@m4:
Danke, da steckt sehr viel drin! Gerade in Bezug auf die Holding Six. Tuchels öffentliches Fordern hätte tatsächlich nicht sein müssen, aber wie vollkommen richtig der Mann lag, sieht man auch daran, wie die Leistungen sich stabilisiert haben, seit Pavlovic ins Team gerückt ist. Das Spiel in Leverkusen mal ausgeklammert, aber da hat in meinen Augen Tuchel sich auf ganzer Linie vercoacht.
Wie Rejs schön aufgezeigt hat, spielen wir eigentlich keine schlechte Saison. Neben den Punkten möchte ich noch etwas anderes ins Feld führen: Tore. Man steht jetzt bei 87 erzielten Treffern, letzte Saison ohne Weltklassestürmer waren es zur selben Zeit 81, im Jahr davor mit Lewandowski 89. Die Samplesize ist klein, aber es fällt auf, dass die Torausbeute auch ohne Topstürmer über 80 (Saisonende: 92) lag. Und wie wichtig sind denn 5-10 Tore mehr oder weniger am Ende einer Saison, wenn man mit großem Abstand Meister wird? Die Offensive war und ist seit Jahren nicht unsere Baustelle. Ich erinnere an die vier torlosen Spiele in Folge unter Nagelsmann zu Beginn der Saison 22/23. Bis auf die Partie in Augsburg war das teilweise überragender Offensivfußball, ohne einen echten 9er auf dem Platz zu haben, man hat seine Chancen schlicht nicht genutzt. Aber sofort wurde überall Alarm geschlagen, weil sich niemand mehr daran erinnern konnte, jemals vier torlose Bayernspiele in Folge gesehen zu haben. Dann hat Nagelsmann wieder auf eine echte Spitze umgestellt und weil Choupo-Moting ein durchaus erstklassiger Stürmer ist und seine Chance auf mehr Einsatzzeit direkt wahrgenommen hat, blieb es dann dabei. Da wurde dann schnell klar, dass auf lange Sicht ein Lewandowski/Kane einem Choupo-Moting vorzuziehen ist, wenn man unbedingt mit einem zentralen Stürmer spielen möchte. Aber selbst mit Choupo sind ja viele Tore gefallen. Was auch immer in den letzten Jahren schiefgelaufen ist, es lag nie an zu wenig Torgefahr. Selbst gegen City hätte man zur Halbzeit nach Chancen führen müssen. Auseinandergefallen ist man wegen eklatanten Fehlern in der Defensive. Wo man mit mehr Offensivpower bei gleichbleibender Anfälligkeit in der Abwehr letztlich steht, sieht man an der aktuellen Tabelle. Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben, den Weggang Lewandowskis anderweitig aufzufangen, wie bereits gesagt wurde das ja sogar zeitweise getan, aber dennoch hat man anschließend seinen gesamten Fokus auf den Kane-Transfer gelegt.
Ja, Harry Kane ist ein überragender Stürmer. Ja, er tut dem gesamten Verein gut. Ja, selbst die 100 Millionen waren gut investiertes Geld. Ja, ich bin verdammt froh, so einen begnadeten Spieler bei uns zu sehen. Aber nein, das war nicht die wichtigste Personalie, die man hätte holen müssen. Ich sagte es zu Anfang der Saison und ich habe Recht behalten. Einem defensiven 6er hätte die volle Aufmerksamkeit gelten müssen. Wenn man es zusätzlich noch geschafft hätte Harry Kane zu verpflichten, dann wäre das fabelhaft, aber man hat hier die Prioritäten vollkommen falsch gesetzt.
Flick hatte übrigens einen echten 6er. Einmal in Javi Martinez, der leider über seinem Zenit und häufig verletzt war und zweitens im besten Thiago aller Zeiten. Man vergisst das gerne, weil Thiago so ein feiner Fußballer ist, aber in der Triple-Saison hat der defensiv unglaublich viel weggearbeitet und war in meinen Augen mit der wichtigste Spieler für diese Erfolge.
Es mag sein, dass Strahlkraft und Signalwirkung den Verantwortlichen wichtiger waren, als der sportliche Mehrwert. Das wäre zwar nicht meine Haltung, aber aus Sicht einer Vereinsführung, die harte Entscheidungen treffen muss, vollkommen legitim. Wenn man aber wirklich glaubte, man hätte mit Kane die größte sportliche Schwachstelle ausgemerzt, dann gute Nacht. Dann glaube ich auch nicht, dass auf der Trainerposition vernünftige Schlüsse gezogen werden. Wenn jetzt jemand als Übergang für eine Saison kommt, wieso entlässt man Tuchel dann überhaupt? Das wäre exakt seine Vertragslaufzeit gewesen. Man hätte doch absehen müssen, dass Alonso zu holen ein echter Coup und keine Allerweltsverpflichtung gewesen wäre.
Verein entlässt Nagelsmann, weil Tuchel auf dem Markt ist. Verein entlässt Tuchel, weil Alonso vermeintlich auf dem Markt ist. Alonso ist doch nicht auf dem Markt, also überlegt man eine Übergangslösung zu holen, weil Alonso eventuell unter Umständen nächste Saison auf dem Markt sein könnte?! Wo soll das hinführen? Man macht sich zum Spielball der individuellen Karriereplanung von als geeignet erachteten Trainerkandidaten und stellt dem, den man tatsächlich gerade an der Seitenlinie hat, weder die gewünschten Spieler noch irgendeine Form von medialer Unterstützung zur Seite. Irgendwas an diesem Bild ist doch extrem windschief... Man arbeitet nicht mit dem und für das was man hat, sondern für das was man gerne hätte.