Süddeutsche Zeitung, 26.6.06:
Lufthoheit über den Stammstrecken
Schwarz-Rot-Braun: Die unheimliche Metamorphose zweier Politiker in einem Zugabteil
Ein Samstagnachmittag in einem Großraumwagen 2. Klasse: "In wenigen Minuten erreichen wir Nürnberg Hauptbahnhof . . ." Der Pfeifenraucher aus Fulda steigt aus; das Schlimmste scheint überstanden. In zwei Stunden wird das Achtelfinalspiel gegen Schweden angepfiffen. Wunderbar. Diese tolle WM. Dieses Wetter. Der entspannte Umgang miteinander. Das Leben könnte schöner nicht sein.
Da zischt die Türe zur Seite und es treten auf: zwei junge Männer, sehr jung, in weißem Hemd und Sakko, am Revers groß ein Schild, dass sie als Delegierte oder Teilnehmer einer CSU-Veranstaltung ausweist - vermutlich kommen sie vom Kleinen Parteitag in Amberg und steigen hier um, nach A. der eine, nach L. der andere. Die beiden umweht die besitz- und raumgreifende Aura jener Menschen, deren Lebenstraum es ist, einst beim Betreten jedweden Raums von den Klängen des Bayerischen Defiliermarschs empfangen zu werden.
Kaum sitzen sie, beginnt der etwas mondgesichtige Wortführer eine zuerst lustig wirkende Metamorphose durchzumachen: Krawatte, Hemd und Sakko verschwinden; eine schwarz-rot-goldene Girlande hängt plötzlich um seinen Hals, um jeden Arm bindet er einen schwarz-rot-goldenen Schal, um die Schulter wird die schwarz-rot-goldene Fahne gehängt und eine Kappe aufgesetzt, die offenbar nicht mehr in unseren Nationalfarben erhältlich war. Dazu singt A., wie ich ihn ab jetzt der Einfachheit nennen will, abwechselnd ein paar Zeilen Sportfreunde Stiller, ein paar Zeilen Oliver Pocher und verschwindet kurz, um mit schwarz-rot-golden geschminktem Gesicht zurückzukehren, sich in den Sitz gegenüber dem Mann aus L. fallen zu lassen und der äußerlichen Verwandlung eine innerliche folgen zu lassen: Zwei Dosen Löwenbräu kommen auf den Tisch, plötzlich muss man nicht mehr zur Toilette, sondern "schiffen"; es wird von "Kinderfickern" krakeelt, mit "kiffen" angegeben und mit unglaublich tollen Räuschen, wo man dermaßen besoffen war, dass man hierhin und dorthin gekotzt hat - Spätpubertät auf großer Fahrt, man erinnert sich und geht ebenfalls aufs Klo - das übersät ist von leeren Tattoo-Hüllen, verschmierten Papierhandtüchern, dem leeren Schminkkasten in Schwarz-Rot-Gold, einem in das Waschbecken gesteckten Schminkpinsel.
In dem Moment verstehe ich, dass sich dort draußen nicht ein junges CSU-Mitglied in einen Fußball-Proll verwandelt hat, um anschließend auf eine irgendeine Fan-Meile zu gehen, sondern dass sich heute Morgen ein Proll in ein gutbürgerliches Wesen verwandelt hat, um sich auf einem Parteitag einzuschleichen.
Abschaum vorm Mund
Mit dem Vorsatz, den jungen Mann zu bitten, seinen Dreck bitte wegzuräumen, kehre ich an meinen Platz zurück, doch dort hat sich die Metamorphose weiter fortgesetzt - inzwischen ist man bei der Politik gelandet. Arg wird mit Ausländern ins Gericht gegangen, "faul" seien sie, "frech und unverschämt", kaum integrationswillig und "vom Beckstein" sei man enttäuscht, dass der immer auch gegen die Rechten schimpfe, aber das muss er halt, zur Tarnung. Denn schließlich sei "Deutschland nur dort stark, wo die Glatzen stark sind". Und das wisse man genau "in der Partei".
Von einem der Gastredner in Amberg scheinen die beiden wenig zu halten, der "rede so schwul", dafür sind sich A. - immer lauter werdend, immer dominanter die akustische Hoheit über dieses Zugabteil in schwarz-rot-gold einfordernd - und L. - devot, Mitläufer, Steigbügelhalter - schnell einig, dass "alle Grünen und Linken Abschaum" sind, dass sie ohnehin in einem Land wohnten, das zur Hälfte von Idioten bewohnt sein muss, die SPD und Ähnliches wählen und dass ein kommunalpolitischer Gegner in L. bloß aufpassen solle, man werde seine Adresse schon rauskriegen und dann würde man ihn "an einen Laternenpfahl hängen", so wie diesen anderen Typen, der einem der beiden noch zehn Euro schulde. Dazwischen immer wieder Bier, die gegenseitige Versicherung, man sei der "politische Freund" des anderen, und nostalgisch Patriotisches zu '54 und '74.
In A. steigen die beiden dann aus, die leeren Dosen bleiben für die vermutlich faule Bulgarin zurück, die ihren Getränke- und Imbisskarren durch den Zug schiebt. Die Toilette wird vielleicht nachts von den "renitenten Türken" aus A. gereinigt.
Dies seien zwei dumme Buben, die mit Bier auf nüchternem Magen über die Stränge geschlagen haben, mag man einwenden, kleine arme Würstchen. Aber es waren auch zwei junge Mitglieder der bayerischen Regierungspartei, denen Rechtsradikales und Demokratieverachtendes so leicht von den Lippen ging in dieser schönen deutschen Nachmittagsstunde, dass es ganz kalt wird in diesem wohlklimatisierten Abteil der Deutschen Bahn, während draußen die Wintergerste langsam gelb wird und der Hopfen sich an seinen Drähten empor rankt und Deutschland gleich 2:0 gewinnt gegen Schweden.
All die krassen Ausfälle gegen Ausländer, Linke, Grüne, Schwule sind diesen beiden jungen Männern wohl nicht zum ersten Mal über die Lippen gekommen; das waren eingeschliffene Floskeln, die einen fragen lassen, ob niemand in der CSU merkt oder merken will, wer da unters weiß-blaue Betttuch gekrochen kommt oder unter die schwarz-rot-goldene Fahne: Menschen, die sich nur deshalb Farbe ins Gesicht schmieren, damit man den braunen Grundton nicht sieht. Karl Bruckmaier