Kapitel 1.3 – SaisonauftaktBereits am frühen Morgen lag ein seltsames Knistern in der Luft.
Nicht das Knistern eines Gewitters – das war ja schon fast Routine – sondern ein unruhiges, elektrisches Flirren, das sich durch die Mannschaft zog.
So eine Art kollektives Magengrummeln mit Adrenalinbeilage.
Die Jungs trafen sich wie gewohnt vor dem Stadion.
Die Sonne stand schon hoch, ließ den Asphalt glitzern wie eine Fritteuse im Einsatz.
Ein paar Mütter hatten kleine Lunchpakete mitgebracht. Ein Vater stand mit Sonnenhut und Fernglas daneben, als wollte er auf Safari gehen.
Diesmal keine Flipflops, keine Chips, keine Hawaiihemden. Bisher hatten sie sich immer daran gehalten.
Ein paar waren etwas
müde, manche
nervös – aber alle waren
fokussiert.
Kezandre Buchanan kam als Letzter an – aber ausnahmsweise mit gutem Grund.
Er hatte seinen kleinen Bruder zur Schule bringen müssen, weil seine Mutter krank war. Als er das erzählte, wurde es still. Niemand sagte etwas. Aber man sah in den Augen der anderen: Es war okay.
Der Bus war
pünktlich. Kein Luxusreisebus, sondern eher ein
knatternder, überholungsbedürftiger Inseltransporter mit
durchgesessenen Sitzen und einem Lenkrad, das verdächtig
klapperte.
Darin: 18
motivierte Spieler, ein kleines Trainerteam, zwei Kisten Wasser, ein Medizinkoffer – und ein Sack voller Fußballbälle, die
Jazza eigenhändig eingepackt hatte.
Die Fahrt dauerte knapp zwanzig Minuten, führte vorbei an Zuckerrohrfeldern, alten Plantagenhäusern, und einem Hahn, der mitten auf der Straße stand und sich nicht bewegte, als der Bus hupte.
„Vielleicht spielt er bei Hardtimes in der Innenverteidigung“, murmelte jemand – und alle
lachten. Nervös, aber gelöst.
Hardtimes hatte kein richtiges Stadion.
Es gab einen Platz, ein paar wellige Tribünenteile aus Beton, zwei provisorische Tore mit ausgefransten Netzen und eine Anzeigetafel, die vermutlich zuletzt bei einem Kricketspiel 1987 im Einsatz war.
Aber das störte niemanden.
Wir wussten: Wenn wir aufsteigen wollten, mussten wir hier genauso gewinnen wie überall sonst.
Draußen schien die Sonne
gnadenlos, der Rasen war gelblich und krumm wie ein zu kurz gebügeltes Hemd.
Morimoto prüfte die Linien mit dem Blick eines Geologen,
Wallace dehnte sich mit einer Mischung aus
Eitelkeit und
Unbeweglichkeit, und
Duncan trat ein paar Mal entschlossen in den Boden.
Der Staff saß im Schatten,
schwieg und
schwitzte.
Ich wartete, bis sie alle zurück waren, beorderte sie in die Kabine und stellte mich dann in die Mitte.
Die Kabine war eher ein
feuchter Abstellraum mit Holzbänken als eine richtige Umkleide.
Der Ventilator
quietschte über mir, als wolle er mir ins Wort fallen.
Ich sah zunächst in die Gesichter der Spieler – und sagte
ruhig:
„Das ist euer Tag, ein neuer Start, ein neues Kapitel.
Ihr wisst, was ihr könnt. Ihr wisst, wer ihr seid. Und ihr wisst, was ihr tun müsst.“Ein paar Blicke trafen mich. Ein Nicken von Mervin.
Der Moment war da.
„Jungs. Wir sind die haushohen Favoriten. Das hier sind bestenfalls Hobbykicker.
Wir können uns heute nur selbst schlagen.
Also geht raus, spielt Fußball – und der Rest kommt von allein.
Engagiert, fokussiert, diszipliniert.
Nicht überheblich.
Nicht arrogant.
Dann werden wir hier heute den Grundstein für eine erfolgreiche Saison legen.
Eine erfolgreiche Zukunft.
Für den Verein, für euch selbst und für das Team.
Dann werden die Rockets wieder zu neuen Sphären aufbrechen!
Hier und heute.
Jetzt.
Wer sind wir?"Kurzes Nicken. Dann standen einige auf.
"Die Rockets" – war
leise von ein paar Spielern zu hören.
„Wer sind wir?“ rief ich nun
deutlich lauter.
"Rockets" – kam es nun auch deutlich lauter von fast allen zurückgerufen.
„Und was sind wir?“ "Ein Team." „Was sind wir?“ schrie ich.
"Ein Team." dröhnte es zurück.
„WAS SIND WIR?“"EIN TEAM!"Auch die letzten sprangen auf,
klatschten, johlten und machten sich auf den Weg auf den Platz.
Sie wussten, was zu tun war.
Und sie waren bereit.
Das SpielDie ersten Minuten waren noch
zögerlich – ein
vorsichtiges Abtasten.Doch nach sechs Minuten schossen wir bereits das erste Mal nach einer schönen Kombination aufs Tor.
Kurz darauf, in der
9. Minute, knallte Mervin Lewis den Ball aus knapp 20 Metern unter die Latte –
1:0.Ein Traumstart. Die Bank sprang auf – ich blieb sitzen und ballte nur die Faust.
Wir waren drin, die Jungs waren heiß.
Dann ging es Schlag auf Schlag:
14. Minute: Carlos Bertie macht das
2:0 nach schöner Vorarbeit von
Wallace.
20. Minute: Simmonds läuft durch die halbe Abwehr –
3:0.33. Minute: Bertie erneut, dieses Mal nach einer Ecke –
4:0.
37. Minute: Goodridge! Der 53-Jährige mit einem satten Flachschuss –
5:0.
40. Minute: Wieder
Bertie. Sein drittes Tor.
6:0.Ein
Hattrick in der ersten Halbzeit. Und der Gegner war komplett überfordert.
Kurz vor dem Pausenpfiff dann aus dem Nichts:
42. Minute: Ein Konter von
Hardtimes, ein Pass, ein Schuss – und tatsächlich das
6:1Adolphus Jones war wohl wieder mal kurz eingenickt. Oder in Gedanken schon beim Pausentee.
Das scheint allmählich zur
Gewohnheit zu werden – ich werde die Tage wohl mal mit ihm sprechen müssen.
In der KabineDie Stimmung? Gelöst.
Ich trat in die Mitte, sah sie alle an – v
erschwitzt, breit grinsend, aber
fokussiert.
„Das war stark. Genau so wollen wir das sehen.
Ich will, dass ihr rausgeht und genauso konzentriert weiterspielt wie bisher.
Lasst euch jetzt nicht auf irgendeinen Blödsinn ein.
Haltet den Druck hoch, aber geht nicht mehr mit vollem Risiko rein.
Das Spiel haben wir jetzt eh im Sack – und wir wollen Verletzungen vermeiden.“Sie
klatschten. Sie waren
stolz.
Und ich war es auch.
Zweite HalbzeitEs war spürbar: Wir ließen etwas nach.
Trotzdem verwalteten die Jungs das Ergebnis ziemlich abgeklärt.
Das Spiel war entschieden – und man merkte es.
Doch dann kam noch etwas Bewegung in die
Schlussviertelstunde:
75. Minute: Wieder
Goodridge. Sein zweites Tor des Tages. Der Wahnsinn.
7:1.78. Minute: Jayan Duncan trifft nach Solo zum
8:1.Danach passierte nicht mehr viel.
Abpfiff.
Ein dominanter Sieg.
8:1.Auswärts.27 Torschüsse. Ein xG-Wert von
3,34 – der gegnerische Torhüter hatte wohl nicht seinen besten Tag, und ich
schmunzelte.Hardtimes mit drei Schüssen – einer aufs Tor.
Der
Ehrentreffer.Statistik:Ein paar mitgereiste Fans – vielleicht zehn – jubelten lautstark, als wir sie abklatschten.
Dann hieß es sich schnell umzuziehen – der Bus war nur noch eine Stunde gemietet.
Alle stiegen rechtzeitig geduscht in die alte Rostlaube, und wir setzten uns Richtung Zuhause in Bewegung.
Musik an.
Party hard.Zu Dancehall und Hip-Hop wippte sogar Gregory im Takt mit dem Fuß – und das will was heißen.
RückkehrWir kamen am Stadion an. Die Sonne war schon untergegangen.
Die meisten Jungs wurden abgeholt und verteilten sich.
Nach Hause,
ausruhen, schlafen.
Ich blieb noch einen Moment auf dem Vorplatz stehen.
Zog eine Zigarette aus der Schachtel, lehnte mich an die Wand und sah in den dunklen Himmel.
Ein Anfang, wie man ihn sich nicht besser wünschen konnte.
Aber es war nur das. Ein Anfang.
Und noch war der Weg weit.Bereits am Abend hatten die ersten Sportzeitungen und Onlineportale ihre Artikel veröffentlicht. Rekorde? Rekorde!Gregory Goodridge,
53 Jahre und
251 Tage jung, wurde nicht nur
ältester Spieler der Vereinsgeschichte –
sondern auch
ältester Torschütze aller Zeiten in der Primera División.
Mit einem
Doppelpack.Und einer
Top-BewertungLegende. Punkt.

Solche Dinge liebten die Redakteure und deswegen titelten verschiedenste Experten in ähnlichen Schlagzeilen:
-
GGG - fifty three
Greggy G. the GOAT to be!-
Die Story von Gregory G. ist die von einem guten Wein - mit dem Alter wird er immer besser.-
Goodridge, bloody Good
Wie ein 53 Jähriger die Liga auseinander nehmen wird.
Was / Wer hat zwei Daumen, ein Auge, grinst blöd und glaubt das Gregory Goodridge "Player of the Season" wird?Auch gab es bereits die ersten:Stimmen zum Spiel:„Wenn ich das gewusst hätte, hätt ich schon vor 10 Jahren auf Oldtimer gesetzt.“–
Earl Thomas,
leidenschaftlicher Tipico-Spieler, beim Anblick von Goodridges Tor zum 7:1.„Die sollten lieber nicht Mann-gegen-Mann verteidigen. Am besten drei Mann auf den Greis.“–
Sylvester Hasselborough,
Besitzer der Fanbar von Hardtimes Utd – bei seiner dritten Frust-Rum-Cola.
„Endlich haben wir mal wieder jemanden, der weiß, wie man Fußball spielt.“–
Tim Valentine,
jahrzehntelanger Fan der Cayon Rockets.
Ich schlief diese Nacht wie ein Baby, so könnte es gerne die nächste Zeit weiter gehen.
Zum ersten Mal seid ich die Stelle angetreten hatte, verspürte ich keine Argusaugen auf mir.
Doch schon beim Aufwachen am nächsten Morgen, lief es mir
eiskalt den Rücken hinunter.
War es eine
Vorahnung?Keine fünf Minuten später klingelte nämlich das Telefon – und
Mr. Bradshaw bestellte mich
fröhlich-aufgeregt in sein Büro.
Eigentlich war heute doch
Trainingsfrei, ich hatte mich schon so auf einen schönen Tag am Strand gefreut.
Der Regen, der noch vor kurzem wie ein
nörgelnder Dauergast über den Dächern gehangen hatte, verzog sich wie ein
schlechter Verlierer – und machte Platz für Sonne, Salzluft und das Gefühl, dass gerade etwas Besonderes begann.
Nach dem formidablen Saisonauftakt, bei dem der Gegner mit
8:1 förmlich überrollt worden war, lag ein breites Lächeln über dem gesamten Ort. Nicht nur die Mannschaft wirkte gelöst –
auch im Umfeld des Vereins breitete sich eine Euphorie aus, wie man sie hier schon lange nicht mehr gespürt hatte.
Man sprach wieder über die Rockets.
Man lachte wieder.
Man träumte sogar ein bisschen.
Und natürlich sprach man über
Gregory Goodridge.
Auch wenn das alles
völlig verfrüht war – für das Team war es eine tolle Sache.
Aktuell sprach niemand über die kleinen Fehlerchen, die noch immer in unserem Spiel steckten.
Keiner baute Druck auf einen der anderen Spieler auf.
Keine Lupe war auf die Jugendspieler gerichtet und beobachtete jeden ihrer Schritte.
Ich selbst war ebenso kaum noch Thema, obwohl es vorher noch einige kritische Stimmen gegeben hatte.
Und das Beste war:
Keinen interessierte mehr, welche Fehltritte
Mervin sich in der letzten Woche geleistet hatte.
Alles wie vom Erdboden verschluckt – alles drehte sich nur noch um unseren
Rentner im Spielerpelz.
Der
53-jährige Flügelspieler, war über Nacht zum
lokalen Mythos geworden.
Auf den Straßen wurde sein Name mit einer Mischung aus
Ehrfurcht und
ungläubigem Grinsen ausgesprochen.
Mütter erzählten beim Abendessen, dass sie früher mal in denselben Supermarkt wie er gingen – auch wenn er nie zuvor auf der Insel gewesen war.
Jugendliche diskutierten im Bus, ob man ihn in FIFA modden könne.
In den Bars wurde mit jeder Runde Rum ein weiteres Jahr zu
Goodridges Alter dazugedichtet –
am Ende war er gefühlt älter als
Methusalem, aber mit schnelleren Haken als
Vinícius Júnior.
In der örtlichen Radiosendung
"Morning Islad Vibesn" diskutierten die Moderatoren
hitzig darüber, ob man ihm nicht einen eigenen Feiertag widmen sollte.
Im Fernsehen lief ein kurzer Beitrag mit
Archivmaterial aus seiner aktiven Zeit bei
Bristol City – die Fans dort schienen nicht minder überrascht, dass er überhaupt noch lebte, geschweige denn Tore schoss.
Ein alter
Fischverkäufer, der direkt am Hafen seine Ware anpries und dessen Fisch der beliebteste der Insel war, gab jedem seiner Kunden den gleichen Spruch mit auf den Weg:
„Greggy hat den Jungens Beine gemacht! Vielleicht sollte er auch mal Ministerpräsident werden!“In den Cafés, zwischen
dampfenden Kaffeebechern und halbvollen Tellerchen mit gebratenen Bananen, wurden Artikel gelesen, Interviews geschaut – sogar eine
Karikatur tauchte in der Inselzeitung auf:
Goodridge mit Gehstock, der drei Verteidigern den Ball durch die Beine schob.
Bradshaw hörte all das mit spitzem Ohr – und es gefiel ihm.
Sein Plan war aufgegangen:
Aufmerksamkeit. Presse. Gute Laune.Der Name
Cayon Rockets war wieder im Umlauf –
nicht als
Punktelieferant wie letzte Saison, sondern als
ernsthafter Gesprächsstoff.
Wenn es ein bisschen
Hype generierte, dann sollte der Rentner ruhig dafür herhalten.
Und wie es sich für einen Geschäftsmann alter Schule gehörte, war
Bradshaw schon zwei Schritte weiter.
Er telefonierte. Viel.
Mit alten Kontakten, mit halb vergessenen Cousins dritten Grades, mit einem
„Kollegen aus Basseterre“, der angeblich in der Werbebranche tätig war – und der später tatsächlich im Büro des Vereins stand.
Sein Name war
Tino Parry. Er war irgendetwas zwischen
PR-Berater, Marketing-Heini und wandelnden
Instagram-Zitaten.
Hemdsärmel hochgekrempelt, Gelfrisur, Sonnenbrille im Kragen – und das Hemd natürlich bis zum dritten Knopf offen.
Seine Zähne waren so weiß, dass man fast einen Sonnenstich bekam, wenn er grinste.
Und er grinste oft.
Dauernd eigentlich.Vielleicht konnte er auch gar nicht anders – vielleicht war sein Gesicht durch das viele Botox
eingefroren, wie das vieler Hollywoodstars.
Außerdem roch man ihn schon aus hundert Metern Entfernung: Seine Klamotten hatte er scheinbar in Parfüm eingelegt.
Das erste, was er sagte, nachdem er mit einem überraschend zarten
„Hallöchen“ durch die Tür getreten ist, war:
„Also… ich spür’s.
Here is die Energy. Hier ist Magie.
Fühlt ihr das auch?
Ich sag nur: Marke. Momentum.
...und Moneten!“ setzte er noch
schmunzelnd nach.
Seine Stimme klang wie die eines
warmen Bruders mit verstopfter Nase.
Ich wollte gerade noch
„Magenverstimmung“ ergänzen, entschied mich aber lieber, einfach nichts zu sagen.
Wir saßen zu viert im Besprechungsraum:
Bradshaw,
Parry,
ich – und ein stummer
Praktikant mit Tablet, der aussah, als wäre er nur dabei, um seinem Chef in allem, was er sagte, zuzustimmen und ihm bis zu den Mandeln
in den Hintern zu kriechen.
Er klebte an
Parrys Lippen und tippte jedes seiner Worte,
feinsäuberlich in das Tablet – was wir anderen zu sagen hatten, interessierte ihn nicht die Bohne.
Parry startete seine
ausschweifende Präsentation mit einem
zwanzigminütigen Monolog, in dem er vor allem sich selbst
beweihräucherte und seine Vorzüge gegenüber der Konkurrenz betonte.
Warum es für uns von Vorteil sein sollte, dass er
Veganer ist und regelmäßig zur
Maniküre geht, verstand ich allerdings nicht.
Es folgte eine ebenso lange
PowerPoint-Show, die zu Beginn hauptsächlich aus Bildern von
ihm selbst bestand:
Parry auf einem Boot,
Parry beim Golf,
Parry vor einem Sportwagen,
Parry beim Mittagessen mit seinen Klienten oder auch
Parry, der
nachdenklich in die Kamera schaute.
An
Selbstbewusstsein – oder
Extravertiertheit (ich habe das Wort extra nochmal nachgeschlagen, weil ich dachte, es heißt
Extrovertivität 
) – mangelte es ihm jedenfalls nicht.
Wann endlich etwas
Interessantes kommen sollte, ließ sich schwer sagen.
Als er schließlich zum Punkt kam, hatte ich bereits
drei Tassen Kaffee getrunken und war gerade von der
fünften Zigarettenpause zurückgekehrt, die ich als
Toilettengang getarnt hatte.
Auf dem ersten Slide zum eigentlichen Thema prangte in fetten Lettern:
„GOODRIDGE – VOM SPIELFELD IN DIE HERZEN“Dahinter: ein Sonnenuntergang.
Und der Schatten eines jubelnden Mannes mit der Rückennummer
7.
Parry deutete mit seinem Zeigefinger auf die Wand – ein bisschen wie ein
Illusionist, der gleich ein Kaninchen aus dem Hut zaubern würde.
„This is Gold“, sagte er.
„Und wenn we do it right, wird aus diesem Mann ein Markenbotschafter.“Dann klickte er zur nächsten Folie.
Und jetzt wurde es
wild:
Zu sehen waren mehrere
durchtrainierte Männer am Strand, die alle dasselbe
T-Shirt in verschiedenen Farben trugen.
T-Shirts mit
„GOODYWOOD“ statt
Hollywood-Schriftzug.Sie posierten
aufreizend in verschiedenen Posen und es wurden diverse
Fairtrade- und „100% Handmade“-Logos eingeblendet.
Parry war sichtlich
stolz auf seine Idee.
Er hob bedeutungsvoll den Finger und verkündete,
Kleidung sei der Spiegel der Seele – ganz gleich ob bei Teenagern, Silver Foxes oder „freigeistigen Mittvierzigern mit Visionen“.
Mode sei mehr als nur Stoff. Sie sei
Statement, Haltung und Lifestyle – alles in einem.
„Energie, Identität, Attitude.
Für jeden Vibe.
For all generations, baby!“Ich wartete nur noch auf das
„Yolo“ am Ende, aber es kam nicht mehr.
Die großen Fußballstars dieser Welt würden alleine mit ihren Klamotten mehr verdienen als mit dem, was sie vom Verein an Gehalt bekämen,
schwafelte er weiter.
Das solche Fußballer
weltweit bekannt waren – und nicht nur auf
einer Insel in der Karibik – versuchte ich ihm klarzumachen.
Doch ich stieß auf taube Ohren.
Wenn wir dazu einen viralen Clip generierten, würde das schneller durch die Decke gehen, als wir gucken könnten, versicherte
Parry.
Und dafür brauche man nur die richtige Musik.
Kurzerhand holte er zwei Lautsprecher aus seinen Taschen und stöpselte sie an seinen Laptop.
Als er es endlich geschafft hatte, die Technik zum Laufen zu bringen, spielte er zunächst das falsche Lied ab.
„Baby“ von
Justin Bieber dröhnte viel zu laut aus den Boxen.
„Upsii, das ist wohl die wrong Playlist. Sorry“Er entschuldigte sich, bekam ganz rote Backen – und suchte
hektisch nach dem richtigen Track.
Danach spielte er einen
Dancehall-Reggae-Mix ab, der sich problemlos unter den üblichen Sommerhits hätte einreihen können.
Parry hatte auch schon eine Idee für den Markennamen – und für ein Musikvideo, um noch mehr Reichweite zu erzielen.
Titel der Marke:
„Fifty-Three & Free“Eingängig, cool und perfekt auf den „Star“ abgestimmt. Besser ginge es doch gar nicht, meinte
Parry, und sah erwartungsvoll in die Runde, in der Hoffnung, anerkennenden Zuspruch oder zumindest ein Nicken zu ernten.
Ich hatte nicht vor irgendeine Art von Reaktion zu zeigen -
übergeben konnte ich mich hier wohl auch schlecht.
Als ich zu
Bradshaw hinüber sah, war der jedoch völlig aus dem Häuschen und
freute sich wie ein kleines Kind.
Das kann doch nicht wahr sein.
Das war der einzige Gedanke, der mir dazu in den Sinn kam.Zum Schluss kam – laut
Parry – das offizielle
Highlight des Vortrags.
Was sei aktuell im Trend, könne sich jeder leisten und werde von Jung und Alt konsumiert?
Softdrinks und Limonaden!Auch hier sah
Parry sich im Besitz einer
Jahrhundert-Idee:Die Goodridge-Limonade:
„Goodie Juice“Ich sagte nichts.
Mir fehlten die Worte.Langsam lehnte ich mich zurück, hielt mir beide Hände vors Gesicht –
und hoffte, dass ein
spontanes Erdbeben mich verschluckt.
Mr. Bradshaw bemerkte in seinem Enthusiasmus gar nichts.
Er stand auf und schüttelte
Parry überschwänglich die Hand.
„Ich denke, da ist was Großes drin“, sagte er.
„Die Leute lieben den Kerl. Wenn wir den jetzt groß rausbringen – dann kommen die Sponsoren von ganz allein.“
Ich wandte mich an
Parry.„Sie wissen schon, dass er… also… 53 ist?“Tino lachte. Dann hielt er sich die Brust, als hätte ich ihm gerade den besten Witz des Jahrzehnts erzählt.
„Gerade deshalb! Der Mann ist Inspiration pur. Der lebt Träume! "Dream Big"! Sie wissen schon… Age is just a number.
Und Greggy ist ein hot Guy.“Dabei machte er eine Bewegung mit dem Finger in meine Richtung, tat so, als würde er ein Streichholz an mir anzünden – und
pustete dann die imaginäre Flamme aus.
Ich überlegte kurz, ob ich ihn nicht einfach aus dem Fenster werfen konnte.
Doch das würde
Bradshaw mir wohl übel nehmen.
Und vermutlich auch der
braunhalsige Kotnascher von
Assistent.
Ich riss mich zusammen.
Langsam wurde mir klar, dass sich hier ein kleiner Sturm zusammenbraute – nicht auf dem Platz, sondern daneben.
Und
Goodridge?
Der saß währenddessen
seelenruhig im Fitnessraum, stemmte Gewichte wie ein junger Gott – und beschloss für die nächsten Tage, nicht mehr auf sein Handy zu schauen.
Ich hingegen beschloss, mir einen Grund auszudenken, warum ich dringend nach Hause musste.
Diesen Zirkus konnte ich mir nicht weiter angucken und auch um den Kopf wieder freizubekommen.
Es war später Nachmittag, als ich endlich daheim war.
Die Sonne stand schon schräg über dem Wasser und schickte ihre letzten, goldenen Strahlen über das Dach der Nachbarhütte.
Die Blätter der Kokospalmen warfen
zitternde Schatten auf meine Veranda.
Irgendwo
klopfte eine Amsel gegen eine halbleere Coladose.
Ein Tag wie jeder andere – und doch nicht.
Ich hatte mir einen Kaffee aufgesetzt.
Vier Löffel Zucker, ein Schuss Kondensmilch, langsam gerührt. Wie immer.
Daneben: die letzte Zigarette aus der Packung. Krumm, mit einem kleinen Knick in der Mitte.
Auch irgendwie sinnbildlich für meine derzeitige Stimmung.
Ich ließ mich auf den durchgesessenen Plastikstuhl fallen, schob die Füße auf das Geländer, das eigentlich mal gestrichen werden müsste –
und tat erstmal:
gar nichts.Kein
selbstherrlicher PR-Berater.
Kein leicht zu überzeugender
Bradshaw mit Dollarzeichen in den Augen.
Nur ich, mein Becher, meine Kippe –
und ein leises Brummen in der Luft, irgendwo zwischen
Hitzeflimmern und
Nervenflattern.
Das Handy
vibrierte. Eine Nachricht von meiner Mutter.
„Essen steht im Kühlschrank, bin heute Abend aus.“Ich musste
schmunzeln und lehnte mich zurück.
Offensichtlich wirkten die
Rentnernews auch auf sie – und wenn einer in diesem Alter noch Fußball spielen kann, dann kann sie auch noch ausgehen.
„Danke. Viel Spaß und treib es nicht zu wild
“schrieb ich zurück.
Ich blieb noch eine Weile lang sitzen und ließ die Gedanken ein wenig schweifen.
Unser nächstes Spiel stand an – und darüber sollte ich mir Gedanken machen, nicht über all den anderen Unsinn.
Den Rest des Kaffeebechers leerte ich in einem Zug, die längst ausgegangene Zigarette zerdrückte ich im Deckel des Aschenbechers.
Dann stand ich auf und streckte mich.
Der Wind hatte gedreht.
Es roch nach Rasen.
Nach Flutlicht.
Nach Fußball.