Also los, erstes Heimspiel als Drittligameister! Es kommt Holstein Kiel. Van Aanholt werde ich gleich von Beginn an spielen lassen, ebenso Zimmermann und Lamertz. Der holländische Linksverteidiger, der nur schlecht Deutsch spricht und versteht, quittiert jede meiner Anweisungen mit wildem Kopfnicken. Er schwitzt auch. Opdam, der übersetzt, legt ihm immer wieder beruhigend den Arm um die Schulter und will ihn wegdrehen, aber van Aanholt reisst sich jedes Mal los und starrt mich weiter mit geweiteten Augen an. Was er nur hat?
Später erfahre ich, dass er Angst hat. Jammerlappen. Aber vielleicht kann ich das für mich ausnützen? Ich werde ihn darauf ansetzen, ein Pfund gebackenen Gouda auf Herzogs Bürostuhl zu verteilen. Während dieser darauf sitzt.
FC Remscheid (1.) – Holstein Kiel (5.)Röntgenstadion, Zuschauer: 3.421
L’Hostis – Zimmermann, Corstjens, Stoller, van Aanholt – Lamertz – Rubén Peréz, Nijholt – Rausch, John – Leandro
Wie es aussieht, haben meine Kinners den Titel „Meistermannschaft“ schnell verinnerlicht. Anders ist nicht zu erklären, dass wir die Holzbeine 3:1 aus dem Stadion schießen, und das trotz eines vollkommenen Neulings (van Aanholt), der zudem auch noch psychotisch wirkt, und es eines halben, Lamertz, eines Jugendspielers.
1:0 Leandro (16.)
2:0 Rubén Pérez (23.)
3:0 Leandro (31.)
3:1 Striegel (55.)
Nijholt fällt für fünf Wochen mit Rippenbruch aus.
Damit ist der Fall klar: ein Spieler aus der Premier League bettelt darum, dass ich ihn verpflichte. Wir klopfen am „Inner Circle“.
Jedoch sehe ich, dass er gerne aus der Distanz schießt, was in Verbindung mit seiner Distanzschussfähigkeit (11) ein Minusargument darstellt. Kauf abgelehnt.
Wie so oft schon erfahre ich erneut, wie dämlich manche Pressevertreter sind. Auf die Frage, wer denn erster Ersatz für den verletzten Nijholt ist, antworte ich, dass das Juca machen wird – wie schon für den größten Teil der Saison. Daraufhin lacht man mich aus.
SV Sandhausen (16.) – FC Remscheid (1.)
Hardtwaldstadion, Zuschauer: 1.608
Ich lasse mal wieder das Erste Team ran. Die Rekonvaleszenten (Kessler, Tolga Cigerci) bleiben außen vor.
L’Hostis – Lüthi, Costjens, Kotysch, Dang Khoa – Stoller – Rubén Peréz, Juca – Rausch, John – Leandro
Erneut eine saugute Leistung von uns. 1:5 heißt es am Ende und wir sind mehrere Klassen überlegen. Ich bemerke, dass ich (etwa um Minute Vierzig herum) auf der Ban k im Kopf ausrechne, wie lange es noch bis zum Meistertiel in der Ersten Liga dauern wird. Ich komme zu dem Schluß: ganz schön lang. Und dabei habe ich doch ziemlich bescheiden gerechnet, denn ich kalkuliere mit immerhin drei Niederlagen bis dahin. Nee, das muss besser sein, nehme ich mir vor!
0:1 Corstjens (3.)
0:2 Rausch (6.)
0:3 Roj (ET, 14.)
0:4 Rausch (24.)
1:4 Hornig (52.)
1:5 Rausch (64.)
http://www.youtube.com/watch?v=3wF8vi0j6r8
Ich beobachte das Training der Torhüter. Einer sticht besonders raus: Franck L’Hostis. Er fliegt, als ob er Meilen sammelt. Allerdings sieht er irgendwie komisch aus. Sein Mund… Auf die Entfernung von guten zwanzig Metern, die uns trennt, schaut er aus, als ob er ständig schreit, ständig sein Maul offen hat.
Ich gehe mal näher heran.
Gerade hechtet er einem Ball hinterher, der unaufhaltsam Richtung Winkel unterwegs ist. Lothar Rausch hat ihn abgefeuert und dabei laut und sehr spitz gejuchzt. L’Hostis macht zwei Schritte, hebt ab und fliegt. Er fliegt und fliegt und justiert kurz die Fluglage und schwenkt ein und dreht noch eine kleine Platzrunde und senkt die nase ab und – verpasst den Ball. Das Netz schlägt gegen das Eisengestänge und macht dieses typische Geräusch dabei.
„Merde!“, flucht er, noch in der Luft liegend. Dann klatscht er auf dem Boden auf, steht aber sofort wieder. Da sehe ich: sein Mund ist nicht etwa zum Schreien geöffnet. Er lacht. Er lacht und grinst und zwinkert. Das Schwarze, das ich von Weitem wahrnahm, ist tatsächlich Erde und Gras.
Scheinbar grinst er auch bei der Landung.
Als er mich sieht, macht er ein schnelles Zeichen und bricht das Training kurz ab. Er joggt auf mich zu.
„Coatschhhh.“, macht er.
„Nimm ma‘ die Wiese aus’m Maul, Fronck.“, weise ich ihn an. Er wischt sich schnell durch den Mund, scheint aber in seiner Laune nicht gebremst.
„Coach, isch wollte nur frogen, isch ‘abe Anliegen pour ta.“
Ich blicke ihn an. Ich muss mich schon etwas anstrengen, um mir das Lachen zu verkneifen.
„Sprich.“
Franck nickt.
„Oui. So, isch wollte bitten zu nehmen misch von der liste de transferts. Isch will bleiben jetzt in Remschei‘!“
Ich mache ein erfreutes Gesicht. Ja, doch – auf diese Weise löst sich eine Baustelle auf, auch wenn es bedeutet, ein weiteres Jahr Amphibien auf der Wunschspeiseliste vorfinden zu müssen.
„Oh, wirklich. Fronck, toll. Da freue ich mich aber!“ Hüstel.
„Oui, mon entraîneur! Letzte Spiele isch ‘abe immer gespielt und bon, oder nischt? Isch will ‘ier sein in die Team.“
„Ja, gern.“
Franck hebt jetzt aber plötzlich den Zeigefinger.
„Aber!“, sagt er mit deutlicher Stimme, „isch will Numéro Un.“
Ich denke kurz über seine Worte nach. Mir ist natürlich klar, was er meint, aber ich frage dennoch.
„Was meinst Du genau, Fronck?“
„Die Un.“
„Die Nummer Eins? Sorry, Französisch ist normalerweise kein Problem, solange ich nicht dabei sprechen muss.“
„Oui, mon entraîneur. Un.“
„Jetzt verstehe ich: Du meinst die Nummer auf dem Trikot.“ Ich lächle jetzt verständnisvoll und zustimmend. „Die Nummer Eins willst Du?“
„Oui. Isch will sein Eins.“
„Gut, Du bekommst also die Eins. Abgemacht.“
„Aber Monsieur, für lange. Nischt nur versprechen!“
Ich schüttele heftig den Kopf.
„Nein, nein, ich versichere Dir unter Zeugen-“ Ich sehe mich um. Gerade geht ein Spieler an mir vorbei. Ich greife schnell nach seiner trainingsjacke und ziehe ihn zu mir heran.
„Du, wie ist Dein Name?“
Der Mann blickt mich konsterniert an.
„Trainer? Ich bin’s, Jimmy Roye!! Kennst Du mich nicht mehr?“
„Doch, doch!“ Ich wedele ungeduldig mit der Hand. „Also, Jamiro-I-“
„Jimmy Roye!“
„- Schnauze, zuhörn! Ich versichere hiermit unter Zeugen, dass Fronck hier in der nächsten Saison die Nummer eins bekommt. Verstanden? Beide?
Beide nicken. Ich schubse Roye wieder weg. „Gut. Dann ist das klar. Fragen?“
L’Hostis nickt. Roye geht fluchend weg.
Ich reiche Franck die Hand und blicke ihn dann ernst an.
„Du, Fronck?“
„Oui?“
„Du schuldest mir dann noch eine Flasche von die Bier, die soo schön hat geprickelt in mein Bauch-na-belle.“
L’Hostis blickt mich verständnislos an. Dann zwinkere ich ihm zu und gehe.
Ist immer gut, rätselhaft zu bleiben.