Prolog Teil 2: Kneipenfrust
„Willst du mich verarschen?“ fassungslos blickte ich Tom an.
„LOK?“ Ich versuchte eisern einen Funken von Witz oder Ironie im Gesicht meines Gegenübers zu erkennen.
„Nein, will ich nicht.“ stellte der nur trocken fest.
„Und was ist mit Civa?“ „Der wird nicht mehr lange Trainer sein. Ich kenne dort ja nun genug Leute durch meine Zeit im Nachwuchsbereich und ich sage dir dort hat es gestern richtig geknallt. Er muss wohl heftig mit Ziane aneinandergeraten sein. Angeblich inklusive Austausch intensiver körperlicher Nettigkeiten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man das bei LOK nutzen wird, um Civa loszuwerden. So pralle waren die letzten Jahre sportlich nicht und Probleme gibt es seit Monaten auch zwischenmenschlich durch den kompletten Staff. Wenn der Platz frei wird, könnte ich einen Kontakt herstellen.“ führte Tom aus.
Das überzeugte mich nicht. Bei LOK waren auch in den letzten Jahren immer wieder bekannte Namen und Gesichter aufgetaucht. Darauf legte man beim ersten Deutschen Meister großen Wert. Schließlich hatte der Traditionsklub auch heute noch eine große Strahlkraft auf bekannte Persönlichkeiten.
„Bei Lok legt man Wert auf Namen. Selbst der Basler hat sich mal eine ganze Weile dort auf dem Gelände rumgetrieben. Ich glaube wirklich nicht, dass da was geht.“ Stellte ich pessimistisch, wie ich nun einmal war, fest.
„Und selbst wenn. Versuchen könnte man es – vielleicht will ja auch die alte Dampflok mal einen neuen Weg einschlagen und mit dir hätten sie definitiv jemanden der frischen Wind in den Laden bringt. Schließlich warst du auch der stärkste Absolvent des Jahrgangs und…“ Tom machte eine Kunstpause.
„Wenn ich mich richtig erinnere, war doch auch dein Stiefvater damals beim VFB?“ Ich ließ ein zustimmendes Murren vernehmen, während ich nachdenklich mit dem Zeigefinger über den Rand meines Bierglases strich.
„Er war mehr Mitarbeitender als Spieler, aber ja.“ Ich seufzte.
„Ok, gut. Sollte und ich meine wirklich SOLLTE! sich dort etwas tun dann leg gerne ein gutes Wort für mich ein. Du weißt mit Lok tu ich mich schwer, auf vielen Ebenen.“ Tom breitete die Arme aus
„Wie du meinst. Ich kanns nur anbieten.“ Das erste Mal seit Tom die Kneipe betreten hatte gönnte sich unser Gespräch eine kurze Pause. Schließlich sagte ich:
„Gut, das war mal ein intensiver Einstieg. Bisher haben wir aber nur von mir geredet. Wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen?“ Draußen empfing uns eine lauschige Sommernacht, die durch den Sternenklaren Himmel und den fast vollendeten Vollmond die Dunkelheit weitestgehend fernhielt. Nachdem ich mich von Tom verabschiedet hatte, versenkte ich die Hände in meiner Kapuzenjacke und beschloss den Weg nach Hause zu Fuß zurückzulegen. Der Vorteil an Leipzig ist, wenn du nicht gerade in der Pampa in einem der Außenbezirke festhängst, kannst du vieles auch zu Fuß erreichen. Zumindest wenn man bereit ist, auch mal einen einstündigen Spaziergang zurückzulegen. Selbigen brauchte ich aber gerade um meine Gedanken zu ordnen und Toms Worte sacken zu lassen.
Versteht mich nicht falsch. Selbstverständlich wäre der 1. FC Lokomotive Leipzig für mich eine riesige Chance. Eine die man gegebenenfalls nur einmal im Leben bekommt. Dennoch haderte ich auch gleichzeitig. Dazu muss man sagen, dass ich und meine komplette Familie westdeutschen Background haben. Das bedeutet Ruhrpott, das bedeutet Dortmund, Currywurst mit Pommes, Bier, Südtribüne und viel Tradition. Durch den Zuzug hatte ich nie große Verbindungen zu Lok oder Chemie. Bisher hatte es nicht für mehr als ein paar Gastbesuche bei den ehemaligen Fußballgrößen gereicht. Das altehrwürdige Bruno-Plache-Stadion war verfallen und sah aus, als wenn man es jeden Moment zum Denkmal aus Vorkriegszeiten erklären würde. Der Verein war in den Tiefen der Regionalliga verschwunden, chronisch pleite und stand mehr wegen seiner rechten und gewalttätigen Problemfanszene im Rampenlicht als für sportliche Erfolge. Zwar hatte auch Chemie ähnliche Schwierigkeiten, wenn man mich aber zwingen würde zwischen beiden Vereinen zu wählen, wäre ich jedoch vermutlich eher ein Grün-Weißer als ein Blau-Gelber.
Trotzdem: Erster Deutscher Meister, zahlreiche Erfolge zu DDR-Zeiten mit ruhmreichen Europapokalnächten sowie eine stark zu mobilisierende Fanszene waren durchaus schlagkräftige Argumente. Gerade für einen Einsteiger wie mich. Es war wie Tom sagte, probieren kann man ja.
Noch so eine universelle Weisheit. dachte ich als ich an meiner Haustür angekommen war und nach dem Schlüssel kramte. Vielleicht war es Zufall. Vielleicht ein Zeichen. Aus einer Nebenstraße dröhnte ein halb besoffenes „Lok und Halle Hurensöhne! Ohohoho“ herüber. Ich schmunzelte und schloss die Tür auf. Lok war plötzlich näher als mir lieb war.