Sehr gut:
Deutsche Tugenden
Mesut Özil hört auf
Von Peter Merg
Größe des Gehetzten und Geschlagenen: Mesut Özil
Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Angeblich gibt es keine Typen mehr im deutschen Fußball. Aber kann sich jemand erinnern, wann ein Nationalspieler den obszönen Zirkus DFB derart bloßstellte, wie es Mesut Özil jetzt getan hat? Am Sonntag ist er von der deutschen Nationalmannschaft zurückgetreten. Dabei warf er den Medien, der DFB-Spitze und dem Sponsor Mercedes-Benz Rassismus, Inkompetenz und Willkür vor.
Dagegen nimmt sich Toni Schumachers Skandalbuch »Anpfiff«, in dem er Doping im Profifußball beschrieb, wie das Protokoll einer zahm aus dem Ruder gelaufenen Abifahrt aus. Dafür war der Torwart Ende der 80er Jahre bei der Nationalmannschaft und auch beim 1. FC Köln rausgeflogen.
Bei der WM in Russland ist die deutsche Mannschaft erstmals in der Vorrunde rausgeflogen. Das gilt hierzulande als nationale Katastrophe. Özil will nun nicht mehr der »Sündenbock« sein. Er zeigt dem DFB, diesem Amalgam aus Patriotismus, Profitgier und Profilneurose, den Stinkefinger. Das hat nichts von Stefan Effenberg, der dafür 1994 vorzeitig nach Hause musste. Nein, Özil hat die Größe des Gehetzten und Geschlagenen, der den ganzen Scheiß nicht mehr mitmachen will.
»Wenn wir gewinnen, bin ich Deutscher, wenn wir verlieren, Immigrant«, schrieb Özil am Sonntag. Er ist nicht allein mit dieser Erfahrung. Ähnlich äußerten sich auch schon der Franzose Karim Benzema und der Belgier Romelu Lukaku. Nach sportlichen Misserfolgen gab es regelmäßig Kampagnen gegen Spieler mit »ausländischen« Wurzeln. Egal, wie viele Tore sie schießen, wie viele Zauberpässe sie spielen, sie bleiben doch die anderen, ist man sich im angeblich weltoffenen »Westen« einig.
Und weil man in diesem Land noch immer keine Ahnung von Fußball hat, war nun Özil dran. Statt zu analysieren, weshalb Joachim Löw in Russland kein passendes System fand, das den Stärken seiner Spitzenkräfte entsprach, wurde das Jahrhunderttalent Özil, geboren 1988 in Gelsenkirchen, durch die mediale Manege gepeitscht, als hätte er die Kollegen in der Kabine mit einer Erdogan-Maske verschreckt.
Dabei hat er den türkischen Staatspräsidenten nur für ein Foto getroffen. Ohne alle Politik, wie er sagt, aus Respekt vor dem Amt. Mit diesem Formalismus, der Autoritätshörigkeit und dem Stolz auf sein Trikot, das er mit Erdogan hochhielt, ist er ganz Kind der BRD. Hauptsache, ignorant. Bigott sind andere. Wenn Angela Merkel den türkischen Präsidenten trifft, dann interessiert sie sich auch nicht für Menschenrechte, sondern für das Gegenteil: Erdogan soll keine Flüchtlinge in Richtung Deutschland durchlassen. Gerade hat Deutschland übrigens die Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei aufgehoben.
Dass Özil vor den Länderspielen die Nationalhymne nicht mitgesungen hat, daran konnten die Medien sich allerdings nie gewöhnen. Nicht nur in der Asylpolitik, auch im Fußball folgt (frei nach Hermann L. Gremliza) auf das schwarz-rot-goldene »Sommermärchen« der altbraune Alptraum.
Die Typen im hiesigen Fußball, sie sind vor allem eins: nicht deutsch.
Quelle:
https://www.jungewelt.de/artikel/336546.deutsche-tugenden.htmlEdit: musste es reinkopieren weil ihr es sonst nicht hatte lesen können.