Mit großer innerer Ruhe und Gelassenheit sitzt Barry Opdam am Tisch. Vor ihm steht eine Tasse Espresso, in der er langsam etwas Zucker einrührt. Ich selbst sitze mit einer Dose Bier ihm gegenüber.
Das Gespräch mit dem, was sich selbst euphemistisch Sportvorstand nennt, ist gerade eine Stunde her und wir versuchen uns an einem Resümee.
„Ich glaub“, beginne ich und wische etwas Kondenswasser von der Dose, „dat wir blauäugich gewesen wärn, hätten wa et anders erwartet. Die Vorstellungen warn sowat von unrealistisch, dat konnte doch nur inne Hose gehen.“
Das Klingeln des Metalllöffels in der Espressotasse ist einige Zeit die einzige Antwort.
„Sie haben Recht, Herr Way.“ Sagt der Holländer schließlich und lehnt sich mit der Tasse in der Hand zurück. „Wie wird es dann jetzt weitergehen? Wie erwartet?“
„Ja, dat glaub ich schon“, sage ich und stelle die Dose mit dem charakteristischen Plocken von Blech auf PVC ab. „Herzog wird fortan versuchen die Transfers selbs inne Hand zu nehmen. Er wird versuchen, seine Fehler von dieset Jahr auszumerzen. Vielleicht lässt er sogar den Paul wieder ran, aber wohl nich bei wichtigen Dingen. Die machter dann zur Chefsache. Aber egal, wir ham erstma für die erste Liga Sicherheit, glaub ich. Wir ham nen guten Kader beisammen. Vielleicht sin wa ja wirklich so gut, dat wa dann n paar Topeinkäufe tätigen können, wer weiß dat schon?“
„Erwarten Sie Schwierigkeiten?“ fragt Opdam und blickt in die kleine Tasse.
„Nee“, mache ich nach ein paar Augenblicken. „Nich wirklich. Nur wenn wa ne schlechte Saison spielen. Aber dat is ja auch eher unwahrscheinlich.“
Opdam stellt die Tasse ab und schaut mich an.
„Sie wissen, Herr Way, dass das eine Frage der Sichtweise ist. Ein offizielles Saisonziel wurde noch nicht vergeben.“
„Er wird wohl kaum die Meisterschaft oder Europa verlangen, Barry.“
Der Niederländer schüttelt den Kopf.
„Nein, wohl nicht. Zumindest die Meisterschaft nicht. Aber je nachdem, wie es läuft, wenn wir beispielsweise eine gute Hinrunde spielen, könnte er den Überflieger machen. Das wird problematisch.“
Hier muss ich lächeln.
„Weisste, Barry? Bis dahin hat der sich doch wieder selbst innet Knie geschossen mit irgendwat. Ich sachet Dir!“
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Vertreter der Politik und sehr geehrte Anhänger unseres Vereins FC Remscheid: Herzlich Willkommen zur diesjährigen Saisonabschlussveranstaltung.“
Freundlicher Applaus folgt den eröffnenden Worten von Präsident Herzog, der diesen sichtlich genießt. Er steht an einem Rednerpult auf der Bühne des Teo-Otto-Theaters in Remscheid. Irgendwie ein passender Rahmen, wie ich finde, denn er schmeißt sich immer wieder gekonnt in Pose. Die Ausleuchtung der holzeingefassten Bühne und das bordeauxfarbene Samt der Polsterbezüge, alles wirkt sehr edel und stimmig.
Und zum Kotzen langweilig. Glücklicherweise gibt es Smartphones. So höre ich die Stimme des Präsidenten nur aus einiger gedanklichen Entfernung.
„Ich freue mich, Ihnen heute unsere Pläne für die Zukunft des FC Remscheid präsentieren zu können. Wie Sie alle sehen werden, werden wir das Abenteuer Erste Bundesliga mit einer Vielzahl an Möglichkeiten angehen. Im Anschluss folgen einige kleinere Abstimmungen zur Satzungsänderung.“
Ich blicke mich kurz um. Ich sitze direkt neben Opdam auf der einen und dem ekligen Paul auf der anderen Seite in der ersten Reihe des Auditoriums, etwas rechts des Rednerpults. Ich blicke somit auf Herzogs Dreiviertelprofil, was, wie ich feststelle, eindeutig seine häßlichste Seite ist: von vorne schon schwer zu ertragen, springt mich so auch noch die Seite an.
Ich schüttele mich kurz und widme mich wieder den Vorgängen auf dem kleinen Monitor: Angry Birds habe ich schon während der letzten Sitzung durchgespielt, jetzt habe ich mir überlegt, ich sollte doch zumindest etwas professioneller werden und wenigstens etwas tun, was mich auch beruflich weiterbringt. Also spiele ich New Star Soccer. Mir entgehen daher während fünf Zehner-Wertungs-Spielen in Folge die einleitenden Worte des Herrn Herzog. Als Applaus aufbrandet, schaue ich doch mal kurz hoch.
„Ey, Barry, wat is? Hatter gerade irgendwat von Saisonzielen gesacht?“ flüstere ich in Richtung meines Assistenten.
„Er hat die Investoren vorgestellt“, flüstert Opdam zurück, ohne den Blick vom Podest zu nehmen.
„Hm“, mache ich verstehend. „Stimmt. Dat is ja noch gar nich so bekannt gemacht wordn. Un noch?“
Unschuldig schaue ich Opdams Seite an. Er löst seinen Blick kurz vom Podest, schaut mich ungeduldig an und zeigt dann mit der Hand auf Herzog. Offenbar missfällt ihm meine Unaufmerksamkeit.
„Ker, Barry, hasse Deine Periode?“
Den Satz habe ich wohl lauter gesagt, als ich eigentlich wollte. Herzog blickt zumindest verstört in meine Richtung und räuspert sich geräuschvoll, was, ich bin mir sicher, in manchen Regionen dieser Erde Häuser zum Einsturz hätte bringen lassen.
„Jedenfalls, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht der Verein nicht nur sportlich an der Schwelle zu bislang ungeahnten Ufern. Der Aufstieg in die Erste Bundesliga ist bereits ein nie dagewesener Akt gemeinschaftlicher Höchstleistung. Dafür verdient der gesamte Verein, und ich schließe Sie als zahlende Mitglieder ausdrücklich mit ein, ebenso Vertreter der Stadt und der umliegenden Gemeinden, allerhöchsten Respekt.“
Erneut applaudiert die Masse an Menschen, von denen ich die wenigsten je im Leben zu Gesicht bekommen habe. Da ich aber sowieso meistens alkoholisiert zu solchen Treffen erscheine, hält sich meine Sorge um Altersdemenz in Grenzen.
„Wir kennen natürlich alle dieses Gefühl nach einer berauschten Nacht: am nächsten Morgen stehen wir verkatert auf und fragen uns, ob das alles nicht nur ein Traum war.“
Passiert mir nie. Eklig ist immer nur der Nachdurst.
„Und auch wir als Vereinsverantwortliche müssen uns die Frage stellen: ist es das jetzt, das höchste der anzustrebenden Ziele? Oder fängt die wirkliche Reise des Vereins FC Remscheid gerade erst an?“
Herzog legt eine kurze Pause ein, bevor er weiterpredigt:
„Nehmen wir die Erste Liga als ehrlich erreichtes, aber im Grunde zu großkalibriges Geschenk oder sehen wir uns erst jetzt da angekommen, wo wir schon seit Jahren hingehören? Stecken wir uns das Ziel, vierunddreißig Spieltage lang Spaß zu haben und am Ende auch einen erneuten Abstieg leicht zu nehmen? Oder sagen wir uns: Deutschland ist viel zulange ohne den Verein FC Remscheid davongekommen und jetzt holen wir alles nach, was wir in den Jahrzehnten vorher nicht erreichen konnten?“
Herzog lässt den Blick zwei, drei Mal in die Runde gleiten. Seine Hände liegen fest links und rechts am Rednerpult, die Beine locker über Kreuz.
Mit einem Ruck strafft er sich plötzlich, stellt sich aufrecht hin, beide Beine fest auf der Erde.
„Ich meine“, sagt er deutlich lauter als vorher, „wir werden auf der Überholspur fahren und am Ende werden sich unsere Gegner wünschen, sie hätten niemals von uns gehört.“
Dieser Auftritt verfehlt seine Wirkung nicht. Applaus bricht in das Theater herein, wie wenn jemand im Fernsehen einen nicht programmierten Kanal einstellt und plötzlich lautes Bildrauschen ertönt. Sofort stehen die Mitglieder auf von ihren Sitzen. Zumindest die in der ersten Reihe und den Reihen dahinter, die Vertreter von Politik und Wirtschaft. Der gemeine Remscheider findet das alles, wie es sich für einen Bürger dieser Stadt gehört, schlecht. Einfach weil das so ist. Und dennoch, ein schneller Blick zwischen den stehenden Anzugträgern hindurch zeigt mir, dass jetzt auch dort, langsam zwar, aber immerhin, Menschen sich erheben und bedächtig klatschen.
Herzog hat sie wohl erreicht.
„Ihre Reaktion zeigt mir, dass wir im selben Boot sitzen“, freut sich Herzog und klatscht einige Male selbst in die Hände.
Langsam beruhigt sich die Menge wieder und ein lautes Rascheln begleitet das gemeinsame Hinsetzen. Der Präsident blickt zufrieden in die Runde und wartet, dass ihm wieder alle Gesichter zugewandt sind.
„Nun, meine lieben Damen und Herren, die Frage ist also nun: wie stellen wir das an? Welches Konzept haben wir? Und welche Philosophie wollen wir verfolgen? Fragen, die sich stellen – und deren Antwort auf der Hand liegt. Denn dafür reicht nur ein Blick auf den Weg, den wir bis hierher gegangen sind.“
Herzog dreht sich kurz um und reckt seine Hand Richtung der hinter ihm liegenden, weißen Wand. Dort erscheint plötzlich flackernd ein Abbild eines Beamers. Es zeigt die Transfers der vergangenen vier Jahre.
Langsam, bedächtig fast, dreht er sich wieder um.
„Sie sehen hier alle Spieler, die wir zu unserem Verein transferiert haben. Eine ziemliche Anzahl“, fügt er mit einem Seitenblick in meine Richtung hinzu.
„Inwieweit beantwortet das unsere Frage? Dazu habe ich die Spieler markiert, die uns in der Saison nach ihrem Transfer direkt weitergeholfen haben. Und wieder unschwer erkennbar: Geld schießt doch Tore!“
Er lässt einige Sekunden verstreichen, bevor er weitermacht.
„Spieler, die uns einigermaßen viel Geld gekostet haben, haben uns auch entscheidend vorangebracht. Das ist die erste Wahrheit und unter anderem deswegen haben wir uns unsere russischen Freunde ins Boot geholt, denn wir beabsichtigen erneut, viel Geld in die Hand zu nehmen. Es laufen auch bereits Gespräche mit potenziellen Transferzielen.“
Ich schaue Opdam an und auch er lehnt sich kurz zu mir herüber. Offenbar hat Herzog nicht vor, unserer beider tragende Rolle bei den Transfergeschäften näher zu erwähnen. Aber sei’s drum, ich muss dafür jetzt nicht zwingend gelobt werden.
„Selbstverständlich besteht auch der Wille, verdiente Spieler des aktuellen Kaders im Verein zu halten. Da, wie sie alle wissen, die Vertragslaufzeiten recht kurz sind bei den meisten derer, werden wir ein für unsere Ambitionen ausreichendes Gehaltsbudget zur Verfügung stellen. Mein lieber Freund und gleichzeitig unser Sportdirektor, Herr Tobias Paul“, mit einer seiner Pranken deutet Herzog auf den Mann neben mir, der spürbar erschauert, „wird sich dieser Fragen federführend annehmen.“
Ich nehme eine schnelle Bewegung neben mir wahr. Barry Opdams Kopf zuckt hoch. Ich schaue ihn gelangweilt an, während Herzog Worte langsam, sehr langsam, in mein Bewusstsein dringen.
Dann zucke auch ich.
Hat denn dieser Mann gar nichts gelernt? Hat Paul nicht bewiesen, dass er nicht in der Lage ist, mit gestandenen Beratern und Managern zu kommunizieren, ganz zu schweigen von Verhandlungen, die danach zu führen sind? Hat er nicht erst für die köstlichste Provinzposse gesorgt, die seit Jahren in Deutschland die Runde macht und von der Wertigkeit an die damalige Sitzung bei Eintracht Frankfurt heranreicht, als sich zwei Funktionäre vor laufender Kamera prügelten?
Andererseits, denke ich, war das auch nicht unbedingt ein unvorhersehbarer Schachzug. Immerhin hat Opdams und meine Rettungsaktion diese Saison Zeit verschafft. Die nächsten Transfers werden erst in einigen Monaten angegangen und bis dahin kann selbst Paul es schaffen, so etwas wie ein Netzwerk zu knüpfen, mit Herzogs Hilfe natürlich.
Ich entscheide mich damit, das jetzt auf sich beruhen zu lassen.
Herzog macht derweil munter weiter.
„Geld schießt Tore. Hier sehen Sie es“, sagt Herzog fest und zeigt mit einer weiten Armbewegung nach hinten auf die Beamerprojektion.
„Mit gutem Geld konnten wir gute und wichtige Spieler verpflichten. Leandro zum Beispiel oder Corstjens, Zimmermann, Felipe Anderson. Da sind schon einige gute Treffer dabei gewesen, wobei nicht zu vergessen ist, dass diese Spieler in den unteren Ligen, in denen wir zur Zeit ihrer Transfers unterwegs waren, auch funktionieren mussten.“
Schwätzer, denke ich und spucke gedanklich in seine Richtung.
„Ein Wermutstropfen allerdings“, macht Herzog weiter, „ist die große Streuung. Es waren doch eine große Menge Transfers dabei, die nicht funktioniert haben, nicht sinnvoll waren oder einfach unnötig. Bitte beachten Sie dazu die große Anzahl an jungen Spielern und überlegen Sie, welche von denen heute tatsächlich noch bei uns sind oder gar eine Rolle spielen.“
Ich spüre eine Hand auf meinem rechten Unterarm. Opdam beugt sich zu mir herüber und flüstert:
„Ich kann nur hoffen, dass unter den Anwesenden Menschen mit mehr Sachverstand sind als unter den Verantwortlichen. Das ist ja grotesk!“
Ich muss schmunzeln. So habe ich Opdam selten Partei ergreifen hören. Das tut gut.
„Ich frage Sie – und ich bitte gleich um Abstimmung über einen Antrag, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt – ob und wie wir das weiter handhaben wollen. Transfers wie der von Teji Savanier, der vier Millionen aus der Vereinskasse hat verschwinden lassen, oder ein Spieler namens Adili Endogan, von dem ich seither kein einziges Mal mehr etwas gehört habe.“
Ich kichere in mich herein, als ich mich an meinen genialen Coup erinnere, ihn nach England zu deportieren. Derweil höre ich ein geknirschtes ‚Sik tirlan‘ aus dem Hintergrund und ein Schuh fliegt und landet vor Herzog auf dem Platz vor dem Podest. Irritiert schaut der Präsident kurz auf, kann aber im gleißenden Scheinwerferlicht keinen Absender ausmachen.
„Nun, äh… ja, jedenfalls, solche unwirtschaftlichen Transfers müssen verhindert werden.“
Herzog schaut jetzt in die Runde und nutzt die kurze Pause, um für Aufmerksamkeit zu sorgen.
„Ich möchte an dieser Stelle bereits den Antrag stellen, da es gerade gut zum Thema passt. Jeder findet an seinem Platz Abstimmungskarten, eine rote und eine grüne. Ich muss Ihnen wahrscheinlich nicht die Bedeutung der Farben erklären.“
Gekünstelt lacht Herzog in das Mikrofon und verursacht eine kleine Rückkopplung. Mit einem Räusperer macht er weiter.
„Nun, ich stelle nun folgenden Antrag und bitte danach um Ihre Abstimmung. Eine einfache Mehrheit reicht zur Annahme oder auch Ablehnung. In Zukunft möchten wir, das Präsidium des FC Remscheid, die Qualität der Transfers deutlich erhöhen. Dazu stellen wir ein deutlich höheres Transfer- wie auch Gehaltsbudget zur Verfügung. Gleichzeitig muss aber diese Massenspielerhaltung aufhören. Das Gehaltsbudget für bestehende Verträge wird daher vom Präsidium auf ein akzeptables Maß gedrückt. Ausnahmen davon kann es nur geben, wenn das Präsidium, bestehend aus Herrn Paul und mir sowie unseren drei russischen Freunden, einstimmig der Meinung sind, dass es sich lohnt.“
Herzog lässt einige Sekunden verstreichen, in denen Opdam und ich uns entgeistert anschauen.
„Erklärung dafür“, fährt er fort, „ist, dass wir den Kader reduzieren und die Gelder bündeln möchten, um an die ganz großen Spieler herantreten zu können. Also, nochmals in Kurz: Freigabe des Transfer- und Gehaltsbudgets für zukünftige Transfers durch das Präsidium, Kappung des Gehaltsbudgets für zu verlängernde Verträge auf ein akzeptables Maß und Ausnahmen davon ebenfalls nur durch das Präsidium. Ich bitte nun um Abstimmung.“
Es knirscht eine Naht in meinem Sakko, so schnell reiße ich den Arm mit der roten Karte hoch. Nach einem Moment schaue ich mich um, ob nicht Jörg Kovac vom RGA da ist, um eine Foto davon zu machen, wie ich Herzog die Rote Karte zeige. Das hat immerhin Symbolcharakter. Unweigerlich muss ich grinsen, aber die Wirklichkeit holt mich schnell wieder ein.
Ängstlich schaue ich mich um. Ich sehe Grün. Viel Grün. Fast ausschließlich Grün. Einige versprengte Rote Tupfen kann ich wohl ausmachen, allerdings sehe ich auch einen klaren Zusammenhang. Während nämlich an den den Grünen Karten zugehörigen Handgelenken goldene Armbänder und breiten Uhren baumeln, finden sich diese an den Roten Handgelenken nicht.
So funktioniert also scheinbar Vereinspolitik.
„Gut. Gut“, surrt Herzog selbstzufrieden in das Mikrofon. „Es scheint also mehr als beschlossene Sache zu sein. Sobald alles in trockenen Tüchern ist – in zwei Stunden!“, raunt er mit einem bösen Seitenblick in meine Richtung, „ist der Fall klar. Vertragsverlängerungen werden also entweder zu den festgelegten Konditionen erfolgen oder aber über das Präsidium laufen, das dann im Einzelfall höhere Summen freigeben wird.“
Okay, denke ich mir. Das ist ein Problem. Da alle Verträge mit der Ersten Mannschaft zum Ende der kommenden Saison auslaufen, besteht hier extremer Handlungsbedarf. Mit der Resolution hat Herzog aber alle Karten in der Hand, wen er nun behalten möchte und wen nicht. Er hat außerdem enorme Geldreserven, um doch noch die Spieler zu holen, die er gerne hätte. Das einzige, was mich hier noch beruhigt, ist die völlige Unfähigkeit nebst total ruiniertem Ruf der Herren Herzog und Paul.
Meine Gedanken werden mit einem jähen Rumpeln fortgewischt und ich werde ich die Kälte des Augenblicks zurückgeholt: in einem Theatersessel sitzend, erste Reihe, und vor mir steht Präsident Herzog am Rednerpult. Das Geräusch des Todes entstammt seinem Räuspern, mit dem er einen längeren Monolog ankündigt. Ich entspanne alle meine Muskeln und sinke in dem Versuch in den Stuhl, mir eine gemütliche Sitzposition für die nächste halbe Stunde zu verschaffen, die so eine Rede gerne mal dauern kann. Das könnte Realtität werden, denn der nächste PÜunkt lautet "Vorstellung des Kaders" und Herzog holt bereits seit einigen Augenblicken tief Luft.
Tatsächlich ergießt sich ein Redeschwall der üblichen Kategorie. Wie schön die letzte Saison war, wie sehr wir jetzt angreifen werden, wie hoch die Erwartungen der Investoren sind. Bla, bla, bla. Dann kommt er zur Vorstellung des aktuellen Teams.
„Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder! Wir alle haben noch gut die Ereignisse der letzten Saison im Kopf und auch die mitunter nicht so angenehme Presse, die unser Verein erhielt. Abgestempelt wurden wir wegen unserer Transferbemühungen, nicht für voll genommen. Aber meine Damen und Herren! Das alles hat dazu geführt, dass wir gemeinsam Transfers tätigen konnten, die uns absolut wettbewerbsfähig machen. Ich möchte Ihnen nun den neuen Kader für die Saison 2016/2017 vorstellen!
Bernd Leno
Sven Schmitt
Sebastien Frey
Julian Koch
Matthias Zimmermann
Zdravko Bosnjak
Wouter Corstjens
Kyriakos Papadopoulos
Gary Cahill
Mexilhão
Gonçalves
Nguyen Dang Khoa
Diego Contento
Volker Lamertz
Rubén Pérez
Jamel Wagner
Felipe Anderson
Pascal Stein
Julian Draxler
Lothar Rausch
Lazar Markovic
Kevin Volland
Jimmy Roye
Felipe Gutiérrez
Phillip Schuster
Marcel Kovarik
Jan Odstrcilik
Jaguaré
Kingsley Eze
Werner Schilk
Hugo Moraís
kommt noch
Leandro
Herzog präsentiert den Kader mittels Beamer und Spielerfotos. Ein leichtes Gemurmel in den Rei-hen zeigt mir, dass ich in meinem Anflug von Belustigung nicht alleine bin: Offensichtlich hat hier jemand die Animationen und Bilderrahmen von Power Point für sich entdeckt.
Die Kadervorstellung dauert unendlich lange. Zwischen den Bildern vergehen Sekunden, bis sie ineinander überwechseln. Herzog allerdings betrachtet die Wand mit dem projizierten Bild mit gro-ßem Spaß.
Immerhin etwas.
„Sicherlich, dieser Kader erscheint etwas groß. Das liegt natürlich an den vielen jungen Talenten, die noch dabei sind. Hier werden wir gezielt Leihgeschäfte einfädeln. Inwieweit die am Ende der Saison auslaufenden Verträge dieser Nachwuchsleute dann verlängert werden, hängt maßgeblich von der zukünftigen Ausrichtung des Vereins ab, und natürlich auch von der Leistung dieser jungen Männer.“
Der Präsident wendet sich mit seiner ganzen Statur mir zu, bevor er fortfährt.
„Herr Way und ich waren bezüglich der eben von mir genannten Ausrichtung nicht immer einer Meinung, wie Sie natürlich wissen. Ich darf an dieser Stelle verkünden, dass wir uns auf eine Marschrichtung geeinigt haben.“
Gemurmel durchläuft die Reihen hinter mir. Ich bemerke eine wachsende Anspannung. Selbst-verständlich hat es keinerlei Gespräche in diese Richtung gegeben.
„Herr Way und ich“, fährt Herzog mit schmierigem Grinsen weiter und zeigt dabei mit der linken Hand in meine Richtung, „sind übereingekommen, dass mit einer auf Jugendarbeit ausgerichtete Philosophie keines der Ziele zu erreichen ist, die wir uns gesteckt haben. Diese lauten: Erreichen der Top Fünf innerhalb der kommenden zwei Jahre, dazu Erreichen mindestens des DFB-Pokal-Halbfinales in der gleichen Zeit. Innerhalb der kommenden vier Jahre wollen wir ernsthaft um den Titel mitspielen.“
Es vergehen zwei Sekunden, bevor anerkennender, ja, euphorischer Applaus aufbrandet. Irgend-jemand klopft mir von hinten auf die Schulter, jemand anderes drückt anerkennend meinen Unterarm. Ich presse feste die Zähne aufeinander. Mit großer Mühe versuche ich, mich zu beherr-schen, nicht aufzuspringen und Herzog seine ölige Fresse zu polieren. Ich dürfte nicht überrascht sein, sage ich mir. Das hätte ich erwarten müssen. Aber dennoch, im Moment fühlt es sich an wie eine Niederlage.