Außerdem sehe ich auch keinen Grund, warum man Sendern wie dem ARD eine Bildungsaufrag-Bringschuld zusprechen sollte.
Weil dies nunmal so festgelegt ist in ihren eigenen Statuten. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten dürfen staatlich unterstützte Zwangsgebühren einziehen, haben sich dafür aber auch an gewisse Auflagen zu halten. Ursprünglich war das mal der "Volksbildungs- und Aufklärungsauftrag", der im Gründungsvertrag so festgehalten wurde. Dabei ging es um die kulturelle, gesellschaftliche und politische Bildung des Volkes als Legitimation der Zwangsgebühren.
Die ÖR ziehen weiterhin Zwangsgebühren ein, was soll sich konkret daran geändert haben?
(Trotzdem darf das Wort "Bildungsauftrag" nicht überdehnt werden. Er bedeutet nicht, dass ARD und ZDF uns mit Dokumentationen zuballern sollen oder in irgendeiner Form einen intellektuellen Anspruch haben. Er bedeutet auch nicht, dass der Zuschauer Zugang zu tiefgreifenden taktischen Analysen haben muss, sondern lediglich das Kulturprodukt Fußball soll präsentiert werden.)
Es geht um Zuschauerzahlen und ncht darum, Leute qualitativ zu informieren, geschweige denn Gelegenheitsfans zu Fußballanalytikern zu machen.
Nein, es geht eben nicht um Zuschauerzahlen. Das darf so einfach nicht akzeptiert werden! Die Legitimation vom Zwangsgebühren setzt ja gerade voraus, dass Fernsehen nicht nur für den Mainstream produziert wird. Wenn es nur um Zuschauerzahlen ginge, könnten sich die ÖR durch Werbung finanzieren wie andere Rundfunkprodukte ebenfalls. Es darf bei ARD und ZDF eigentlich auch nie um die Quote gehen und jeder Programmchef, der sich bei ARD/ZDF auf Quotenvergleiche einlässt gehört sofort gefeuert (leider nimmt das immer mehr überhand).
Von ARD und ZDF darf jeder gebührenzahlender Bürger (und auch solche, die davon befreit sind, Transfergeldempfänger [Hartz 4]) verlangen, auch nicht massentaugliches Material auszustrahlen. Alleine deshalb gibt es diverse Schlager- und Kindersendungen auf den ÖR, denn diese werden nicht von der werberelevanten Zielgruppe konsumiert. Aber es muss auch einen Qualitätsunterschied zu dem Boulevardjournalismus von sky, Sat1 und ähnlichem Privatfernsehen geben. Boulevard ist billig produzierbar, deshalb hält er überall Einzug. Von den ÖR, die großzügig über Zwangsabgaben finanziert werden, darf eine Abgrenzung von billig produzierbarem Boulevard verlangt werden. Es sollte ein breites Angebot geben: einmal die schlichte Fußballanalyse für Gelegenheitsfußballgucker (mit de Rossis Tatoos, Gina Lisa und "Neuigkeiten" vom Nationalmannschaftshotel) und dann die tiefgreifende Spielanalyse, die bezahlte Meinung von Leuten, die sich auskennen, geschickte Fragen an Interviewpartner (und nicht dieses "sollte Klose spielen?"), Konzentration auch auf andere Mannschaften (beim Spanien-Frankreich-Spiel ging es zu 60% der Berichterstattung um die deutsche Mannschaft, das war ein Unding! Gerade Frankreich ist mit relativ unbekannten/interessanten Spielern gespickt. Was spricht gegen einen Bericht über M'Vila, Xavi, Iniesta, Lloris, Benzema?) und vor allem eine gute Aufbereitung in Form von recherchierten Filmen und Berichten.
Ich bin Anhänger des Radsports und die ÖR haben (trotz schwacher Live-Kommentatoren) bei der Begleitung der Tour de France hervorragende Einspielgeschichten zu durchfahrenen Städten, geschichtlichen Ereignissen, kulturellen Besonderheiten der Region, Fahrern, Funktionären, der Herkunft der Fahrer und Funktionäre, usw gehabt. Das war sehr hochwertig, Eurosport macht ähnliches durch herausragende Live-Reporter beim Giro d'Italia. Ich habe eine Menge über Italien gelernt, einfach nur durch das Anschauen von Eurosport-Übertragungen von Giro-Etappen.
Was weiß ich jetzt nach 2 Wochen über Polen/Ukraine? Geschichte Lembergs? Kulturelle/kulinarische Besonderheiten der Region? Kontakt mit Menschen, inwiefern die EM ihr Leben verändert hat? Berichte über die Vorfreude der Ukrainer auf die EM? Berichte über die Benachteiligten von Baumaßnahmen in Polen? Berichte über mögliche Zusammenhaltsprobleme bei den Spaniern (Stichwort Katalanen/Basken) und deren historische Bedeutung? Geschichte der Ukraine als geschichtlich gebeuteltes Land? Berichte über Polen als gebeuteltes Land? Die spannende Geschichte über Danzig (immerhin Residenz der heiligen deutschen Mannschaft)? Berichte über ukrainischen und polnischen Fußball? Berichte über junge Talente, die es noch nicht in die Nationalmannschaft der jeweiligen Länder gebracht haben oder nicht zum Einsatz kommen? Berichte über Baumaßnahmen der Stadien? Berichte über Logistik und Infrarstruktur der Übertragungsveranstaltungen? Berichte über die Arbeit von Moderatoren, Live-Kommentatoren, Cuttern, der UEFA-Bildaufbereitung, Kameratechnik, Regie? Berichte über Spieler, ihre Vergangenheit, ihre Träume? Berichte über Trainer von Nationalmannschaften, ihre bisherigen Stationen, Erfolge, Misserfolge und Qualifizierung für den Job? Berichte über Hintergrundmenschen beim DFB, Masseure, Busfahrer, Köche...was auch immer? Berichte über Vorbereitungsabläufe vor Spielen, Ernährungspläne, Trainingseinheiten vor dem Spiel, Rituale, Ansprachen usw? Berichte über die "Experten", wie sie während eines Spiels das Spiel erleben (machen sie sich Notizen, reden sie untereinander, bereiten sie Szenen vor, die sie zeigen wollen [es heißt ja immer: Mehmet, du hast ein paar Szenen rausgesucht, die du uns zeigen wolltest])?
Es gibt so extrem viel Luft, ein paar kreative Menschen hätten aus dieser EM so viel rausholen können, das für jeden etwas dabei gewesen wäre. Aber das passiert nicht. Was wir vorgesetzt bekommen ist billigste Kost, plump produziert und dermaßen liebloß hingeklatscht, dass ich mich frage, wo das ganze Geld, das ich monatlich in den Verein investiere eigentlich hinfließt? Ich halte die ÖR für extrem wichtig und unverzichtbar und zahle auch eigentlich gerne Gebühren, um das System zu unterstützen, aber bei dieser EM hat jeder billige Praktikant bestimmt gute, kreative Ideen für Umsetzungen. Aber das, was übertragen wird ist im Vergleich dazu, was möglich wäre, einfach totaler Mist.