Das einzige, was mich an Löw stört, ist seine Sturheit und seine Lernresistenz.
Das ist aber auch irgendwie nicht fair. Am Anfang des Turniers war hier die große Kritik immer, dass er "seiner" Stammelf vertraut, dass er zu wenig aus den Möglichkeiten der anderen Spieler macht. Zumindest das hat er widerlegt und sich in die Richtung korrigiert. Klose hatte keinen Stammplatz, für ein Spiel hat er die komplette Offensive ausgewechselt. Zumindest personell hat er vieles anders gemacht als in den letzten Jahren, dann hat er ja gerade im Halbfinale mal nicht stur an seinem System festgehalten, wie es ihm hier auch vorgeworfen wird (der Höhepunkt der lächerlichen Kritik war hier wirklich ein Post, der im ersten Teil Löws dickköpfiges Festhalten am Lieblingssystem und anschließend seinen "dummen" Systemwechsel im Halbfinale gerügt hat). Ich habe den Eindruck, dass diese ganze Debatte um Löw hier einfach noch unter dem Eindruck des Frustes geführt wird. Löw hat ja nicht versagt, das Team hat ein Spiel gewonnen, bei dem sie nicht unterlegen waren, aber eben auch nicht gewinnen konnten. Ein anderer User hat das hier mal gut formuliert: Die Deutschen müssen lernen,dass sie halt nicht jedes Spiel gewinnen. Italien hat verdient gewonnen, aber sie waren nicht klar die bessere Mannschaft. Es war ein Duell auf Augenhöhe, bei dem ein überragender Balotelli, der diesmal absolut fehlerfrei im Abschluss blieb (wie oft ist das schon vorgekommen bei dieser EM?) die haarsträubenden individuellen "Anfängerfehler" der deutschen Defensive (wie oft gab es die schon bei dieser EM?) ausgenutzt hat. Hochkarätige Chancen hat sich Italien auch nicht mehr rausgespielt, höchstens nach Kontern. Und wenn Italien 2:0 führt, dann sind die eben defensiv auch einfach zu stark und zu gut ausgebildet, um da noch angreifbar zu sein.
Klar ist Kritik an Löw berechtigt. Und natürlich muss sich in Hinblick auf das Spiel auch etwas in der Nationalmannschaft ändern. Aber halt nichts Grundlegendes. Im Gegensatz zu 2010 waren auch viele Spieler weit von ihrer Bestform entfernt. Ob das nun Özil, Schweinsteiger (den ich defensiv trotzdem für extrem wertvoll gehalten habe), Klose, Müller oder Podolski war, keiner dieser Spieler hat viel auf die Reihe bekommen. Es fällt jetzt natürlich leicht das System zu verdammen, Podolskis Aufstellung zu hinterfragen oder was auch immer. Aber erstens hat das System mit Müller und Podolski 2010 noch hervorragend funktioniert (sicher auch unter etwas anderer Voraussetzung) und zweitens verstehe ich sogar das Festhalten an einigen Spielern wie Schweinsteiger oder Podolski. Schließlich hat Podolski vor 2 Jahren im Ligafußball keine Rolle gespielt, zur WM war er stark. Özil ist in der Gruppenphase der EM überhaupt nicht in Erscheinung getreten und macht dann ein hervorragendes Spiel gegen Griechenland. Löw hat eben darauf spekuliert, dass Podolski gegen Italien sehr stark ist, genauso wie Schweinsteiger, der gegen Holland noch der große Held war. Podolski konnte nicht liefern, aber es gibt keine Garantie dafür, dass Schürrle es besser gemacht hätte (oder Reus) und letztendlich wissen wir auch nicht, was im Training geschehen ist. Vielleicht ist Podolski dort groß aufgeblüht und konnte es nur in den Spielen nicht abrufen? Schweinsteiger ist vor allem defensiv sehr wichtig gewesen. Kroos hätte das vielleicht genauso gut gemacht, aber letztendlich lässt sich das im Nachhinein immer leicht behaupten.
Ich könnte die oftmals anmaßende Kritik ja verstehen, wenn hier irgendjemand vor dem Italien-Spiel beim Verlesen der Aufstellung seine Hand dafür ins Feuer gelegt hätte, dass Deutschland verliert. Klar war die Systemumstellung im Nachhinein Käse, aber hätte sie auch nicht genauso gut funktionieren können? Bedarf es für diese Vorstellung mehr Fantasie als die Vorstellung, dass Hummels den Zweikampf gewinnt und Lahm nicht falsch steht oder Balotelli den Ball verzieht oder die Chance verstolpert? Letztendlich waren es nur Kleinigkeiten, die zu den Gegentoren geführt haben. Trotzdem muss sich Löw die Frage gefallen lassen, warum die Mannschaft nach dem Rückstand nicht zurückgekommen ist. Wie es sein kann, dass bei einem Eckenverhältnis von 14:0 und bei gefühlten 200:10 Flanken kein schneller Anschlusstreffer fallen konnte, warum nicht mit 2 Stürmern gespielt wird, wenn die Mannschaft gegen Italien mit 2 Toren zurück liegt. Klar hat Löw Fehler gemacht, das sieht er selbst garantiert genauso. Klar hätte Klopp das Spiel vermutlich locker gewonnen. Und natürlich hätte Schweinsteiger sich nicht sein dummes Schlüsselbein und das Sprunggelenk verletzen müssen. Deutschland war zu Recht ein großer Favorit auf den Titel. Überzeugend gespielt haben sie nicht. Über den Turnierverlauf hinweg war das Auftreten enttäuschend, obwohl die sogenannte Todesgruppe gewonnen wurde. Was bleibt ist natürlich die Enttäuschung der hohen Erwartungen. Gebt euch ein paar Tage Zeit, vielleicht sieht das Fazit rückblickend etwas anders aus. Fußball ist nunmal ein schwer auszurechnendes Spiel, wenn dort 2 Mannschaft wie Italien und Deutschland, die relativ gleichstark sind, aufeinandertreffen, dann kann manchmal auch eine fehlerfreie Vorbereitung auf das Spiel nicht zum gewünschten Ergebnis führen.
Ich wäre dafür, dass Löw weitermacht. Die Nationalmannschaft ist ein funktionierendes Gebilde. Heynckes steht auch nicht in der Kritik, obwohl er es nicht geschafft hat, mit überlegenen Bayern das Champions League-Finale zu gewinnen. Chelsea hatte eine Torchance und sie nutzen sie. Seht es doch mal so: Italien brauchte mehrere kapitale Fehler von Löw, gepaart mit unglaublichen Fehlern von Hummels, Lahm und Badstuber, einen außer Form befindlichen Schweinsteiger und einen komplett abgetauchten Podolski, um das Spiel mit einem Tor Vorsprung zu gewinnen. Vielleicht hilft das manchmal
