Ich habe lange überlegt, das hier zu posten. Erstens mag ich die Zeitung "Die Welt" nicht besonders, zweitens hat es das Potenzial ein heißes Thema zu werden, aber außenvor wollte ich es nicht lassen.
http://www.welt.de/sport/fussball/em-2012/article106410795/Graumann-schimpft-ueber-Auschwitz-Besuch-des-DFB.htmlIch habe mich schon als ich in Nachrichten gesehen habe, dass der DFB mit einer Delegation Auschwitz besucht hat, gewundert warum sie das tun. Politik und Sport zu trennen ist sicher nicht nötig, aber es ist immer sehr schwierig Menschen, die hauptsächlich als Entertainer auftreten, in ihrer ganz offenbar aufgezwungenen Rolle als Mahner überhaupt ernst zu nehmen. Ich bezweifel einen besonders positiven Effekt auf Fußballfans, wenn Spieler dort in blauen Mänteln und schwarzen Regenschirmen durch Auschwitz spazieren. Dass wir uns nicht falsch verstehen, die Mahnung der abscheulichen Vergangenheit selbst halte ich für wichtig, viel wichtiger sind allerdings aktive Projekte gegen die Abscheulichkeiten der Gegenwart. Jedenfalls war ich schon etwas verwundert, dass der DFB so eine Aktion gestartet hat.
Dass, was Herr Graumann dort allerdings von sich gibt, ist noch ein wenig verwunderlicher. Als Präsident des Zentralrates der Juden ist mir Graumann bisher oft positiv in Erscheinung getreten. Einzig ein merkwürdiges Interview nach der Gründung der sogenannten Linkspartei war äußerst unausgewogen und undifferenziert (da war Graumann noch nicht Präsident des Zentralrates), aber nun gehört Objektivität auch nicht zu den Dingen, die in seinem Amt erforderlich sind. Graumann ist natürlich Interessenvertreter, er ist Lobbyist wenn mensch so will, er vertritt die Juden in Deutschland. Das ist seine Aufgabe, ebenso wie Erika Steinbach ihre Aufgabe irgendwie erfüllt, als Interessenvertreterin der angeblich Vertriebenen oder wie mensch sie nennen möchte.
Allerdings ist das, was Graumann betreibt, im Zusammenhang mit dem DFB schon sehr lächerlich.
Los geht es mit der Kritik am Wort Kamingespräch, das Bierhoff verwendet als Möglichkeit der Auseinandersetzung der Mannschaft mit dem Thema Auschwitz neben Vorträgen. Warum die Spieler sich mit diesem Thema
in dieser Situation nun überhaupt auseinandersetzen sollten, ist mir völlig schleierhaft. Von ihnen wird weder wissenschaftlich fundiertes Fachwissen über die Menschen(nicht nur Juden-)Verfolgung erwartet, noch sehe ich darin irgendeinen praktischen Nutzen für irgendjemanden, wenn 23 Spieler und eine handvoll Trainer Bekanntes über Auschwitz erzählt wird. Dafür ist die Schule da. Dann kritisiert Graumann die Wortwahl, weil er sich bei Kamin an die Ermordung seiner Großeltern erinnert fühlt, bzw das damit assoziiert.
Also erstens ist ein Kamingespräch ein gängiges Wort, das ich auch aus dem Englischen kenne. F. Roosevelt hatte damals seine Radioansprachen in den 30ern "fireside chats" genannt, also das Überbringen schlechter Nachrichten oder die Behandlung schwieriger Themen in heimischer und gemütlicher Atmosphäre. Dass sich Graumann durch dieses Wort gestört fühlt, ist schon ein starkes Stück, dass er daraus aber einen Vorwurf inszeniert, Bierhoff hätte das quasi bewusst genutzt, ist bösartig. Es ist eine kindische Opferreaktion und wirkt unglaublich lächerlich auf mich.
Auch der Vorwurf der "kolossalen Gefühllosigkeit und Geschmacklosigkeit", weil der DFB "nur" eine kleine Delegation nach Auschwitz gesendet hat ist total übertrieben. Er kann sich ja darüber muckieren, dass dort nicht die ganze Mannschaft war, aber der Gebrauch der Worte "kolossal" und "Geschmacklosigkeit" ist aufgesetzte Polemik. Zumal der DFB eine für mich ganz überzeugende Erklärung abgeliefert hat, in der sie den Besuch nicht als großes PR-Event inszenieren wollten. Genau das wollte aber natürlich Graumann, er wollte ein PR-Event in eigener Sache bzw im Interesse des Zentralrates der Juden. Nur wem hilft das? Hilft das bei der Aufklärung der Deutschen in Hinblick auf die Gräueltaten der Nazis? Hilft das den Angehörigen und Hinterbliebenden jüdischer Familien, die dort auf fürchterlichste Weise zerstört wurden? Hilft das den Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuellen, "Asozialen", Sinti, Roma, Farbigen oder sonstigen Menschen, die ebenfalls in großen Massen umgebracht wurden, denen aber kaum noch jemand gedenkt, wenn die Shoa so sehr in den Vordergrund rückt, dass die anderen Opfer ausgeblendet werden?
Hilft es wirklich dem Zentralrat der Juden selbst, wenn öffentlichkeitswirksam andauernd Gedenkmomente augenscheinlich inszeniert werden? Dass die Spieler nicht nach Polen fahren, um zu trauern und zu mahnen, sondern um die Fußball-EM zu gewinnen ist doch jedem klar, umso lächerlicher wirken diese Trauerbekundungen und desto weniger Verständnis kommt in der Bevölkerung für die Sache des Zentralrates zusammen.
Mir jedenfalls geht es auf den Keks muss ich ehrlich sagen. Ich bin größtenteils in einem Land aufgewachsen, dass die Fehler der eigenen Geschichte größtenteils völlig ausblendet und ignorant mit ihnen umgeht. Das ist auch widerlich. Aber Deutschland ist das komplette Gegenstück, ein Land, in dem die Vergangenheit zu oft das Handeln in der Gegenwart beeinflusst. Die Verbrechen der Nazis waren beispiellos, ohne Frage. Die Erinnerung daran muss wach bleiben, damit so etwas wie der Faschismus, der menschenfeindlich ist, nie wieder ernsthaft Fuß fassen kann. Aber für die Bewahrung der Widerwärtigkeit der Vergangenheit ist auch eine gewisse Distanz nötig.
Wenn die Verbrechen der Nazis jeden Tag, um mal etwas zu übertreiben, thematisiert werden und diese Thematisierung alle Lebensbereiche durchdringt, dann werden sie irgendwann so alltäglich, dass sie nicht mehr abschreckend wirken. Und Bierhoff hat das laut Welt-Artikel so weit auch richtig erkannt. Er äußert seine Sorge nach den Äußerungen von Graumann, der noch im März öffentlich gefordert hatte, dass der DFB in Auschwitz zum Gedenken kommen sollte, dass es nun so wirken könne, "als seien wir dahin geführt worden", obwohl der DFB laut eigener Aussage ohnehin einen Besuch von langer Hand geplant hatte. Bierhoff erkennt die Problematik der Außenwirkung, nach Graumanns öffentlicher Forderung, auch wenn er sie vermutlich anders interpretiert (also so, als sei der DFB gar nicht auf die Idee gekommen, da etwas im Andenken zu tun). Jedenfalls will Graumann von all dem nichts wissen, für ihn hat Bierhoff "brutal nachgetreten" und "Porzellan zerschlagen"; eine Behandlung, die die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nicht mehr zu ertragen braucht. Den Schaden hat Graumann angerichtet. Der Zentralrat der Juden hätte zusammen mit dem DFB (und vielleicht mal auch anderen Opferverbänden der Naziherrschaft, obwohl das natürlich eine Illusion ist...) ein Konzept ausarbeiten können, eine gemeinsame Aktion starten können oder wie auch immer in irgendeiner Form hätte eine Zusammenarbeit ganz gut getan. Aber das kann der Zentralrat der Juden offenbar nicht. Dort wird nur gepöbelt. Abgegrenzt. Es werden Tischtücher zerschnitten und sich dann darüber aufgeregt, dass der Tisch nicht stilvoll gedeckt wurde und nicht alle Spieler gleichzeitig daran sitzen. Das ist mieser Stil.