg zum Tresen und wandte mich an den Barmann. Ich wollte nur noch raus

„Was schuldet er dir?“

Der Mann grinste, warf einen Blick auf das Schlachtfeld und riss einen Zettel vom Block.

„Sagen wir 275 Dollar. Plus 50 für die Reinigung.“

"Bezahlt er für alle?"

„Zumindest hat er gerufen: 'Geht auf mich!'“

So viel hatte ich nicht bei mir – und ein Kartenlesegerät suchte man hier wohl vergeblich.

"Hör mal Meister, ich geb dir jetzt 50 Dollar, dann lass ich unsere Ausweise hier und morgen bringen wir den Rest."

"Das ist ja mal wieder typisch, erst einen auf dicke Hose machen und dann nicht genug Kohle..."

"Willst du jetzt die Polizei rufen oder was? Bestimmt nicht, der Laden hier ist genau so illegal wie deine Rechnung.
Du nimmst jetzt die 50 Mäuse und morgen bekommst du den Rest, sonst geh ich einfach so!


"Du hast vielleicht nerven, hier einfach so reinzukommen und..."

"Deal?" sagte ich, bevor er überhaupt ausreden konnte.

"Arghh, na gut. Aber wehe ich bekomm morgen meine Kohle nicht!"

Ich sagte nichts mehr.
Ich wollte auch nichts mehr sagen.

Mervin bekam von all dem gar nichts mit, er war bereits eingeschlafen. Im sitzen.
Auch der Rest der Gäste hatte sich wieder beruhigt und verteilte sich im restlichen Teil der Bar.

Nur noch die Pfütze – und der beißende Geruch drumherum – erinnerte an seine Eskapaden.


Stützend zog ich ihn vom Stuhl weg, halb tragend, halb schleifend, während er langsam zu sich kam und röchelte.
Zusammen verließen wir endlich diesen verdammten Zirkus und gingen auf die Straße.

Es war spät geworden.
Die Sonne war schon untergegangen, die Luft kühl.
Kurze Zeit später kam auch noch Wind dazu. Natürlich.

Mervin hing auch ohne Regen schon wie ein nasser Sack an meiner Seite.
Ich roch ihn. Ich roch die Bar. Ich roch das, was mal Stolz gewesen war.

Eine Zeit lang zog ich ihn schweigend neben mir her, dann gab er wieder Töne von sich.
Er hustete, würgte und entschuldigte sich. Oder fluchte. Oder beides.

Und dann – pünktlich wie eine Strafe – fing es an zu regnen.
Erst nur ein paar Tropfen. Dann prasselnd.

Ich ließ ihn nicht los.

Seine Klamotten waren jetzt immerhin wieder halbwegs sauber.
Das war das einzig Positive.

Der Regen war nun wie eine tropische Dusche auf Monsunstufe.
Kein Nieseln. Kein sanftes Trommeln.
Sondern ein klatschendes, gnadenloses Nass, das dich in Sekunden komplett durchnässt – inklusive Unterwäsche.

Mervin schlurfte wieder etwas eigenständiger neben mir her, die Füße schwer, der Kopf tief.

Donner grollte über den Hügeln, Blätter fegten durch die Straße, irgendwo klirrte eine Mülltonne um.

Ich hoffte, wir würden es schweigend durchstehen.
Aber Mervin hatte andere Pläne.

Plötzlich blieb er stehen.

„Du hättest nicht zurückkommen sollen.“

Ich drehte mich zu ihm.

„Ich hab dich gerade aus der Bar getragen, in der du dich auf einem Tisch blamiert und dann auf den Boden gekotzt hast. Vielleicht nicht der beste Moment Anfeindungen.“

Er starrte mich an. Die Augen glasig. Die Stimme heiser.

„Du hättest wegbleiben sollen.“

Er ballte die Hände zu Fäusten. Oder etwas, das wie Fäuste aussah.
Dann machte er einen Schritt auf mich zu – torkelnd, langsam, wie ein betrunkener Boxer in Runde elf.

„Mervin…“

Er holte zum Schlag aus.

Daneben.

Noch ein Versuch – ich wich aus.

Wie in Zeitlupe versuchte er, mich zu umkreisen und schnaufte angestrengt.

Dann versuchte er es mit etwas Anlauf...

...rutschte aus, stolperte über seine eigenen Füße und fiel mit dem Kopf voran auf den Boden.

Einen Moment lang war nur der Regen zu hören. Dann ein lautes, dumpfes Fluchen.

Ich trat zu ihm, reichte ihm die Hand.

„Fühlst du dich jetzt besser? Na komm. Bevor der Regen dich noch wegspült.“

Er griff zu. Schwer. Nass.
Ich zog ihn hoch – und plötzlich war alles ruhig.

Er sah mich an. Keine Wut mehr. Keine Aggression.

Dort stand nur noch ein kleiner Junge, rotäugig im Regen, verloren zwischen Trotz und Tränen.

Noch bevor ich meine Gedanken geordnet hatte, kam er einen Schritt näher und fiel mir um den Hals.

„Warum hast du nie geschrieben? Nie gefragt, wie’s läuft? Einfach weg – und dann... bist du wieder da. So als wär nichts.“

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.
Also sagte ich nichts.

"Alle freuen sich, nur weil du da bist. Aber mich fragt niemand."

Er ließ mich los und wir setzten uns an eine flache Hauswand.

Beide klatschnass, beide schweigend.

Der Regen trommelte auf das Blechdach über uns, der Wind drehte leicht – und die Welt war für einen Moment ganz still..

Mervin schnaubte. Dann lachte er leise.

„Ich seh aus wie’n begossener Pudel, oder?“

„Wie ein kleiner, eifersüchtiger nasser Pudel.“

Wir lachten. Ehrlich. Kurz.

Dann lehnte er sich zurück.
Ich fingerte mir eine halb durchgeweichte Zigarette aus der Packung und steckte sie an.
Die Wolken zogen vorbei und gaben den Blick auf einen sternenklaren Himmel frei.
Ich schaute eine Weile nach oben.

Als ich aufgeraucht hatte, bemerkte ich, dass Mervin wieder eingeschlafen war.

Einfach so. Mitten im Regen. Mit dem Kopf an der Hauswand.

Ich schob ihn mir über die Schulter.
Wie einen Mehlsack. Oder einen alten Freund.

Den ganzen Weg zu ihm nach Hause traf ich keine Menschenseele.
Als ich ankam und klopfte, schaute Rosalie aus dem Fenster.
Sie war wohl die ganze Nacht aufgeblieben

Sie öffnete ohne ein Wort.
Ich trat mit Mervin über der Schulter durch den Flur, rempelte erst die Vase am Sideboard, dann den Wäscheständer, stolperte durchs Wohnzimmer mit all seinem Deko-Kram – und schob ihn endlich in den Garten.

Draußen stand eine Hollywood-Schaukel.
Verwaschenes Blau. Fleckiger Stoff.
Ich ließ ihn langsam darauf sinken.
Er murmelte im Schlaf irgendwas von „nicht meine Schuld“.

Ich trat einen Schritt zurück.
Schließlich holte ich noch eine Decke und legte sie behutsam über den durchnässten Mervin.
Rosalie stand in der Tür, verschränkte die Arme.

Dann sagte sie:

„Willst du einen Kaffee? Die Sonne geht gleich auf.“

Wir saßen auf der Terrasse.
Die Luft dampfte noch vom Regen.
Ich hatte eine Zigarette im Mundwinkel, sie den Kaffee in der Hand.
Mervin schnarchte leise auf der Schaukel.

Wir sprachen stundenlang.

Über früher.

Über sie und Mervin.

Über mich.

Über Bradshaw, der laut Rosalie „immer gehofft hatte, ich würde zurückkommen – und nicht, dass Mervin sein Schwiegersohn würde.“

Es sollte anders kommen.



Wir lachten. Wir schwiegen.

Wir sagten alles, was gesagt werden musste.
Und philosophierten über das Hätte, Wäre, Wenn.

Als der Himmel heller wurde und sich über dem Meer die ersten Lichtstreifen zeigten, war der Kaffee längst ausgetrunken.

Ich stand auf, streckte mich, sah sie an.

„Ich geh dann mal. Bevor es noch peinlich wird.“

Sie lächelte.

Ich ging zu Fuß.
Nass, müde – aber irgendwie ... leicht.

Zuhause zog ich mich aus, warf alles in den Wäschekorb und ließ mich aufs Bett fallen.
Die Matratze quietschte.
Mein Rücken knackte.
Meine Gedanken rauschten.

Ein Tag.
Nur ein Tag.



Und trotzdem fühlte es sich an wie ein ganzes Leben.
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Inaktiv seit *13.Dezember 2009©

MorbusDerbe

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #22 am: 16.Juli 2025, 13:15:22 »

So, so! Der alte Banause Mervin treibt sich im Nachtleben rum — hochprofessionell!  ;D

Wieder ein sehr guter Part - bin gespannt ob Jonathan es schafft, diese Truppe auf Linie zu bringen.
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #23 am: 16.Juli 2025, 16:10:36 »

In der Karibik sind sie schon wegen der "Spezialzigaretten" viel gechillter drauf ;D
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steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #24 am: 24.Juli 2025, 19:50:37 »

Kapitel 1.1 – Die nächsten Schritte




Ein paar Tage waren vergangen.
Nicht genug, um sich zuhause zu fühlen – aber genug, um zu wissen, welcher Spieler zu spät kommt, wer heimlich raucht und wer beim Sprinttraining am liebsten rückwärts läuft.




Der Regen hatte die Insel fest im Griff.
Kein freundlicher Frühlingsregen oder ein laues Sommertröpfeln, das nach Abkühlung riecht – sondern ein hartnäckiges, klebriges Grau, das sich wie ein feuchtes Laken über die Tage legte.

Seit fast einer Woche prasselte es. Mal laut, mal leise, aber immer da.
Die Wege zum Platz waren matschige Rinnen, das Umziehen fand unter tropfenden Vordächern statt, und beim Torschusstraining musste ich zweimal eingreifen, weil der Ball im Schlamm steckenblieb.

Die Spieler schnauften, fluchten, rutschten – aber sie waren da.
Und ich auch.
Jeden Tag.
In triefender Jacke, mit aufgeweichten Schuhsohlen und dem festen Glauben daran, dass man auch im Regen wachsen kann.

Ich hatte inzwischen mehrere Einheiten geleitet.
Manche Spieler schauten mich mittlerweile nicht mehr an, als wäre ich der neue Englischlehrer oder würde nicht wissen, wovon ich spreche.
Es waren Fortschritte – kleine, nasse, klamme Fortschritte.
Aber spürbar.




🔎 Ein Blick aufs Umfeld



Die Stimmung im Umfeld?
Gemischt.
Wie ein Obstsalat mit zu viel Banane.

„Mit diesem Kader muss der Aufstieg drin sein!“
„Wir haben keine Geduld mehr für halbgare Versprechen.“
„Hauptsache, die Trikots sehen gut aus.“

Wir spielten in der zweiten Liga – die Konkurrenz bestand größtenteils aus Amateurvereinen, mit Spielern aus der Nachbarschaft.
Der Verein, der Vorstand, die Fans: Alle wollten zurück nach oben. Direkt. Ohne Umweg. Ohne Ausrede.

Und wenn ich ehrlich war – mit diesem Kader war es eigentlich auch unsere Pflicht.
Vorausgesetzt, sie hörten endlich auf, sich beim Warmmachen gegenseitig mit Wasserflaschen zu bewerfen.
Oder schafften es, in einem Match nicht auszurutschen wie frisch eingeölte Bowlingkugeln.








Die Vergangenheit holt uns ein



Es hatte ein paar Tage gedauert – aber jetzt war es soweit.
Die St. Kitts Weekly Voice veröffentlichte einen Artikel mit dem kreativen Titel:


„Captain Chaos – Rockets-Star tanzt auf dem Tisch“


Dazu zwei verschwommene Screenshots, auf denen man Mervin erkannte.
Und mich.
Wie ich ihn vom Tisch zog.

Und wie er sich übergab.

Ich hatte gehofft, es würde untergehen – ein Gerücht, ein Interna, schnell vergessen.
Aber nein.
Die lokalen Foren liefen heiß, WhatsApp-Gruppen pingten, sogar Bradshaw hatte mir morgens wortlos das Handy hingehalten.

„Das ist nicht gut für unser Ansehen. Tu etwas. Sonst mach ich es.“

Ich setzte mich mit Mervin zusammen. Kein großes Drama, kein lautes Wort.

„Die Bilder deiner durchzechten Nacht sind draußen. Und wir müssen ein Zeichen setzen.“

„Ein paar Bier – und schon denken alle, ich wär ein Problemfall.“

„Ein paar Bier waren das also... Es geht nicht um das, was du bist. Sondern um das, was man sieht.“


Am Ende einigten wir uns auf zwei Dinge:
Eine kleine Geldstrafe – und der Verlust der Kapitänsbinde.
Mervin nahm’s hin. Ruhig. Beißend.
Vielleicht wusste er selbst, dass es fällig war.

Er würde aber im Team bleiben.
Vielleicht sogar weiterhin ein wichtiger Bestandteil.
Aber das Band am Arm – das ging an jemand anderen.

Ich wusste noch nicht an wen.
Nur, dass ich nicht zusehen konnte, wie wir nach außen wirken wie ein Wanderzirkus.





Organisation? Wird überbewertet.



Wir brauchten dringend Mitarbeiter, damit wir wenigstens ein Mindestmaß an medizinischem Personal hatten und auch im Training die Belastung auf mehrere Schultern verteilen konnten.
Ich hatte Anzeigen geschaltet – auf jeder halbwegs seriösen und weniger seriösen Plattform.
Zeitungsannoncen, Aushänge an Schwarzen Brettern und diverse Onlineportale.
Natürlich hatten wir uns auch im Umfeld umgehört, ob irgendwer jemanden kannte, der vielleicht wieder jemand anderen kannte.


Wir suchten:

– Einen Athletiktrainer
– Einen Torwarttrainer
– Einen Physiotherapeuten
– Einen Scout
– Und jemanden für die Jugendleitung, der mehr konnte als Kreide holen.


Noch hatte sich kaum jemand gemeldet.
Dafür kam Bradshaw eines Morgens mit einem feisten Grinsen auf mich zu:

„Übrigens... der Cousin von meinem Nachbarn ist Masseur. Hat früher im Knast gearbeitet, aber nur als Therapeut.“

Ich sagte ihm, ich würde es mir „durch den Kopf gehen lassen“, meinte aber: auf keinen Fall.


Am Markt riet mir ein Verkäufer:

„Mein Schwager macht Zumba – und zwar gut. Vielleicht was für eure Fitnesssache da.“

Vielleicht eine Überlegung wert.

Und zuhause lag ein Zettel von meiner Mutter:

„Schatz, frag doch mal Mrs. Burton von gegenüber. Ihr Enkel hat Medizin studiert. Und gibt Yogakurse.“

Zu diesem Zeitpunkt war ich für jeden Hinweis dankbar.

Kaffee. Ich brauchte mehr Kaffee.
Die Tage waren lang, wenn man sich mit solchen Dingen beschäftigen musste.
Irgendwie würde sich das schon fügen, dachte ich mir.


Auch wurden die Anstrengungen, neue Spieler unter Vertrag zu nehmen, intensiviert.
Einige Jugendspieler durften bei uns vorspielen, allerdings wusste keiner von ihnen zu gefallen.
Als ich den Markt der vereinslosen Spieler sondierte, stieß ich vor allem auf Ernüchterung.
Allerdings gab es auch ein paar wenige, die kurz darauf zum Probetraining eingeladen wurden – und zu überzeugen wussten.



Neu im Team – Erfahrung, Energie und ein Comeback aus Barbados



Manche Transfers sind gut geplant.
Andere passieren irgendwie... aus dem Bauch heraus.
Und dann gibt es Gregory Goodridge.

Der Mann, der durchaus schon ein Rentner sein könnte, war 53 Jahre alt.

Dreiundfünfzig.

Drei...und...fünfzig.

Andere in diesem Alter haben schon künstliche Hüftgelenke – er wollte es offenbar noch einmal wissen.
Er kommt aus Barbados und war schon im letzten Jahrhundert Profi bei Bristol City.
Nationalspieler ist er ebenfalls gewesen – und seit zehn Jahren offiziell eigentlich in Fußball-Rente.

Er tauchte an einem regnerischen Dienstag, mit einem Ball unter dem Arm, beim Mannschaftstraining auf.
Niemand wusste, woher genau er kam – nur, dass er nicht von hier war.
Manche sagten, er sei eigentlich zu Besuch auf der Insel gewesen. Andere, er sei hergezogen wegen einer Frau.
Ich fragte nicht.
Ich sah ihn spielen – und das reichte.

Knapp 200 Spiele in England.
20 Tore.
Und jetzt wieder da – hier bei uns, auf dem nassen, matschigen, heiligen Grün.
In Liga 2
.


Ich hatte ihn anfangs für einen Vater gehalten, der seinem Sohn zuschauen wollte. Oder einen Scout.
Er selbst fragte nur, ob er mitspielen dürfe – und erwähnte fast beiläufig, dass er wissen wolle, ob er’s noch kann.

Und er konnte
.

Einmal Übersteiger, einmal Hacke, Spitze, eins, zwei, drei – und die Gegenspieler wurden verladen wie Einkaufstaschen.
So eine Technik, so ein Flair, so ein Spielwitz hatte keiner bei uns.

Später, im Trainingsspiel, schnappte er sich den Ball an der Seitenlinie, ließ zwei Mann aussteigen wie Gäste aus dem Taxi – und schlenzte das Ding mit dem Außenrist in den Winkel.
Die halbe Mannschaft klatschte, obwohl sie eigentlich Gegner war.

Natürlich war er nicht mehr der Spritzigste, verstecken musste er sich trotzdem nicht.
Wir tauschten uns noch ein wenig über unsere Philosophien aus – danach war der Vertrag in Rekordzeit unterschrieben.

Er war sofort drin.
Im Team. Im Gefüge.
Im Herzen der Kabine.


Führungsspieler nach einem Training.

Auf dem Platz kann er sowohl links als auch rechts auf dem Flügel spielen.
Mittelfeld, Sturm, Verteidigung – außen kann er alles abdecken.
Beidfüßig und technisch stark ist er auch noch – was will man mehr?

Irgendwo, inmitten der Verhandlungen fragte ich mich:
Was bringt so jemanden dazu, sich im Spätherbst seiner Laufbahn noch mal auf eine tropfnasse Insel zu stellen und Bälle zu verteilen wie früher Autogramme?
Ich wusste es nicht.
Aber ich war froh, dass er da war.


Dazu kamen zwei Vertreter der jüngeren Generation.
Auch sie hatten in den Probetrainings auf sich aufmerksam gemacht.

Dylon Morton, 21, zielstrebig, ehrgeizig – und ein linker Fuß wie ein Maßanzug.
Und Jahsanni Merritt, 22, ballsicher, fit und mit einer guten Entscheidungsfindung.

Zusammen waren sie das, was uns bisher fehlte:
Ein bisschen Feuer, ein bisschen Ruhe – und ein lebendiges Denkmal.






 




Ein wenig später hätte ich gerne einen Artikel in der lokalen Zeitung veröffentlicht.
Er hätte folgenden Titel bekommen:


Wenn Dreistigkeit einen Namen hätte: Village Superstars


Zu den Verpflichtungen kam auch ein „Angebot“, das wir von den Village Superstars bekamen.
Wobei „Angebot“ wohl der falsche Begriff für diese Dreistigkeit war.
Sie wollten unseren 40-jährigen Torwart Adolphus Jones.

Ablösefrei.
Null Euro.
Einfach so.


Ich musste lachen.
Ohne weitere Gedanken daran zu verschwenden, lehnte ich ab.

Als ich Jones davon in Kenntnis setzte, war er ziemlich verärgert.
Er erklärte mir, dass er viel lieber in der ersten Liga spielen würde und ich mit ihm hätte sprechen sollen, bevor ich das Angebot ablehne.
Ich habe ihm versucht klarzumachen, dass wir doch sowieso nächste Saison wieder in der ersten Liga spielen würden.
Wenn er denn seinen Job erledigt.
Schien ihm sichtlich egal zu sein.
Schauen wir mal, ob daraus ein Problem entsteht – ich hoffe nicht.





Meine ersten taktischen Überlegungen folgten einem einfachen Grundsatz:

📐Keep it simple.

Mit all den Baustellen war mir klar: Ich brauchte kein taktisches Meisterwerk – ich brauchte etwas, das funktionierte.

Also setzte ich auf ein klassisches 4-4-2.
Zwei Linien, zwei Stürmer, klare Aufgaben.
Erst einmal eine einfache Marschroute, keine Experimente und keine individuellen Aufgaben.

Nur laufen, decken, schießen.
Fußball wie ein gut gegrilltes Hähnchen: nicht raffiniert, aber sättigend.

„Wir spielen, was sie verstehen. Alles andere bringen wir ihnen später bei.“

Jazza stimmte mit mir überein. Auch er war der Meinung, dass wir sie nicht überfordern – und erst einmal ein Grundgerüst schaffen sollten.

Wenn alles einigermaßen klappt, können wir immer noch mutiger werden und neue Dinge probieren.










🎤 Pressekonferenz voraus



Die erste offizielle Pressekonferenz stand an.
Ich hatte mir ein Hemd gebügelt, das nach Mottenkugeln und Hoffnung roch, und versuchte, mir kluge Antworten auf dumme Fragen zurechtzulegen.

Draußen tropfte es in dicken, schwerfälligen Tropfen von den Dächern.
Im Haus war es klamm, meine Kaffeetasse dampfte leicht, und irgendwo spielte ein Radio eine altmodische Ballade über gebrochene Herzen und falsche Versprechen.

Was soll ich sagen?
Dass ich keine Lizenz habe, aber viel Elan?
Dass ich glaube, mit Mervin wieder klarzukommen?
Oder dass ich hoffe, keiner fragt, wo ich in fünf Jahren bin?


Ich ging raus auf die Veranda, zündete mir eine Zigarette an und schaute in den Regen.

Das mit der Lizenz behalte ich wohl lieber erstmal für mich.

Ich biete schon genug Angriffsfläche und will den Medienfutzis nicht freiwillig noch mehr geben.

Ein paar Tage nach meiner Vorstellung würden wir unser erstes Testspiel haben.

Es wird langsam ernst.


« Letzte Änderung: 24.Juli 2025, 19:55:23 von steffanovic »
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #25 am: 25.Juli 2025, 10:25:45 »

Das war klar, dass Mervin nicht ungesühnt und einfach so mit seiner Eskapade davonkommt. Aber ich glaube, der Bursche wird noch eine gewichtige Rolle während der Saison spielen (oder ich hoffe es zumindest).  ;D

Aber aus welcher Pfütze ist den Gregory bitte aufgetaucht?! What? 53 Jahre alt und gleich Star auf den Flügeln? Wahnsinn!
Da bin ich gespannt, ob der die Saison über verletzungsfrei bleibt - gerade wenn man bedenkt, auf welchen Äckern teilweise gespielt wird. Da verspringt ihm nicht der Ball, aber vielleicht das nicht mehr ganz frische Sprunggelenk.

Liebe Grüße und ich freue mich auf den nächsten Part!
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #26 am: 26.Juli 2025, 00:27:37 »

Das war klar, dass Mervin nicht ungesühnt und einfach so mit seiner Eskapade davonkommt. Aber ich glaube, der Bursche wird noch eine gewichtige Rolle während der Saison spielen (oder ich hoffe es zumindest).  ;D

Aber aus welcher Pfütze ist den Gregory bitte aufgetaucht?! What? 53 Jahre alt und gleich Star auf den Flügeln? Wahnsinn!
Da bin ich gespannt, ob der die Saison über verletzungsfrei bleibt - gerade wenn man bedenkt, auf welchen Äckern teilweise gespielt wird. Da verspringt ihm nicht der Ball, aber vielleicht das nicht mehr ganz frische Sprunggelenk.

Liebe Grüße und ich freue mich auf den nächsten Part!


Ich muss sagen, dass mir so ein "alter Sack" vorher auch noch begegnet ist.
Zumal er ja schon seid 10 Jahren nicht mehr spielt, was macht der überhaupt in der Datenbank?^^

Und vielen Dank für die aktive Beteiligung - macht deutlich mehr Spaß wenn man weiß, dass jemand mit Freude dabei ist ;)

___________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________





Kapitel 1.2 – Muskelkater, Nummernchaos und viermal Nelson





Einige Zeit war es ruhig geblieben – wir konnten tatsächlich ohne besondere Vorkommnisse trainieren.
Ein paar Wochen lang hatten wir uns um neues Personal bemüht und uns eingeredet, wir hätten einen Plan.
Dass schon kleine Dinge ein großes Umdenken erfordern würden, damit hatten wir nicht gerechnet.
Und dass es neben dem Vereinsfußball auch noch so etwas wie Nationalmannschaften gab – das sollten wir bald schmerzhaft lernen.
Das Leben trat uns wieder mit beiden Beinen auf die Füße.
Aber zunächst gab es andere Neuigkeiten.



Es war einer dieser Märztage, an denen der Wind zu warm für Frühling, aber zu unentschlossen für Sommer war.
Der Himmel trüb, der Platz nass, das Trikot klebrig.
Und trotzdem: Die Dinge kamen ins Rollen.






Wir hatten nicht nur unsere fünf Testspiele gewonnen – wir hatten auch ein halbes Trainerteam zusammengekratzt.
Nicht alles Wunschkandidaten.
Aber immerhin Leute, die nicht bei drei schon wieder die Koffer packten oder sich weigerten, auf dem Platz Gummistiefel zu tragen.




Der Neue Athletiktrainer: G'vaune Francis


Francis war 24 Jahre alt, drahtig, wortkarg – und sah aus, als hätte er seit seiner Geburt Proteinshakes getrunken.
Er sprach selten, aber wenn, dann in kurzen, abgehackten Befehlen:

„Tempo. Tiefer. Halten. Und nochmal.“

Ich erwischte ihn einmal dabei, wie er während der Aufwärmphase lautlos die Lippen bewegte.
Ich dachte, er zähle mit – in Wahrheit sagte er ein Sprichwort auf, das seine Großmutter ihm beigebracht hatte:

„Wenn der Hahn kräht, braucht der Hase nicht mehr zu rennen.“

Ein wirklicher Sinn wollte sich mir nicht erschließen.
Als ich Francis nach der Bedeutung fragte, meinte er nur, der Hase schlafe tagsüber.
Soweit ich weiß, sind Hasen nicht nachtaktiv – aber ich beließ es dabei.
Wer weiß, wie alt seine Großmutter ist.
Vielleicht gab es um Viertel vor Christus noch nachtaktive Hasen.

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – seiner Sammlung kruder Sprichwörter wurde er sofort akzeptiert.
Vielleicht auch, weil er nie brüllte.
Oder weil er den Jungs Muskelkater an Stellen verpasste, die sie vorher nicht mal kannten.



Unsere neuen Hobbyscouts:



Clinton Walling – Der Mann mit dem Sonnenhut
Walling kam mit einem selbst gebastelten Notizblock und einer Lesebrille aus den 90ern zum ersten Treffen.

„Ich beobachte gern aus dem Schatten. Wegen der UV-Strahlung.“

Er redete kaum. Aber wenn, dann in Zahlen:

„Morimoto – 7,3 Kilometer Laufleistung, 82 Prozent Passquote, 3,1-mal Lächeln.“

Offensichtlich hatte er nicht nur die Brille, sondern auch den Humor aus den 90ern mitgebracht.


Scout Numero 2: Donroy Smith

Mr. Smith und Mr. Bradshaw kamen vor ein paar Tagen unangekündigt vorbei – und störten prompt das Training.
Bradshaw stellte ihn mit großem Tamtam vor, als hätte er gerade jemanden mit internationalem Renommee aus dem Hut gezaubert.
Tatsächlich war Smith nur so etwas wie Bradshaws inoffizieller Schwippschwager.
Smith trat vor und begrüßte mich mit etwas, das eher an einen labberigen Aal erinnerte als an einen Händedruck.

Noch bevor ich etwas sagen konnte, begann er begeistert über einen U20-Spieler aus Sandy Point zu schwärmen, der bei Ecken angeblich netzte wie Ronaldo zu seinen besten Zeiten.

Es stellte sich heraus, dass er keine Mappe, keine Unterlagen – ja nicht einmal einen Stift dabei hatte.
Nur sein Handy.
Und das war alt.
Es schien für ihn jedoch deutlich interessanter zu sein als unser Training.

Wirklich ärgerlich wurde es aber erst, als ich erfuhr, dass der gute Mann mehr Gehalt mit nach Hause nahm als ich.
Mitspracherecht hatte ich keines – weder beim Gehalt, noch bei der Stellenbesetzung an sich.
Ich musste es hinnehmen.



Die Teilzeit-Physios


Zuerst kam zu uns: Jameel Blanchette.
Blanchette war ruhig. Fast schon verdächtig ruhig.
Wenn ein Spieler stöhnte, antwortete er mit einem leichten Nicken und einer kühlen Hand auf der Wade.
Er sprach so selten, dass das Team irgendwann Wetten darauf abschloss, wann er wohl das nächste Mal etwas sagen würde.

Kurz darauf kam auch Thelston St. Juste in unsere neu geschaffene medizinische Abteilung – die aus einem Abstellraum mit Trage und Erste-Hilfe-Koffer bestand.
St. Juste war das genaue Gegenteil.
Er redete, als würde er dafür bezahlt – und nicht für die Massagen.

Das Thema?

Immer dasselbe!

Der allmächtige Hergott, wie er ihn nannte.
Man wusste nie, ob man gerade massiert oder missioniert wurde.

„Dein Rücken ist ein Spiegel deiner Seele, mein Freund.“

Ich ließ sie machen. Hauptsache, keiner von beiden brach jemandem irgendetwas.
Und immerhin: So hatten wir wenigstens einen Draht nach ganz oben – oder vielleicht einen zwölften Mann?





Fünf Spiele, fünf Siege – alle startklar?





3:0 gegen Bath United
Nelson zweimal, Goodridge einmal.
Das Spiel: solide.
Der Gegner: nicht der Rede wert.

Goodridge haute den Ball rein wie in alten Zeiten.
Der Jubel danach?
Alter Mann mit Krückstock.
Ich musste lachen.

3:0 gegen Conaree United
Ein Benefizspiel.
Keine Ahnung, wer da geehrt wurde – auch nicht nach dem Spiel.
Tore von Bertie, Nelson und Mervin.



2:1 gegen Old Road
Nelson. Bertie.
Das Gegentor war ärgerlich – Adolphus Jones hatte wohl ein Nickerchen gemacht.



5:2 gegen Newton GB
Viermal Nelson.
Vierter Test, vierter Sieg.
Er stand jetzt bei acht Toren in vier Spielen.
Ich begann, mir Sorgen zu machen, wann das erste Angebot für ihn eintrudelt.



4:2 gegen die Molineaux Pitbulls
Wieder zweimal Goodridge.
Der Rentner führt das Team an – auf dem Feld und auch in der Kabine.
Ich habe mich entschieden, ihn zum Kapitän zu machen.
Es schauen sowieso alle zu ihm auf.








Nummernchaos beim Beflocker



Wir hatten das Thema Rückennummern unterschätzt.
Oder besser gesagt: dem Falschen überlassen.
Offensichtlich ein Mann, der seine Maschine vermutlich auch mit Bananenöl schmiert.

Ein gewisser Mr. Elroy hatte sich angeboten – angeblich gelernter Trikotbeflocker mit jahrzehntelanger Erfahrung.
In Wahrheit: ein halb blinder Ex-Postbeamter mit einer Beflockungsmaschine, die vom Laster gefallen war.

Ernsthaft.

Einfach in der Kurve rausgefallen – ein paar Zahlen gingen dabei verloren.

Das Ergebnis:

Somersall, unser junger zweiter Keeper, hätte gerne die 15 genommen – die klassische TW-Nummer 1 ging natürlich an Jones.
Er bekam die 51.

Malique Roberts läuft jetzt mit der 99 auf.
Er sieht damit aus wie ein Basketballspieler auf Heimaturlaub – nur halb so groß.

Kassall Greene bekam die 89.
Morimoto die 81.
Und Morgan Prendergast die 66 – eine Nummer, die er für besonders mystisch hält.

Ich hatte inzwischen einen anderen „Fachmann“ organisiert – der hatte immerhin eine funktionierende Maschine.
Aber Mr. Bradshaw sah es nicht ein, doppelt zu zahlen.
Also mussten wir den ersten Satz wohl oder übel so lassen.

Er kommentierte nur trocken:
„Nummer ist egal. Solange sie nicht quer auf’m Rücken steht.“




🌍 Abflug ins Rampenlicht



Gerade, als wir dachten, es kehre so etwas wie Struktur ein, kam eine E-Mail vom Verband.
Betreff: „Länderspielabstellungen März – Bitte um Verständnis.“
Ich dachte zuerst an einen Witz. Dann las ich weiter – und blinzelte zweimal.


Gute Vorbereitung … bla bla bla …
Spielen zusammen im Team … bla bla …
Haben sich schon gut eingespielt … bla …


„Viel wichtiger ist doch: Wer – und wann,“ murmelte ich halblaut.

Ungehalten klickte ich mich durch die nächsten beiden Seiten.

„Ah, hier steht’s ja endlich …“

Acht Spieler?

Acht.








„Die spinnen doch."

Die Hälfte davon hat noch nie für die Nationalmannschaft gespielt – und jetzt gleich alle auf einmal?
Wir spielen nicht mal erste Liga. Wir sind gerade abgestiegen.
Normalerweise würde doch niemand bei klarem Verstand so eine Truppe nominieren.
Außerdem ist damit die halbe Startelf auf Weltreise.


„Das ist doch Betrug."

Ich starrte auf den Bildschirm. Ungläubig.

Bradshaw trat neben mich, in der Hand zwei Bananen.
Er hatte meinen Kommentar gehört, warf mir eine auf den Tisch und meinte trocken:

„Das ist doch genau das, was wir erreichen wollten – oder nicht? Unsere Jungs, für unser Land.“

„Natürlich – aber doch nicht mitten in den Saisonstart rein! Wer ordnet so einen Quatsch an?“

Ich überlegte, was wir tun konnten.
Bradshaw wirkte verärgert. Als hätte ich das alles zu verantworten.

„Wir beantragen sofort die Spielverlegungen“, sagte ich.
„Für das Spiel gegen Newton GB und das gegen Dieppe Bay.“

Er nickte, sah mich an – und ließ dann die Katze aus dem Sack:
Er habe seine Beziehungen spielen lassen, damit unsere Jungs in die Nationalmannschaft kommen.
Mehr Aufmerksamkeit für den Verein.
Mehr Chancen für die Spieler.
Eine Gelegenheit, sich zu beweisen.

Aha.
Daher weht also der Wind.
Dann ist er wohl sauer auf seine eigene Dummheit.

Ich musste unwillkürlich grinsen.

„Was ist daran so lustig? Das ist doch gut für den Verein! Für das Team!“, fuhr er auf.

Er wollte sich gerade in Rage reden – aber darauf hatte ich maximale Unlust.
Also nahm ich ihm den Wind aus den Segeln.

„Die Idee war gut gedacht“, sagte ich.
„Nur in der Umsetzung … na ja.“

Wie war das noch mal?
Da gab’s doch diesen einen YouTube-Clip:

„Korruption ist nur schlecht, wenn man nicht daran beteiligt ist.
Wenn man beteiligt ist – dann verteidigt man sie.“


Oder so ähnlich …

Was soll's.
Sollen sie ruhig fliegen, unsere Jungs.
Für einen Moment durften sie Nationalhymnen hören, während wir die Regenplane vom Rasen zogen.
Irgendjemand muss schließlich die Heimat bewachen.






Ausblick nach vorn



Am 18. März beginnt die Saison – gegen Hardtimes Utd.
Hoffentlich wird der Name nicht zum Programm.

Dann:
– 23.3: Dieppe Bay Eagles
– 26.3: Newton GB

Länderspiele:
– 25.3: Costa Rica
– 28.3: Haiti

Ich schaute auf den Plan, nippte an meinem Kaffee – und seufzte.
Wir würden auf die Antwort vom Verband warten müssen.
Sollte sie negativ ausfallen …
Denken wir drüber nach, wenn es soweit ist.

Wir waren nicht perfekt. Nicht mal nah dran.
Aber irgendwas sagte mir: Diese Truppe war bereit.





« Letzte Änderung: 26.Juli 2025, 00:39:27 von steffanovic »
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #27 am: 26.Juli 2025, 11:30:59 »

Erst lange nix, dann Sorgen, ob es hier weitergeht, jetzt gleich zwei Folgen auf einmal ;D Wunderbar!

53 :o Wottsefuck :o

Mir gefällt das Stadionbild mit der krummen Eckfahne sehr gut, das gibt Flair!
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #28 am: 26.Juli 2025, 12:17:58 »


Ich erwischte ihn einmal dabei, wie er während der Aufwärmphase lautlos die Lippen bewegte.
Ich dachte, er zähle mit – in Wahrheit sagte er ein Sprichwort auf, das seine Großmutter ihm beigebracht hatte:

„Wenn der Hahn kräht, braucht der Hase nicht mehr zu rennen.“

Ein wirklicher Sinn wollte sich mir nicht erschließen.

Stark - ein neuer Part!
Also das o.g. Sprichwort kenne ich auch nicht - aber wer würde die Weisheit einer Oma in Frage stellen?!  ;D

Das geht ja vielversprechend los. Alle Testspiele souverän gewonnen, der Stürmer knipst und "Opa" geht mit dem Krückstock voran - perfekt!

Dann hoffen wir mal, dass es mit den Verlegungen klappt, ansonsten kann Jonathan gleich die Schuhe mit den längeren Stollen raussuchen. Das wird ja sonst personell echt knapp.

LG
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #29 am: 26.Juli 2025, 15:08:31 »

@Signor Rossi und @MorbusDerbe

Danke euch beiden für die lieben Rückmeldungen – das motiviert wirklich sehr! :)

Und ja, diesmal hat’s tatsächlich ein bisschen länger gedauert…
Wobei: Sieben, acht Tage sind im Fußball ja eigentlich ein ganz normaler Rhythmus.
Dass sich nach so kurzer Zeit schon Sorgen gemacht werden, ob es überhaupt weitergeht, hat mich ein kleines bisschen überrascht – auch wenn ich den Smiley natürlich gesehen hab. 😄

Ich weiß, am Anfang ging’s recht flott mit den Teilen – das war aber noch die Auftaktphase, in der ich selbst noch nicht im FM spielen musste.
Jetzt fließt natürlich auch Zeit in die Spielsessions, was das Schreiben etwas verzögert.

Außerdem lag ich von Mittwoch bis Freitag im Krankenhaus – mir wurden Gallensteine entfernt.
Der Arzt meinte vorher, da wären wohl sieben oder acht drin – am Ende waren’s 23.
Ich überlege schon, ob ich mir daraus ein kleines Perlenkettchen basteln soll. 😅

Viele andere Storys hier erscheinen ja auch eher im Wochen- oder Zweiwochentakt – also keine Sorge:
Es geht definitiv weiter – nur eben nicht im Express-Modus. ;)

Was die Spielverlegungen angeht: Eins der Spiele wurde bereits neu terminiert.
Falls das zweite nicht verlegt wird, muss Johnathan wohl wirklich in die Zauberkiste greifen…
Oder er schnürt, wie Morbus schon meinte, selbst nochmal die Schuhe – sollte ja kein Problem sein, wenn sogar ein Ü50-Jähriger mitmarschiert. 😄

Also – genug gejammert:
Danke euch nochmal fürs Mitlesen – und für eure Geduld!
Viel Spaß weiterhin beim Verfolgen der Rockets.

Und @All, falls jemand interaktiv dabei sein mag – sei es als Jugendspieler, investigativer Reporter oder mit einer ganz eigenen Figur – wir machen’s möglich. Einfach per PN an mich.

Liebe Grüße 👋
« Letzte Änderung: 26.Juli 2025, 15:10:43 von steffanovic »
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #30 am: 26.Juli 2025, 20:05:33 »

Ich wünsche gute Genesung und lass dich nicht hetzen, es dauert so lange, wie es dauert!
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #31 am: 27.Juli 2025, 00:37:53 »

Wirklich eine sehr, sehr starke Story bis hierhin! Gregory Goodridge bekommt von mir erstmal den Spitznamen King Kazu verpasst, den holt er womöglich sogar noch ein  :D
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...und der Teufel schickt uns einen Kuss, wir haben von alledem gewusst!

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #32 am: 27.Juli 2025, 18:23:24 »

Wirklich eine sehr, sehr starke Story bis hierhin! Gregory Goodridge bekommt von mir erstmal den Spitznamen King Kazu verpasst, den holt er womöglich sogar noch ein  :D

Oh ein neuer Mitleser, freut mich das sie dir gefällt - und vielen dank fürs mitlesen und kommentieren
Ich glaube der Japanische King ist noch ein Jahr älter und meine gelesen zu haben, dass er bis nächste Saison noch Vertrag hat ;D


Ich wünsche gute Genesung und lass dich nicht hetzen, es dauert so lange, wie es dauert!

Vielen Dank!

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #33 am: 27.Juli 2025, 23:16:28 »

Kapitel 1.3 – Saisonauftakt





Bereits am frühen Morgen lag ein seltsames Knistern in der Luft.
Nicht das Knistern eines Gewitters – das war ja schon fast Routine – sondern ein unruhiges, elektrisches Flirren, das sich durch die Mannschaft zog.
So eine Art kollektives Magengrummeln mit Adrenalinbeilage.

Die Jungs trafen sich wie gewohnt vor dem Stadion.
Die Sonne stand schon hoch, ließ den Asphalt glitzern wie eine Fritteuse im Einsatz.

Ein paar Mütter hatten kleine Lunchpakete mitgebracht. Ein Vater stand mit Sonnenhut und Fernglas daneben, als wollte er auf Safari gehen.
Diesmal keine Flipflops, keine Chips, keine Hawaiihemden. Bisher hatten sie sich immer daran gehalten.
Ein paar waren etwas müde, manche nervös – aber alle waren fokussiert.
Kezandre Buchanan kam als Letzter an – aber ausnahmsweise mit gutem Grund.
Er hatte seinen kleinen Bruder zur Schule bringen müssen, weil seine Mutter krank war. Als er das erzählte, wurde es still. Niemand sagte etwas. Aber man sah in den Augen der anderen: Es war okay.

Der Bus war pünktlich. Kein Luxusreisebus, sondern eher ein knatternder, überholungsbedürftiger Inseltransporter mit durchgesessenen Sitzen und einem Lenkrad, das verdächtig klapperte.
Darin: 18 motivierte Spieler, ein kleines Trainerteam, zwei Kisten Wasser, ein Medizinkoffer – und ein Sack voller Fußballbälle, die Jazza eigenhändig eingepackt hatte.

Die Fahrt dauerte knapp zwanzig Minuten, führte vorbei an Zuckerrohrfeldern, alten Plantagenhäusern, und einem Hahn, der mitten auf der Straße stand und sich nicht bewegte, als der Bus hupte.
„Vielleicht spielt er bei Hardtimes in der Innenverteidigung“, murmelte jemand – und alle lachten. Nervös, aber gelöst.

Hardtimes
hatte kein richtiges Stadion.
Es gab einen Platz, ein paar wellige Tribünenteile aus Beton, zwei provisorische Tore mit ausgefransten Netzen und eine Anzeigetafel, die vermutlich zuletzt bei einem Kricketspiel 1987 im Einsatz war.
Aber das störte niemanden.
Wir wussten: Wenn wir aufsteigen wollten, mussten wir hier genauso gewinnen wie überall sonst.

Draußen schien die Sonne gnadenlos, der Rasen war gelblich und krumm wie ein zu kurz gebügeltes Hemd.
Morimoto prüfte die Linien mit dem Blick eines Geologen, Wallace dehnte sich mit einer Mischung aus Eitelkeit und Unbeweglichkeit, und Duncan trat ein paar Mal entschlossen in den Boden.
Der Staff saß im Schatten, schwieg und schwitzte.

Ich wartete, bis sie alle zurück waren, beorderte sie in die Kabine und stellte mich dann in die Mitte.
Die Kabine war eher ein feuchter Abstellraum mit Holzbänken als eine richtige Umkleide.
Der Ventilator quietschte über mir, als wolle er mir ins Wort fallen.

Ich sah zunächst in die Gesichter der Spieler – und sagte ruhig:

„Das ist euer Tag, ein neuer Start, ein neues Kapitel.
Ihr wisst, was ihr könnt. Ihr wisst, wer ihr seid. Und ihr wisst, was ihr tun müsst.“


Ein paar Blicke trafen mich. Ein Nicken von Mervin.
Der Moment war da.

„Jungs. Wir sind die haushohen Favoriten. Das hier sind bestenfalls Hobbykicker.
Wir können uns heute nur selbst schlagen.
Also geht raus, spielt Fußball – und der Rest kommt von allein.

Engagiert, fokussiert, diszipliniert.
Nicht überheblich.
Nicht arrogant.

Dann werden wir hier heute den Grundstein für eine erfolgreiche Saison legen.
Eine erfolgreiche Zukunft.
Für den Verein, für euch selbst und für das Team.

Dann werden die Rockets wieder zu neuen Sphären aufbrechen!

Hier und heute.

Jetzt.

Wer sind wir?"


Kurzes Nicken. Dann standen einige auf.

"Die Rockets" – war leise von ein paar Spielern zu hören.

„Wer sind wir?“ rief ich nun deutlich lauter.

"Rockets" – kam es nun auch deutlich lauter von fast allen zurückgerufen.

„Und was sind wir?“

"Ein Team."

„Was sind wir?“ schrie ich.

"Ein Team." dröhnte es zurück.

„WAS SIND WIR?“

"EIN TEAM!"

Auch die letzten sprangen auf, klatschten, johlten und machten sich auf den Weg auf den Platz.
Sie wussten, was zu tun war.
Und sie waren bereit.



Das Spiel


Die ersten Minuten waren noch zögerlich – ein vorsichtiges Abtasten.
Doch nach sechs Minuten schossen wir bereits das erste Mal nach einer schönen Kombination aufs Tor.
Kurz darauf, in der 9. Minute, knallte Mervin Lewis den Ball aus knapp 20 Metern unter die Latte – 1:0.
Ein Traumstart. Die Bank sprang auf – ich blieb sitzen und ballte nur die Faust.
Wir waren drin, die Jungs waren heiß.

Dann ging es Schlag auf Schlag:

14. Minute: Carlos Bertie macht das 2:0 nach schöner Vorarbeit von Wallace.

20. Minute: Simmonds läuft durch die halbe Abwehr – 3:0.

33. Minute: Bertie erneut, dieses Mal nach einer Ecke – 4:0.

37. Minute:
Goodridge! Der 53-Jährige mit einem satten Flachschuss – 5:0.

40. Minute: Wieder Bertie. Sein drittes Tor. 6:0.
Ein Hattrick in der ersten Halbzeit. Und der Gegner war komplett überfordert.

Kurz vor dem Pausenpfiff dann aus dem Nichts:

42. Minute: Ein Konter von Hardtimes, ein Pass, ein Schuss – und tatsächlich das 6:1

Adolphus Jones war wohl wieder mal kurz eingenickt. Oder in Gedanken schon beim Pausentee.
Das scheint allmählich zur Gewohnheit zu werden – ich werde die Tage wohl mal mit ihm sprechen müssen.


In der Kabine


Die Stimmung? Gelöst.
Ich trat in die Mitte, sah sie alle an – verschwitzt, breit grinsend, aber fokussiert.

„Das war stark. Genau so wollen wir das sehen.
Ich will, dass ihr rausgeht und genauso konzentriert weiterspielt wie bisher.
Lasst euch jetzt nicht auf irgendeinen Blödsinn ein.
Haltet den Druck hoch, aber geht nicht mehr mit vollem Risiko rein.
Das Spiel haben wir jetzt eh im Sack – und wir wollen Verletzungen vermeiden.“


Sie klatschten. Sie waren stolz.
Und ich war es auch.


Zweite Halbzeit


Es war spürbar: Wir ließen etwas nach.
Trotzdem verwalteten die Jungs das Ergebnis ziemlich abgeklärt.
Das Spiel war entschieden – und man merkte es.

Doch dann kam noch etwas Bewegung in die Schlussviertelstunde:

75. Minute: Wieder Goodridge. Sein zweites Tor des Tages. Der Wahnsinn. 7:1.

78. Minute: Jayan Duncan trifft nach Solo zum 8:1.
Danach passierte nicht mehr viel.

Abpfiff
.

Ein dominanter Sieg.
8:1.
Auswärts.
27 Torschüsse. Ein xG-Wert von 3,34 – der gegnerische Torhüter hatte wohl nicht seinen besten Tag, und ich schmunzelte.
Hardtimes mit drei Schüssen – einer aufs Tor.
Der Ehrentreffer.


Statistik:

(click to show/hide)




Ein paar mitgereiste Fans – vielleicht zehn – jubelten lautstark, als wir sie abklatschten.
Dann hieß es sich schnell umzuziehen – der Bus war nur noch eine Stunde gemietet.
Alle stiegen rechtzeitig geduscht in die alte Rostlaube, und wir setzten uns Richtung Zuhause in Bewegung.
Musik an.
Party hard.

Zu Dancehall und Hip-Hop wippte sogar Gregory im Takt mit dem Fuß – und das will was heißen.



Rückkehr


Wir kamen am Stadion an. Die Sonne war schon untergegangen.
Die meisten Jungs wurden abgeholt und verteilten sich.
Nach Hause, ausruhen, schlafen.
Ich blieb noch einen Moment auf dem Vorplatz stehen.
Zog eine Zigarette aus der Schachtel, lehnte mich an die Wand und sah in den dunklen Himmel.

Ein Anfang, wie man ihn sich nicht besser wünschen konnte.
Aber es war nur das. Ein Anfang.
Und noch war der Weg weit.



Bereits am Abend hatten die ersten Sportzeitungen und Onlineportale ihre Artikel veröffentlicht.


Rekorde? Rekorde!

Gregory Goodridge, 53 Jahre und 251 Tage jung, wurde nicht nur ältester Spieler der Vereinsgeschichte –
sondern auch ältester Torschütze aller Zeiten in der Primera División.
Mit einem Doppelpack.
Und einer Top-Bewertung

Legende. Punkt.









Solche Dinge liebten die Redakteure und deswegen titelten verschiedenste Experten in ähnlichen Schlagzeilen:


- GGG - fifty three
Greggy G. the GOAT to be!




- Die Story von Gregory G. ist die von einem guten Wein - mit dem Alter wird er immer besser.



- Goodridge, bloody Good
Wie ein 53 Jähriger die Liga auseinander nehmen wird.




Was / Wer hat zwei Daumen, ein Auge, grinst blöd und glaubt das Gregory Goodridge "Player of the Season" wird?

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Auch gab es bereits die ersten:


Stimmen zum Spiel:


„Wenn ich das gewusst hätte, hätt ich schon vor 10 Jahren auf Oldtimer gesetzt.“
Earl Thomas, leidenschaftlicher Tipico-Spieler, beim Anblick von Goodridges Tor zum 7:1.

„Die sollten lieber nicht Mann-gegen-Mann verteidigen. Am besten drei Mann auf den Greis.“
Sylvester Hasselborough, Besitzer der Fanbar von Hardtimes Utd – bei seiner dritten Frust-Rum-Cola.

„Endlich haben wir mal wieder jemanden, der weiß, wie man Fußball spielt.“
Tim Valentine, jahrzehntelanger Fan der Cayon Rockets.



Ich schlief diese Nacht wie ein Baby, so könnte es gerne die nächste Zeit weiter gehen.
Zum ersten Mal seid ich die Stelle angetreten hatte, verspürte ich keine Argusaugen auf mir.

Doch schon beim Aufwachen am nächsten Morgen, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.
War es eine Vorahnung?
Keine fünf Minuten später klingelte nämlich das Telefon – und Mr. Bradshaw bestellte mich fröhlich-aufgeregt in sein Büro.

Eigentlich war heute doch Trainingsfrei, ich hatte mich schon so auf einen schönen Tag am Strand gefreut.
Der Regen, der noch vor kurzem wie ein nörgelnder Dauergast über den Dächern gehangen hatte, verzog sich wie ein schlechter Verlierer – und machte Platz für Sonne, Salzluft und das Gefühl, dass gerade etwas Besonderes begann.

Nach dem formidablen Saisonauftakt, bei dem der Gegner mit 8:1 förmlich überrollt worden war, lag ein breites Lächeln über dem gesamten Ort. Nicht nur die Mannschaft wirkte gelöst –
auch im Umfeld des Vereins breitete sich eine Euphorie aus, wie man sie hier schon lange nicht mehr gespürt hatte.

Man sprach wieder über die Rockets.
Man lachte wieder.
Man träumte sogar ein bisschen
.

Und natürlich sprach man über Gregory Goodridge.

Auch wenn das alles völlig verfrüht war – für das Team war es eine tolle Sache.
Aktuell sprach niemand über die kleinen Fehlerchen, die noch immer in unserem Spiel steckten.
Keiner baute Druck auf einen der anderen Spieler auf.
Keine Lupe war auf die Jugendspieler gerichtet und beobachtete jeden ihrer Schritte.
Ich selbst war ebenso kaum noch Thema, obwohl es vorher noch einige kritische Stimmen gegeben hatte.
Und das Beste war:
Keinen interessierte mehr, welche Fehltritte Mervin sich in der letzten Woche geleistet hatte.

Alles wie vom Erdboden verschluckt – alles drehte sich nur noch um unseren Rentner im Spielerpelz.

Der 53-jährige Flügelspieler, war über Nacht zum lokalen Mythos geworden.
Auf den Straßen wurde sein Name mit einer Mischung aus Ehrfurcht und ungläubigem Grinsen ausgesprochen.
Mütter erzählten beim Abendessen, dass sie früher mal in denselben Supermarkt wie er gingen – auch wenn er nie zuvor auf der Insel gewesen war.
Jugendliche diskutierten im Bus, ob man ihn in FIFA modden könne.
In den Bars wurde mit jeder Runde Rum ein weiteres Jahr zu Goodridges Alter dazugedichtet –
am Ende war er gefühlt älter als Methusalem, aber mit schnelleren Haken als Vinícius Júnior.

In der örtlichen Radiosendung "Morning Islad Vibesn" diskutierten die Moderatoren hitzig darüber, ob man ihm nicht einen eigenen Feiertag widmen sollte.
Im Fernsehen lief ein kurzer Beitrag mit Archivmaterial aus seiner aktiven Zeit bei Bristol City – die Fans dort schienen nicht minder überrascht, dass er überhaupt noch lebte, geschweige denn Tore schoss.

Ein alter Fischverkäufer, der direkt am Hafen seine Ware anpries und dessen Fisch der beliebteste der Insel war, gab jedem seiner Kunden den gleichen Spruch mit auf den Weg:
„Greggy hat den Jungens Beine gemacht! Vielleicht sollte er auch mal Ministerpräsident werden!“

In den Cafés, zwischen dampfenden Kaffeebechern und halbvollen Tellerchen mit gebratenen Bananen, wurden Artikel gelesen, Interviews geschaut – sogar eine Karikatur tauchte in der Inselzeitung auf: Goodridge mit Gehstock, der drei Verteidigern den Ball durch die Beine schob.

Bradshaw hörte all das mit spitzem Ohr – und es gefiel ihm.
Sein Plan war aufgegangen:
Aufmerksamkeit. Presse. Gute Laune.
Der Name Cayon Rockets war wieder im Umlauf –
nicht als Punktelieferant wie letzte Saison, sondern als ernsthafter Gesprächsstoff.
Wenn es ein bisschen Hype generierte, dann sollte der Rentner ruhig dafür herhalten.

Und wie es sich für einen Geschäftsmann alter Schule gehörte, war Bradshaw schon zwei Schritte weiter.

Er telefonierte. Viel.
Mit alten Kontakten, mit halb vergessenen Cousins dritten Grades, mit einem „Kollegen aus Basseterre“, der angeblich in der Werbebranche tätig war – und der später tatsächlich im Büro des Vereins stand.

Sein Name war Tino Parry. Er war irgendetwas zwischen PR-Berater, Marketing-Heini und wandelnden Instagram-Zitaten.

Hemdsärmel hochgekrempelt, Gelfrisur, Sonnenbrille im Kragen – und das Hemd natürlich bis zum dritten Knopf offen.
Seine Zähne waren so weiß, dass man fast einen Sonnenstich bekam, wenn er grinste.

Und er grinste oft.
Dauernd eigentlich.


Vielleicht konnte er auch gar nicht anders – vielleicht war sein Gesicht durch das viele Botox eingefroren, wie das vieler Hollywoodstars.
Außerdem roch man ihn schon aus hundert Metern Entfernung: Seine Klamotten hatte er scheinbar in Parfüm eingelegt.

Das erste, was er sagte, nachdem er mit einem überraschend zarten „Hallöchen“ durch die Tür getreten ist, war:

„Also… ich spür’s.
Here is die Energy. Hier ist Magie.
Fühlt ihr das auch?
Ich sag nur: Marke. Momentum.

...und Moneten!“
setzte er noch schmunzelnd nach.

Seine Stimme klang wie die eines warmen Bruders mit verstopfter Nase.
Ich wollte gerade noch „Magenverstimmung“ ergänzen, entschied mich aber lieber, einfach nichts zu sagen.

Wir saßen zu viert im Besprechungsraum: Bradshaw, Parry, ich – und ein stummer Praktikant mit Tablet, der aussah, als wäre er nur dabei, um seinem Chef in allem, was er sagte, zuzustimmen und ihm bis zu den Mandeln in den Hintern zu kriechen.
Er klebte an Parrys Lippen und tippte jedes seiner Worte, feinsäuberlich in das Tablet – was wir anderen zu sagen hatten, interessierte ihn nicht die Bohne.

Parry startete seine ausschweifende Präsentation mit einem zwanzigminütigen Monolog, in dem er vor allem sich selbst beweihräucherte und seine Vorzüge gegenüber der Konkurrenz betonte.
Warum es für uns von Vorteil sein sollte, dass er Veganer ist und regelmäßig zur Maniküre geht, verstand ich allerdings nicht.

Es folgte eine ebenso lange PowerPoint-Show, die zu Beginn hauptsächlich aus Bildern von ihm selbst bestand:
Parry auf einem Boot, Parry beim Golf, Parry vor einem Sportwagen, Parry beim Mittagessen mit seinen Klienten oder auch Parry, der nachdenklich in die Kamera schaute.
An Selbstbewusstsein – oder Extravertiertheit (ich habe das Wort extra nochmal nachgeschlagen, weil ich dachte, es heißt Extrovertivität ;D) – mangelte es ihm jedenfalls nicht.
Wann endlich etwas Interessantes kommen sollte, ließ sich schwer sagen.

Als er schließlich zum Punkt kam, hatte ich bereits drei Tassen Kaffee getrunken und war gerade von der fünften Zigarettenpause zurückgekehrt, die ich als Toilettengang getarnt hatte.

Auf dem ersten Slide zum eigentlichen Thema prangte in fetten Lettern:

„GOODRIDGE – VOM SPIELFELD IN DIE HERZEN“

Dahinter: ein Sonnenuntergang.
Und der Schatten eines jubelnden Mannes mit der Rückennummer 7.

Parry deutete mit seinem Zeigefinger auf die Wand – ein bisschen wie ein Illusionist, der gleich ein Kaninchen aus dem Hut zaubern würde.

„This is Gold“, sagte er. „Und wenn we do it right, wird aus diesem Mann ein Markenbotschafter.“

Dann klickte er zur nächsten Folie.
Und jetzt wurde es wild:

Zu sehen waren mehrere durchtrainierte Männer am Strand, die alle dasselbe T-Shirt in verschiedenen Farben trugen.
T-Shirts mit „GOODYWOOD“ statt Hollywood-Schriftzug.
Sie posierten aufreizend in verschiedenen Posen und es wurden diverse Fairtrade- und „100% Handmade“-Logos eingeblendet.

Parry war sichtlich stolz auf seine Idee.
Er hob bedeutungsvoll den Finger und verkündete, Kleidung sei der Spiegel der Seele – ganz gleich ob bei Teenagern, Silver Foxes oder „freigeistigen Mittvierzigern mit Visionen“.
Mode sei mehr als nur Stoff. Sie sei Statement, Haltung und Lifestyle – alles in einem.

„Energie, Identität, Attitude.
Für jeden Vibe.
For all generations, baby!“


Ich wartete nur noch auf das „Yolo“ am Ende, aber es kam nicht mehr.

Die großen Fußballstars dieser Welt würden alleine mit ihren Klamotten mehr verdienen als mit dem, was sie vom Verein an Gehalt bekämen, schwafelte er weiter.

Das solche Fußballer weltweit bekannt waren – und nicht nur auf einer Insel in der Karibik – versuchte ich ihm klarzumachen.
Doch ich stieß auf taube Ohren.

Wenn wir dazu einen viralen Clip generierten, würde das schneller durch die Decke gehen, als wir gucken könnten, versicherte Parry.
Und dafür brauche man nur die richtige Musik.

Kurzerhand holte er zwei Lautsprecher aus seinen Taschen und stöpselte sie an seinen Laptop.
Als er es endlich geschafft hatte, die Technik zum Laufen zu bringen, spielte er zunächst das falsche Lied ab.

„Baby“ von Justin Bieber dröhnte viel zu laut aus den Boxen.

„Upsii, das ist wohl die wrong Playlist. Sorry“
Er entschuldigte sich, bekam ganz rote Backen – und suchte hektisch nach dem richtigen Track.

Danach spielte er einen Dancehall-Reggae-Mix ab, der sich problemlos unter den üblichen Sommerhits hätte einreihen können.
Parry hatte auch schon eine Idee für den Markennamen – und für ein Musikvideo, um noch mehr Reichweite zu erzielen.

Titel der Marke:

„Fifty-Three & Free“

Eingängig, cool und perfekt auf den „Star“ abgestimmt. Besser ginge es doch gar nicht, meinte Parry, und sah erwartungsvoll in die Runde, in der Hoffnung, anerkennenden Zuspruch oder zumindest ein Nicken zu ernten.

Ich hatte nicht vor irgendeine Art von Reaktion zu zeigen - übergeben konnte ich mich hier wohl auch schlecht.

Als ich zu Bradshaw hinüber sah, war der jedoch völlig aus dem Häuschen und freute sich wie ein kleines Kind.

Das kann doch nicht wahr sein.
Das war der einzige Gedanke, der mir dazu in den Sinn kam.


Zum Schluss kam – laut Parry – das offizielle Highlight des Vortrags.
Was sei aktuell im Trend, könne sich jeder leisten und werde von Jung und Alt konsumiert?

Softdrinks und Limonaden!

Auch hier sah Parry sich im Besitz einer Jahrhundert-Idee:

Die Goodridge-Limonade:

„Goodie Juice“

Ich sagte nichts.
Mir fehlten die Worte.


Langsam lehnte ich mich zurück, hielt mir beide Hände vors Gesicht –
und hoffte, dass ein spontanes Erdbeben mich verschluckt.

Mr. Bradshaw bemerkte in seinem Enthusiasmus gar nichts.
Er stand auf und schüttelte Parry überschwänglich die Hand.

„Ich denke, da ist was Großes drin“, sagte er. „Die Leute lieben den Kerl. Wenn wir den jetzt groß rausbringen – dann kommen die Sponsoren von ganz allein.“

Ich wandte mich an Parry.

„Sie wissen schon, dass er… also… 53 ist?“

Tino lachte. Dann hielt er sich die Brust, als hätte ich ihm gerade den besten Witz des Jahrzehnts erzählt.

„Gerade deshalb! Der Mann ist Inspiration pur. Der lebt Träume! "Dream Big"! Sie wissen schon… Age is just a number.
Und Greggy ist ein hot Guy.“


Dabei machte er eine Bewegung mit dem Finger in meine Richtung, tat so, als würde er ein Streichholz an mir anzünden – und pustete dann die imaginäre Flamme aus.

Ich überlegte kurz, ob ich ihn nicht einfach aus dem Fenster werfen konnte.
Doch das würde Bradshaw mir wohl übel nehmen.
Und vermutlich auch der braunhalsige Kotnascher von Assistent.

Ich riss mich zusammen.
Langsam wurde mir klar, dass sich hier ein kleiner Sturm zusammenbraute – nicht auf dem Platz, sondern daneben.

Und Goodridge?

Der saß währenddessen seelenruhig im Fitnessraum, stemmte Gewichte wie ein junger Gott – und beschloss für die nächsten Tage, nicht mehr auf sein Handy zu schauen.

Ich hingegen beschloss, mir einen Grund auszudenken, warum ich dringend nach Hause musste.
Diesen Zirkus konnte ich mir nicht weiter angucken und auch um den Kopf wieder freizubekommen.

Es war später Nachmittag, als ich endlich daheim war.

Die Sonne stand schon schräg über dem Wasser und schickte ihre letzten, goldenen Strahlen über das Dach der Nachbarhütte.
Die Blätter der Kokospalmen warfen zitternde Schatten auf meine Veranda.
Irgendwo klopfte eine Amsel gegen eine halbleere Coladose.
Ein Tag wie jeder andere – und doch nicht.

Ich hatte mir einen Kaffee aufgesetzt.
Vier Löffel Zucker, ein Schuss Kondensmilch, langsam gerührt. Wie immer.

Daneben: die letzte Zigarette aus der Packung. Krumm, mit einem kleinen Knick in der Mitte.
Auch irgendwie sinnbildlich für meine derzeitige Stimmung.

Ich ließ mich auf den durchgesessenen Plastikstuhl fallen, schob die Füße auf das Geländer, das eigentlich mal gestrichen werden müsste –
und tat erstmal: gar nichts.

Kein selbstherrlicher PR-Berater.
Kein leicht zu überzeugender Bradshaw mit Dollarzeichen in den Augen.
Nur ich, mein Becher, meine Kippe –
und ein leises Brummen in der Luft, irgendwo zwischen Hitzeflimmern und Nervenflattern.

Das Handy vibrierte. Eine Nachricht von meiner Mutter.

„Essen steht im Kühlschrank, bin heute Abend aus.“

Ich musste schmunzeln und lehnte mich zurück.
Offensichtlich wirkten die Rentnernews auch auf sie – und wenn einer in diesem Alter noch Fußball spielen kann, dann kann sie auch noch ausgehen.

„Danke. Viel Spaß und treib es nicht zu wild ;)
schrieb ich zurück.

Ich blieb noch eine Weile lang sitzen und ließ die Gedanken ein wenig schweifen.
Unser nächstes Spiel stand an – und darüber sollte ich mir Gedanken machen, nicht über all den anderen Unsinn.

Den Rest des Kaffeebechers leerte ich in einem Zug, die längst ausgegangene Zigarette zerdrückte ich im Deckel des Aschenbechers.
Dann stand ich auf und streckte mich.

Der Wind hatte gedreht.
Es roch nach Rasen.
Nach Flutlicht.
Nach Fußball.
« Letzte Änderung: 27.Juli 2025, 23:27:33 von steffanovic »
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Ryukage

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #34 am: 28.Juli 2025, 03:54:06 »

Seit längerer Zeit melde ich mich mal wieder zu einer Story, nachdem ich gerade im Story-Bereich kaum noch in den letzten Jahren ins Forum gucke; ich habe deine Story vor knapp 30 Minuten entdeckt und alles durchgelesen. Ich bin gefesselt! Weiter so! :) I love it!
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Bayernfahne

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #35 am: 28.Juli 2025, 16:11:34 »

Oh ein neuer Mitleser, freut mich das sie dir gefällt - und vielen dank fürs mitlesen und kommentieren
Ich glaube der Japanische King ist noch ein Jahr älter und meine gelesen zu haben, dass er bis nächste Saison noch Vertrag hat ;D

Ich bin schon von Anfang an dabei, wollte hier aber erstmal abwarten, wie sich die Story nach dem vielversprechenden Start entwickelt.  ;)
King Kazu hätte ich vor zwei Jahren in Portugal fast mal spielen sehen, hatte mich aber kurzfristig gegen das Spiel entschieden. Es war die richtige Entscheidung, er saß 90 Minuten nur auf der Bank.

Extravertiertheit ich habe das Wort extra nochmal nachgeschlagen, weil ich dachte, es heißt Extrovertivität ;D

Ich dachte, es hieße Extraversion  :D


So oder so: starker Auftakt und besorgniserregende Folgen, die das nach sich zieht. Dass es mit diesem Kader nicht an sportlichen Hürden zu scheitern drohen würde, war ja auch irgendwie klar...
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...und der Teufel schickt uns einen Kuss, wir haben von alledem gewusst!

steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #36 am: 28.Juli 2025, 21:19:09 »

@Ryukage
Das freut mich wirklich sehr – besonders wenn jemand nach längerer Zeit wieder eine Story entdeckt, die ihn dann wieder häufiger in die Geschichten-Ecke schauen lässt.
Danke fürs Feedback – das motiviert mich enorm. Ich hoffe, du bleibst weiter dran… ;)

@Bayernfahne
Ein stiller Mitleser der ersten Stunde also! 😉
Umso schöner, dass du dich jetzt mal zu Wort gemeldet hast.
Vielen Dank dafür und weiterhin viel Freude.


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MorbusDerbe

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #37 am: 31.Juli 2025, 08:17:10 »

Wieder einmal ein sehr starker Teil!

...und die Leistung lässt ja ebenfalls nicht zu wünschen übrig! 8:1 ist ja schon mal 'ne Ansage alle.
Bin gespannt, was Perry noch für Unfug in der Rübe hat, um Unruhe in den Kader zu bringen.  :D

LG
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steffanovic

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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #38 am: 01.August 2025, 22:06:15 »

Kapitel 1.4 – Von Euphorie und dem Tag danach




Der Morgen war wieder so einer, an dem das Tageslicht einfach reinplatzt, ohne zu fragen.
Ich hatte den Vorhang abends nur halb zugezogen – was bedeutete, dass mir die Sonne jetzt punktgenau auf die Stirn knallte, als hätte sie vor, mir ein Loch ins Hirn zu brennen.

Ich grummelte vor mich hin, tastete nach dem Handy.
07:49 Uhr.
Na super.
Senile Bettflucht mit Anfang 30.

Nachdem das Pflichtprogramm im Badezimmer abgehakt war, schlurfte ich in die Küche und setzte Kaffee auf.
Milch rein, vier Löffel Zucker – jedenfalls theoretisch.
Zwei landeten in der Tasse, zwei direkt in der Spüle.
Ich fluchte leise.
Im Halbschlaf Zielen war bei mir ohnehin Glückssache.

Draußen war es bereits warm.
Windstill.

Ich setzte mich auf den gewohnten Platz auf der Terrasse, umklammerte meine Tasse – und zündete mir die erste Zigarette an.
Den schlimmsten Teil des Morgens hatte ich hinter mir gelassen und war jetzt wieder halbwegs menschlich.

Sonnenstrahlen fielen auf das vertrocknete Gras im Garten, ich sah einer Eidechse dabei zu, wie sie über den Rand der Veranda huschte.
Ein Vogel landete in dem eigens für ihn aufgestellten Futterhaus.
Wenige Sekunden später gesellte sich ein zweiter dazu.
Wir hatten sie nicht getauft, aber sie waren uns auch nicht fremd.

Diese Minuten, in denen ich die Natur beobachtete, gehörten nur mir.
Wenn es ruhig war und noch keine Autos vorbeifuhren, noch kein Stadionlärm zu hören war und noch kein PR-Berater mit seinen Präsentationen nervte - das gefiel mir am besten.

Nachdem ich aufgeraucht und meinen Kaffee ausgetrunken hatte, stand ich auf, ging duschen und zog mich an.
Mutter war schon früh aufgebrochen, um zum Wochenmarkt im Nachbarort zu fahren - wie jeden Mittwoch.
Sie schwor auf frisches Gemüse und Fleisch direkt vom Bauern.
Für mich hieß das: laufen.


Draußen auf dem Weg zum Stadion fiel mir ein alter, klappriger Mann auf, der mit einem quietschenden Einkaufswagen eine leichte Steigung hochschob.
Plötzlich musste ich wieder an Uncle denken.
Ich hatte mir doch vorgenommen, mal nach ihm zu sehen - bei unserer letzten Begegnung wirkte er ziemlich schwach, fast kränklich.

Ich zog mein Handy aus der Tasche, wischte den Sperrbildschirm zur Seite und legte mir einen Termin für heute Abend:

„20 Uhr - nach Uncle sehen, nicht wieder vergessen.“

Dann steckte ich das Handy wieder ein und setzte meinen Weg fort.

Schon von Weitem hörte ich das Lachen.

Nicht überdreht, nicht respektlos - aber deutlich.
So klingt es, wenn die Stimmung gut ist.
Wenn ein Team weiß, dass es das letzte Spiel dominiert und auch ein wenig geglänzt hat.

Als ich das Stadion betrat, standen sie schon auf dem Platz.
Ein paar Ballstaffetten und lockere Sprüche.
Ich trat ein paar Schritte näher und beobachtete sie einen Moment.

Einer von den Jungs imitierte den Ronaldo-Torjubel – Siuuu.
Neben ihm erdreistete sich jemand, den Griddy zu machen.
Der Nackenklatscher folgte prompt – nicht alles konnte man durchgehen lassen.

Goodridge stand am Rand, die Hände auf den Hüften und schüttelte leicht den Kopf.
Offensichtlich kannte er die neuzeitlichen Jubel noch nicht – oder er fand sie einfach zu albern.

Und genau das war auch der Punkt, an dem sich in meinem Magen wieder dieses kleine Ziehen meldete.

Nicht etwa, weil ich etwas Schlechtes gegessen hatte.
Sondern wegen der aufkeimenden Selbstzufriedenheit, die sich anschlich wie ein Moskitostich: erst kaum zu merken, aber irgendwann juckt’s. Und wenn man dann kratzt, ist es zu spät.

„Alles klar, Mädels? Oder soll ich euch noch Cocktails mixen?
Sieht hier aus wie im Feriencamp – nicht wie im Training.“


Ein paar Köpfe drehten sich. Grinsen. Schulterzucken.
Doch die Botschaft war angekommen.

Immerhin waren sie ordentlich gekleidet, Trikots in der Hose, keine Extravaganz – so wie es sein sollte.
Sie wirkten zwar immer noch gelöst, aber nicht mehr übermütig.

Als auch die letzten Spieler eintrafen, war es ein paar Minuten vor zehn.
Jazza und ich riefen zum Appell und sie kamen ohne Murren, zügig und aufmerksam.

Wir erklärten ihnen, was heute im Abschlusstraining auf dem Programm stand.

„Morgen gleiche Aufstellung. Keinen Grund, irgendwas daran zu ändern.
Aber denkt dran: Nur weil die Jungs aus Dieppe Bay aussehen, als wären sie Pfadfinder, heißt das nicht, dass sie sich freiwillig ergeben.“


Ein paar schmunzelten.
Buchanan nickte trocken.
Goodridge stand wie ein alter Anführer daneben – ruhig, unaufgeregt, wach.

„Kein Larifari. Auch nicht heute im Training.
Wenn wir zu selbstzufrieden ins Spiel gehen, können auch sie uns Druck machen.
Soweit wollen wir es gar nicht erst kommen lassen, deswegen: Konzentriert bleiben und das Spiel von Anfang an dominieren.“


Das Lachen war verstummt, die Blicke: ernst – die meisten nickten zustimmend.

„Gut, ich sehe wir verstehen uns.“

Jazza
trat einen Schritt vor und reichte mir den Trainingsplan – mehr symbolisch als notwendig.

„Fokus, Jungs. Die Medien schauen. Alle erwarten einen einfachen Sieg. Und ihr wisst: Der zweite Eindruck zählt mehr als der erste.“

Wie recht er doch hatte.
Jeder wollte sehen, ob der Hype um Goodridge berechtigt war – oder ein einmaliges Spektakel.
Und die Wahrheit war: Wir wussten es selbst nicht – noch nicht.


Am Spieltag selbst lag Aufregung in der Luft – nicht viel, aber genug, dass man sie spürte.
Es roch nach Gras, Schweiß und frittierten Pasteten, heiß und fettig, vom Stand hinter der Tribüne.
Der Typ mit dem Sonnenschirm hatte heute doppelt aufgebaut – weil er wusste, dass heute ein paar mehr kommen würden.
Nicht viel mehr.
Vielleicht 150.
Aber für ihn bedeutete es mehr Umsatz.

Ein Kind trug ein handgemaltes T-Shirt mit der Aufschrift:
„Goody the Goat.“
Zwei Plätze weiter hatte jemand eine Vuvuzela, auf die er „53 & Free“ gekritzelt hatte.

"Es war das erste Mal, dass ich spürte, was ein einziger Tag bewirken konnte.
Nicht für die Tabelle – aber für alles drumherum. Für das Gefühl"


Auf dem Platz wärmten sich die Jungs diszipliniert auf.
Ein paar Scherze, keine Faxen.
Sie wussten, dass heute ein wichtiges Spiel war – aber auch irgendwie eine kleine Vorstellung.

In der Kabine saßen die Spieler recht ruhig auf ihren Bänken und hörten konzentriert zu.

„Gleiche Formation. Gleiche Marschrichtung. Aber lasst euch nicht einlullen. Wer mit angezogener Handbremse spielt, bekommt Sand ins Getriebe.“

Duncan grinste, als hätte er genau verstanden, was ich meinte.
Goodridge nickte auch – aber diesmal ein wenig langsamer. Vielleicht müde. Vielleicht einfach nicht in Showlaune.
Eine feurige Ansprache sparte ich mir diesmal.
Auch wenn wir natürlich die zuletzt gezeigte Leistung bestätigen mussten, würde es sich schnell abnutzen, wenn ich sie inflationär verwendete – wir appellierten an den Verstand und hoben ihre Stärken hervor.

Der Schiedsrichter klopfte an die Tür der Kabine und meinte es wäre soweit.
Die Spieler bildeten noch einen letzten Kreis und dann war es Zeit für den:

Anpfiff.

Minute 1 bis 5:


Dieppe Bay versuchte es mit frühem Pressing. Ein bisschen wild, ein bisschen wirr – aber immerhin ein Versuch.

In Minute fünf sprang ihr Stürmer mit ausgestrecktem Bein in Buchanan hinein. Kein Foul, laut dem Schiedsrichter.
Ich konnte es nicht fassen.
Wir konnten es nicht fassen.
Auch Carlos Bertie verstand das als Einladung.
Nicht zum Duell – sondern zum Ausrasten.
„Beruhig dich! Noch so ein Tritt, und du bist der erste, der vom Platz fliegt!“
Doch bevor ich den Satz zu Ende gedacht hatte, hatte er schon Gelb.
Ziemlich Grenzwertig für mein Empfinden.
Von nun an hielt ich mich etwas zurück, schließlich wollte ich nicht auf der Tribüne landen.

Minute 9:
Duncan. Ballgewinn im Mittelfeld. Zwei schnelle Schritte.
Ein Lupfer über den Innenverteidiger. Nelson startet – und schiebt lässig ein.

1:0.

"Es war ein Tor wie aus dem Training. Weil es auch genau das war.
Wir hatten genau diesen Spielzug trainiert.
Immer wieder.
Und diesmal zählte es endlich"


Minute 30:
Fast das gleiche Spiel.
Duncan mit einem Steckpass hinter die Abwehr, Nelson kreuzt geschickt – und nagelt ihn flach ins lange Eck.

2:0.

Dieppe Bay taumelt.

Minute 33:

Erste richtige Aktion von Goodridge.
Er zieht von rechts nach innen.
Dribbelt am Gegenspieler vorbei, passt – ins Nichts.
Drei Minuten später ein Ballverlust im Mittelfeld, den Lewis gerade noch rechtzeitig ausbügelt.

Der Applaus?
Blieb aus.


Kurz vor der Halbzeit:

Freistoß aus dem Halbfeld.
Duncan, halbhoch in den Sechzehner geschlagen.
Bertie steigt hoch, wird leicht geschubst, lässt sich aber nicht fallen und kommt trotzdem mit dem Knie dran.
Der Ball trudelt über die Linie.

3:0.

"Ein Kullerball. Es war das unspektakulärste Tor des Tages. Aber das letzte, das zählen sollte."

Zweite Halbzeit:

Wir kontrollierten das Geschehen.
Dieppe Bay versuchte nicht mal mehr zu stören – eher, uns den Ball zu überlassen und kein weiteres Gegentor zu fangen.
Morton kassierte noch Gelb für ein Trikotzupfen.
Bertie scheiterte zweimal aus spitzem Winkel.
Duncan hatte noch ein paar schöne Szenen, die jedoch entweder nicht genutzt wurden oder im Abseits landeten.

Und Goodridge?
Lief.
Stellte zu.
Spielte einige Kurzpässe.

Nichts zu sehen vom Helden des ersten Spieltags.

Alles mit angezogener Handbremse.
Kein Dribbling. Kein Takt. Kein erinnerungswürdiger Moment fürs Publikum.
Als ich ihn in der 90. Minute runterholte, klatschte niemand.
Er ließ ein bisschen den Kopf hängen, doch er wurde von keinem der Mitspieler getadelt,  alle klatschten ihn ab.

3:0, ohne Glanz, aber souverän.
Ein Sieg, Drei Punkte – Aufgabe erledigt.

Spielstatistiken:
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Nach dem Abpfiff:

Ein paar Kinder wollten Selfies mit dem Doppeltorschützen und Spieler der Stunde: Vinceroy Nelson.
Duncan wurde vom Stadionsprecher als "Spieler des Spiels" ausgezeichnet – mit einem übermotivierten:

„Der heutige Spieler des Spiels, wird präsentiert vom Slots, Slots, Slots Casiono und Café:
Unser Mittelfeldmotor mit der Nummer 8, Jayaaaaaan Duncaaaaan.“


Der Applaus war ehrlich – aber ohne Funken.
Duncan war schließlich auch keine 53 Jahre alt.

Goodridge ging ohne ein Autogrammwunsch in die Kabine und zog sich um.
Kein Selfie. Kein Interview. Keine Sprechchöre.
Der Junge mit dem Goody-Shirt war ohne auf ihn zu warten nach hause gegangen – der Stift blieb unbenutzt.

Zusammen mit Jazza stand ich am Spielfeldrand und beobachtete das Ganze.

„Er ist heute kaum aufgetaucht, hm?“

„Er hat aber auch nicht schlecht gespielt. Nur eben nicht gut genug, um aufzufallen.“

„Meinst du, das stört ihn?“

„Wär schlimm, wenn nicht.“

Die Jungs waren zufrieden, aber keiner überdrehte.
Als hätten sie selbst gemerkt, dass heute niemand einen Grund hatte, die Leistung überschwänglich zu loben.
Der Gegner war schlecht und wir haben unsere Pflicht erfüllt, nicht mehr und nicht weniger.

Die Jungs standen nach dem duschen noch eine Weile zusammen auf dem Parkplatz.
Die Lichter waren gedimmt, die Luft mild – so ein Abend, der sich gut anfühlte.
Die Sonne war schon so gut wie untergegangen, der Himmel schimmerte lila-orange.
Musik war nur noch gedämpft zu vernehmen, diejenigen in Feierlaune, hatten sich bereits auf die Bars und Discotheken verteilt.

Lewis stützte sich gegen den Zaun, sah auf sein Handy und sagte mit einem Grinsen:
„Wenn ich gegen Costa Rica treffe, schmeißt ihr alle zusammen, oder?“

Simmonds nickte, während er sich die Schnürsenkel band.
„Wenn du triffst, benenn ich meinen Hund nach dir, aber das passiert nicht in tausend Jahren, haha.“

Nelson lachte ebenfalls und meinte:
„Ich will nur nicht erst in der letzten Minute eingewechselt werden, wenn’s schon 0:4 steht. Aber ihr wisst ja, dass ich in die Startelf gehöre. Dann schießen wir auch sicher ein Tor.“

Alle amüsierten sich.
Jazza und ich hörte nur zu.
Unsere Gedanken waren schon auf das nächste Spiel gerichtet und auf die Frage ob es noch kurzfristig verlegt werde.
Wir alle hofften das, doch in diesem Moment hatten sie das wohl für eine kurze Zeit ausgeblendet.

Wir gingen als letzte, alle Spieler die gut gespielt hatten, bekamen noch ein Sonderlob spendiert.
Totalausfälle hatten wir keine, Goodridge gaben wir trotzdem ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg.

"Sie flogen morgen.
Das war klar.
Aber dass wir in drei Tagen ohne sie spielen müssten – das ahnte da noch keiner von uns."


Ich nahm mir eine Flasche Wasser und machte mich auf den Weg.
Es war wieder ein anstrengender Tag gewesen.
Schlaf konnte ich jetzt gut gebrauchen.

Ich war gerade ein paar Meter gelaufen, als das Handy wieder vibrierte.
Kein Ton.
Nur ein kurzer Impuls in der Hosentasche – wie ein stilles Klopfen gegen das Gewissen.
Ich zog das Display aus der Tasche. Eine alte Erinnerung leuchtete auf.

20:00 Uhr – Nach Uncle schauen

Ich starrte auf die Anzeige.
Eine Stunde zu spät.
Ich hatte den Alarm wohl einfach weggedrückt, als er aufpoppte. Vielleicht in der Kabine. Vielleicht kurz vor dem Abpfiff.
Jetzt war es kurz nach neun.
Ich blieb stehen.
Die Straßenlaternen flimmerten über dem Gehweg, die Hitze der Nacht hing wie alter Küchendunst über dem Asphalt.

Nach Uncle schauen.
Das hatte ich mir fest vorgenommen.
Und das bedeutete: Nicht jetzt heimgehen. Nicht schlafen. Erstmal Klarheit.

Ich rief meine Mutter an.

Sie ging nach dem zweiten Klingeln ran.

„Was gibt’s, mein Schatz? Wie habt ihr gespielt?“

„N´abend, gewonnen, 3:0. Ohne Glanz, aber souverän. Nelson hat zwei gemacht, Bertie eins.

„Immerhin. Solche Spiele braucht es auch mal. Herzinfarktspiele gibt’s noch genug.“

Ich lächelte ein wenig.

„Stimmt.“

„Und, was gibt´s sonst? Klingst irgendwie... nachdenklich.“

„Du, sag mal… erinnerst du dich noch an Uncle? Unseren alten Nachbarn von nebenan.“

„Na klar. Hast du ihn mal gesehen?“

„Ich bin mir nicht sicher. Du hattest doch mal erzählt, dass der aus der Wohnung rausmusste.
Irgendwas mit… Demenz, nicht bezahlter Miete, oder so?“


„Ja, stimmt. Das war schon vor ein paar Jahren. Er hat irgendwann niemanden mehr reingelassen, war richtig eigenbrötlerisch. Und irgendwann kam der Vermieter wohl nicht mehr an sein Geld. Da hat er ihn vor die Tür gesetzt.
Ist ein ziemliches Chaos gewesen, aber naja… so läuft das halt manchmal. Wir sind alle nicht vom alt werden befreit.“


„Weißt du zufällig, was danach aus ihm wurde? Ist er irgendwo in einem Heim untergekommen oder so…?“

„Keine Ahnung. Ich habe das Ganze nicht mehr verfolgt, wir hatten ja auch schon länger keinen Kontakt mehr.
Danach hab ich ihn nicht mehr gesehen. Er hatte meines Wissens nach auch keine Familie.
Keine Kinder, keine Geschwister – war immer für sich.
Warum fragst du?“


„Wie gesagt, ich bin mir nicht sicher ob ich ihn neulich gesehen habe… sah zumindest aus wie er.
Mir kam der Gedanke, das ich mal nach ihm sehen sollte, schließlich hat er früher einige Zeit mit mir verbracht.“


Kurzes Schweigen am anderen Ende.

„Ohje. Mann kann nicht alle retten. Pass auf dich auf wenn du dich umschaust, hörst du?“

„Mach ich.“

Nach den üblichen Abschiedsfloskeln beendete ich den Anruf und steckte das Handy zurück in die Tasche.

Kein Wind.
Kein Geräusch außer den Zikaden.
Die angehende Nacht stand für einen Moment still.


Ich überlegte einen Moment und wurde durch ein hupendes Auto aus meinen Gedanken gerissen.

„Scheiß Köter, pass doch auf wo du hinläufst.“ hörte ich einen Mann aus seinem Auto fluchen.

Dann machte ich mich auf den Weg Richtung Stadt.

Der Weg war lang – oder es kam mir jedenfalls so vor.
Die Luft war dick, die Laternen flimmerten wie alte Fernseher und in den Pfützen spiegelte sich das rostige Orange der Nacht.
Ich lief vorbei an geschlossenen Läden, Gittertüren und halb heruntergelassenen Rollos.
Irgendwo röhrte ein Auspuff von einem Motorrad.
Hinter einer gekippten Balkontür, war eine Frau zu hören, die wahrscheinlich lauthals zur Musik im Radio trällerte.

Auch am Bahnhof war noch etwas Leben.
Ein Bus mit flackernder Zielanzeige wartete auf die letzten drei Passagiere, die auf einer Bank saßen, alle auf ihr Handy starrten und sich so wenig wie möglich miteinander unterhielten.
An der Unterführung lungerten ein paar Gestalten.
Einer saß auf einem umgedrehten Plastikeimer, andere auf dem Boden.
Dazwischen: Tüten, Decken, Flaschen. Der Geruch war eine Mischung aus feuchter Pappe, Urin und billigem Schnaps.

Langsam trat ich näher.

„Entschuldigt“, sagte ich und beinahe versagte meine Stimme.

„Ich suche jemanden. Einen älteren Mann. Weißer Bart, Anglermütze. Wird manchmal von einem kleinen Jungen geschoben – oder gefahren.“

Einer der Männer hob den Kopf.
Seine Augen waren blutunterlaufen und Müde.
Er roch nach Schweiß, kaltem Rauch und irgendwas Metallischem.

„Und wenn schon.“

„Ich würde gerne wissen, wo er ist.“

„Gib mir ’nen Zehner. Dann sag ich dir was du wissen willst.“


„Tut mir leid“, sagte ich. „Ich hab gerade nichts dabei.“

Das stimmte zwar nicht, aber der Mann machte nicht den Anschein als hätte er irgendeine Ahnung von wem ich spreche.
Für ihn wäre es leicht verdientes Geld und ich stünde trotzdem ohne Anhaltspunkt da.

„Dann verpiss dich“, knurrte er und wandte sich wieder seiner Tüte zu.

Der andere lachte kehlig. Es klang wie eine rostige Tür, die man zu oft aufgetreten hat.

Ich drehte mich um.
Kein Grund, hier länger zu verweilen.

Die zweite Station war eine alte Lagerhalle, an deren Wand früher mal ein Werbeslogan für Rum prangte.
Jetzt war alles mit Graffiti übermalt, das nicht aussah wie Kunst, sondern eher nach wahllosen Schmierereien.
Ein streunender Hund mit verfilztem Fell schlich an mir vorbei, schnupperte an meiner Hose und wedelte vergnügt mit dem Schwanz.
Als ich jedoch meine Hand zum beschnuppern senkte, sprang er mit einem großen Satz zurück und trottete weiter.

Nichts. Niemand hier.
Nur der Wind, der zwischen den Blechwänden klapperte.


Ich dachte schon ans Aufgeben.
Dann fiel mir das alte Krankenhaus ein.

Es war vor Jahren ausgebrannt.
Ein Teil des Dachs fehlte, die Fenster waren nur noch vernagelte Quadrate.
Hierhin verschlug es immer wieder Menschen die mit der Gesellschaft nichts zu tun haben wollten, oder keinen Schlafplatz hatten - oder beides.
Es lag am Stadtrand, abgeschieden genug für Leute, die sonst nirgends mehr Platz fanden.

Ich machte mich auf den Weg.

Der Asphalt wurde löchriger, je weiter ich ging.
Palmen bogen sich über den schmalen Weg, als wollten sie etwas verbergen.
Dann – irgendwo hinter der Mauer – hörte ich ein leises Klirren.
Musik.
Stimmen.

Und das typische knistern von Feuer in einer Tonne.

Ich trat näher heran.

Hinter dem halb eingestürzten Eingang, im Schatten einer Mauer, hatten sich etwa fünf oder sechs Menschen versammelt.
Eine große, verbeulte Tonne stand in der Mitte – Flammen leckten heraus, orange und zuckend.
Daneben ein improvisiertes Lagerfeuer aus Palettenresten und alten Stühlen.
Ein Mann schnitzte an einem Stück Holz, eine Frau mit Zöpfen zog sich die Decke über die Schultern.


Dann sah ich ihn.
Ein wenig in sich zusammengesackt sitzend auf einem Plastikhocker, ein bisschen abseits vom Feuer.
Die Anglermütze tief ins Gesicht gezogen.
Der Bart grauer als die Nacht.
Die Augen auf das Feuer gerichtet – nicht starr, aber auch nicht wach.

Der kleine Junge – vielleicht zehn, höchstens elf – lag zusammengerollt neben einem Rucksack.
Er schlief. Der Atem hob und senkte seinen dünnen Körper wie eine kleine Welle.

Gerade als ich einen Schritt auf sie zu machen wollte, stellte sich mir jemand in den Weg.
Breit gebaut, vielleicht Mitte vierzig, dunkle Haut, fettige Zöpfe, das Shirt ausgewaschen, aber sorgfältig gebunden.
Er roch nach Rauch, Alkohol und hatte Dreck oder Ruß über das halbe Gesicht verteilt.

„Was willst du denn hier?“

Seine Stimme war tief, kratzig, gezeichnet von Rauch und Alkohol.

Ich hob die Hände leicht, als wollte ich gleich beruhigend auf die Situation einwirken.

„Ich will niemandem etwas Böses. Ich suche nur jemanden"

„Dann hast du ja jetzt jemanden gefunden." sagte der Mann spöttisch.

„Jemand bestimmtes, ich glaube den alten Mann, dahinten am Feuer. Wir sind früher oft angeln gegangen.“

Er musterte mich.
Lange.
Ohne Eile.

Dann spuckte er zur Seite und schnaubte.

„Früher, ja? Das war einmal.
Jetzt lebt er hier.
Mit uns.“


Ich nickte nur.

„Außerdem würde er dich gar nicht mehr erkennen, er erkennt an manchen Tagen nicht mal einen von uns.
Manchmal, nicht mal sich selbst.
Aber wir kümmern uns um ihn.
Mein Sohn hat ihn sofort ins Herz geschlossen als wir vor Jahren über ihn gestolpert sind.
Und er mag meinen Sohn.
Er lacht sogar manchmal.
Mehr kann man von einem mit Matsch im Kopf nicht erwarten.
Und jetzt kannst du dich verpissen!
Das ist hier kein Zoo.“


Ich schwieg einen Moment und ließ das Ganze erstmal Sacken.

„Sieh zu, dass du Land gewinnst, sonst...“

Ich fiel ihm ins Wort und meinte:

„Ich könnte vielleicht helfen, wenn ihr was braucht. Oder schauen, ob man ihm einen Platz im Heim besorgen kann.“

„Heim?“

Er lachte. Es war kein fröhliches Lachen.

„Da kriegt er Tabletten, die ihm auch noch das letzte bisschen Hirn frittieren und wird von Leuten betreut, denen das völlig Wurst ist.
Da vegetiert er dann vor sich hin.

Bis er stirbt.
Langsam.
Still.
Allein.

Hier hat er wenigstens noch uns, die sich um ihn kümmern.
Wir haben vielleicht nicht viel, aber das was wir haben, teilen wir.“


Ich sah wieder zum Feuer.
Uncle hatte nicht einmal hochgeschaut.
Er starrte weiterhin in die Flammen, als würde er einen Film schauen, den niemand sonst sehen konnte.

„Verstanden“, sagte ich leise.

„Ich bring euch die Tage was vorbei.
Essen. Vielleicht ein paar Decken, Schlafsäcke und Kleidung, wenn ich welche finde.“


Der Mann nickte langsam und seine anfänglich Abneigung mir gegenüber, schien sich zu lösen.
Offensichtlich gab es nicht viele, die tatsächlich nichts Schlechtes wollten.

„Wenn das keine leere Versprechungen sind, wären wir dir sicher dankbar.
Du musst mein anfängliches Misstrauen verstehen.
Viele wollen selbst uns, die kaum etwas besitzen, das letzte Hemd nehmen.
Man nennt mich Big Dave, und du bist?“


„Ich?"

Ich zögerte kurz.

„Ich bin jemand der sich erinnert, wo er herkommt.“

Er schnaubte.

„Na hoffentlich bist du auch jemand der sein Wort hält.“

Ich lächelte schwach.

„In ein paar Tagen komme ich wieder. Versprochen.“

Er nickte mir zu, ich drehte mich um und ging langsam zurück durch die Nacht.
Hinter mir knackte das Feuer.
Und ich hörte, wie einige Stimmen zu tuscheln begannen.

Auf dem Heimweg kreisten die Gedanken nur so durch meinen Kopf.
Was wäre wenn...was hätte sein können...
Die Zeit war nicht mehr zurückzudrehen – ich konnte nur versuchen, jetzt noch das Richtige zu tun.

Als ich Zuhause ankam, war das Licht bereits gelöscht.
Mutter schlief schon.
Mich überkam eine tonnenschwere Müdigkeit, die mich vollständig umklammerte.
Es dauerte keine zehn Minuten, da war ich bereits im Land der Träume angekommen.
Oder irgendwo dazwischen.


Am nächsten Morgen traten neue – ganz andere – Probleme zutage.
Nicht menschlich. Nicht emotional.
Sondern sportlich.
Eine Mail vom Verband.
Und mit ihr: der nächste Nackenschlag.

Der Verband ließ bedauernd mitteilen, dass unser Antrag auf Spielverlegung abgelehnt wurde – mit der Begründung, dass „die nationale Fußballstruktur nicht übermäßig durch Vereinswünsche beeinflusst werden dürfe“.

"Ich überlegte kurz, ob ich das Schild vorm Stadion ändern sollte:
Cayon Rockets – Verein für den strukturellen Ausgleich nationaler Fehlplanung."


Wobei – der Verband konnte ja eigentlich gar nichts dafür.
Mr. Bradshaw hatte mit seinem Geklüngel überhaupt erst dafür gesorgt, dass unsere Spieler nominiert wurden.
Und jetzt sollte die ganze Sache wieder rückgängig gemacht werden?

Zehn Minuten später stand ich mit Jazza in unserem kleinen Büro.
Beide mit einem Pappbecher in der Hand.
Beide mit müden Blicken.

Wir schwiegen.

Nach einer Weile zog ich einen Stift aus der Schublade und kritzelte ein paar Namen auf einen Zettel.

„Dann eben so.
Wir nehmen diese Jugendspieler hier.
Was anderes bleibt uns auch gar nicht übrig.“


Jazza nickte, nahm den Zettel an sich – und verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort.

Die Tür fiel mit einem Wumms ins Schloss.
Ich blieb zurück mit meinem lauwarmen Kaffee – und mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Trotz und Ratlosigkeit lag.

Viel Zeit zum Nachdenken blieb nicht.
Das Spiel gegen Newton GB wartete.


Spieltag gegen Newton GB.


Es war wieder ein Heimspiel.
Aber diesmal fühlte es sich anders an.

Die Luft war schwül, der Himmel graublau, als könnte es gleich regnen – oder uns einfach nur schwitzen lassen.
Der Rasen war trocken, aber nicht verbrannt.
Die Linien frisch gekreidet, als wollte jemand drüber hinwegtäuschen, wie dünn wir gerade aufgestellt waren.

Es war das erste Spiel ohne die Nationalspieler.
Und das erste, bei dem man es auch im Publikum merkte.

Die Zuschauer kamen tröpfelnd.
Ein paar Mütter, ein paar Väter mit Bier – und ein paar Jungs, die mit verschränkten Armen und Cola in der Hand dastanden.

Keine Schlangen, keine Kinder mit Goody-Schildern.
Vielleicht 120 Leute insgesamt.
Es waren nur zwanzig, dreißig weniger als beim letzten Mal – aber wenn man nur 150 Zuschauer hat, dann merkt man jede Lücke.

Weniger Trikots. Weniger Rufe.
Und vor allem: Weniger „Goody“-Hype.

„Die Gunst der Menge ist wankelmütig wie im alten Kolosseum – heute noch feiern sie dich wie einen König, schon morgen bist du nur noch Staub in der Arena.“


Aber die meisten waren wieder da – und das zählt.
Vor allem in Wochen wie dieser.

Auch der Pastetenmann hatte seinen Stand wieder aufgebaut – aber diesmal nur einen kleinen Tisch.

„Nicht so viel los heute“, sagte er. „Letztes Mal musste ich sogar Nachschub besorgen.“

Ich hatte nicht viel erwartet.
Ein bisschen Schadensbegrenzung.
Vielleicht ein dreckiges 2:1.
Vielleicht auch ein Punkt.

Was ich bekam, war ein Spiel, das ich nie vergessen werde.


Wie man sich vielleicht denken konnte, gab es bei uns keine Einlaufkinder – schließlich spielten wir im Amateurbereich.
Deswegen marschierten die Spieler auch nicht in Zweierreihen aufgereiht, jeder mit einem Kind an der Seite, auf den Platz.
Auch in der ersten Liga suchte man sie vergeblich – vielleicht sah es in den kontinentalen Wettbewerben anders aus.

Die heutige Kabinenansprache bestand hauptsächlich aus aufbauenden Worten und ein paar Durchhalteparolen an die Jugendspieler gerichtet.
Einige von ihnen waren auch danach noch sichtlich nervös.


Aufstellung:






Schließlich gab der Schiedsrichter uns ein Zeichen – alle liefen im Pulk hinaus und pushten sich noch einmal gegenseitig.

Einige berührten zunächst den Rasen, bekreuzigten sich und warfen den Blick gen Himmel.
Andere hielten sich die Hände vors Gesicht und rezitierten verschiedene Suren aus dem Koran.
Wieder andere sprangen dreimal mit demselben Bein auf, bevor sie weiterliefen und sich auf ihre Position begaben.
Jeder Spieler hatte sein eigenes Ritual, wenn es aufs Feld ging und das Spiel begann.

Ich selbst war nicht besonders abergläubisch und hatte keine feste Routine.
Meistens schaute ich auf die Uhr und stellte sie auf Stoppfunktion.
So hatte ich einen Überblick, wie lange schon gespielt wurde – und wie viel Zeit wohl nachgespielt werden musste.

Und ich hatte immer einen Grund, um den Schiedsrichter am Ende wegen zu kurzer oder zu langer Nachspielzeit zu kritisieren.

Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln.
Der arme Mann konnte es wirklich niemandem recht machen – egal, wie gut er war oder wie sehr er sich bemühte.
Der Schiedsrichter war immer die ärmste Sau auf dem Spielfeld.

Es folgte die Seitenwahl.
Und dann ging es los.


Anpfiff.


Newton GB
startete mit wütendem Pressing.
Als wollten sie uns gleich zeigen, dass sie auch auswärts gegen ein dezimiertes Rockets-Team das Heft des Handelns in die Hand nehmen würden.

Wir stolperten uns durch die ersten Minuten.
Fehlpässe. Unruhe.
Dann ein langer Ball von Duncan auf Bertie – und plötzlich war Raum da.
Bertie kreuzte, wurde festgehalten, riss die Arme hoch und fiel theatralisch wie ein nasser Vorhang.

Der Schiedsrichter zeigte sofort auf den Punkt.

"Ich hätte ihn nicht gegeben. Aber ich hätte auch nie gedacht, dass Bertie derart schauspielern kann."


Minute 5:
Goodridge nimmt sich den Ball, verzieht keine Miene – und versenkt ihn eiskalt.

1:0.

"Er drehte sich nicht mal richtig zum Publikum.
Ein kurzer Blick, ein Nicken – das war alles.
Aber manchmal reicht das."

Minute 16:
Bertie.
Flanke von rechts, die ihn schön in Szene setzt.
Direktabnahme.
Zack, rein.

2:0.


Minute 27:
Ein Abpraller nach einer Ecke landet vor den Füßen von Shade (Newton GB).
Der trifft aus acht Metern – keine Chance für unseren Keeper.

2:1.

Kurz Frust. Dann die Antwort.

Minute 30:
Duncan fängt einen Ball im Mittelfeld ab, leitet ihn sofort weiter.
Bertie nimmt das Leder mit dem ersten Kontakt mit, bleibt cool – und schiebt ins lange Eck.

3:1.

Minute 31:
Kaum wieder angestoßen, verlieren die Gegner den Ball an Rouse.
Der – offenbar im Flow seines Lebens – geht drei Schritte, keiner greift an, also zieht er einfach ab.

Und trifft.

4:1.

"Evansroy Rouse, der normalerweise im Jugendteam für Furore sorgt, stand da plötzlich wie einer, der Ansprüche auf einen Platz im ersten Team anmeldete."


Minute 42:
Bertie kriegt den Ball auf den linken Schlappen.
Dreht sich.
Schießt.
Der Ball wird abgefälscht – und fliegt am Torwart vorbei ins Tor.

Hattrick.

5:1.

Der Stadionsprecher war heiser, das Publikum kurz davor, Bertie zu tragen.
Ich blieb ruhig.
Nur innerlich jubelte ich ausgelassen – wie ein Kind auf dem Jahrmarkt.


Pause.


In der Kabine lobte ich die Jungs – und ermahnte sie, konzentriert zu bleiben.
Eine tolle Leistung – und das ganz ohne unsere Topspieler, die beim Nationalteam verweilen.


Anpfiff zur zweiten Halbzeit.



Minute 55:
Kimaree Barns.
Kurz zuvor eingewechselt, bisher wenig Ballkontakte.
Doch dann – aus dem Nichts – ein satter Schuss von der Strafraumkante.

Drin.

Der Torwart sieht bei diesem Sonntagsschuss nicht besonders gut aus.

6:1.

"Das Stadion jubelte, als hätte jemand gerade verkündet, dass morgen hitzefrei ist.
Und vielleicht war es auch genau das."


Minute 73:
Unsere Abwehr hatte noch ein letztes Geschenk zu verteilen.
Flemming zieht einfach mal ab – flach, schnell, drin.
Unser Keeper flucht – auch er macht hierbei ebenfalls keine gute Figur.
Aber bei diesem Spielstand nimmt es ihm niemand übel.

6:2.

Das war´s.
Wir schalten für die letzten fünfzehn Minuten drei Gänge zurück.

Schlusspfiff.



Spielstatistik:

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Ein Spiel wie ein Fiebertraum.
Improvisiert, wild – und trotzdem einigermaßen souverän.
Vielleicht war das keine eingespielte Mannschaft.
Aber es war ein Team.

Die Ersatzbank lag sich in den Armen.
Die Jugendspieler strahlten.
Und ich stand da – verschwitzt, verblüfft, zufrieden.

Jazza... weißt du, was das war?“

„Verrückt?“

„Richtig guter Fußball.“

Nach dem Abpfiff klatschten wir mit dem Gegner ab.
Ein paar Worte. Ein ehrliches Nicken.
Mehr braucht’s nicht, wenn beide Seiten wissen, dass heute die bessere Mannschaft gewonnen hat.

Die Jugendspieler liefen eine Ehrenrunde, lachten, schubsten sich.
Einer ließ sich von zwei anderen auf den Schultern tragen – als wäre das hier ein Pokalfinale und nicht bloß Spieltag drei.
Ein paar Väter filmten stolz vom Zaun aus.
Einer brüllte so laut, dass es bis zum im Mittelkreis hallte:
„Das ist mein Junge! SEHT IHR!? DAS IST MEIN JUNGE!!“



Die Schlagzeilen nach dem Spiel:







Später am Abend, irgendwo zwischen Sonnenuntergang und Leberkloß-im-Plastikbecher:


Die Nationalspieler hatten sich gemeldet.
Mervin Lewis hatte getroffen – erstes Tor im ersten Spiel, ausgerechnet gegen das deutlich überlegene Costa Rica.
Nelson stand in der Startelf, blieb aber unauffällig.
Simmonds war eingewechselt worden.
Die anderen saßen auf der Bank und hatten laut eigener Aussage „viel gelernt“.

Ich las die Nachricht von Lewis dreimal.
Dann tippte ich zurück:

„Glückwunsch.
Du hast dir das Trikot verdient.
Und du weißt, wo dein Platz ist – wenn du zurückkommst.“


Ich meinte das sportlich.
Und menschlich.





Denn während die halbe Mannschaft auf Reisen war, hatte der Rest sich mehr als nur gut verkauft.
Mit einem gut aufgelegtem Carlos Bertie, der nicht einfach nur Tore schoss, sondern es allen zeigen wollte.
Er hätte zur Nationalmannschaft fahren sollen.
Nicht Nelson.

Denn die Nummer Eins hieß nicht Vinceroy Nelson.
Sondern Carlos Bertie.


Und dann, fast beiläufig, beim Durchscrollen durch die Kaderstatistik...
Ich stutzte.
Scrollte zurück.
Starrte auf die Zeilen und rieb mir die Augen.

Tyquan Terrell.
Salas Cannonier.
Beide im Nationaltrikot.
Beide eingesetzt.
Cannonier sogar in der Startelf.
Die gleichen beiden Spieler, die Bradshaw vor ein paar Wochen noch mit einem trockenen „Packt eure Sachen, euer Ego und verschwindet“ aus dem Team geworfen hatte.

"Und jetzt tauchten sie plötzlich hier auf – sauber aufgelistet, mit Einsatzminuten und Positionsangabe.
Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt."


Ich scrollte nochmal.
Kein Fehler.
Kein Scherz.
Zwei Namen, die eigentlich schon vom Hof gejagt waren –
und jetzt plötzlich mit Flagge auf der Brust spielten.

„Sag mal… haben die etwa auch ihre Kontakte spielen lassen?“
Ich hörte Bradshaws Stimme regelrecht in meinem Kopf.
„Das kann doch nicht wahr sein. Die? Nationalmannschaft? Was kommt als Nächstes – Cannonier Kapitän?“

Ich schmunzelte.
Die Vorstellung, dass auch diese beiden irgendwie einen Fuß in die Tür bekommen hatten, war gleichermaßen absurd wie folgerichtig.

"Vielleicht hatten sie irgendwen, der irgendwen kannte.
Vielleicht war gerade jemand ausgefallen.
Oder vielleicht – und das war das Beunruhigendste – hatte der Verband einfach gar keine besseren Alternativen."


Spielstatistiken:

(click to show/hide)




Zwei Tage später



Die Euphorie im Umfeld war nach dem kurzen Knick wieder ein wenig entfacht worden.
Ich versuchte mir darüber nicht allzu viele Gedanken zu machen, um nicht gleich wieder vom einen ins andere Extrem zu kippen.
Gerade war ich dabei, die Trainingspläne für nächste Woche zu überfliegen und einige Daten auszuwerten.
 
Das leise "Piep-Geräusch" kündigte eine neue E-Mail an.
Es war eine kurze Mitteilung von unserem Physiotherapeuten.


Betreff: „Morgan Prendergast – MRT-Ergebnis“.


Stimmt, da war doch noch was.
Vor meinem inneren Auge tauchten die Bilder aus dem letzten Training auf:

Ein schön einstudierter Spielzug.
Der Torwart hatte beim Abstoß den Ball auf den Flügel gespielt, wo Prendergast ziemlich frei war.
Er nahm den Ball etwas ungenau an und er prallte ein paar Meter zur Seite.
Trotzdem war Prendergast wieder zuerst am Ball, doch der größere der Barns-Brüder grätschte ihn von der Seite um.
Der Gefoulte fiel in hohem Bogen direkt auf den oberen Rücken, die Beine in die Luft gestreckt.

Ein kurzes Aufstöhnen.

Dann das abgehackte Atmen.


Morgan lag auf dem Rasen, hielt sich die Schulter.
Der Physio kam angerannt, winkte sofort – kein Kältespray, keine Eispack-Routine.
Krankenhaus. Direkt.
Die anderen Spieler rannten auf Barns zu und es gab eine kleine Rangelei - nichts wirklich Wildes, aber trotzdem unschön.
Der Physiotherapeut brachte Prendergast dann selbst ins Krankenhaus, das Training wurde fortgesetzt.

Seitdem hatte ich nichts mehr gehört.
Ich klickte sie an, überflog die ersten Zeilen – und sank tiefer in den Stuhl.

Schulterverrenkung.

Nicht das Ende der Welt, dachte ich.
Aber trotzdem eine Schwächung für das Team.

"Prendergast war nicht unser Heilsbringer, aber er war jung, mutig, schnell.
Einer, der sich reingeworfen hat – und manchmal reicht das schon, um wertvoll zu sein.
Vor allem, wenn vorne drin die Auswahl ohnehin begrenzt ist."

Als ich weiterlas und bei der Ausfallzeit ankam, dachte ich zunächst an einen Scherz.

Drei bis fünf Monate Pause.

Die Ärzte sagten, es sei unwahrscheinlich.
Aber es gäbe eine minimale Chance, dass die Verletzung nie mehr ganz stabil werde.
Dass er nie wieder richtig durchziehen könne.
Dass der hübsche Junge mit lediglich 70 Einsatzminuten schon am Karriereende sein könnte.






Eine ganze Weile starrte ich auf den Bildschirm, lehnte mich dann zurück und murmelte leise:

„Scheiße.“

Das war alles, was ich sagte.
Und alles, was mir einfiel.


Für ihn war es natürlich äußerst bitter… ein Absturz nach einem großen Moment.
Hatte er doch im letzten Spiel durchaus zu überzeugen gewusst und sich in die Rotation gearbeitet.

Die Ausfallzeit war doch deutlich länger als ich ursprünglich gedacht hatte.
Trotzdem war ich mir sicher, wir würden es kompensieren können - vorausgesetzt es folgten keine weiteren Hiobsbotschaften.
Jetzt blieben lediglich Nelson und Bertie.

Und zwei Jungs aus der Jugend, die zwar Fußballschuhe trugen – aber mit dem Ball bislang eher wenig anzufangen wussten.
Dann müssten die Erstgenannten eben auf die Zähne beißen – oder wir an unserer Ausdauer arbeiten.

Die Sonne senkte sich langsam über den Hügeln und die letzten Sonnenstrahlen spiegelten sich orange im Fenster.



Es war keine Zeit für Selbstmitleid.
Wir hatten eine Pokalpartie zu spielen – und die Aufstellung fand sich nicht von allein.

« Letzte Änderung: 01.August 2025, 22:22:49 von steffanovic »
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Re: Monkey Hill Blues
« Antwort #39 am: 02.August 2025, 08:07:04 »

Wieder eine sehr schöne Episode, mit zwei wunderbaren Siegen. Die Rockets sind unaufhaltbare Himmelsstürmer!
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