Dass der Herr Lauterbach polarisiert, ist mir schon klar, er vertritt schließlich sehr harte/restriktive Positionen, die man nicht unbedingt teilen muss. Dass man, wenn man das anders sieht, da gerne mal auf 180 ist - verstehe ich, kein Thema. Aber dann lassen wir ihn doch einfach außen vor, dann braucht sich niemand über ihn aufregen, in Ordnung?
Es ist aber trotzdem so, dass auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorschlagen, eine Inzidenz von ca. 10 zu erreichen, um dann anschließend einen No Covid-Strategie zu fahren. Siehe den von mir in einem vorigen Post verlinkten Artikel zum Positionspapier einer interdisziplinären Gruppe. Da kann man ja drüber streiten, ob das nun erstrebenswert, machbar oder was auch immer ist. Diesen Diskurs gibt es auch innerhalb der Wissenschaft. Andere sagen z.B., dass es reicht, wenn wir wieder in eine Region kommen, in der die Gesundheitsämter zuverlässig und schnell eine Kontaktverfolgung und Quarantäneanordnungen bewerkstelligen können. Interessanterweise sind sie sich aber (fast) alle darin einig, wie man dahin kommen muss: durch Maßnahmen wie AHA-L, Kontaktbeschränkungen, Schul- und Kitaschließungen, Einzelhandel und Gastronomie zu, Homeoffice wo möglich und damit einhergehend Reduktion der Auslastung des ÖPNV. Und die Logik dahinter ist auch ganz simpel: Je härter die Bremsung (= je umfassender/schärfer die Maßnahmen), desto schneller gehen die Zahlen runter und desto eher können wir auch wieder Lockerungen zulassen. Also genau das, was wir alle hier wollen. Je länger und schwächer wir bremsen müssen, desto länger dauert es, bis wir zum (Beinahe-)Stillstand kommen und wieder kontrolliert losfahren können. In diesem Bild weiter gesprochen heißt das, dass wir am Anfang (November + Dezember) viel zu schwach gebremst haben, weil wir nicht langsamer geworden sind.
Das Bild der Bremsung habe ich von Herrn Drosten übernommen und ich finde es recht anschaulich. Drosten bringt mich auch zum nächsten Punkt. Im Podcast von gestern hat er nochmal betont, dass wir uns aktuell - auch aber nicht nur mit Blick auf die Mutationen aus GB und Südafrika - in einer brenzligen Situation befinden. Ein weitere Aspekt war der oft bemühte Schutz der Risikogruppen. Nun ist es ja plausibel zu sagen, wenn wir alle Menschen Ü80 oder Ü70 schützen können - sei es durch Isolation oder Impfung (braucht Zeit) - dass man dann die Maßnahmen aufheben kann, weil die Fallsterblichkeit abnimmt. Diese Diskussionen werden sicher kommen und klingen auch jetzt teilweise schon an. Das bringt nur ein Problem mit sich: dann ist man schnell bei Infektionswerten von 100 000/Tag und das bedeutet, dass sehr viele junge Menschen infiziert werden. Ein gewisser Prozentsatz davon wird krank, ein Teil davon wird auch länger ausfallen (Long Covid). Letztlich nimmt man damit also einen hohen Krankenstand in Kauf. Ob das so toll für die Wirtschaft ist, bezweifle ich. Will sagen: Auch ein Aspekt, den man bei Lockerungsübungen diskutieren muss.
Thema Eigenverantwortung: Da haben Rejs und Joe doch schon sehr deutlich gemacht, warum das nicht so richtig funktioniert hat. Ja, wäre wünschenswert, wenn das so klappt, aber wenn ich sehe, wie viele es nichtmal hinbekommen im Supermarkt ihre Maske richtig anzuziehen, habe ich da starke Zweifel.
Thema Schutz von Risikopatienten: Vielleicht habe ich es ja immer noch nicht kapiert, mag sein, aber wie genau soll das funktionieren, knapp 25 Mio. Menschen zu schützen? Die leben nicht nur in Heimen. Die haben teils Familien zu Hause, die raus zur Arbeit/in die Schule/wohin auch immer müssen. Hinzu kommt, dass die exitierenden Schutzkonzepte für Heime ja noch nichtmal flächendeckend umgesetzt werden, also nicht einmal das funktioniert.
Ich habe bislang leider noch keine überzeugende Argumentation gelesen, die einen Weg abseits der niedrigen Infektionszahlen aufzeigt, der wirklich praktikabel wäre. Ja, die ewige Lockdown-Verlängerung nervt, sie geht an die Substanz und der Lockdown bringt zahlreiche negative bis dramtische Nebenwirkungen mit sich. Es gibt viel, was man da berechtigt kritisieren kann, insbesondere Dinge, die schlicht und ergreifend verpennt worden sind. Daraus leitet sich für mich aber noch keine grundsätzliche Ablehnung dieses Pfads ab.