@DayDreamer:
Way sacht: "sonne Fans, dat sind mir die liebsten, weiße?! In echt getz. Sowat brauchse einfach fürne gut funktionierende und auffe Motivation vonnem Autor einwierkende Storie!!"
21. Spieltag
FSV Mainz (10.) – FC Remscheid (1.) 0:0Weidenfeller – Bosnjak, Corstjens, Maexilhao, Contento – Balitsch – Felipe Anderson, Ruben Pérez – Rausch, Mrkonjic – Leandro
Herzog lehnt an einem Geländer. Über seinem Bauch spannt sich ein großes Trikot. Hinten drauf steht KGOPE und darunter die Nummer 9.
Witziges Detail: die Nummer 9 trägt bei uns Kingsley Eze. Herzog hat sich das Trikot selbst beflocken lassen. Ich habe Kgope nämlich noch gar keine Nummer zugewiesen, geschweige denn ihn für den Spielbetrieb registriert.
Natürlich erzähle ich Eze davon, der daraufhin meint, er müsse nochmal kurz zurück in die Umkleide. Einige Minuten später – ich wundere mich, wo er bleibt für das Aufwärmen – sehe ich nach.
Der Nigerianer sitzt mit nacktem Oberkörper in der Mitte des Raumes, hält einen bemalten, etwa einen Meter langen Stock in der Hand, reichlich verziert, und schwenkt diesen. Außerdem entkommt ein eigenartiger Singsang aus seiner Kehle.
Wenig später sitzt er auf der Bank.
Sein Gesicht ist allerdings weiß geschminkt.
Er kommt in der 66 Minute für Hanno Balitsch, um das Spiel doch noch zu gewinnen. Leider scheint er nicht bei der Sache, hält sich vor allem im Mittelkreis auf und in der Nähe der VIP-Tribüne.
Plötzlich zuckt ein Blitz aus dem Himmel herab und schlägt in das Dach der COFACE-Arena ein – genau über der Stelle, an der Herzog sitzt.
Der Knall lässt den Präsidenten so sehr zusammenzucken, dass das Trikot zerreißt und sich der Flock löst. Den Namen KGOPE kann man zwar noch lesen, aber die 9 darunter ist nicht mehr entzifferbar.
Und Eze blickt zufrieden und nimmt schließlich am Spielgeschehen teil, wenn auch ohne Erfolg.
Nach dem Spiel frage ich ihn, ob er etwas damit zu tun hat, aber er lächelt nur. Natürlich verstehe ich und meine, dass der Blitz Herzog ja auch leicht hätte treffen können.
Eze zuckt nur mit den Schultern und sagt: „Ja, Trainer. Diese Zauber leider keine exakte Wissenschaft.“
22. Spieltag
FC Remscheid – FC Ingolstadt„Heute machen wir mal wat anderes!“ töne ich laut durch die Kabine.
„Ich hab mich entschieden, dat wa nur noch mit zwei statt drei zentrale Mittelfeldspieler aufn Platz laufen.“
Ohhhhhhhhhhh.
Die Spieler Pérez, Felipe Anderson, Wagner Paçiagiogullari und noch einige andere sind scheinbar enttäuscht.
„Dafür aber – könnter ma die Klappe halten, Jungs? – Dafür aber spieln wa mit, un getz kommtet: ZWEI Spitzen!!“
Yeeeeaaaaaaaa.
Die Stürmer.
„Genau. Und nochwat: zwei offensive Außen!“
Juuchhuuuuuuu.
Lothar Rausch.
Er mag ungern allein sein.
„Also los, dat wird’n Viervierzwei. Oder Verzwovier. Oder Vierzweizweizwei. Nennt dat wie Ihr wollt. Aber ich will Tore sehn!!“
Weidenfeller – Bosnjak, Mexilaõ, Corstjens, Contento – Felipe Anderson, Rubén Pérez – Markovic, Leandro – Rausch, Eze
1:0 Eze (5.) – nach dem Tor rennt er zur Loge und schwenkt dort einen Stab. Oben am Stab: die Reste von Herzogs Kgope-Trikot.
2:0 Rausch (12.)
3:0 Markovic (33.)
4:0 Markovic (44.)
5:0 Rausch (64.)
23. Spieltag
MSV Duisburg – FC RemscheidWenn die Formation zuhause so prima funktioniert, dann hau ich die jetzt auch auswärts raus. Die Zebras kommen dafür genau recht.
Weidenfeller – Bosnjak, Mexilaõ, Corstjens, Contento – Felipe Anderson, Rubén Pérez – Markovic, Leandro – Rausch, Eze
Gleiche Aufstellung also ebenfalls. Das Spiel verläuft auch identisch: wir schießen zwanzig Mal Richtung Tor, Duisburg fünf Mal. Torhüter Wiedwald wird später bester Mann des Spiels sein. Und Domovchiyski der einzige Torschütze. Nach einer Ecke. Als er am Fünf-Meter-Raum den Ball locker annimmt, drei Schritte nach links geht und aus drei Metern einschiebt.
1:0 Domovchiyski (15.)
Ich behaupte es sicher nicht gerne – sogar ganz sicher nicht! – aber Herzog hat Recht. Widerwillig zustimmend nickend betrachte ich das interne Schreiben, mit dem er zu einer Vorstandssitzung einlädt. Einziger Tagespunkt: Besprechung der zukünftigen Teamplanung im Allgemeinen.
So sitze ich also im Besprechungszimmer, Barry neben mir. Uns gegenüber sitzen einige Menschen, die ich schon mal gesehen habe. Einige von ihnen, drei, um es genau zu nehmen, sind mir allerdings gänzlich unbekannt. Später stellt sich heraus: das ist der Vorstand.
Wir haben ihn also auch, einen Vorstand. Und wir haben sogar einen Vorstandsvorsitzenden.
Herzog.
Königsgleich schreitet er als letzter Teilnehmer durch die Tür, Verzeihung: das Portal. Er nimmt bemüht elegant wirkend auf seinem Stuhl Platz. Hier schüttelt mich bereits der erste Lachanfall, denn sein gesittet zugeknöpftes Jackett quittiert seine Grazie mit einem lauten Krachen. Das Leben kann hart sein, selbst, wenn man nur die Naht eines Anzugs ist.
„Meine Herren“, beginnt der Präsident mit lauter und entschlossen wirkender Stimme. „Heute sind wir hier zusammen gekommen, um zu besprechen, wo es mit unserem Verein FC Remscheid hingehen soll. Wir sind nunmehr am Ende des Fünfjahresplans angelangt, mit dem Herr Way damals seine Trainerlaufbahn begonnen hat. Er…“
„Manager!“ blöke ich dazwischen. Verärgert wirft mir Herzog einen Blick zu.
Wie ich das liebe!
„Sicher, Herr Way. Trainer UND Manager.“ Er schüttelt kurz den Kopf und bemüht sich wieder um Fassung.
„Er und mein geschätzter Vorgänger Swoboda haben seinerzeit folgenden Plan aufgestellt: direkte Aufstiege von der Landesliga in die Zweite Bundesliga, dann dort die Etablierung und schließlich der Aufstieg in die Erste Bundesliga. Nun, wie es ausschaut, gelingt der letzte Punkt bereits ein Jahr früher. Zu verdanken ist das der überaus klugen Vereinsführung, der visionären Leitung des Clubs und der maßvollen und gezielten Transferpolitik. Als I-Tüpfelchen sind außerdem die Ausrichtung und Führung der Mannschaften durch Barry Opdam, den ich hier herzlich begrüße, und Herrn Way zu nennen. Diese beiden bringen als Team das Beste aus den Spielern auf den Platz. Wir stehen prima da und sollten die Leistung konservieren können, um sicher – natürlich als Zweitligameister – aufzusteigen.“
Was bildet der sich nur ein? Diese Qualle greift mittlerweile offen zu kompromittierenden Äußerungen mir gegenüber. Zwar tue ich das auch, sogar sehr oft und immer mit Spaß, aber ich bin schließlich ein prolliger Ruhrpottler. Bei mir wird das nicht nur erwartet, es gehört sogar zum guten Ton! Dennoch weiß auch ich, wann solche Dinge einzusetzen sind. Ich halte mich also still, denn das hier ist ja so ganz unwichtig nicht.
„Bevor ich mit den Überlegungen zur Neuplanung beginne, möchte ich einige Herren vorstellen, die kürzlich in den Vorstand gewählt wurden und heute zu meiner größten Freude hier anwesend sind. Da sind-“
„Wat? Wann gewählt?“ platze ich heraus.
Herzog wendet seinen Kopf langsam und sehr bedächtig, allerdings mit einem spöttischen Lächeln in meine Richtung.
„Letzte Woche, Herr Way. Auf der Mitgliederversammlung.“
„Mitgliederversammlung? Wat sachse da? Wo denn, zum Teufel?“
„In der Neuenkamper Sporthalle.“
„Ach! Un warum sacht mir keiner wat davon? Dat is doch Scheiße is dat doch!“
„Herr Way, Sie haben wie alle anderen auch eine Einladung erhalten. Ich habe sie Ihnen sogar persönlich überreicht, letzten Montag. Sie entsinnen sich?“
„Herzog, dat is Blödsinn. Dat wüsstich noch!“
„Sie trugen das gleiche Sakko. Sehen Sie in Ihrer Innentasche nach.“
Ich sollte es besser wissen. Aber leider siegt die Neugier. Und da ist sie, die Einladung. Von mir liebevoll verziert mit einer Zeichnung eines nackten Herzogs auf dem Klo. Da fällt mir außerdem ein, dass ich zu dem Zeitpunkt noch Restalkohol intus gehabt haben musste.
„Gut, war ich also nich da. Wat war denn da getz?“
Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme. Seinen Triumph genießend schenkt Herzog mir noch einen kurzen, mitleidigen Blick. Dann wendet er sich wieder den Herren zu, die, wie ich gerade feststelle, alle Knöpfe im Ohr haben.
„Zunächst darf ich Sergej-Ichpust Dirkohlinpopow vorstellen, Großindustrieller aus Moskau.“
Der Mann, etwa Mitte Fünfzig, mit Halbglatze, grauem Resthaar und gütigem Gesichtsausdruck, nickt in die Runde.
Herzog fährt fort.
„Vladimir Geldsackowitsch ist Inhaber der Firma Gazkak, die aus Fäkalien Energie gewinnt.“
Auch er nickt in die Runde und blickt dabei durch eine Brille Marke Erich Honnecker.
„Und schließlich und endlich Valerij Kontovollow, Besitzer einer landesweit arbeitenden Agentur für Models.“
Mein Kopf zuckt hoch. Interessant. Auch wenn der Typ eher aussieht wie ein Zuhälter. Was er vermutlich auch ist.
„Die drei Herren wurden einstimmig in den Vorstand gewählt und haben sich bereit erklärt, den Verein großzügig in allen Fragen der Wirtschaft und des Controllings zu beraten. Und damit sind wir bereits am Punkt des Tages angelangt. Das Team.“
Herzog lehnt sich zurück und faltet großväterlich die Hände vor dem Bauch.
„Wie eingangs bereits erwähnt befinden wir uns in der Situation, dass der Verein seine langfristigen Ziele erreicht hat und das ein Jahr vor Zielsetzung. Dafür danke ich erneut allen Anwesenden Verantwortlichen. Jedoch hinterlässt uns das mit der Frage: wie geht es weiter? Um das beantworten zu können, müssen wir die geschaffenen Grundlagen kennen. Bei einem Fußballverein lauten diese: wie ist die Mannschaft aufgestellt, wie die Infrastruktur und wie die wirtschaftlichen Voraussetzungen? Ich möchte gerne mit der Mannschaft anfangen, dem Herzen des Vereins. Dazu interessiert mich natürlich die Meinung derer, die es wissen müssen.“
Herzog blickt in meine Richtung. Sein Blick und sein Tonfall alarmieren mich. Aber vielleicht bin ich auch nur überempfindlich. Ich schürze die Lippen.
„Tjoa…“, fange ich langgezogen an. „Ich soll also sagn, ob dat Team getz auch für inne Ersten Liga gut geeichnet is?“
Herzog blickt mich nur an.
„Naja, also, ich würd mal sagn: ja.“
Herzog blickt einige Sekunden in meine Richtung, aber er fixiert einen Punkt irgendwo über meinem Kopf. Dann wieder stellt er Augenkontakt her.
„Herr Way, Ihrer Meinung nach sind keine Anpassungen notwendig?“
„Nää.“
„Alle Teile des Teams sind hinreichend gut besetzt, um in der Ersten Liga bestehen zu können?“
„Jup.“
„Ah ja, gut. Dann sind Sie doch bitte so freundlich und klären unsere drei neuen Partner über Ihre Planungen auf.“
Herzog weist mit der geöffneten Hand auf die andere Tischseite. Alle drei Köpfe drehen sich in meine Richtung und blicken freundlich interessiert.
Ich rücke mich auf meinem Stuhl zurecht.
„Nun, wir, also der Barry hier un ich, haben dat Team ja sowieso schon im Hinblick auffe Erste Liga aufgestellt. Unser Plan war un is immer gewesn, junge Spieler mit Perspektive hinter etablierte Männer zu stelln und sie so zukunftsfähich zu machen. Dat passt auch überall gut un jede Position ham wa da hervorragend besetzt: da is im Tor der Kütschük un der Kujevitsch hinterm Weidenfeller, da is der Bosnjak und dieser Brasilianer mit „M“ hinter Zeitz un Corstjens und den paar Schweizern, da is der Dang Khoa hinterm Contento undm Latschko un… soll ich getz wirklich alles vortragn? Ja? Gut. Dann also noch Wagner, Stein, Schuster, Rausch, Lamertz un nochn paar andere, vor allem inne Top U 19, hinter dem Peretz, dem Anderson un so weiter un vorne dann natürlich der Leandro und der Roye mit dem Iiiez und dem Torp und dem Morais un so. N paar hab ich vergessen, glaub ich.“
Herzog nickt knapp.
„Gut, danke, Herr Way, für diese überaus fundierte Analyse.“
„Guarn gheschehn“, mache ich laut. Gerade erst habe ich ein ganzes Lachsschnittchen reingeschoben.
Die Russen lächeln. Vielleicht gilt das in ihrer Kultur als besonders harmonisch?
„Wenn ich dann also zusammenfassen darf“, sagt Herzog mit leicht erhobener Stimme, die wohl so etwas wie einen wichtigen Punkt ankündigen soll, „dann haben wir das Team so aufgestellt, dass wir vor allem Jugendspieler aufziehen, um irgendwann den Platz der etablierten Spieler – die fast alle keine Erstligaerfahrung mitbringen – einzunehmen. Richtig?“
Ich sage nichts. Gerade habe ich entdeckt, dass es kleine Sektflaschen gibt. Ich lehne mich weit über den Tisch, um mir drei davon zu holen. Deshalb antwortet Opdam.
„Wenn Sie das auf die Erfahrung reduzieren wollen, Herr Herzog, haben Sie sicher Recht, aber…“
„Danke, Barry!“ fährt Herzog dazwischen und wendet sich an die Russen.
„Wie Sie sehen, meine Herren: es gibt einiges zu tun! Lassen Sie uns also mit den Planungen beginnen.
„Kurze Zwischenfrage meinerseits“, nutze ich Herzogs Atempause. „Wat meinen se denn bitte mit ‚et gibt einiges zu tun‘? Reicht Ihnen unsere Aufstellung nich? Wissen se eigentlich, welche Qualität die Jugendspieler ham?“
„Das kann doch nicht unser Anspruch sein, Way.“
„Anspruch, dat is ja interessant. Mir scheint, da gibbt et sowat wie ne Diskrepanz hier. Welchen Anspruch ham se denn?“
Noch während Opdam mit einem Grummeln beipflichtet, lehnt sich Herzog lächelnd in seinem Sessel zurück. Scheinbar war das der Punkt, auf den er gewartet hat.
„Nun, Herr Way. Das ist es, die Frage, die uns beschäftigt. Was ist der Anspruch des FC Remscheid?“
Er holt erneut tief Luft.
„Als wir damals dieses Projekt begannen, wurde der Anspruch so formuliert: Aufstieg um Aufstieg, bis irgendwann die Erste Liga erreicht wird. Nun, wie bereits zu anfangs gesagt, ist dieser Punkt so gut wie erreicht. Aber wie geht es weiter? Die meisten Vereine, die in die Erste Liga aufsteigen, verfolgen einen defensiven Ansatz: Klassenerhalt. Für die meisten und vor allem für die Vereine, die Erstliganeulinge sind, sicher nicht der falsche Ansatz. An genau dieser Stelle aber müssen wir festhalten: sind wir wie die meisten Vereine? Oder sind wir anders, besser? Diese von mir gestellte Frage ist natürlich rhetorisch, denn unsere drei Gäste beweisen, dass wir über gänzlich andere Möglichkeiten verfügen als Augsburg, Fürth, Cottbus, Düsseldorf oder Mainz. Was uns auszeichnet sind die exzellenten Einrichtungen, die tolle geografische Lage inmitten von Fußballschwergewichten und vor allem die finanziellen Möglichkeiten. Ich möchte Ihnen mitteilen, meine Herren, dass unsere Freunde aus Russland bereit sind, mehrere hundert Millionen Euro jährlich in unseren Verein zu investieren.“
Während die drei Herrschaften nach der erfolgten Übersetzung selbstgefällig nicken und in die Runde schauen, lasse ich diese Worte nachwirken. Ich fürchte, hier entwickeln sich schlimme Dinge.
Und genau so fährt Herzog fort.
„Wenn wir also ein Bild zeichnen wollen, dann erkennen wir: wir haben ungeahnte finanzielle Möglichkeiten, ebenso hervorragende infrastrukturelle Voraussetzungen, aber wir stehen als kleines Licht ohne Reputation da. Was wir also brauchen ist Aufmerksamkeit. Dafür haben wir im Vorstand einen Plan formuliert, der folgende kurz- bis mittelfristigen Ziele verfolgt. Erstens steht dort ein Stadionneubau. Gespräche mit der Stadt und dem Land laufen. Zweitens stehen dort die Einrichtungen, die auf ein Höchstmaß an Effizienz und Professionalität ausgerichtet werden sollen. Und Drittens steht dort der Aufbau einer Mannschaft, die sofort… meine Herren, bitte verinnerlichen Sie dieses Wort:
sofort – um die Spitzenplätze in der Liga mitspielen kann.“
Herzog lässt die Hände auf den Tisch fallen. Die drei Russen spenden nach den Sekunden der Simultanübersetzung Applaus. Tobias Paul, seinerseits als Sportdirektor vorgestellt worden und mir bislang gänzlich unbekannt, nickt heftig und schaut Herzog mit bewunderndem Blick an. Ich selbst sehe wahrscheinlich genauso aus wie Opdam, dem ich den Kopf zuwende. Wir können es nicht glauben. Die ersten beiden Punkte finden durchaus meine Zustimmung, sogar uneingeschränkt. Aber wie zur Hölle will dieser Mann um die Meisterschaft mitspielen?
„Herr Herzog“, bemühe ich mich um Fassung. „Herr Herzog. Mir is unvaständlich, wie se dat hinbekommn wolln. Ich mein, klar ham wa n tolles Team un so. Aber wir kompetitiern hier mit Dortmund, München und Schalke. Dat wolln se wirklich als Ziel formuliern?“
„Nanu, Way?“ lacht Herzog scheinbar überrascht. „Sie werden doch wohl nicht plötzlich demütig und bescheiden!? Sie nehmen doch sonst immer den Mund so voll, da sollte Ihnen diese Marschrichtung doch eigentlich mehr als entgegenkommen.“
„Völlig richtig!“ bemerkt Tobias Paul.
Ich blicke ihn dann. Dann beuge ich mich fragend zu Opdam rüber.
„Der Sportdirektor“ ,flüstert dieser nach einigen Sekunden.
„Stimmt, war mir entfalln“ ,flüstere ich zurück.
„Nun denn“, sage ich an Herzog gewandt. „Dann erläutern se mal den Plan mit den Spielern.“
„Gerne.“ Gib Herzog zurück. „Natürlich, und deshalb sind wir ja darauf gekommen, ist dieser von mir soeben formulierte Anspruch mit den aktuellen Spielern nicht zu bewerkstelligen. Wir brauchen also neues Spielermaterial. Einer jüngst erfolgten Analyse durch Herrn Paul und mir sehe ich folgenden Bedarf: ein Torhüter, zwei Innenverteidiger, ein Außenverteidiger rechts, zwei offensive Flügelspieler, ein Stürmer. Und ich möchte erneut betonen, dass ich ausschließlich Spieler von Format meine, Spieler mit Erfahrung und Spieler, die das Team sofort besser machen.“
„Und an wen haben Sie da gedacht?“ fragt Opdam.
„An niemanden.“ Herzog lacht kurz auf. „Das ist schließlich Ihre Aufgabe! Wir können hier doch nicht alles alleine machen.“
Die Worte verhallen einige Momente in der Stille des Konferenzraumes. In mir fechten gerade die Gefühle Belustigung, Aggression, Unwillen und Ungläubigkeit einen Kampf auf Leben und Tod. Deshalb meldet sich erneut Opdam.
„Was, glauben Sie, hat dieser Plan für eine Auswirkung auf die Nachwuchsleute, die uns gegebenenfalls auch jetzt schon helfen können?“
„Nachwuchs, mein lieber Barry, ist, wie ich es jetzt mal nennen will, Nice-to-have. Aber er bringt uns nicht unserem Ziel näher.“
„Also wollen Sie die Nachwuchsarbeit kürzen?“ fragt Opdam ungläubig zurück.
„Oh keineswegs.“ Herzog schüttelt schmierig grinsend den Kopf. „Nur muss sich der Nachwuchs damit abfinden, dass die Anforderungen steigen und der Weg ins Erste Team anstrengender wird.“
„Sach ma…“, sage ich langgezogen in die Stille und blicke Herzog und Paul an. „… jetzt solln wa hier Innenverteidiger, Stürmer, Torhüter un watt nich all kaufen, aber – mal ehrlich – wer hat dat eigntlich entschiedn? Und warum hat uns niemand gefraacht? Wer is denn bitte sportlicher Leiter von die ganze Schoose hier?“
„Das ist der sportliche Direktor, Herr Way“, sagt Herzog mit spürbarer Genugtuung. „Und das ist mein lieber Freund hier, Tobias Paul.“
Ich blicke ruckartig zu dem Herrn mir gegenüber.
„Ehrlich, Herzog. Den hab ich noch nie wirklich vorher gesehn.“
„Und das beweist allein nur, dass Sie ein Ignorant sind! Der gute Herr Paul ist bereits seit längerem hier.“
„Und wie kommter hierher? Dat hätt ich doch wohl gemerkt hätt ich dat doch wohl!“
„Auch wieder typisch, Way, aber ich will es einfach machen: ich öffnete eine Datei namens ‚FC Remscheid Save‘, dann lud ich ein Programm namens ‚FMRTE‘, eine Abkürzung für „Förderverein meisterhafter Remscheider Totalerfolg“. Als nächstes suchte ich eine beliebige Person heraus und editierte sie als Sportdirektor in unseren Vorstand herein.“
Drei, vier Sekunden vergehen. Dann pruste ich laut los.
„Herzog, alter Wichser! Du oller Cheater! Dat kann doch nich Dein Ernst sein, hömma! Un überhaupt, mit sonne Zeuchs weiß ich besser als Du! Also ehrlich ma, wat is getz? Mal abgesehn davon heißt FMRTE ‚Für mehr Rechte treuer Erfolgstrainer‘, und dat bezieht sich allein auf mich. Und aufn Barry.“
Laut klatsche ich auf seine Schulter und er nickt bestätigend zurück.
Herzog schmunzelt trotzdem.
„Herr Way, drehen Sie es wie Sie wollen. Herr Paul ist der Sportvorstand. Und er sitzt Ihnen vor.“
Opdam dreht sich zu ihm und fragt: „Darf ich fragen, welche Referenzen Sie mitbringen. Denn offen gesagt bin auch ich etwas überrascht.“
Tobias Paul strafft sich in seinem Stuhl. Ob er damit größer wirken möchte? Seine Körpergröße ist sitzenderweise für mich nicht zu erkennen. Insgesamt wirkt er wie ein Komplementär zu Herzog: schmal von Statur mit unscheinbarem, aber eigentlich nicht unfreundlichem Gesicht, das von einer rahmenlose Brille geziert wird und unter dessen Nase ein babypopoblankes Nassrasurkinn sitzt. Irgendwie erinnert er mich an Christian Wulff, zumindest ein wenig.
„Vielen Dank für die Frage, werter Herr Opdam. In der Tat sehe ich mich als hervorragenden Mann für diesen Job. Ich besuchte einige herausragende Handelsschulen und schloss ab mit dem Master of Commerce. Ich sammelte Erfahrung bei zwei international tätigen Einzelhandelsunternehmen, zu denen ich nach wie vor gute Kontakte pflege, was uns den einen oder anderen Sponsorendeal sichern dürfte. Meine letzte Stelle war die der Leitungsassistenz eines Versicherungsunternehmens. Jetzt bekleide ich diese Stelle auf persönlichen Wunsch unseres Präsidenten, Herrn Herzog.“
Die letzten Worte waren übermäßig betont und wurden begleitet von einem beinahe liebevollen Blick in Herzogs Richtung.
„Herr Paul“, beginnt Opdam nach einem Augenblick. „Das klingt durchaus nach einer guten Karriere bis hierhin, aber wenn Sie mir die Frage gestatten, und ich entschuldige mich für die Wiederholung: was qualifiziert Sie für diesen Job? Den Job des Sportdirektors?“
Paul blickt ungerührt in Opdams Richtung. Dann zuckt er plötzlich erschrocken zusammen.
„BÄÄÄM – In your Face!“ tröte ich, begleitet von einer niedersausenden Faust auf die Tischplatte und klirrenden Kaffeetassen. Paul blickt verstört in Richtung Herzog. Dieser aber scheint an diesem Tage unerschütterlich. Er schaut Paul kurz in die Augen, dann wendet er mir den Kopf zu.
„Way, mäßigen Sie sich!“ zischt er bestimmt.
Ich aber lache nur.
„Herzog, mäßich is allein diese Entscheidung. Köstlich!“
„Würden Sie mich bitte aufklären, Herr Way?“ fragt Paul mit unterdrücktem verletztem Stolz.
„Klar, Pauli, mein Bester. Also pass op: wennde hier der Spochtdirektor sein wills, dann musse zwei Dinge können: dat Dirigieren und den Spocht. Dirigiern lass ich ma so stehn, dat kann ich nich sagn. Aber Spocht? Wann willse dat denn gelernt ham?“
„Herr Way, ich verbitte mir-“
„WAY!“
Paul und Herzog im Duett. Gerade will ich zu großer Form auflaufen, da unterbricht Opdams kräftige, allerdings auch besonnene Stimme den heraufziehenden Sturm.
„Die Frage, Herr Herzog, ist doch berechtigt. Wenn Herr Paul uns als Sportdirektor vorstehen soll – und warum wurden wir als Verantwortliche darüber nicht informiert? – dann sollte er doch bitte ein Mindestmaß an Erfahrung auf dem Gebiet mitbringen. Es ist ja nun nicht so, dass wir bislang nur Misserfolge zu vermelden hätten.
„Tut mir leid, meine Herren“, sagt Herzog bestimmt und ohne eine Sekunde des Zögerns, „aber die Entscheidung steht. Ich habe als Präsident dieses Vereins Weisungsrecht und davon habe ich Gebrauch gemacht. Herr Paul hat die Verantwortung in Sachen Transfers.“
Niemand sagt etwas. Während bei mir allerdings bereits erste Revoluzzergedanken entstehen und zärtlich beginnen zu gedeihen, ist Opdam scheinbar in seiner Ehre getroffen. Er blickt Herzog mit gekränktem und ungläubigem Blick an.
„Warum dat eigntlich?“ frage ich in die Stille des Raumes.
„Herr Way?“ fragt Herzog mit gespieltem Unverständnis. Ich blicke ihn an, dann wieder Paul.
„Wat gibbet daran nich zu verstehn? Die Frage is: warum? Warum’n Spochtdirektor, der uns bei’n Transfers auffe Finger guckt? Ich mein, ma ehrlich, wir ham doch bisher mit unsere Transfers seltenst inne Scheiße gegriffn.“
„Herr Way“, beginnt Herzog nach einem Augenblick, den er für einen tiefen Atmer nutzt. „Mag sein, dass sich die Transferflops tatsächlich an einer Hand abzählen lassen. Aber wie sieht es denn mit den Toptransfers aus?“
„Vasteh ich nich.“ Sage ich. Herzog blickt mich weiter ungerührt an.
„Herr Way, ich meine mich erinnern zu können, dass wir vor vielleicht einem Jahr, etwas weniger, ein ähnliches Gespräch bereits führten. Es ging damals ebenfalls um Transfers und wenn mich meine Sinne nicht allzu sehr trügen, gab ich damals eine ähnliche Marschroute vor wie jetzt: Nationalspieler zu verpflichten mit Reputation, bestenfalls deutscher Nationalität.“
„Joa“, blaffe ich.
„Und ich glaube mich ebenfalls gut erinnern zu können – Herr Opdam möge mein Zeuge sein – dass damals folgende Spieler verpflichtet wurden: Philip Schuster, Jamel Wagner, Diego Contento, Felipe Anderson, Lazar Markovic.“
Herzog spricht nicht weiter, wohl um seiner Aufzählung Nachdruck zu verleihen. In der Stille des Raums hört man leise die Übersetzung in den Ohrknöpfen der drei russischen Industriellen.
Natürlich weiß ich, worauf Herzog hinaus will. Tatsächlich hat er sich damals zwar missverständlich, aber dann doch eindeutig genug geäußert, welche Spieler er gerne in Remscheid sehen möchte. Ganz meiner inneren Überzeugung folgend habe ich das dann aber geflissentlich ignoriert und habe diese Spieler verpflichtet, von denen ich glaube, de bringen den Verein eher voran. Und auch jetzt erscheint es mir als sinnvollste Taktik, unwissend zu tun.
„Ja, un? Dat sin doch allet Nationalspieler und der Ruf is auch gut. Schuster, Wagner, dat sin zwei vonne größten Talente des Landes und die spieln getz hier bei uns! Anderson ist seitdem Stammspieler im Mittelfeld. Markovic hat auch schon gezeicht, watter kann. Ich versteh dat Problem nich?!“
„Das Problem“, fährt Herzog hoch und schlägt die flache Hand auf die Tischplatte, „ist, dass sie ständig ihren eigenen Kopf durchsetzen wollen! Sie ignorieren Anweisungen und Planungen und verfolgen den Weg, der sie selbst im besten Licht dastehen lässt!“
Ich schmunzle. Mehr ist dazu wirklich nicht zu sagen. Trotzdem füge ich noch ein leichtes Achselzucken hinzu.
Herzog, der nach diesem Ausbruch über der Tischplatte lehnt, beugt sich langsam in seinem Stuhl zurück. Seine Miene nimmt wieder die selbstzufriedene, überlegene Erscheinung an.
„Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, Way. Die Vorzeichen haben sich nämlich geändert. Mag ja sein, dass sie bisher hier tun und lassen konnten, was sie wollen, aber jetzt habe ich mehr finanzielle Firepower im Hintergrund als sie. Jetzt sage ich, was läuft. Meine drei russischen Partner hier sind mir zugetan, mir allein. Ab heute müssen sie mich fragen, wer gekauft wird, nicht mehr umgekehrt. Damit hat dieses Gehampel um angeblich so tolle Spieler, die sie hier immer anschleifen, ein Ende. Ab sofort werde ich nur noch Transfers durchwinken, die uns ad hoc weiterbringen und damit meine ich nicht irgendwelche komischen angeblichen Toptalente. Transfers werden vorgegeben von uns und abgenickt von uns.“
Ich rühre mich nicht und auch Opdam neben mir zeigt keine Regung. Während ich aber noch nicht entschieden habe, ob ich dieses Verhalten desaströs oder lächerlich finden soll, fühlt Barry tatsächlich tief enttäuscht zu sein.
„Nun, meine Herren“, sagt dieser nun mit spürbar milderer Stimme, „es ist ja nicht so, dass sich an Ihrer Arbeit etwas ändert. Sie werden weiterhin für die Transfers verantwortlich sein. Sie tun das nun allerdings mit Herrn Paul und mir als letzter Instanz.“
„Und mit einer Liste voller unsinniger Spielerwünsche.“ Sage ich tonlos.
„Darüber wird nicht weiter diskutiert. Wir kommen jetzt zum nächsten Punkt. Ohnehin muss ich mich bei unseren russischen Freunden für diese Provinzposse entschuldigen.“
Herzog hebt um Verzeihung heischend beide Arme und macht ein betrübtes Gesicht.
„Wir schreiten nun voran zum nächsten Punkt auf der Agenda. Dafür“, sagt er laut und blickt in unsere Richtung, „brauchen wir Sie beide eigentlich nicht mehr. Ich bin mir sicher, es rufen dringende Aufgaben und Sie sind gerne dahin entlassen.“