Laut Kicker ist jetzt wohl auch Favre bei den Bayern im Gespräch. Nach acht Jahren, in denen man den fast ununterbrochen jederzeit hätte holen können, kommt man jetzt plötzlich damit um die Ecke. Es gab Zeiten, da wäre ich vor Euphorie aus dem Häuschen gewesen ob dieser Nachricht. Jetzt ist Favre 66 Jahre alt (ich weiß, ich weiß, da fängt das Leben an), wurde vom BVB verbrannt und ist, obwohl ich immer noch extrem viel von ihm halte, in der Außenwirkung kein absoluter Toptrainer für einen Verein wie Bayern München mehr. Mir persönlich zwar immer noch lieber als die Namen Zidane, de Zerbi oder so abenteuerliche Nennungen wie Hansi Flick, aber irgendwie bliebe so ein Nachgeschmack. Man hätte Favre haben können, wenn man ihn wirklich gewollt hätte. Die Ancelottis und Kovacs waren für die Verantwortlichen attraktiver. Jetzt ist Eberl am Ruder und auf einmal soll der Draht zu Favre ganz heiß sein? Wenn Hoeneß und Rummenigge damals nicht von Favre überzeugt waren, werden sie es nicht jetzt auf einmal sein. Nachdem der eigentlich medienaffine Nagelsmann und der nicht ganz so medienaffine, aber Charakterkopf Tuchel der Presse von Vereinsseite drei Jahre lang zum Fraß vorgeworfen wurden, soll auf einmal der ruhige, sachliche Favre mehr Rückendeckung erhalten? Das will ich wirklich sehr hoffen, nur mag ich im Moment nicht so recht daran glauben.
Ein anderes Problem ist das Alter: selbst wenn alles funktioniert, perfekt ineinander greift und man nichts an Favres Arbeit zu beanstanden hätte, sucht man nach spätestens fünf Jahren einen neuen Trainer. Wahrscheinlicher sind drei.
Versteht mich nicht falsch, Favre ist von den mittlerweile verfügbaren in meinen Augen immer noch die beste Alternative, ich versuche nur aufzuzeigen, warum auch das nicht funktionieren wird. Es ist im Grunde egal, wer den Posten jetzt übernimmt, er ist nicht Kandidat Nr. 1 (Alonso), auch nicht Kandidat Nr. 2 (Hoeneß) oder gar Nr. 3 (Nagelsmann), sondern irgendeiner aus der Kohorte "ebenfalls interessant". Einen totalen No-Brainer, von dem das Gros der Öffentlichkeit überzeugt sein wird, wird man nirgendwo hervorzaubern, außer Pep wirft plötzlich bei City hin, weil ihm einfällt, dass er die Champions League bislang überall außer in München gewonnen hat. Und genau dieser Kandidat, der nicht die Wunschlösung war, daher von Anfang an nicht unumstritten, wird sich in einem Jahr in der Situation wiederfinden, dass Alonso, Hoeneß und der bislang noch gar nicht erwähnte Jürgen Klopp mutmaßlich verfügbar(er) sein werden als aktuell. Wenn der neue Coach zu dem Zeitpunkt die Tabelle nicht mit einer Fantastilliarde Punkten Vorsprung vor Leverkusen dem Zweitplatzierten anführt und in der Champions League und im Pokal auf Titelkurs liegt, kommt erneut dieselbe Unruhe rein wie damals bei der Nagelsmann/Tuchel-Entscheidung. Die Nachwirkungen dieses Geistesblitzes baden wir heute immer noch aus und so wie es sich im Moment darstellt, werden wir das noch für eine Weile.
Man muss sich von der Illusion verabschieden, dass man nochmal irgendwen holt und der dann binnen weniger Monate aus diesem fragwürdig zusammengestellten Kader einen Triplesieger macht. Das haben in der Geschichte des FC Bayern überhaupt erst zwei Trainer (mit besseren Kadern) geschafft, von denen brauchte einer insgesamt drei Anläufe, der andere hat extremst von den äußeren Umständen (Corona-Pandemie, Zerwürfnis Mannschaft/Kovac) profitiert. Selbst Guardiola hat das nicht zu Stande gebracht. Egal wen man jetzt holt, derjenige wird Zeit brauchen, derjenige wird (wie der ganze Verein) mit einer Macht- und Prestigeverschiebung im Weltfußball konfrontiert sein, derjenige übernimmt nicht mehr die Nummer 2-3 der Welt nach Real Madrid. Das wäre für jeden Trainer eine Herausforderung. Wenn man trotzdem der Überzeugung ist, ein Alonso/Hoeneß/Klopp könnte trotzdem die 10er Jahre zurückholen, dann sollte man dem nächsten Trainer direkt bei den Verhandlungen mitteilen, dass man nur eine Übergangslösung sucht. Und ob da jemand Lust drauf hat?
Naja, genug in Rage geredet, ich kann nur leider nicht umhin jeden Tag aufs neue zu realisieren, wie bodenlos dumm die Entlassung von Nagelsmann gewesen ist.