Kapitel 1:
Der erste Tag
Es war das
Endspiel.
Nach einer Saison voller Höhen und Tiefen, war alles bereit für das finale Spiel im
"Best of Five". Zuvor hatten beide Teams je zwei Spiele gewonnen.
Die Luft im Stadion war
dick wie Suppe. Keine der beiden Mannschaften hatte bisher ein Tor erzielen können. Jeder Ballverlust war ein Schlag in den Magen, jeder Fehlpass ein Aufschrei auf den Rängen.
Beide Mannschaften hatten Angst den entscheidenden Fehler zu machen und es hatte daher
viele Unterbrechungen und
wenig Spielfluss gegeben.
Es lief bereits die
Schlussviertelstunde.
Ich hatte eine Idee.
Die Innenverteidigung des Gegners war stark im Zweikampf, in der Luft jedoch schwach - da sie kaum über eins achtzig war.
Unsere Spieler konnten das bisher aber nicht ausnutzen da sie zwar technisch gut, aber auch eher klein waren.
Warum also nichts Neues versuchen?
Ich rief den
vierten Offiziellen heran um ihm zu signalisieren das wir wechseln wollten. Bei der nächsten Unterbrechung würde es soweit sein.
Ich nahm einen
Mittelfeldspieler und einen
Stürmer runter.
Dafür: ein
Innenverteidiger – groß, robust – und einen frischen
Sechser zur Absicherung.
Als die Nummern auf der kleinen Wechseltafel aufleuchteten ging ein
Raunen durchs Stadion.
„Sie fangen an zu mauern!“, brüllte der
Kommentator.„Der junge Trainer hat Schiss. Der Druck ist wohl zu groß für ihn. Offensichtlich will er seine Mannschaft in die Verlängerung retten."Ich ließ sie reden.
Ich hatte den Jungs am Seitenrand gerade noch ein paar letzte Worte mit auf den Weg gegeben, da signalisierte der Schiedsrichter es wäre Zeit für die Wechsel.
Die Nummer
3 kam für die Nummer
11 und die
30 für die
6.Das Spiel wurde mit einem
Einwurf fortgesetzt.
Unser Team hielt den Ball erstmal in den eigenen Reihen und spielte ihn nach hinten, zurück zum
Torwart. Dieser nahm ihn an und suchte mit wachem Blick nach einem freien Mitspieler.
Er legte sich den Ball ein kleines Stück vor, dann nochmal und danach sogar ein drittes Mal, weil er nicht angelaufen wurde.
Er stand nun schon ein ganzes Stück vor seinem Strafraum und als sich endlich ein
Gegenspieler in Bewegung setzte ging es plötzlich ganz schnell:
Er spielte den Ball geschickt mit einem
Heber über den anlaufenden Gegner nach links außen, nah an die Seitenlinie.
Unser Flügelspieler pflückte den Ball
artistisch, mit ausgestrecktem Bein, aus der Luft, ließ dabei einen Gegenspieler ins Leere laufen und startete mit Tempo einen Lauf.
Der
Kommentator nun fast im stehen:
Schöne Ballannahme....er verschafft sich Platz......Chambers auf Links.....er lässt seinen Gegenspieler stehen und nimmt Fahrt auf.....
Übersteiger.....junge, junge.....er zieht nach innen.....zieht ab.....und
....Oouuhhh...böses Foul von Crawford....mit beiden Beinen in den Gegner.
Das muss der Schiedsrichter ahnden und das tut er auch: Gelbe Karte für Crawford – damit ist er gut bedient.
Es gibt einen Freistoß aus aussichtsreicher Position.
Freistoß, ca. zwanzig Meter vom Tor entfernt. Gute Position für einen Rechtsfuß.
Sieht so aus als würde Brennan den Freistoß treten. Er legt sich den Ball nochmal ein Stück vor und der Schiri ermahnt Ihn. Nun benutzt er sein Freistoßspray.
Brennan atmet noch einmal tief durch.
Vier, fünf Schritte zurück.
Er läuft an....schöne Flanke in den Strafraum, mehrere Spieler steigen zum Kopfball hoch....wuchtiger Kopfball von Lawrence mit der Nummer 3....
....Pfosten....Gewusel im Strafraum....sie bekommen den Ball nicht geklärt...wieder Lawrence, er schießt und...
MEEP.
MEEP.
MEEP.Ich fuhr hoch.
08:00 Uhr.
Scheiße. Dreckswecker.
"Finger --->
„Snooze“MEEP.
MEEP.
MEEP.08:15 Uhr.Scheiße, scheiße, scheiße.
Ich knallte erneut auf
„Snooze“, drehte mich auf die Seite und fluchte leise.
Nur zehn Minuten. Zehn Minuten noch in der Illusion bleiben, erfolgreich zu sein.
Trainer zu sein.
Bevor mich der
Schweiß, die Hitze und
der Tag einholten.
Ich zog mir das Laken über den Kopf.
MEEP.
MEEP.
MEEP.08:20 Uhr.Wieder dieses Geräusch.
"Weiche von mir, Satan!"Warum tat ich mir das an? Es wurde jedes Mal
schlimmer. Weniger freundlich, noch nerviger. Ich tastete nach dem Handy, drückte den Alarm aus – diesmal
endgültig.
Ich blieb noch kurz liegen, starrte an die Decke, wo sich ein feiner Riss durch den Putz zog.
Welcome to my Life.
Fuck.
Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Wenn ich eines
hasste, dann war es
der Morgen.
Jeden Tag aufs Neue diese
qualvolle Prozedur.
Jeden Tag aufs Neue sagte ich mir:
„Morgen stehst du gleich auf!“Und jeden Tag aufs Neue blieb ich liegen und
geißelte mich selbst.
Sowas tun doch nur
Masochisten, oder?
Das ist doch die Definition von Wahnsinn:
Jeden Tag dasselbe tun – und andere Resultate erwarten.Das ist es, was mir dazu einfällt.
War ich verrückt? Verdammt, ich hasste alles an einem Morgen. Das
Aufstehen, die Müdigkeit,
die volle Blase nach der Nacht und
die Hähne, die in Nachbars Garten
krakeelten.
Auf dem absoluten
Spitzenplatz jedoch, waren
Sie...die gute Laune
Morning Shows. Sei es im Radio oder dem TV, alles
Müll.Mit der
lustigen Luna und dem
fröhlichen Flo oder dem
witzigen Wiesel und der
rattenscharfen Raterunde.
Aaargh! Meine Mutter und ich hatten uns deshalb darauf geeinigt, dass die elektrischen Beschallungsgeräte bei uns am morgen ausblieben. Trotzdem hörte ich es.
Anscheinend fand irgendein
verblödeter Nachbar die Idee klasse, den Rest der Nachbarschaft ebenfalls mit seinem Lieblingsradiosender zu beschallen.
Nicht das noch jemand die
rattenscharfe Raterunde verpasst. Eines Tages....
Ich versuchte mich zu beruhigen, nicht das ich am frühen Morgen schon Probleme mit Bluthochdruck bekomme.
Der Fliesenboden war
kühl, draußen
kreischten Vögel, irgendwo
bellte mal wieder ein Hund.
Aus der Küche
klapperte es, etwas
brutzelte in der Pfanne, das Radio war
stumm - doch hörte ich meine Mutter leise eine Melodie pfeifen.
Sie war schon wach. Schön dachte ich, musste ich mich nicht auf allzu leisen Sohlen bewegen.
Das Haar zum Knoten gebunden, stand sie
barfuß in alten Hausschuhen am Herd und rührte in einer Pfanne.
Auf dem Tisch: ein Teller mit frisch geschnittenen
Mangostreifen – sorgfältig fächerförmig ausgelegt. Daneben: mein alter Becher, eine Thermoskanne, die Zuckerdose – und mein Metallsieb.
„Morgen, mein Großer.“Sie sah nicht auf, als ich hereinschlurfte.
„Ich hab Mango gemacht. Und dein Sieb steht da, wo’s hingehört. Timothy meinte gestern, du brauchst heute morgen was mit Vitaminen.“Ich murmelte etwas in meine Bartstoppeln, setzte Wasser auf, warf den grob gemahlenen Kaffee in den Topf und wartete, bis er
brodelte.
Dann durchs Sieb, in meinen großen Becher. Wir besaßen zwar eine Kaffeemaschine, mir schmeckte der
"Topfkaffee" aber immer noch am besten.
Vier Löffel Zucker. Bei meinem großen Becher
fünf.
Kaffee:
Erstes K.
Abgehakt.
Ich ging zum Küchenwaschbecken, wusch mir die Hände und spritze mir ein wenig Wasser ins Gesicht.
Meine Haare versuchte ich ebenfalls mit etwas Wasser zurückzustreichen, meine Frisur war morgens wie meine Stimmung,
am Boden und in alle Richtungen
zerstreut.
Ich nahm ein Geschirrhandtuch und trocknete mir flüchtig das Gesicht.
"Wie oft soll ich dir noch sagen, das damit nur Geschirr getrocknet wird?""Ja, ja. Bin schon weg." sagte ich
genervt, setzte mich auf die Stufe vor dem Haus, zündete mir eine Zigarette an und ließ den Blick schweifen.
Kippe:
Zweites K.
Auch abgehakt.
Das Handy
vibrierte. Eine Nachricht.
Rosalie.
„Hey. Schön, dich gestern gesehen zu haben. Auch wenn nicht viel Zeit war zum Reden. Vielleicht holen wir das ja mal nach? Beim Kaffee oder so
“
Blinzelnd las ich die Nachricht. Runzelte die Stirn.
Ich wollte etwas schreiben, wusste aber nicht was.
Die Sonne
blendete. Auch um diese frühe Uhrzeit hatte sie schon die Energie, mich halb
erblinden zu lassen.
Dann drückte ich auf den Bildschirm, legte das Handy zur Seite – und vergaß es im nächsten Moment, als mir der Geruch von
geröstetem Brot in die Nase stieg.
„Mama?“„Hm?“" Was machst du da?" fragte ich, in der Hoffnung auf mein Lieblingsbrot mit Kürbis und Süßkartoffel.
"SüKü""Jackpot", es war genau die Antwort die ich mir erhofft hatte.
Das
"SüKü" Rezept wurde schon über Generationen in unserer Familie weitergegeben und war ein
streng gehütetes Geheimnis.
Nur den
weiblichen Mitgliedern der Whitecliffe Familie wurde die
Ehre zu Teil, das
"SüKü" backen zu dürfen und das
Rezeptgeheimnis zu bewahren.
Ich müsste Mutter noch einmal bitten, mir die ganze Geschichte der Familientradition zu erzählen.
Bisher hatte sie immer nur vereinzelt Dinge preisgegeben die damit in Zusammenhang standen.
Dies würde jedoch warten müssen, wollte ich pünktlich zu meinem eigenen
Trainingsauftakt erscheinen.
"Übrigens, diesmal bleib ich länger. Kein Kurzaufenthalt. Gestern habe ich bei Mr. Bradshaw meinen ersten Vertrag unterschrieben." sagte ich und war doch ein klein wenig
Stolz darauf.
Schließlich war dies zugleich meine erste
Festanstellung überhaupt.
Sie drehte sich zu mir um, Löffel in der Hand, Stirn leicht gerunzelt, aber mit einem
Lächeln, das auch irgendwo zwischen
Stolz und
Erleichterung lag.
„Ich weiß. Timothy hat’s mir gestern schon gesagt.“"Vor dir könnte man auch nichts geheim halten. Lang lebe die Königin des Buschfunk." lachte ich, nun deutlich besser gestimmt als noch vor fünf Minuten.
Sie kam näher, schaute mich
ernst an und setzte sich zu mir.
„Ich freu mich für dich, mein Junge, wirklich. Nicht nur, weil du bleibst. Du brauchst das. Aber die hier… die brauchen dich auch.“ sagte sie und ihr Finger deutete auf die Nachbarschaft.
"So und jetzt mach das du loskommst, sonst fällt "SüKü" für dich heute aus." feixte sie nun wieder deutlich
entspannter.
Ich nickte. Schluckte den letzten Rest Kaffee runter, stand auf, kratzte mir den Bauch und ging ins Bad.
Drittes K: Auch gleich erledigt.
Check.
Danach huschte ich noch schnell unter die Dusch, zog mir ein sauberes T-Shirt über und packte mir etwas von dem Essen ein.
Rucksack. Notizbuch. Handy. Fertig.
Ich trat zurück in die Küche, gab meiner Mutter noch einen Kuss auf die Wange und sagte:
„Ich nehm nicht das Auto. Falls du noch wegmusst oder was brauchst heute.“
„Gut so. Ein bisschen Bewegung schadet dir nicht. Und denk dran – nicht gleich wieder alle vergraulen mit deinem Morgen-Gemuffel.“Ich
grinste, öffnete die Tür, trat hinaus.
Heute war ein guter Tag.
Es war
heiß, das Licht
gleißend, die Straße
flimmerte und meine Laune war gar nicht mal so schlecht.
Ich setzte meine Kappe auf und zog sie zurecht.
Ein wirklich guter Tag.
Jetzt war ich also
Trainer.Oder jemand, der zumindest so tat.
Ich trat auf die Straße, und sofort klatschte mir wieder die Hitze ins Gesicht – wie eine
nasse Zeitung.
Es war noch nicht mal halb zehn, und doch roch alles schon nach Mittag – nach
Staub, warmem Stein und
glühender Haut.
Ich zog die Kappe tiefer ins Gesicht, schulterte meinen Rucksack und drehte mich noch einmal kurz zum Haus um. Das grün gestrichene Tor
quietschte leicht im Wind – dann machte ich mich auf den Weg.
Die Sandpiste vor dem Haus war noch
weich vom nächtlichen Tau. Kleine Pfützen
glitzerten in Schlaglöchern, in denen sich Libellen und Fliegen tummelten.
Irgendwo drüben sang ein Vogel gegen das Surren eines Mopeds an. Alles war wach – ich war der Letzte, der auf Betriebstemperatur kam.
Die Straße war
staubig und
uneben, ausgeflickt mit allem, was greifbar gewesen war:
Muschelschotter, Asphaltreste, Beton.
Vorbei an Wellblechdächern, halb fertig gestrichenen Fassaden und Wäscheleinen, die quer über die Gassen gespannt waren wie
flatternde Zebrastreifen.
Aus einem Fenster klang das
Lachen eines Radiosprechers, dann ein
Jingle, den ich seit Jahren nicht mehr gehört hatte.
Links ein verfallenes Haus, das schon zu meiner Kindheit leer stand. Ich hatte mich dort früher mal mit einem Freund
hineingeschlichen – gefunden haben wir nur einen
kaputten Ventilator, eine
tote Echse und eine Matratze mit
undefinierbaren Flecken.
Ein Stück weiter saß eine alte Frau unter einem Mangobaum, auf einem
wackligen Plastikstuhl, mit einem Schirm über dem Schoß.
Sie
döste. Ihre Lippen bewegten sich leicht – vielleicht war sie im Gebet. Ein Rosenkranz in ihrer Hand deutete zumindest darauf hin.
An der Kreuzung vor dem alten Obstladen stand ein Junge auf einem umgebauten Fahrrad.
Auf dem Gepäckträger saß ein alter Mann –
eingefallen, klapprig, mit einer Decke über den Beinen, der Temperaturen zum Trotz.
Die Haut wie
zerknittertes Papier, das Gesicht nur noch
Schatten unter einem Strohhut.
Ich brauchte einen Moment, um ihn zu erkennen.
Uncle.
Früher hatte er mich jeden Sonntag mit zum Angeln genommen, stundenlang am Pier gesessen und von alten Spielen erzählt, als wäre er Maradona höchstpersönlich begegnet.
Ich weiß noch, wie er immer zu mir sagte,
ich solle etwas aus mir machen.Jetzt sah er kaum noch hoch, doch als ich vorbeiging,
blinzelte er mir zu – nur kurz. Kein Wort. Nur ein kaum sichtbares
Lächeln.
Ob es ihm schlecht ging? Ich war in Eile. Vielleicht konnte ich später mehr erfahren. Ich nickte stumm zurück.
Der Weg führte vorbei an einem leerstehenden Friseurladen – die Fenster
blind, das Schild
abgeblättert.
Früher war hier samstags die Hölle los gewesen: Maschinen
surrten, irgendwo lief ein Fußballspiel im Radio, und draußen warteten Väter mit
kreischenden Kindern auf ihren
Buzzcut oder ihre
Cornrows.
Ich versuchte, mich nur aufs Gehen zu konzentrieren. Jeder neue Blick war eine andere
Erinnerung.
Zeit fürs
Sightseeing hatte ich wann anders – es war bereits
viertel vor zehn.
Ich trat über die letzte Kreuzung. Nur noch ein Stück die
staubige Zufahrt entlang. Mein Schritt wurde fester, der Rucksack rutschte leicht, aber ich spürte, wie sich etwas in mir sortierte.
Ich war da.
Zielstrebig ging ich Richtung Kabine. Hoffentlich war
Mr. Bradshaw ebenfalls da – so müsste ich nicht komplett bei Null starten.
Das
Glück des Tüchtigen: Er stand bereits auf dem Parkplatz und schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk.
Zehn Minuten zu früh war akzeptabel – meiner Ansicht nach.
Bradshaw schien erleichtert, als er mich sah.
Hatte er befürchtet, ich
kneife?
„Schön, dass du gekommen bist“, sagte er und gab mir die Hand.
„Hatte ich denn eine Wahl?“„Eigentlich nicht“,
schmunzelte er und ließ meine Hand diesmal
unzerquetscht wieder los.
„Dann wollen wir mal“, sagte ich und ging betont
selbstbewusst voran.
Auffällig war, dass uns diesmal
kein Gestank entgegenkam, als wir die Tür zu den Kabinen öffneten.
Musik war ebenfalls keine zu hören – von Geschrei oder Gesprächen ganz zu schweigen.
Als wir durch die hinterste Tür in unsere Kabine traten, bot sich ebenfalls ein ganz und gar
gegensätzliches Bild zu unserem letzten Besuch:
Die Spieler saßen
still, aufgereiht und bereits
fertig angezogen auf den billigen Sitzflächen.
Alle blickten uns
erwartungsvoll an – auf mir ruhten zusätzlich einige fragende Augenpaare.
Kurzes
Getuschel unter den Spielern.
Der
Co-Trainer, der bis jetzt ebenfalls in einer Ecke gesessen hatte, stand auf, stellte sich neben uns und wollte gerade anfangen, eine Rede zu schwingen –
da stieß
Mr. Bradshaw ihm seinen
fleischigen Ellenbogen in die Seite, und er verstummte abrupt mit
schmerzverzerrter Miene.
„Das sieht doch schon mal ganz gut aus“, begann
Bradshaw in einem
versöhnlichen Ton.
Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, ging ein paar Schritte nach vorn, die Hände auf dem Rücken verschränkt wie ein Admiral im Halbschatten.
Die Spieler rückten unwillkürlich etwas gerader auf den Bänken.
Seine Stimme war
ruhig, aber
deutlich.
„Ihr fragt euch sicher, warum wir uns schon vor der offiziellen Saisonvorbereitung treffen. Und was jetzt eigentlich passieren soll, nachdem wir uns vom bisherigen Trainer getrennt haben.“Einige der Spieler bewegten sich leicht auf ihren Plätzen, keiner sagte etwas.
Der
Co-Trainer stand weiterhin
steif neben
Bradshaw und nickte langsam – zustimmend oder sich selbst motivierend, das war nicht ganz klar.
„Ich weiß, dass unser lieber Co-Trainer Jazza Buchanan hier denkt, er wäre der geeignete Kandidat, um die Mannschaft in die neue Saison zu führen.“Bradshaw machte eine Pause.
Jazza Buchanan richtete sich ein paar Millimeter auf. Brust raus, Kopf leicht geneigt.
Sein Blick schweifte
prüfend durch die Kabine, als wolle er die Zustimmung der Spieler schon im Voraus ernten.
„Aber... da er ja letzte Saison auch mitverantwortlich war für das, was man nur mit Wohlwollen eine Katastrophe nennen kann, hab ich mir gedacht: Wir brauchen einen neuen Ansatz, neue Ideen. Frischen Wind. Einen anderen Blick auf die Dinge.“Der
Co-Trainer zuckte sichtbar zusammen.
Bradshaw fuhr
ungerührt fort.
„Deshalb hab ich mir etwas überlegt. Vielleicht kennt ihn der ein oder andere von euch noch, denn er ist von hier.
Er kennt die Insel, den Verein, den ganzen Dschungel hier – und er war immer einer, der Dinge schnell einordnen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen konnte.
Er hat sich in London, an renommierten Universitäten, weitergebildet, ist taktisch auf dem neuesten Stand und auch in der Trainingsthematik können wir bestimmt neue Ansätze verfolgen und uns so einen gewinnbringenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen.
Außerdem glaube ich, wenn wir ihm zuhören und seine Ideen umsetzen, haben wir eine echte Chance, direkt wieder aufzusteigen.
Ich weiß, das Ganze birgt ein gewisses Risiko. Aber ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen, weil ich glaube, dass wir zusammen etwas Großes erreichen können.“Er ließ eine letzte Pause, dann hob er leicht die Hand.
„Also: Ich möchte euch euren neuen Cheftrainer vorstellen.
Coach Johnathan Whitecliffe.“Kurzer Applaus. Skeptische Stirnfalten. Vereinzeltes Nicken.Die Luft im Raum schien kurz still zu stehen, als alle auf den nächsten Ton warteten.
Der
Co-Trainer starrte
Bradshaw an wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Verwirrt. Enttäuscht. Geschockt. Alles auf einmal.
Ich trat einen Schritt vor.
„Morgen zusammen. Ich fühle mich geschmeichelt, aber sie übertreiben ein wenig. Ich bin kein Heilsbringer oder sowas.
Kein Ex-Profi, kein Wunderkind, kein Typ aus dem Fernsehen, aber wie Mr. Bradshaw schon gesagt hat, komme ich von hier.
Einige von euch habe ich schon spielen sehen, als ihr noch klein wart und ich glaube, ich hab einen ganz guten Überblick, wo wir stehen – und wie weit wir kommen können.
Ich weiß, das kommt für die meisten von euch überraschend – für mich ehrlich gesagt auch.
Jedoch stimme ich Mr. Bradshaw zu: Wenn wir alle zusammen an einem Strang ziehen, keiner einen Ego-Trip fährt und wir uns gegenseitig anspornen, dann kann es ganz nach oben gehen.
Wenn ihr wollt.
Euer größter Gegner in dieser Saison – das werdet ihr selbst sein. Schluss mit dem was war und Vollgas in das was kommt.“Ich sah ein paar Blicke.
Ernst. Fragend. Nicht feindselig – aber
zurückhaltend. Verständlich. Ein paar jedoch hatte ich bereits bei ihrer
Ehre gepackt – das konnte mir nur recht sein.
„Natürlich wird es unter meiner Leitung auch Regeln geben.
Aber solange ihr euch an die haltet – und nicht versucht, das ganze Projekt zu torpedieren – wird’s keine Probleme geben.
Ab jetzt sage ich, wie trainiert wird. Was trainiert wird. Wann trainiert wird. Und wie lange.
Und damit es keine Missverständnisse gibt:
Unser Co-Trainer Jazza bleibt uns erhalten und wird mir mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Ich weiß seine langjährige Erfahrung mit dem Team zu schätzen und er kennt einige von euch besser als ich es je könnte.
Das ist äußerst wertvoll und ich hoffe wir werden gut zusammenarbeiten.“
Ich ließ das sacken und wechselte den Ton leicht.
„Bevor wir tiefer einsteigen, will ich erstmal sehen, wie ihr euch bewegt. Vor allem die, die ich noch nicht selbst spielen gesehen habe.
Also – wir werden jetzt gleich raus auf den Platz gehen und ihr werdet einige Grundübungen mit Jazza durchführen.
Nachdem ich mir dann ein Bild gemacht habe, werde ich euch in Positionsgruppen aufrufen und euch meine Erkenntnisse mitteilen – danach werde ich noch ein paar Einzelgespräche führen und das soll es dann für heute gewesen sein.“Buchanan stand
regungslos da, die Lippen leicht geöffnet, als hätte jemand seine Denkblase eingefroren.
Er sagte nichts.
Was auch immer er sagen wollte – die Worte kamen nicht heraus.
Ich wandte mich nochmal an
Bradshaw.
„Das war’s erstmal von meiner Seite.“„Gut“, sagte Bradshaw. „Dann übergebe ich euch jetzt offiziell in die Obhut von Coach Whitecliffe. Ab jetzt macht ihr, was er sagt.
Und ich will keine Beschwerden hören.
Verstanden?“Ein paar mehr
klatschten diesmal. Nicht
euphorisch – aber
lauter.
Einige blieben einfach sitzen, als hätte ihr Hirn die Nachricht noch nicht verarbeitet.
Bradshaw hob die Augenbrauen.
„Na los. Auf, auf.“Die ersten standen auf.
Dann weitere.
Und schließlich bewegte sich die ganze Mannschaft langsam zur Tür.
Ich nahm meinen Rucksack, zog die Kappe vom Kopf, wischte mir den Schweiß ab – und trat hinaus auf den Platz.
Der erste Schritt auf dem Weg nach oben.
Oder nach ganz woanders.Trainingsbeginn & erste EindrückeSie traten hinaus auf den Platz – heute ohne
Flipflops, ohne
Fast-Food-Finger und ohne
Stöpsel in den Ohren.
Stattdessen kurze,
gespannte Blicke, ein paar
nervöse Gesten – und der flache Befehlston von
Jazza Buchanan, der sich sichtlich Mühe gab,
professionell zu wirken.
Vernünftig gekleidet. Fokussiert. Kein Lächeln, kein Gemaule.So also sah es aus, wenn es
ernst wurde.
„Positionsgruppen!“Ein kurzes Zögern, dann begannen sich Grüppchen zu bilden.
Die ersten, die sich bewegten, waren die
Keeper.
Adolphus Jones marschierte
gemächlich in Richtung des Tores, als hätte er das schon tausendmal gemacht – was wahrscheinlich sogar stimmte.
Sein Gang war überraschend
leichtfüßig. In den Schultern lag eine gewisse Würde.
Der Mann war für seine
40 Jahre noch relativ
beweglich und ließ sogar einige der jüngeren Keeper alt aussehen – doch er wusste, dass seine Zeit bald ablief.
Seine Reflexe waren nicht mehr die besten, dafür traf er mit seiner Erfahrung meistens immer noch die richtigen Entscheidungen.
Vielleicht konnte er für die letzten Saisons noch ein
Führungsspieler für uns werden – wer wusste das schon.
Hinter ihm – ein gutes Stück zu schnell – kam
Kendale Somersall hinterhergestürmt.
Mit seinen
15 Jahren noch nicht ganz ausgewachsen, aber
quirlig, drahtig, mit
glänzenden Augen.
Er hatte noch nicht viel gesehen – aber er wollte unbedingt gesehen werden.
Sein Blick huschte zu mir. Ich erwiderte ihn.
Er grinste
verlegen und nahm seinen Platz ein.
In der Abwehr sammelte sich die geballte Routine.
Kassall Greene war einer von der alten Sorte.
39 Jahre,
tiefe Stirnfalten, kraftvoller Stand. Auch er machte für sein Alter zunächst einen noch recht fitten Eindruck.
Diesen Eindruck würde er später jedoch wieder revidieren.
Er sprach kein Wort, aber sein Blick sagte mehr als genug.
Neben ihm trat
Mudassa Howe an –
zwei Jahre jünger, doch genauso abgeklärt.
Er sah ebenfalls aus, als stünde er noch im Saft. Dazu hatte er eine gewisse Aura, und die Mitspieler schienen ein Stück weit zu ihm aufzuschauen.
Ich meine, in ihm den
Tänzer vom letzten Mal wiederzuerkennen – war mir aber nicht sicher.
Wenn ja, war das ein ganz schöner Bruch zwischen Rhythmusgefühl und Rasenrealität.Der dritte im Bunde war
Dihjorn Simmonds.
26 Jahre, technisch limitiert, gut im Tackling und Stellungsspiel.
Ihm sah man deutlich an, dass er jünger war als seine beiden Kollegen –
viel spritziger, viel fitter.
Keine Schönheit mit dem Ball, aber verlässlich wie ein Türstopper.
Wird höchstwahrscheinlich in der Startelf spielen.Clyde Mitcham fiel ein wenig ab. Der
30 Jahre alte Innenverteidiger war
groß und schwer. Beweglich wie ein Sack Zement.
Immerhin hielt er sich für erfahren – und das reicht manchmal, um Spiele nicht zu verlieren.
Oder zumindest nicht direkt abzuschenken.Malique Roberts,
23 Jahre alt, klein und schmal. Seine Position:
rechter Verteidiger.
Insgesamt wirkte er nicht besonders fit und müsste noch einige Stunden im Kraftraum verbringen –
wenn wir denn einen haben. Das müsste ich noch in Erfahrung bringen.Kezandre Buchanan war das Gegenstück auf der linken Seite.
Ein Jahr jünger, vielleicht einen Tick nachdenklicher, aber genauso konzentriert.
Er hatte sich bisher nichts anmerken lassen – kein Gemurmel, kein Schulterzucken.
Körperlich schien alles in Ordnung zu sein, ich konnte ihn aber noch nicht so gut einschätzen.
Einer, der wohl lieber trainierte als redete.
Das mochte ich schon mal.Im Mittelfeld war
Kervin Benjamin beheimatet. Ein ebenfalls erfahrener, kompakter Spieler, der sich nicht viel anmerken ließ.
35 Jahre war er alt, und auch ihn konnte ich erst später richtig beurteilen.
Vielleicht ein Taktgeber, vielleicht ein Mitläufer – mal schauen.Als nächstes fiel ein
Brüderpaar auf, das altersmäßig etwas auseinanderlag.
Zunächst war da
Evansroy Barns,
28 Jahre – wirkte etwas übermotiviert.
Der jüngere war
Kimaree Barns,
15 Jahre, eigentlich ein Kind – war aber schon einen Kopf größer als sein Bruder.
Insgesamt ein krasser Gegensatz:
schlanker, eleganter, mit Technik wie aus dem Lehrbuch.
Er hielt den Ball eine Zeit lang hoch und ließ ihn zwischendurch auf seinem Kopf oder dem Rücken ruhen.
Körperlich war er jedoch schwach, seine dünnen Ärmchen konnten kaum den Ball halten, als er ermahnt wurde, leise zu sein.
Man sah, dass er noch lernen musste, sich zu behaupten – und regelmäßig zu essen.
Potenzial war zweifelsfrei vorhanden.
Wenn wir den durchbringen, reden in fünf Jahren ganz andere Leute über diesen Platz hier.Der jüngste Feldspieler im Kader war
D’Vontrelle Williams – auch
körperlich schmächtig, mit einem permanenten Funken Übermut in den Augen.
Noch roh, aber nicht auf eine schlechte Art.
Er hatte diese unberechenbare Energie, die entweder zum Vorteil auf dem Feld wurde – oder in Frust umschwang, wenn es nicht lief.
Heute schien er gut drauf zu sein.
Solche Spieler sind wie Streichhölzer – sie bringen Licht, oder sie zünden dir die Hütte an.Auf dem Flügel sah sich:
Morgan Prendergast.
Ebenfalls 15 – einer von zwei Spielern mit Eltern, die wie meine auch, aus England eingewandert waren.
Er schien recht
fit und mutig – leider aber auch mit dem Ehrgeiz eines Beamten am Freitag, kurz vor Feierabend.
Vielleicht hilft ihm ja ein bisschen Feuer unterm Hintern.Der Zweite mit britischen Wurzeln war
Nick Wallace,
24 Jahre.
Auch er konnte kaum über die Grasnarbe gucken und war
leicht wie eine Feder.
Er meinte, er könne auf beiden Seiten spielen und sei
flink wie ein Wiesel.
Ich werde die Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Gründlich.Dann gab es da noch
Jayan Duncan,
29 Jahre.
Er wirkte
äußerst spritzig und wies ein wenig
arrogant darauf hin, dass
er hier für die schönen Pässe verantwortlich war.
Da war ich ja mal gespannt.Zuletzt die beiden, die sich fürs
Toreschießen zuständig sahen.
Zum einen:
Vinceroy Nelson,
28 Jahre alt, schien ebenfalls von sich überzeugt – schließlich hatte er schon knapp
100 Tore geschossen.
Auch ihn werde ich beim Wort nehmen, dachte ich mir.Auch er war keine 1,80 m, dafür ziemlich flink.
Auf Kopfballtore brauchen wir diese Saison wohl nicht zu setzen …Der zweite war
Carlos Bertie, knapp
ein Jahr jünger – und er hatte etwas Kämpferisches an sich.
Sein Blick war
direkt, fordernd, seine Bewegungen
angespannt.Nicht unkontrolliert – aber
vibrierend vor Energie.
Er war
ehrgeizig, das sah man sofort.
Vielleicht ein bisschen zu ehrgeizig.
Aber lieber zu viel Feuer als gar keins.Ich erkundigte mich bei jedem, wo er am liebsten spielte, wo er zuletzt spielen musste und wie das für ihn funktioniert hatte.
Dann fragte ich noch, was sie denn zuletzt trainiert hatten –
wenn sie denn trainiert hatten.Bei
Jazza Buchanan erkundigte ich mich, wie er die Trainingseinheiten abhielt, und sagte ihm dann, dass er gleich mal zeigen sollte, wie er mit der Leitung des Trainings zurechtkam.
Ich wollte mich nämlich viel lieber mit der
Taktik und den
Gegnern beschäftigen, als mir
Dehnübungen zu überlegen.
Ich würde lediglich einen Trainingsplan erstellen – und den konnte der
Co-Trainer dann schön mit den Spielern abarbeiten.
Win-win. Für mich jedenfalls.Die erste halbe Stunde gehörte also
Jazza.
Er hatte ein kleines Programm vorbereitet:
Bewegungskoordination, erste
Passfolgen, etwas
Stellungsspiel, ein kurzes
Torschusstraining.Nichts Komplexes – aber genug, um zu sehen, wo wir stehen.
Ich begab mich etwas abseits in den Schatten der alten Tribüne, zückte meinen Stift, verschränkte die Arme und begutachtete die Spieler beim Laufen.
Beobachten, nicht eingreifen, sagte ich mir.
Noch nicht.Eine Pfeife hatte ich mir natürlich auch noch besorgt.
Vor allem für das
Straftraining war sie
enorm wichtig, dachte ich mir – und musste unweigerlich
grinsen.
Der Ball lief anfangs noch etwas
unrund durch die Reihen – trainiert hatten sie wohl schon länger nicht mehr richtig.
Nach einer Viertelstunde sammelte ich erste Eindrücke:
Adolphus Jones wirkte überhaupt nicht wie ein Lehrer unter Schülern.
Er
bellte ein paar Kommandos, zeigte
Kendale nicht, wie er die Arme besser spreizen sollte oder wie man sich schräg zum Ball stellt.
Viel Genörgel – keine Führungsstärke.
Schade. Ich hatte gehofft, dass er eine Art Mentor werden könnte.Bei jedem Fang sah man: Er wusste genau, wo er stehen musste. Kein Zentimeter zu viel. Kein Sprung umsonst.
Er würde spielen, keine Frage.
Kendale war noch nicht so weit.
Der Jungspund war ein Wirbelwind.
Er flog dem Ball entgegen wie ein Gummiball –
manchmal grandios, manchmal übermotiviert.Aber er hatte gute Instinkte.
Vielleicht
faustete er ein bisschen zu viel, aber er hörte zu. Das ist mehr, als man von manchem Routinier sagen konnte.
Nicht einmal fünf Minuten dauerte es, bis die erste Szene für
kollektives Kopfschütteln sorgte.
Beteiligt war:
Nick Wallace –
Hundeblick und die Körperspannung eines halb aufgeblasenen Luftkissens inklusive.
Er stand gerade frei und schaffte es nicht, einen
flach zugespielten Ball unter Kontrolle zu bringen.
Beim Versuch, ihn nach der missglückten Annahme zu
klären, prallte der Ball von seinem Schienbein zurück wie von einem Flipperautomaten – und traf
Kervin Benjamin fast mitten ins Gesicht.
„Meine Güte, Nick – bist du so dumm oder tust du nur so?“ murmelte
Buchanan und verschränkte die Arme.
„War’n Platzfehler,“ sagte
Wallace – wobei der Ball in einem Umkreis von fünf Metern von nichts als Rasen umgeben war.
Vielleicht die einzige Stelle des gesamten Spielfeldes, die weder uneben noch verbrannt war.Einige
lachten kurz, andere verdrehten nur die Augen.
In der Abwehr zeigten
Simmonds und
Howe genau das, was ich erwartet hatte:
Abgeklärt. Klar in der Kommunikation.
Howe nicht der Schnellste,
Simmonds nicht der Sprungstärkste – aber das wussten sie.
Stattdessen standen sie immer goldrichtig.
Einmal zog
Simmonds Roberts zu sich heran, um ihm wortlos eine Lücke zu zeigen, die dieser gerade übersehen hatte.
Kein Wort verloren – aber genau die richtigen Zeichen gesetzt.
Auch
Roberts selbst gefiel mir.
Dynamisch, aber
kontrolliert.Hatte ein gutes Auge dafür, wann er rausrücken und wann er absichern musste.
Bei einem der diagonalen Zuspiele rauschte er dem Ball hinterher, erwischte ihn noch knapp vor der Linie – und
grinste zufrieden.
Konnte im Passspiel noch zulegen, in der Defensive lief es schon ganz gut.Kezandre Buchanan spielte
solide, fast
unauffällig.
Aber jedes Tackling saß, jede Entscheidung war die richtige.
Ich markierte ihn innerlich als stillen Arbeiter mit Potenzial.
Auch er konnte kräftemäßig noch einiges zulegen.
Lieber ein leiser Arbeiter als ein lauter Selbstdarsteller.Die nächste Szene glich einer amerikanischen Sitcom – die Lacher inklusive.
Greene, der 39-jährige Innenverteidiger mit der Antrittsstärke eines
Kühlschranks und der Balance eines
umgestoßenen Bierzelttischs, war aus dem Stand diagonal angelaufen, um den Ball abzufangen.
Greene trat an – oder besser gesagt: er entschied sich dazu, sich zu
bewegen.
Sein erster Schritt war
schwerfällig, der zweite klang nach Mühe.
Nach fünf Metern
überholte ihn der Gegner.
Nach acht Metern war er
außer Atem.
Nach zehn Metern kam er an – der Ball längst im Tor.
Ein Körperklaus par excellence.Howe kam dazu,
grinste und reichte ihm die Hand wie einem alten Freund.
„Gang nicht gefunden, Kassall?“„Ha, ha … musst du gerade sagen mit deinen 100 Kilo.“„Ich hab 20 Kilo abgenommen diesen Sommer – siehst du das nicht?“Howes Stimme klang richtig
stolz.
Ein paar Jungs
lachten.
Greene schüttelte den Kopf,
lächelte aber ebenfalls – der Mann konnte auch mal über sich selbst lachen.
„Dann wiegst du jetzt genau so viel wie ich, was? – Könnten immer noch 10 runter!“„Schluss mit lustig!“, beendete
Jazza das kleine
Wortgefecht.
„Wird Zeit, dass ihr wieder in Form kommt.“Jayan Duncan tat sich anfangs schwer mit dem Passspiel unter Druck.
Er wirkte
zögerlich, abwartend, kommunizierte selten.
Doch je länger die Übung andauerte, desto sicherer wurde es – er blühte förmlich auf.
Zwei Mal passte er gut in die Schnittstelle, einmal rettete er sogar in letzter Sekunde mit einer Grätsche.
Auch wies er zwischendurch andere Spieler auf freie Räume hin.
Eventuell ein Führungsspieler? Wäre schön, wenn er diese Leistung konstant zeigen würde.In einer anderen Übung war
Kervin Benjamin an der Reihe.
Er stoppte den Ball überraschend
elegant mit der Innenseite, drehte sich … und versuchte, einen Sprint anzuziehen.
Es blieb bei dem Versuch.
Entweder lief er in
Zeitlupe – oder wir hatten einen zweiten, kleineren
Kühlschrank in unseren Reihen.
Die
elegante Ballannahme war wohl seine einzige Stärke.
„Dafür zeigt er Einsatz und kann ab und zu einen brauchbaren Pass spielen,“ sagte
Jazza, der meine Gedanken zu lesen schien.
Zwischenzeitlich stolperte
Morgan Prendergast über seine eigenen Schnürsenkel.
Ein Sprint mit Ball endete mit
dumpfem Aufprall auf dem harten, braunen Rasen.
Danach blieb er wie ein
Einkaufswagen auf dem Parkplatz im Weg liegen – und
simulierte.
„Er sei gefoult worden", behauptete er – alle wussten, dass dem nicht so war.
Derweil versuchte
Clyde Mitcham ein Dribbling – und verlor den Ball an ein Hütchen.
Ja, es gab definitiv noch einiges zu tun.Und vor dem Tor?Nelson war … eine Erscheinung.
Seine Abschlüsse wirkten
lässig – fast zu lässig.
Doch der Ball
zischte trotzdem in die Ecke.
Er zeigte einige feine Abschlüsse, doch dann versuchte es
Nelson wieder
per Hacke mit dem Rücken zum Tor.
„Du bist nicht im Zirkus, Vince.“„Ist doch ein guter Trick, Coach.“„Toller Trick, wenn man dabei das Tor verfehlt.“, rief
Jazza verärgert.
Bertie war das Gegenstück:
zielgerichteter, leiser.Er rief nicht quer über den Platz, wenn ihm ein Pass nicht sauber kam oder er unbedingt den Ball haben wollte.
Trotzdem war er einigermaßen
aggressiv – aber nie drüber.
Sogar das ein oder andere
Kopfballtor gelang ihm.
Mir gefiel das.Und dann – als alle schon dachten, der erste Teil wäre vorbei – kam
Leon Morimoto.
Der kleine
Halb-Japaner aus Guam betrat den Platz
wortlos, den Blick
konzentriert, die Bewegungen
geschmeidig.
Einige Spieler nickten ihm zu,
Buchanan jedoch machte große Augen.
„War der nicht schon mal hier?“Bradshaw kam auf den Platz und verkündete, dass es ihm gelungen sei,
Leon davon zu überzeugen, dem Ganzen doch noch eine Chance zu geben – da vorgestern nicht repräsentativ für unseren Verein gewesen sei.
Ich musste zugeben, damit hatte ich nicht gerechnet. Nach diesem Anblick hätten viele schnell das Weite gesucht.Morimoto wärmte sich am Rand auf.
Als er schließlich in die nächsten
Ballstaffetten eingebunden wurde, war er laut zu hören – er dirigierte die Abwehr, und seine Bewegungen waren
schnell.
Offensiv schlug er ein paar
tolle Flanken, und auch viele seiner Entscheidungen waren
exzellent.
Von dem stillen Einzelgänger aus der Kabine war nichts mehr zu sehen.
Er nahm sich wohl die Phrase – „Was zählt, is’ auf’m Platz“ – sehr zu Herzen.Wenn er bliebe, wäre er einer unserer besten Spieler – daran gab es keinen Zweifel.
Auch wenn er lediglich
1,69 m groß und
57 kg leicht war.
Nach knapp über einer Stunde
klatschte ich laut in die Hände.
Es war an der Zeit, mit den Gesprächen zu beginnen.
Die Gruppe sammelte sich im Halbkreis vor mir.
Einige atmeten schwer, andere schauten gespannt.
Ich trat einen Schritt nach vorn.
„Danke für euren Einsatz. Ich habe mir schon ein ganz gutes Bild von euch machen können.
Ich möchte jetzt mit einigen von euch kurz besprechen, was ich gesehen habe und wie ich eure Rolle hier einschätze.
Alle anderen haben Pause. Es gibt Wasser, Bananen, Schatten – sucht euch was aus.“Erst jetzt fiel mir auf, dass
Mervin gar nicht anwesend war.
Ich fragte
Bradshaw, ob er sich bei ihm abgemeldet hatte oder ob er wusste, was los war.
Er wirkte
überrascht – anscheinend hatte er es bis eben auch noch nicht bemerkt.
„Weiß einer von euch, wo er steckt?“ fragte ich in die Runde der Anwesenden.
Schweigen. Nur das Zirpen der Grillen. Und dann ein leises:
„Nein, Coach.“Verdammt. Das musste aber bis später warten – wir hatten auch so noch genug zu tun.Die Spieler sammelten sich am Rand des Platzes, während ich meine Notizen durchging.
Schweiß lief in feinen Linien ihre Schläfen hinab, vereinzelt tropfte es von Kinn oder Trikotkragen.
Die Sonne
brannte inzwischen
erbarmungslos vom Himmel – und auch ich konnte meine Anspannung nicht ganz verbergen.
Nicht, weil ich unsicher war – sondern weil ich wusste, dass jetzt die ersten wichtigen Weichen gestellt wurden.
Ich wandte mich an die
Torhüter.
„Jones, Somersall – ihr zuerst.“Die anderen begaben sich Richtung Bank und Schatten,
stürzten sich auf Wasser und Obst wie die Geier.
Adolphus Jones, der alte Haudegen, kam mit breiter Brust voran.
Die Gelenke
knirschten sicher bei jedem zweiten Schritt, aber sein Blick war
ruhig, wach, voll Fokus.
Neben ihm –
Kendale Somersall,
schmal wie ein Pfosten, Trikot und Handschuhe eigentlich noch zu groß.
Ich deutete auf Jones.
„Du warst heute sehr solide. Man sieht, dass du Erfahrung hast. Auch wenn du nicht mehr fliegst wie mit zwanzig – du stehst aber meistens schon richtig. Und das ist es, was zählt.“„Ich tu, was ich kann.“Ich
grinste.
„Und das sieht man. Du bist gesetzt – daran gibt’s nichts zu rütteln.“Dann wandte ich mich an den Jungen.
„Kendale, für dich gilt: Entwicklung. Du bist noch grün hinter den Ohren – aber du hast heute alles versucht und Einsatz gezeigt.“Er sah mich mit großen Augen an, etwas
eingeschüchtert.
„Du bist nicht hier, weil du schon ein fertiger Spieler bist. Sondern weil du dich verbessern sollst.
Nutz die Zeit, beobachte, frag viel. Und wenn du dran bist – gib alles. Ich glaub, du kannst dich hier festbeißen.“Er nickte
schüchtern.
„Torwart ist ein undankbarer Job. Nur einer spielt – aber zwei müssen immer bereit sein. Du wirst Spielzeit kriegen. Wenn du dafür bereit bist.“Als Nächstes rief ich die
Verteidiger.
Ich nickte ihnen zu.
„Ihr fünf – das war schon sehr ordentlich. Simmonds, du hast das Spiel gut vor dir gelesen. Viel gesprochen, viel gecoacht.
Du wirst zusammen mit Mudassa den Laden hinten dicht machen.“Greene wirkte ein wenig
enttäuscht, verzog jedoch keine Miene und blieb
stumm.„Greene, du warst heute … solide. Ich plane dich auf jeden Fall weiterhin mit ein – wir beide wissen aber, dass das eher für den Notfall ist.“Zu sagen hatte er weiterhin nichts.Ich blickte die beiden Außen an.
„Malique – flinke Füße, gute Antizipation. Körperlich kannst du noch draufpacken, aber das kriegen wir hin. Du bist hinten rechts gesetzt.“„Kezandre, bei dir ist’s ähnlich. Du bist ruhig, hast Übersicht, aber manchmal etwas zögerlich im Zweikampf. Das musst du abstellen.
Ich will keinen Außenverteidiger, der mit angezogener Handbremse spielt.
Trotzdem: Du hast heute einen guten Eindruck gemacht – abwarten, wie Morimoto sich entscheidet, aber auch du wirst spielen und deine Minuten bekommen.“Die beiden nickten.
Dann winkte ich die beiden Angreifer heran:
Vinceroy Nelson und
Carlos Bertie.
Nelson kam mit breiten Schultern und einem
Grinsen, das zu sagen schien:
Endlich einer, der was rafft.
„Vinceroy – du hast Instinkt. Die Laufwege, der Riecher, das Gespür für die Lücke – das war stark.
Am Ball noch etwas sauberer spielen, dann bist du schwer zu stoppen. Und lass diesen Zirkusscheiß – das hast du gar nicht nötig.“„Ich bin heiß, Coach.“„Schön. So will ich das sehen.“„Carlos, du hast das Spiel breiter gemacht, dich gut bewegt. Deine Abschlüsse waren nicht immer optimal, aber du warst da, wo’s gefährlich wird – und besonders gut im Pressing.
Das ist viel wert. Ich denke, du und Vinceroy – das könnte passen. Viel anderes bleibt uns aber auch gar nicht übrig. Viele der Jungen sind einfach noch nicht bereit.“Er nickte nur und schob sich einen Schweißfilm von der Stirn.
Ich erklärte einigen jungen Spielern, dass sie sicherlich auch ein paar Spiele machen werden – und sie sich im Training reinhängen sollen.
Ihre Chancen stehen umso besser, je mehr Einsatz sie im Training zeigen.
Den Reservisten erklärte ich ebenfalls ihre Rollen – und einige waren
ganz und gar nicht erfreut darüber, wie ich ihre Qualitäten einschätzte.
Ein Wortgefecht wollte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch niemand mit mir liefern – einige ließen jedoch erkennen, dass sie das nicht einfach so auf sich beruhen lassen werden.
Ich bin gespannt, wie sich das in den nächsten Wochen entwickelt.Als Nächstes musste ich in Erfahrung bringen, was mit
Mervin los war – eigentlich sollte er doch
zentraler Bestandteil des Mittelfelds werden.
Ohne dass ich wusste, was los war, konnte ich den Spielern auf dieser Position noch keine genauen Versprechungen machen – und verlegte unser Gespräch auf das nächste Training.
Für heute sollte es das erst mal gewesen sein, und wir schickten die Spieler zum Duschen.
Einige von ihnen mussten sich schnell umziehen, da sie noch auf ihre
Arbeitsstellen mussten.
Keiner der Spieler war hauptberuflich Fußballer. Alle gingen einer
geregelten Arbeit nach und bekamen lediglich eine
Aufwandsentschädigung für ihre Dienste beim Verein.
Deshalb legten wir fest, dass wir
dienstags und
donnerstags trainierten – abwechselnd
morgens und
abends, je nachdem, wie die Arbeitszeiten der Spieler es zuließen.
Ich wusch mich ebenfalls – und bereitete mich darauf vor, ein
unangenehmes Telefonat mit einem gewissen
Jemand zu führen.
Torhüter
Verteidigung
Mittelfeld
Sturm