Kapitel 1.4 – Von Euphorie und dem Tag danachDer Morgen war wieder so einer, an dem das Tageslicht einfach
reinplatzt, ohne zu fragen.
Ich hatte den Vorhang abends nur halb zugezogen – was bedeutete, dass mir die Sonne jetzt punktgenau auf die Stirn
knallte, als hätte sie vor, mir ein Loch ins Hirn zu
brennen.
Ich grummelte vor mich hin, tastete nach dem Handy.
07:49 Uhr.Na super.
Senile Bettflucht mit Anfang 30.
Nachdem das Pflichtprogramm im Badezimmer abgehakt war,
schlurfte ich in die Küche und setzte Kaffee auf.
Milch rein, vier Löffel Zucker – jedenfalls theoretisch.
Zwei landeten in der Tasse, zwei direkt in der Spüle.
Ich
fluchte leise.
Im Halbschlaf Zielen war bei mir ohnehin Glückssache.
Draußen war es bereits
warm.
Windstill.Ich setzte mich auf den gewohnten Platz auf der Terrasse, umklammerte meine Tasse – und zündete mir die erste Zigarette an.
Den schlimmsten Teil des Morgens hatte ich hinter mir gelassen und war jetzt wieder
halbwegs menschlich.
Sonnenstrahlen fielen auf das vertrocknete Gras im Garten, ich sah einer Eidechse dabei zu, wie sie über den Rand der Veranda
huschte.
Ein Vogel landete in dem eigens für ihn aufgestellten Futterhaus.
Wenige Sekunden später gesellte sich ein zweiter dazu.
Wir hatten sie nicht getauft, aber sie waren uns auch nicht fremd.
Diese Minuten, in denen ich die Natur beobachtete, gehörten nur mir.
Wenn es ruhig war und noch
keine Autos vorbeifuhren, noch
kein Stadionlärm zu hören war und noch
kein PR-Berater mit seinen Präsentationen nervte - das gefiel mir am besten.
Nachdem ich aufgeraucht und meinen Kaffee ausgetrunken hatte, stand ich auf, ging duschen und zog mich an.
Mutter war schon früh aufgebrochen, um zum Wochenmarkt im Nachbarort zu fahren - wie jeden Mittwoch.
Sie schwor auf frisches Gemüse und Fleisch direkt vom Bauern.
Für mich hieß das:
laufen.
Draußen auf dem Weg zum Stadion fiel mir ein
alter, klappriger Mann auf, der mit einem
quietschenden Einkaufswagen eine leichte Steigung hochschob.
Plötzlich musste ich wieder an
Uncle denken.
Ich hatte mir doch vorgenommen, mal nach ihm zu sehen - bei unserer letzten Begegnung wirkte er ziemlich
schwach, fast
kränklich.
Ich zog mein Handy aus der Tasche, wischte den Sperrbildschirm zur Seite und legte mir einen Termin für heute Abend:
„20 Uhr - nach Uncle sehen, nicht wieder vergessen.“Dann steckte ich das Handy wieder ein und setzte meinen Weg fort.
Schon von Weitem hörte ich das Lachen.Nicht überdreht, nicht respektlos - aber
deutlich.
So klingt es, wenn die Stimmung
gut ist.
Wenn ein Team weiß, dass es das letzte Spiel
dominiert und auch ein wenig geglänzt hat.
Als ich das Stadion betrat, standen sie schon auf dem Platz.
Ein paar Ballstaffetten und lockere Sprüche.
Ich trat ein paar Schritte näher und beobachtete sie einen Moment.
Einer von den Jungs imitierte den Ronaldo-Torjubel –
Siuuu.
Neben ihm erdreistete sich jemand, den
Griddy zu machen.
Der
Nackenklatscher folgte prompt – nicht alles konnte man durchgehen lassen.
Goodridge stand am Rand, die Hände auf den Hüften und schüttelte leicht den Kopf.
Offensichtlich kannte er die neuzeitlichen Jubel noch nicht – oder er fand sie einfach zu
albern.Und genau das war auch der Punkt, an dem sich in meinem Magen wieder dieses kleine Ziehen meldete.
Nicht etwa, weil ich etwas Schlechtes gegessen hatte.
Sondern wegen der aufkeimenden
Selbstzufriedenheit, die sich anschlich wie ein Moskitostich: erst kaum zu merken, aber irgendwann
juckt’s. Und wenn man dann kratzt, ist es zu spät.
„Alles klar, Mädels? Oder soll ich euch noch Cocktails mixen?
Sieht hier aus wie im Feriencamp – nicht wie im Training.“Ein paar Köpfe drehten sich.
Grinsen. Schulterzucken.
Doch die Botschaft war angekommen.
Immerhin waren sie ordentlich gekleidet, Trikots in der Hose, keine Extravaganz – so wie es sein sollte.
Sie wirkten zwar immer noch
gelöst, aber nicht mehr
übermütig.
Als auch die letzten Spieler eintrafen, war es ein paar Minuten vor zehn.
Jazza und ich riefen zum Appell und sie kamen ohne Murren,
zügig und
aufmerksam.
Wir erklärten ihnen, was heute im Abschlusstraining auf dem Programm stand.
„Morgen gleiche Aufstellung. Keinen Grund, irgendwas daran zu ändern.
Aber denkt dran: Nur weil die Jungs aus Dieppe Bay aussehen, als wären sie Pfadfinder, heißt das nicht, dass sie sich freiwillig ergeben.“Ein paar
schmunzelten.Buchanan nickte trocken.
Goodridge stand wie ein alter Anführer daneben –
ruhig, unaufgeregt, wach.
„Kein Larifari. Auch nicht heute im Training.
Wenn wir zu selbstzufrieden ins Spiel gehen, können auch sie uns Druck machen.
Soweit wollen wir es gar nicht erst kommen lassen, deswegen: Konzentriert bleiben und das Spiel von Anfang an dominieren.“Das Lachen war verstummt, die Blicke:
ernst – die meisten nickten zustimmend.
„Gut, ich sehe wir verstehen uns.“
Jazza trat einen Schritt vor und reichte mir den Trainingsplan – mehr symbolisch als notwendig.
„Fokus, Jungs. Die Medien schauen. Alle erwarten einen einfachen Sieg. Und ihr wisst: Der zweite Eindruck zählt mehr als der erste.“Wie recht er doch hatte.
Jeder wollte sehen, ob der Hype um
Goodridge berechtigt war – oder ein einmaliges Spektakel.
Und die Wahrheit war: Wir wussten es selbst nicht – noch nicht.
Am Spieltag selbst lag Aufregung in der Luft – nicht viel, aber genug, dass man sie spürte.
Es roch nach
Gras, Schweiß und
frittierten Pasteten, heiß und
fettig, vom Stand hinter der Tribüne.
Der Typ mit dem Sonnenschirm hatte heute
doppelt aufgebaut – weil er wusste, dass heute ein paar mehr kommen würden.
Nicht viel mehr.
Vielleicht 150.
Aber für ihn bedeutete es mehr Umsatz.
Ein Kind trug ein handgemaltes T-Shirt mit der Aufschrift:
„Goody the Goat.“Zwei Plätze weiter hatte jemand eine Vuvuzela, auf die er
„53 & Free“ gekritzelt hatte.
"Es war das erste Mal, dass ich spürte, was ein einziger Tag bewirken konnte.
Nicht für die Tabelle – aber für alles drumherum. Für das Gefühl"Auf dem Platz wärmten sich die Jungs
diszipliniert auf.
Ein paar Scherze, keine Faxen.
Sie wussten, dass heute ein wichtiges Spiel war – aber auch irgendwie eine kleine Vorstellung.
In der Kabine saßen die Spieler recht ruhig auf ihren Bänken und hörten
konzentriert zu.
„Gleiche Formation. Gleiche Marschrichtung. Aber lasst euch nicht einlullen. Wer mit angezogener Handbremse spielt, bekommt Sand ins Getriebe.“Duncan grinste, als hätte er genau verstanden, was ich meinte.
Goodridge nickte auch – aber diesmal ein wenig
langsamer. Vielleicht
müde. Vielleicht einfach nicht in Showlaune.
Eine feurige Ansprache sparte ich mir diesmal.
Auch wenn wir natürlich die zuletzt gezeigte Leistung bestätigen mussten, würde es sich schnell abnutzen, wenn ich sie
inflationär verwendete – wir
appellierten an den Verstand und hoben ihre Stärken hervor.
Der Schiedsrichter
klopfte an die Tür der Kabine und meinte es wäre soweit.
Die Spieler bildeten noch einen letzten Kreis und dann war es Zeit für den:
Anpfiff.
Minute 1 bis 5:Dieppe Bay versuchte es mit
frühem Pressing. Ein bisschen
wild, ein bisschen
wirr – aber immerhin ein Versuch.
In Minute fünf sprang ihr Stürmer mit ausgestrecktem Bein in
Buchanan hinein.
Kein Foul, laut dem Schiedsrichter.
Ich konnte es nicht fassen.
Wir konnten es nicht fassen.
Auch
Carlos Bertie verstand das als
Einladung.
Nicht zum Duell – sondern zum
Ausrasten.
„Beruhig dich! Noch so ein Tritt, und du bist der erste, der vom Platz fliegt!“Doch bevor ich den Satz zu Ende gedacht hatte, hatte er schon
Gelb.
Ziemlich Grenzwertig für mein Empfinden.
Von nun an hielt ich mich etwas zurück, schließlich wollte ich nicht auf der Tribüne landen.
Minute 9:Duncan. Ballgewinn im Mittelfeld. Zwei schnelle Schritte.
Ein
Lupfer über den Innenverteidiger.
Nelson startet –
und schiebt lässig ein.
1:0."Es war ein Tor wie aus dem Training. Weil es auch genau das war.
Wir hatten genau diesen Spielzug trainiert.
Immer wieder.
Und diesmal zählte es endlich"Minute 30:Fast das gleiche Spiel.
Duncan mit einem
Steckpass hinter die Abwehr,
Nelson kreuzt geschickt – und nagelt ihn flach ins lange Eck.
2:0.Dieppe Bay taumelt.Minute 33:Erste richtige Aktion von
Goodridge.
Er zieht von rechts nach innen.
Dribbelt am Gegenspieler vorbei, passt – ins Nichts. Drei Minuten später ein
Ballverlust im Mittelfeld, den
Lewis gerade noch rechtzeitig ausbügelt.
Der Applaus?
Blieb aus.Kurz vor der Halbzeit:Freistoß aus dem Halbfeld.
Duncan, halbhoch in den Sechzehner geschlagen.
Bertie steigt hoch, wird leicht
geschubst, lässt sich aber nicht fallen und kommt trotzdem mit dem Knie dran.
Der Ball trudelt über die Linie.3:0."Ein Kullerball. Es war das unspektakulärste Tor des Tages. Aber das letzte, das zählen sollte."Zweite Halbzeit:Wir
kontrollierten das Geschehen.
Dieppe Bay versuchte nicht mal mehr zu stören – eher, uns den Ball zu überlassen und kein weiteres Gegentor zu fangen.
Morton kassierte noch Gelb für ein
Trikotzupfen.
Bertie scheiterte zweimal aus spitzem Winkel.
Duncan hatte noch ein paar schöne Szenen, die jedoch entweder nicht genutzt wurden oder im Abseits landeten.
Und
Goodridge?Lief.
Stellte zu.
Spielte einige Kurzpässe.Nichts zu sehen vom Helden des ersten Spieltags.
Alles mit angezogener Handbremse.
Kein Dribbling. Kein Takt. Kein erinnerungswürdiger Moment fürs Publikum.
Als ich ihn in der 90. Minute runterholte, klatschte
niemand.
Er ließ ein bisschen den Kopf hängen, doch er wurde von keinem der Mitspieler getadelt, alle klatschten ihn ab.
3:0,
ohne Glanz, aber souverän.Ein Sieg, Drei Punkte – Aufgabe erledigt.
Spielstatistiken: Nach dem Abpfiff:Ein paar Kinder wollten Selfies mit dem Doppeltorschützen und Spieler der Stunde:
Vinceroy Nelson.
Duncan wurde vom Stadionsprecher als
"Spieler des Spiels" ausgezeichnet – mit einem übermotivierten:
„Der heutige Spieler des Spiels, wird präsentiert vom Slots, Slots, Slots Casiono und Café:
Unser Mittelfeldmotor mit der Nummer 8, Jayaaaaaan Duncaaaaan.“Der Applaus war
ehrlich – aber ohne Funken.
Duncan war schließlich auch keine
53 Jahre alt.
Goodridge ging ohne ein Autogrammwunsch in die Kabine und zog sich um.
Kein Selfie. Kein Interview. Keine Sprechchöre.Der Junge mit dem Goody-Shirt war ohne auf ihn zu warten nach hause gegangen – der Stift blieb unbenutzt.
Zusammen mit
Jazza stand ich am Spielfeldrand und beobachtete das Ganze.
„Er ist heute kaum aufgetaucht, hm?“„Er hat aber auch nicht schlecht gespielt. Nur eben nicht gut genug, um aufzufallen.“„Meinst du, das stört ihn?“„Wär schlimm, wenn nicht.“Die Jungs waren
zufrieden, aber keiner überdrehte.
Als hätten sie selbst gemerkt, dass heute niemand einen Grund hatte, die Leistung überschwänglich zu loben.
Der Gegner war schlecht und wir haben unsere Pflicht erfüllt, nicht mehr und nicht weniger.
Die Jungs standen nach dem duschen noch eine Weile zusammen auf dem Parkplatz.
Die Lichter waren
gedimmt,
die Luft mild – so ein Abend, der sich gut anfühlte.
Die Sonne war schon so gut wie untergegangen, der Himmel
schimmerte lila-orange.
Musik war nur noch gedämpft zu vernehmen, diejenigen in Feierlaune, hatten sich bereits auf die Bars und Discotheken verteilt.
Lewis stützte sich gegen den Zaun, sah auf sein Handy und sagte mit einem
Grinsen:
„Wenn ich gegen Costa Rica treffe, schmeißt ihr alle zusammen, oder?“Simmonds nickte, während er sich die Schnürsenkel band.
„Wenn du triffst, benenn ich meinen Hund nach dir, aber das passiert nicht in tausend Jahren, haha.“Nelson lachte ebenfalls und meinte:
„Ich will nur nicht erst in der letzten Minute eingewechselt werden, wenn’s schon 0:4 steht. Aber ihr wisst ja, dass ich in die Startelf gehöre. Dann schießen wir auch sicher ein Tor.“Alle amüsierten sich.
Jazza und ich hörte nur zu.
Unsere Gedanken waren schon auf das nächste Spiel gerichtet und auf die Frage ob es noch kurzfristig verlegt werde.
Wir alle hofften das, doch in diesem Moment hatten sie das wohl für eine kurze Zeit ausgeblendet.
Wir gingen als letzte, alle Spieler die gut gespielt hatten, bekamen noch ein
Sonderlob spendiert.
Totalausfälle hatten wir keine,
Goodridge gaben wir trotzdem ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg.
"Sie flogen morgen.
Das war klar.
Aber dass wir in drei Tagen ohne sie spielen müssten – das ahnte da noch keiner von uns."Ich nahm mir eine Flasche Wasser und machte mich auf den Weg.
Es war wieder ein anstrengender Tag gewesen.
Schlaf konnte ich jetzt gut gebrauchen.
Ich war gerade ein paar Meter gelaufen, als das Handy wieder
vibrierte.
Kein Ton.
Nur ein kurzer Impuls in der Hosentasche – wie ein stilles Klopfen gegen das Gewissen.
Ich zog das Display aus der Tasche. Eine alte Erinnerung leuchtete auf.
20:00 Uhr – Nach Uncle schauenIch starrte auf die Anzeige.
Eine Stunde zu spät.
Ich hatte den Alarm wohl einfach weggedrückt, als er aufpoppte. Vielleicht in der Kabine. Vielleicht kurz vor dem Abpfiff.
Jetzt war es kurz nach neun.
Ich blieb stehen.
Die Straßenlaternen
flimmerten über dem Gehweg, die Hitze der Nacht hing wie alter Küchendunst über dem Asphalt.
Nach
Uncle schauen.
Das hatte ich mir fest vorgenommen.
Und das bedeutete: Nicht jetzt heimgehen. Nicht schlafen. Erstmal Klarheit.
Ich rief meine
Mutter an.
Sie ging nach dem zweiten Klingeln ran.
„Was gibt’s, mein Schatz? Wie habt ihr gespielt?“„N´abend, gewonnen, 3:0. Ohne Glanz, aber souverän. Nelson hat zwei gemacht, Bertie eins. „Immerhin. Solche Spiele braucht es auch mal. Herzinfarktspiele gibt’s noch genug.“Ich lächelte ein wenig.
„Stimmt.“„Und, was gibt´s sonst? Klingst irgendwie... nachdenklich.“„Du, sag mal… erinnerst du dich noch an Uncle? Unseren alten Nachbarn von nebenan.“„Na klar. Hast du ihn mal gesehen?“„Ich bin mir nicht sicher. Du hattest doch mal erzählt, dass der aus der Wohnung rausmusste.
Irgendwas mit… Demenz, nicht bezahlter Miete, oder so?“„Ja, stimmt. Das war schon vor ein paar Jahren. Er hat irgendwann niemanden mehr reingelassen, war richtig eigenbrötlerisch. Und irgendwann kam der Vermieter wohl nicht mehr an sein Geld. Da hat er ihn vor die Tür gesetzt.
Ist ein ziemliches Chaos gewesen, aber naja… so läuft das halt manchmal. Wir sind alle nicht vom alt werden befreit.“„Weißt du zufällig, was danach aus ihm wurde? Ist er irgendwo in einem Heim untergekommen oder so…?“„Keine Ahnung. Ich habe das Ganze nicht mehr verfolgt, wir hatten ja auch schon länger keinen Kontakt mehr.
Danach hab ich ihn nicht mehr gesehen. Er hatte meines Wissens nach auch keine Familie.
Keine Kinder, keine Geschwister – war immer für sich.
Warum fragst du?“„Wie gesagt, ich bin mir nicht sicher ob ich ihn neulich gesehen habe… sah zumindest aus wie er.
Mir kam der Gedanke, das ich mal nach ihm sehen sollte, schließlich hat er früher einige Zeit mit mir verbracht.“Kurzes Schweigen am anderen Ende.
„Ohje. Mann kann nicht alle retten. Pass auf dich auf wenn du dich umschaust, hörst du?“„Mach ich.“Nach den üblichen Abschiedsfloskeln beendete ich den Anruf und steckte das Handy zurück in die Tasche.
Kein Wind.
Kein Geräusch außer den Zikaden.
Die angehende Nacht stand für einen Moment still.Ich überlegte einen Moment und wurde durch ein
hupendes Auto aus meinen Gedanken gerissen.
„Scheiß Köter, pass doch auf wo du hinläufst.“ hörte ich einen Mann aus seinem Auto
fluchen.
Dann machte ich mich auf den Weg Richtung Stadt.
Der Weg war lang – oder es kam mir jedenfalls so vor.
Die Luft war
dick, die Laternen
flimmerten wie alte Fernseher und in den Pfützen spiegelte sich das rostige Orange der Nacht.
Ich lief vorbei an geschlossenen Läden, Gittertüren und halb heruntergelassenen Rollos.
Irgendwo röhrte ein Auspuff von einem Motorrad.
Hinter einer gekippten Balkontür, war eine Frau zu hören, die wahrscheinlich lauthals zur Musik im Radio
trällerte.
Auch am Bahnhof war noch etwas Leben.
Ein Bus mit
flackernder Zielanzeige wartete auf die letzten drei Passagiere, die auf einer Bank saßen, alle auf ihr Handy starrten und sich so wenig wie möglich miteinander unterhielten.
An der Unterführung lungerten ein paar Gestalten.
Einer saß auf einem umgedrehten Plastikeimer, andere auf dem Boden.
Dazwischen: Tüten, Decken, Flaschen. Der Geruch war eine Mischung aus
feuchter Pappe, Urin und
billigem Schnaps.
Langsam trat ich näher.
„Entschuldigt“, sagte ich und beinahe versagte meine Stimme.
„Ich suche jemanden. Einen älteren Mann. Weißer Bart, Anglermütze. Wird manchmal von einem kleinen Jungen geschoben – oder gefahren.“Einer der Männer hob den Kopf.
Seine Augen waren
blutunterlaufen und
Müde.
Er roch nach
Schweiß, kaltem Rauch und irgendwas
Metallischem.
„Und wenn schon.“„Ich würde gerne wissen, wo er ist.“
„Gib mir ’nen Zehner. Dann sag ich dir was du wissen willst.“„Tut mir leid“, sagte ich. „Ich hab gerade nichts dabei.“Das stimmte zwar nicht, aber der Mann machte nicht den Anschein als hätte er irgendeine Ahnung von wem ich spreche.
Für ihn wäre es leicht verdientes Geld und ich stünde trotzdem ohne Anhaltspunkt da.
„Dann verpiss dich“, knurrte er und wandte sich wieder seiner Tüte zu.
Der andere lachte
kehlig. Es klang wie eine rostige Tür, die man zu oft aufgetreten hat.
Ich drehte mich um.
Kein Grund, hier länger zu verweilen.
Die zweite Station war eine alte Lagerhalle, an deren Wand früher mal ein Werbeslogan für Rum prangte.
Jetzt war alles mit Graffiti übermalt, das nicht aussah wie Kunst, sondern eher nach
wahllosen Schmierereien.
Ein streunender Hund mit
verfilztem Fell schlich an mir vorbei,
schnupperte an meiner Hose und wedelte vergnügt mit dem Schwanz.
Als ich jedoch meine Hand zum beschnuppern senkte, sprang er mit einem großen Satz zurück und trottete weiter.
Nichts. Niemand hier.
Nur der Wind, der zwischen den Blechwänden klapperte.Ich dachte schon ans Aufgeben.
Dann fiel mir das alte Krankenhaus ein.
Es war vor Jahren
ausgebrannt.
Ein Teil des Dachs fehlte, die Fenster waren nur noch vernagelte Quadrate.
Hierhin verschlug es immer wieder Menschen die mit der Gesellschaft nichts zu tun haben wollten, oder keinen Schlafplatz hatten - oder beides.
Es lag am Stadtrand, abgeschieden genug für Leute, die sonst nirgends mehr Platz fanden.
Ich machte mich auf den Weg.
Der Asphalt wurde
löchriger, je weiter ich ging.
Palmen bogen sich über den schmalen Weg, als wollten sie etwas verbergen.
Dann – irgendwo hinter der Mauer – hörte ich ein leises Klirren.
Musik.
Stimmen.Und das typische knistern von Feuer in einer Tonne.
Ich trat näher heran.
Hinter dem halb eingestürzten Eingang, im Schatten einer Mauer, hatten sich etwa fünf oder sechs Menschen versammelt.
Eine
große, verbeulte Tonne stand in der Mitte – Flammen leckten heraus, orange und zuckend.
Daneben ein improvisiertes Lagerfeuer aus Palettenresten und alten Stühlen.
Ein Mann
schnitzte an einem Stück Holz, eine Frau mit Zöpfen zog sich die Decke über die Schultern.
Dann sah ich ihn.
Ein wenig in sich zusammengesackt sitzend auf einem Plastikhocker, ein bisschen abseits vom Feuer.
Die Anglermütze tief ins Gesicht gezogen.
Der Bart grauer als die Nacht.
Die Augen auf das Feuer gerichtet – nicht starr, aber auch nicht wach.
Der kleine Junge –
vielleicht zehn, höchstens elf – lag zusammengerollt neben einem Rucksack.
Er schlief. Der Atem hob und senkte seinen dünnen Körper wie eine kleine Welle.
Gerade als ich einen Schritt auf sie zu machen wollte, stellte sich mir jemand in den Weg.
Breit gebaut, vielleicht Mitte vierzig,
dunkle Haut, fettige Zöpfe, das Shirt ausgewaschen, aber sorgfältig gebunden.
Er roch nach
Rauch, Alkohol und hatte
Dreck oder
Ruß über das halbe Gesicht verteilt.
„Was willst du denn hier?“Seine Stimme war
tief, kratzig, gezeichnet von
Rauch und
Alkohol.
Ich hob die Hände leicht, als wollte ich gleich
beruhigend auf die Situation einwirken.
„Ich will niemandem etwas Böses. Ich suche nur jemanden"„Dann hast du ja jetzt jemanden gefunden." sagte der Mann
spöttisch.
„Jemand bestimmtes, ich glaube den alten Mann, dahinten am Feuer. Wir sind früher oft angeln gegangen.“Er musterte mich.
Lange.
Ohne Eile.Dann
spuckte er zur Seite und
schnaubte.
„Früher, ja? Das war einmal.
Jetzt lebt er hier.
Mit uns.“Ich nickte nur.
„Außerdem würde er dich gar nicht mehr erkennen, er erkennt an manchen Tagen nicht mal einen von uns.
Manchmal, nicht mal sich selbst.
Aber wir kümmern uns um ihn.
Mein Sohn hat ihn sofort ins Herz geschlossen als wir vor Jahren über ihn gestolpert sind.
Und er mag meinen Sohn.
Er lacht sogar manchmal.
Mehr kann man von einem mit Matsch im Kopf nicht erwarten.
Und jetzt kannst du dich verpissen!
Das ist hier kein Zoo.“Ich
schwieg einen Moment und ließ das Ganze erstmal Sacken.
„Sieh zu, dass du Land gewinnst, sonst...“Ich fiel ihm ins Wort und meinte:
„Ich könnte vielleicht helfen, wenn ihr was braucht. Oder schauen, ob man ihm einen Platz im Heim besorgen kann.“„Heim?“Er
lachte. Es war kein fröhliches Lachen.
„Da kriegt er Tabletten, die ihm auch noch das letzte bisschen Hirn frittieren und wird von Leuten betreut, denen das völlig Wurst ist.
Da vegetiert er dann vor sich hin.
Bis er stirbt.
Langsam.
Still.
Allein.
Hier hat er wenigstens noch uns, die sich um ihn kümmern.
Wir haben vielleicht nicht viel, aber das was wir haben, teilen wir.“Ich sah wieder zum Feuer.
Uncle hatte nicht einmal hochgeschaut.
Er starrte weiterhin in die Flammen, als würde er einen Film schauen, den niemand sonst sehen konnte.
„Verstanden“, sagte ich leise.
„Ich bring euch die Tage was vorbei.
Essen. Vielleicht ein paar Decken, Schlafsäcke und Kleidung, wenn ich welche finde.“Der Mann nickte langsam und seine anfänglich Abneigung mir gegenüber, schien sich zu lösen.
Offensichtlich gab es nicht viele, die tatsächlich nichts Schlechtes wollten.
„Wenn das keine leere Versprechungen sind, wären wir dir sicher dankbar.
Du musst mein anfängliches Misstrauen verstehen.
Viele wollen selbst uns, die kaum etwas besitzen, das letzte Hemd nehmen.
Man nennt mich Big Dave, und du bist?“„Ich?"Ich zögerte kurz.
„Ich bin jemand der sich erinnert, wo er herkommt.“Er
schnaubte.
„Na hoffentlich bist du auch jemand der sein Wort hält.“Ich lächelte schwach.
„In ein paar Tagen komme ich wieder. Versprochen.“Er nickte mir zu, ich drehte mich um und ging langsam zurück durch die Nacht.
Hinter mir
knackte das Feuer.
Und ich hörte, wie einige Stimmen zu
tuscheln begannen.
Auf dem Heimweg kreisten die Gedanken nur so durch meinen Kopf.
Was wäre wenn...was hätte sein können...
Die Zeit war nicht mehr zurückzudrehen – ich konnte nur versuchen, jetzt noch das Richtige zu tun.
Als ich Zuhause ankam, war das Licht bereits gelöscht.
Mutter schlief schon.
Mich überkam eine
tonnenschwere Müdigkeit, die mich vollständig
umklammerte.
Es dauerte keine zehn Minuten, da war ich bereits im Land der Träume angekommen.
Oder irgendwo dazwischen.
Am nächsten Morgen traten neue – ganz andere – Probleme zutage.
Nicht menschlich. Nicht emotional.
Sondern sportlich.
Eine Mail vom Verband.
Und mit ihr: der nächste
Nackenschlag.Der Verband ließ
bedauernd mitteilen, dass unser Antrag auf Spielverlegung abgelehnt wurde – mit der Begründung, dass
„die nationale Fußballstruktur nicht übermäßig durch Vereinswünsche beeinflusst werden dürfe“."Ich überlegte kurz, ob ich das Schild vorm Stadion ändern sollte:
Cayon Rockets – Verein für den strukturellen Ausgleich nationaler Fehlplanung."Wobei – der Verband konnte ja eigentlich gar nichts dafür.
Mr. Bradshaw hatte mit seinem
Geklüngel überhaupt erst dafür gesorgt, dass unsere Spieler nominiert wurden.
Und jetzt sollte die ganze Sache wieder rückgängig gemacht werden?
Zehn Minuten später stand ich mit
Jazza in unserem kleinen Büro.
Beide mit einem Pappbecher in der Hand.
Beide mit müden Blicken.
Wir schwiegen.Nach einer Weile zog ich einen Stift aus der Schublade und kritzelte ein paar Namen auf einen Zettel.
„Dann eben so.
Wir nehmen diese Jugendspieler hier.
Was anderes bleibt uns auch gar nicht übrig.“Jazza nickte, nahm den Zettel an sich – und verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort.
Die Tür fiel mit einem
Wumms ins Schloss.
Ich blieb zurück mit meinem lauwarmen Kaffee – und mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Trotz und Ratlosigkeit lag.
Viel Zeit zum Nachdenken blieb nicht.
Das Spiel gegen
Newton GB wartete.
Spieltag gegen Newton GB.Es war wieder ein Heimspiel.
Aber diesmal fühlte es sich anders an.
Die Luft war
schwül, der Himmel graublau, als könnte es gleich regnen – oder uns einfach nur schwitzen lassen.
Der Rasen war trocken, aber nicht verbrannt.
Die Linien frisch gekreidet, als wollte jemand drüber hinwegtäuschen, wie dünn wir gerade aufgestellt waren.
Es war das erste Spiel ohne die Nationalspieler.
Und das erste, bei dem man es auch im Publikum merkte.
Die Zuschauer kamen tröpfelnd.
Ein paar Mütter, ein paar Väter mit Bier – und ein paar Jungs, die mit verschränkten Armen und Cola in der Hand dastanden.
Keine Schlangen, keine Kinder mit Goody-Schildern.
Vielleicht 120 Leute insgesamt.
Es waren nur zwanzig, dreißig weniger als beim letzten Mal – aber wenn man nur 150 Zuschauer hat, dann merkt man
jede Lücke.
Weniger Trikots. Weniger Rufe.
Und vor allem: Weniger „Goody“-Hype.
„Die Gunst der Menge ist wankelmütig wie im alten Kolosseum – heute noch feiern sie dich wie einen König, schon morgen bist du nur noch Staub in der Arena.“Aber die meisten waren wieder da – und das zählt.
Vor allem in Wochen wie dieser.
Auch der
Pastetenmann hatte seinen Stand wieder aufgebaut – aber diesmal nur einen kleinen Tisch.
„Nicht so viel los heute“, sagte er.
„Letztes Mal musste ich sogar Nachschub besorgen.“Ich hatte nicht viel erwartet.
Ein bisschen
Schadensbegrenzung.
Vielleicht ein dreckiges 2:1.
Vielleicht auch ein Punkt.
Was ich bekam, war ein Spiel, das ich nie vergessen werde.Wie man sich vielleicht denken konnte, gab es bei uns keine Einlaufkinder – schließlich spielten wir im
Amateurbereich.
Deswegen marschierten die Spieler auch nicht in Zweierreihen aufgereiht, jeder mit einem Kind an der Seite, auf den Platz.
Auch in der ersten Liga suchte man sie vergeblich – vielleicht sah es in den kontinentalen Wettbewerben anders aus.
Die heutige Kabinenansprache bestand hauptsächlich aus
aufbauenden Worten und ein paar
Durchhalteparolen an die Jugendspieler gerichtet.
Einige von ihnen waren auch danach noch
sichtlich nervös.
Aufstellung:
Schließlich gab der Schiedsrichter uns ein Zeichen – alle liefen im Pulk hinaus und
pushten sich noch einmal gegenseitig.
Einige berührten zunächst den Rasen,
bekreuzigten sich und warfen den Blick gen Himmel.
Andere hielten sich die Hände vors Gesicht und
rezitierten verschiedene Suren aus dem Koran.
Wieder andere
sprangen dreimal mit demselben Bein auf, bevor sie weiterliefen und sich auf ihre Position begaben.
Jeder Spieler hatte sein eigenes Ritual, wenn es aufs Feld ging und das Spiel begann.
Ich selbst war nicht besonders abergläubisch und hatte keine feste Routine.
Meistens schaute ich auf die Uhr und stellte sie auf Stoppfunktion.
So hatte ich einen Überblick, wie lange schon gespielt wurde – und wie viel Zeit wohl nachgespielt werden musste.
Und ich hatte immer einen Grund, um den Schiedsrichter am Ende wegen zu kurzer oder zu langer Nachspielzeit zu kritisieren.
Bei dem Gedanken musste ich
schmunzeln.
Der arme Mann konnte es wirklich niemandem recht machen – egal, wie gut er war oder wie sehr er sich bemühte.
Der Schiedsrichter war immer die
ärmste Sau auf dem Spielfeld.
Es folgte die Seitenwahl.
Und dann ging es los.
Anpfiff.
Newton GB startete mit
wütendem Pressing.
Als wollten sie uns gleich zeigen, dass sie auch auswärts gegen ein dezimiertes Rockets-Team das Heft des Handelns in die Hand nehmen würden.
Wir
stolperten uns durch die ersten Minuten.
Fehlpässe. Unruhe.Dann ein langer Ball von
Duncan auf
Bertie – und plötzlich war Raum da.
Bertie kreuzte, wurde festgehalten, riss die Arme hoch und fiel
theatralisch wie ein nasser Vorhang.
Der Schiedsrichter zeigte sofort auf den Punkt.
"Ich hätte ihn nicht gegeben. Aber ich hätte auch nie gedacht, dass Bertie derart schauspielern kann."Minute 5:Goodridge nimmt sich den Ball, verzieht keine Miene – und versenkt ihn
eiskalt.
1:0."Er drehte sich nicht mal richtig zum Publikum.
Ein kurzer Blick, ein Nicken – das war alles.
Aber manchmal reicht das."
Minute 16:Bertie. Flanke von rechts, die ihn schön in Szene setzt.
Direktabnahme.
Zack, rein.
2:0.Minute 27:Ein Abpraller nach einer Ecke landet vor den Füßen von
Shade (
Newton GB).
Der trifft aus acht Metern – keine Chance für unseren Keeper.
2:1.Kurz Frust. Dann die Antwort.
Minute 30:Duncan fängt einen Ball im Mittelfeld ab, leitet ihn sofort weiter.
Bertie nimmt das Leder mit dem ersten Kontakt mit, bleibt cool – und schiebt ins lange Eck.
3:1.Minute 31:Kaum wieder angestoßen, verlieren die Gegner den Ball an
Rouse.
Der –
offenbar im Flow seines Lebens – geht drei Schritte, keiner greift an, also zieht er einfach ab.
Und trifft.
4:1.
"Evansroy Rouse, der normalerweise im Jugendteam für Furore sorgt, stand da plötzlich wie einer, der Ansprüche auf einen Platz im ersten Team anmeldete."Minute 42:Bertie kriegt den Ball auf den linken Schlappen.
Dreht sich.
Schießt.
Der Ball wird abgefälscht – und fliegt am Torwart vorbei ins Tor.
Hattrick.
5:1.Der Stadionsprecher war
heiser, das Publikum kurz davor,
Bertie zu tragen.
Ich blieb ruhig.Nur innerlich jubelte ich ausgelassen – wie ein Kind auf dem Jahrmarkt.
Pause.In der Kabine lobte ich die Jungs – und ermahnte sie, konzentriert zu bleiben.
Eine tolle Leistung – und das ganz ohne unsere Topspieler, die beim Nationalteam verweilen.
Anpfiff zur zweiten Halbzeit.Minute 55:Kimaree Barns.Kurz zuvor eingewechselt, bisher wenig Ballkontakte.
Doch dann – aus dem Nichts – ein satter Schuss von der Strafraumkante.
Drin.
Der Torwart sieht bei diesem Sonntagsschuss nicht besonders gut aus.
6:1."Das Stadion jubelte, als hätte jemand gerade verkündet, dass morgen hitzefrei ist.
Und vielleicht war es auch genau das."Minute 73:Unsere Abwehr hatte noch ein letztes Geschenk zu verteilen.
Flemming zieht einfach mal ab – flach, schnell, drin.
Unser Keeper flucht – auch er macht hierbei ebenfalls keine gute Figur.
Aber bei diesem Spielstand nimmt es ihm niemand übel.
6:2.Das war´s.
Wir schalten für die letzten fünfzehn Minuten drei Gänge zurück.
Schlusspfiff.Spielstatistik:Ein Spiel wie ein
Fiebertraum.
Improvisiert, wild – und trotzdem einigermaßen
souverän.
Vielleicht war das keine eingespielte Mannschaft.
Aber es war ein
Team.Die Ersatzbank lag sich in den Armen.
Die Jugendspieler strahlten.
Und ich stand da –
verschwitzt, verblüfft, zufrieden.„Jazza... weißt du, was das war?“„Verrückt?“„Richtig guter Fußball.“Nach dem Abpfiff klatschten wir mit dem Gegner ab.
Ein paar Worte. Ein ehrliches Nicken.
Mehr braucht’s nicht, wenn beide Seiten wissen, dass heute die bessere Mannschaft gewonnen hat.
Die Jugendspieler liefen eine Ehrenrunde, lachten, schubsten sich.
Einer ließ sich von zwei anderen auf den Schultern tragen – als wäre das hier ein Pokalfinale und nicht bloß Spieltag drei.
Ein paar Väter filmten stolz vom Zaun aus.
Einer brüllte so laut, dass es bis zum im Mittelkreis hallte:
„Das ist mein Junge! SEHT IHR!? DAS IST MEIN JUNGE!!“Die Schlagzeilen nach dem Spiel:


Später am Abend, irgendwo zwischen Sonnenuntergang und Leberkloß-im-Plastikbecher:
Die Nationalspieler hatten sich gemeldet.
Mervin Lewis hatte getroffen – erstes Tor im ersten Spiel, ausgerechnet gegen das deutlich überlegene
Costa Rica.
Nelson stand in der Startelf, blieb aber
unauffällig.Simmonds war eingewechselt worden.
Die anderen saßen auf der Bank und hatten laut eigener Aussage
„viel gelernt“.
Ich las die Nachricht von
Lewis dreimal.
Dann tippte ich zurück:
„Glückwunsch.
Du hast dir das Trikot verdient.
Und du weißt, wo dein Platz ist – wenn du zurückkommst.“Ich meinte das sportlich.
Und menschlich.

Denn während die halbe Mannschaft auf Reisen war, hatte der Rest sich mehr als nur gut verkauft.
Mit einem gut aufgelegtem
Carlos Bertie, der nicht einfach nur Tore schoss, sondern es allen zeigen wollte.
Er hätte zur Nationalmannschaft fahren sollen.
Nicht
Nelson.
Denn die Nummer Eins hieß nicht
Vinceroy Nelson.
Sondern
Carlos Bertie.
Und dann, fast beiläufig, beim Durchscrollen durch die Kaderstatistik...Ich stutzte.
Scrollte zurück.
Starrte auf die Zeilen und rieb mir die Augen.
Tyquan Terrell.Salas Cannonier.Beide im Nationaltrikot.
Beide eingesetzt.
Cannonier sogar in der Startelf.
Die gleichen beiden Spieler, die
Bradshaw vor ein paar Wochen noch mit einem trockenen
„Packt eure Sachen, euer Ego und verschwindet“ aus dem Team geworfen hatte.
"Und jetzt tauchten sie plötzlich hier auf – sauber aufgelistet, mit Einsatzminuten und Positionsangabe.
Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt."Ich scrollte nochmal.
Kein Fehler.
Kein Scherz.
Zwei Namen, die eigentlich schon vom Hof gejagt waren –
und jetzt plötzlich mit Flagge auf der Brust spielten.
„Sag mal… haben die etwa auch ihre Kontakte spielen lassen?“Ich hörte
Bradshaws Stimme regelrecht in meinem Kopf.
„Das kann doch nicht wahr sein. Die? Nationalmannschaft? Was kommt als Nächstes – Cannonier Kapitän?“Ich
schmunzelte.
Die Vorstellung, dass auch diese beiden irgendwie einen Fuß in die Tür bekommen hatten, war gleichermaßen
absurd wie
folgerichtig.
"Vielleicht hatten sie irgendwen, der irgendwen kannte.
Vielleicht war gerade jemand ausgefallen.
Oder vielleicht – und das war das
Beunruhigendste – hatte der Verband einfach
gar keine besseren
Alternativen."
Spielstatistiken:Zwei Tage späterDie Euphorie im Umfeld war nach dem kurzen Knick wieder ein wenig entfacht worden.
Ich versuchte mir darüber nicht allzu viele Gedanken zu machen, um nicht gleich wieder vom einen ins andere Extrem zu kippen.
Gerade war ich dabei, die Trainingspläne für nächste Woche zu überfliegen und einige Daten auszuwerten.
Das leise
"Piep-Geräusch" kündigte eine neue E-Mail an.
Es war eine kurze Mitteilung von unserem Physiotherapeuten.
Betreff: „Morgan Prendergast – MRT-Ergebnis“.Stimmt, da war doch noch was.
Vor meinem inneren Auge tauchten die Bilder aus dem letzten Training auf:
Ein schön einstudierter Spielzug.
Der Torwart hatte beim Abstoß den Ball auf den Flügel gespielt, wo
Prendergast ziemlich frei war.
Er nahm den Ball etwas ungenau an und er prallte ein paar Meter zur Seite.
Trotzdem war
Prendergast wieder zuerst am Ball, doch der größere der
Barns-Brüder grätschte ihn von der Seite um.
Der Gefoulte fiel in hohem Bogen direkt auf den oberen Rücken, die Beine in die Luft gestreckt.
Ein kurzes Aufstöhnen.
Dann das abgehackte Atmen.Morgan lag auf dem Rasen, hielt sich die Schulter.
Der Physio kam angerannt, winkte sofort – kein Kältespray, keine Eispack-Routine.
Krankenhaus. Direkt.
Die anderen Spieler rannten auf
Barns zu und es gab eine kleine
Rangelei - nichts wirklich Wildes, aber trotzdem
unschön.
Der Physiotherapeut brachte
Prendergast dann selbst ins Krankenhaus, das Training wurde fortgesetzt.
Seitdem hatte ich nichts mehr gehört.
Ich klickte sie an, überflog die ersten Zeilen – und sank tiefer in den Stuhl.
Schulterverrenkung.Nicht das Ende der Welt, dachte ich.
Aber trotzdem eine Schwächung für das Team.
"
Prendergast war nicht unser Heilsbringer, aber er war jung, mutig, schnell.
Einer, der sich reingeworfen hat – und manchmal reicht das schon, um wertvoll zu sein.
Vor allem, wenn vorne drin die Auswahl ohnehin begrenzt ist."
Als ich weiterlas und bei der Ausfallzeit ankam, dachte ich zunächst an einen
Scherz.
Drei bis fünf Monate Pause.Die Ärzte sagten, es sei
unwahrscheinlich.
Aber es gäbe eine minimale Chance, dass die Verletzung nie mehr ganz stabil werde.
Dass er nie wieder richtig durchziehen könne.
Dass der hübsche Junge mit lediglich 70 Einsatzminuten schon am
Karriereende sein könnte.

Eine ganze Weile starrte ich auf den Bildschirm, lehnte mich dann zurück und murmelte leise:
„Scheiße.“Das war alles, was ich sagte.
Und alles, was mir einfiel.Für ihn war es natürlich
äußerst bitter… ein Absturz nach einem großen Moment.
Hatte er doch im letzten Spiel durchaus zu überzeugen gewusst und sich in die Rotation gearbeitet.
Die Ausfallzeit war doch deutlich länger als ich ursprünglich gedacht hatte.
Trotzdem war ich mir sicher, wir würden es kompensieren können - vorausgesetzt es folgten keine weiteren Hiobsbotschaften.
Jetzt blieben lediglich
Nelson und
Bertie.
Und zwei Jungs aus der Jugend, die zwar Fußballschuhe trugen – aber mit dem Ball bislang eher wenig anzufangen wussten.
Dann müssten die Erstgenannten eben auf die Zähne beißen – oder wir an unserer Ausdauer arbeiten.
Die Sonne senkte sich langsam über den Hügeln und die letzten Sonnenstrahlen spiegelten sich orange im Fenster.
Es war keine Zeit für Selbstmitleid.
Wir hatten eine Pokalpartie zu spielen – und die Aufstellung fand sich nicht von allein.