Schönen Guten Morgen in die Runde. Es hat noch ein paar Tage länger gedauert, aber wir machen weiter mit der Story. Da der Part etwas länger geworden ist - musste ich mir entsprechend Zeit nehmen wenn sie denn mal da war.

Hin und wieder zurück - A Leipzig journey
Kapitel 1 - Part 2: Der Beginn
Irgendwie schon kurios, dass wir unsere Stimmung und die Wertung eines Tages so oft vom Wetter abhängig machen. Ist der Tag grau und trüb, halten sich die Glückshormone meist zurück, während sie bei prallem Sonnenschein gerne mal zu tausenden explodieren.
Als ich an diesem Morgen aufwachte und mein verschlafener Blick aus dem Fenster fiel, trübte sich mein Gemüt etwas ein. Es war ein äußerst dunkler Morgen mit einer dichten Wolkendecke, welche förmlich still und mahnend über der Stadt hing. Ab und zu begann es etwas zu tröpfeln nur um sich wenig später wieder umzuentscheiden. In Leipzig regnete es sonst fast nie. Das Tiefland gehört zu den Niederschlagsärmsten Regionen in Deutschland. Die vielen Seen südlich der Stadt taten ihr übriges und fungierten als natürliche Barriere gegen die Regenfront.
Ich zog die Decke über den Kopf und blieb noch eine Weile liegen. Bis zu meinem Gesprächstermin am Nachmittag hatte ich keinen Stress und Gedanken konnte ich mir schließlich auch im Bett machen. Spielsysteme, Konzepte und Mentalitätsfragen ratterten durch meinen Kopf und ließen mich nicht zurück in den Schlaf kommen. Irgendwann sah ich mich dann doch mal genötigt aufzustehen und mir ein eher weniger gelungenes Spiegelei auf Toast zu braten. Weil ich trotz der Beseitigung des Hungers nicht ruhiger wurde und ich mit mir selbst in meiner Wohnung nichts weiter anzufangen wusste, beschloss ich mich schon einmal auf den Weg in Richtung Bruno-Plache Stadion zu begeben.
Dementsprechend war ich trotz Zeitlupenschritt viel zu früh dran, als ich von der Prager Straße in die Connewitzer Straße einbog. Wenn man nicht ortskundig war, würde man wohl kaum vermuten, dass hier, um die Ecke, ein großes Vereinsgelände zu finden war. Denn statt Zäunen und Tribünen fand man erstmal Zäune und Vorgärten der Einfamilienhäuser, welche sich dicht an dicht aneinanderreihten. Natürlich traf man hier um diese Zeit und bei dieser Witterung niemanden an. Abgesehen von einem alten Herrn, welcher vor seinem braun-grau verputzten Hauseingang stand, und Gedanken verloren mit seinem Besen den Eingangsweg kehrte. Ich war mir unsicher ob ich belustigt auf Grund der Sinnlosigkeit dieser Tätigkeit sein sollte oder ob diese Hartnäckigkeit bei den Witterungsbedingungen nicht doch bewundernswert war.
Als ich vorbeilief, hob er prüfend den Kopf und sah mich mit zusammengekniffenen Augen scharf an. Ich verlangsamte meinen Schritt und nickte ihm grüßend zu:
„Moin!“„Bissn spät für Moin. Gähn sie zu Lok?“ fragte er argwöhnisch und in tiefem Sächsisch. Verdutzt sah ich ihn an.
„Wie kommen Sie drauf?“„War selbscht mol Fußballer un isch erkenne Läude die mit Sport zutun habn am Gang.“Er tippte sich dabei grinsend mit dem Zeigefinger auf den Oberschenkel, als hätte er gerade jemanden nach Strich und Faden verarscht. Ich beschloss nicht komplett zu lügen, aber viel wollte ich auch nicht preisgeben.
„Tatsächlich will ich da hin. Ich nehme an am Parkplatz durchs Eingangstor?“ „Rischdich.“ Er fokussierte mich weiter. Nachdem ich auf mehr gewartet hatte, aber nichts mehr kam, beschloss ich mich der unangenehmen Situation zu entziehen.
„Danke! Ihnen einen schönen Tag.“„Viel Erfolg!“ sagte der Alte nur, wendete den prüfenden Blick ab und fuhr mit dem Kehren fort – nun mit einem fröhlichen Pfeifen auf den Lippen.
Wenig später tat sich links vor mir bereits der Haupteingang der Heimkurve auf. Durch steinernde Eingangsbögen, welche für den Einlass genutzt wurden, betrat man den Bereich hinter der Kurve. Ein großes blau-gelbes Schild stellte klar, wo man sich befand. „Bruno-Plache-Stadion“. Die üblichen Essenswägen, welche sonst mit Düften und Hungerkillern überzeugen konnten, standen jetzt, außerhalb des Spieltages, einsam und verlassen da. Ein Stück weiter sah man eine alte abgewrackte Lok, welche noch nicht so lange Teil des Repertoires war und neben den Vereinsfarben auch durch das Wappen geschmückt wurde. Ebenso in die Jahre gekommen schien das gesamte Vereinsgelände. Dennoch versprühte es den gewissen Charme. Man merkte wieviel Tradition hier am Werk war. Aber auch wie wenig Geld und beides war für sich betrachtet sicher kein Garant für Erfolg.
Ich atmete einmal tief durch und betrat das Gelände. Während links neben einer provisorischen Zusatztribüne die alte Holztribüne aufragt, befand sich zu meiner rechten ein noch recht neuer Kunstrasenplatz mit Flutlicht und ein paar verwaisten Sitzplatzreihen. Es war ein Kontrast wie er nicht größer hätte sein können. Schließlich handelte es sich bei der Sitzplatztribüne des Plache Stadions um die älteste Holztribüne Europas. Folgerichtig stand sie unter Denkmalschutz. Der Kunstrasen dagegen war noch recht neu. 2017 nach FIFA-Normen erbaut, um Ausweichspiele auf einem Großfeld zu gewährleisten u.a. für die zweite Herrenmannschaft und um die eigene Jugendarbeit zu fördern. Etwa eine Millionen Euro hatte der ganze Spaß gekostet. Viel Geld, welches allerdings nur zu 20 % von Lok getragen werden musste. Der Rest stammte vom Freistaat Sachsen sowie der Stadt Leipzig. Definitiv sorgte der Platz heute für eine Aufwertung des Geländes. Die teils miserable und nicht nachhaltige Jugendarbeit von Lok konnte das Ganze bisher allerdings kaum verstecken. Das Grundstück selbst war riesig. Auf der anderen Seite des Kunstrasens sah man vier weitere Kleinfeldplätze und hinter dem großen Zuschauerparkplatz, welcher sich im Zentrum befand, ragte eine alte Indoorhalle auf. Heruntergekommen und mit Graffiti verschönert wirkte das in Kombination mit dem Baumaterial und dem Bauschutt, der überall verstreut war, eher wie das Gewerbegelände einer illegalen Baubude als das Grundstück eines großen Fußballvereins.

Am Ende der Holztribüne wartete schon ein Mitarbeiter, welcher mich wortkarg in Empfang nahm und mich ins Tribüneninnere führte. Wahrscheinlich war er verärgert, dass ich zu früh da war und seine Raucherpause gestört hatte. Unsere Schritte hallten durch die leeren Gänge der maroden Konstruktion und es hing ein leicht muffiger Geruch in der Luft. Schließlich erreichten wir eine Tür am Ende des Ganges. Doch statt hindurchzugehen, wies er mich in eine Ecke, wo drei einzelne Stühle standen. Wahrscheinlich sollte das einen Wartebereich darstellen.
WOW! Doch teilweise wie bei der SG hier!„Ich komme dann wieder.“ nuschelte der Mitarbeiter und ließ mich sitzen. Während der Wartezeit wurde ich immer nervöser. Augen zu und durch. Das war eher mein Kredo als Geduldsspiele. Langes Warten brachte mir in der Regel keine Punkte. So fühlte sich die halbe Stunde endlos zäh an, ehe der Mitarbeiter wieder erschien. Er winkte mich heran und hielt mir die Tür, die wir vorhin noch so erfolgreich vermieden hatten, auf. Zum Vorschein kam ein kleiner Vereinsraum dessen Wände mit Lok-Wimpeln und Bildern aus verschiedenen Epochen behangen waren. In der hinteren Ecke stand ein großer Rechteckiger Tisch. Auf der einen Seite drei, bereits belegte Stühle. Gegenüber ein weiterer Unbesetzter.
Auf den belegten Stühlen saßen drei Männer und warteten bereits auf mich. In der Mitte der Vereinspräsident, Torsten Kracht – eine Mischung aus verschmitztem Lächeln und skeptischem Blick aufgesetzt. Links neben ihm der Sportvorstand Clemens Schneider, ein drahtiger Mann mit Brille, rechts eine weitere Person dessen Name ich nicht wusste. Sein Blick verriet allerdings, dass er scheinbar lieber woanders wäre.
„Herr Kopp, schön, dass Sie da sind.“ Kracht erhob sich halb, streckte mir die Hand entgegen.
„Nehmen Sie Platz. Das hier ist unser Sportvorstand Clemens Schneider und unser Jugendkoordinator Andreas Brücke.“Ich nickte, setzte mich und versuchte die Nervosität zu verbergen, die mir tief in der Magengrube nagte.
„Guten Tag!“„Sie wissen ja, warum Sie hier sind“, begann Kracht.
„Lok ist in einer schwierigen Situation. Der Trainer ist weg, aber damit auch gleichzeitig der Sportdirektor. Civa war für beides zuständig, wie sie vielleicht wissen. Die Stimmung in der Truppe ist entsprechend angespannt. Wir brauchen jemanden, der sofort etwas verändern kann und weiß, was er tut. Dafür ist Erfahrung gefragt. Deshalb wollen wir hier auch völlig ehrlich zu Ihnen sein: Warum sollten wir Ihnen zutrauen, das zu schaffen? Als wir durch Herrn Mohn von Ihnen und dem Interesse erfuhren, waren wir nicht vollends überzeugt. Sie haben keine Profierfahrung.“ Der Satz fegte durch den Raum wie ein kalter Windstoß. Ich schluckte. Am liebsten hätte ich Kracht gefragt wieviel Profierfahrung er denn vorweisen könne.
„Das stimmt“, erwiderte ich stattdessen.
„Ich habe noch keine Profispiele gecoacht. Aber Fußball, das Spiel, das wir lieben…ist am Ende überall gleich – ob in der Champions League oder in der Kreisliga. Die Prinzipien bleiben dieselben: eine clevere Raumaufteilung, Einsatzbereitschaft sowie klare Automatismen. Der Unterschied ist, wie konsequent man sie einfordert und wie konsequent die Spieler sie letztlich umsetzen und das auf einem selbstverständlich viel höheren Niveau als in den Amateurligen.“Der Präsident trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
„Und wie wollen Sie das hier umsetzen? Lok Leipzig ist kein Spielplatz für Experimente.“ „Bei allem Respekt – fehlender Mut für Experimente könnte auch ein Grund dafür sein, dass dieser große Verein den Sprung in den Profibereich bisher nicht zurückgeschafft hat.“ Kaum waren mir die Worte entglitten wollte ich mir schon auf die Zunge beißen. Das könnte zu viel gewesen sein. Auch meine Gegenüber schienen überrumpelt. Jetzt nicht den Staffelstab weggeben. Dachte ich mir, stand schnell auf und ging zum Whiteboard, welches hinter mir in einer Ecke stand. Ich schnappte mir einen der Rotstifte und fing an zu skizzieren.
„Ich will einen mutigen Fußball spielen lassen. Offensiv, mit klarem Pressing, aber nicht kopflos. Wir brauchen dazu einen Plan, wie wir den Gegner schon im Aufbau unter Druck setzen. Gleichzeitig will ich schnelle Umschaltmomente nutzen – über die Flügel, mit tiefen Laufwegen. In welcher Formation wir das angehen - ist mir erstmal egal. Da muss man ohnehin variabel auf den Kader reagieren. Es geht mir nicht um Ballbesitz um jeden Preis, sondern um Effizienz. Wir müssen das Stadion wieder zu einer Festung machen. Die Spieler sollen das Gefühl haben, dass sie hier jeden Gegner überrennen können. Und die Fans sollen sich identifizieren! Ehrlicher, aggressiver Fußball, welcher Herzblut zeigt und das ist es auch was einen Traditionsriesen wie Lok Leipzig ausmacht.“Das Tribunal vor mir tauschte flüchtige Blicke aus. Der Jugendkoordinator hob skeptisch die Brauen und sah wieder zu mir:
„Und Sie glauben, das funktioniert mit diesem Kader?“Ich zögerte.
„Ja und Nein. Ich habe mir die letzten Spiele angesehen. Das Potenzial ist in Teilen schon da. Aber es fehlt Struktur und auf ein paar Positionen noch die passenden Spielertypen. Jeder spielt momentan eher für sich, niemand für die Mannschaft. Ich will klare Rollen schaffen, ein System, das einfach zu verstehen ist und dennoch schwer zu knacken. Wenn die Jungs sehen, dass es funktioniert, ziehen sie mit. Ich habe nicht vor den Feuerwehrmann zu spielen. Ich brauche einen Verein, der eine langfristige Perspektive schafft und den Weg dahin gemeinsam gehen möchte. Aber dafür braucht es Vertrauen. Ohne das geht es nicht.“Kracht lehnte sich zurück, verschränkte die Arme.
„Mutig, Herr Kopp. Aber noch einmal: Sie sind 31, ohne Profilaufbahn. Glauben Sie nicht, dass die Spieler Sie belächeln werden? Wie wollen Sie dieses Problem nachhaltig lösen? Sie sind nicht Julian Nagelsmann.“ Ich schwieg einen Moment und setzte dann vorsichtig an;
„Vielleicht belächeln sie mich am Anfang. Aber Respekt bekommt man nicht geschenkt. Den erarbeitet man sich. Egal ob in der Kreisklasse, Regionalliga oder Bundesliga. Und ich bin bereit, dafür alles reinzulegen. Ich will nicht einfach nur Trainer werden – ich will hier eine Geschichte mitschreiben.“Wieder erfüllte Stille den Raum. Nur das Ticken der alten Wanduhr, welche über der Eingangstür angebracht war, war zu hören. Dann huschte Kracht wieder ein kurzes süffisantes Lächeln übers Gesicht.
„Geschichte schreiben wollen hier viele. Nicht alle schaffen es…wir werden sehen.“ Das Gespräch zog sich noch eine Weile und man stieg mit mir etwas tiefer in die Details ein. Es ging um Trainingsmethoden, um die Frage nach Disziplin, um meine Ideen zur Integration der Jugendspieler. Immer wieder stichelte Kracht wegen meiner fehlenden Erfahrung, immer wieder konterte ich mit Konzepten, die ich im Lehrgang und in meiner eigenen Arbeit entwickelt hatte. Der Sportvorstand Schneider hingegen blieb stumm und hielt sich mit jeglicher Mimik und Gestik, welche man hätte interpretieren können, ebenfalls zurück. Der Jugendkoordinator hingegen war mittlerweile etwas entspannter in meine Richtung. Ob ich sie aber wirklich überzeugte, konnte ich schwer einschätzen. Aber eins wurde mir klar: Zum ersten Mal seit Monaten fühlte ich wieder Leidenschaft für die Sache. Nach zwei Stunden war das Gespräch beendet. Eigentlich hatte ich auch damit gerechnet, dass man mich auf die Vergangenheit meines Stiefvaters ansprechen würde, den Beteiligten schien er aber nicht bekannt zu sein. Oder sie missten diesem Umstand keine Bedeutung zu.
Gott sei Dank!„Danke für Ihre Zeit, wir melden uns zeitnah. Ich denke bis Ende der Woche können Sie mit einer ersten Rückmeldung rechnen. Wir brauchen schließlich so schnell es geht eine Lösung. Die wichtigen Rahmenpunkte zwecks des Vertrags etc. würden wir dann in den Folgeschritten mit Ihnen klären, wenn es so weit kommt.“ sagte Kracht zum Abschied und entließ mich.
Als ich den Ausgang der Tribüne wieder erreicht hatte, schloss ich die Augen und sog die Frischluft in meine Lungen. Es war wie früher in der Schule. Nach der Prüfung fühlte man sich einfach befreiter. Egal wie gut es letztlich lief. Mit fröhlich wippendem Stechschritt machte ich mich auf den Heimweg. Ich verließ das Vereinsgelände und sah wieder den alten Mann nebenan in seinem Vorgarten. Dieses Mal widmete er sich dem Unkraut in seinem Gemüsebeet. Das Wetter war mittlerweile etwas heiterer. Als ich vorbeilief und sich wieder unsere Blicke trafen, hob er die Hand zum Gruß.
„War gudd?“„War gudd!“ bestätigte ich und setzte meinen Weg fort. Plötzlich machten mir die Wolken weit weniger aus als noch vor zwei Stunden.
"Eigentlich ist es doch echt ein toller Tag!" sagte ich wie zu mir selbst.
Ich sollte Tom schreiben.