Die Sitzung der Vereinsführung findet im Vereinsheim statt, das zuvor abgeriegelt wurde. Draußen warten dunkelbeanzugte Menschen und wehren die Presse ab.
Drinnen sitzen neben Opdam und mir noch Tobias Paul, der Anwalt Cooke und einige weitere Funktionäre, die mir gar nicht namentlich bekannt sind.
Und natürlich Herzog.
Nachdem sich alle nett begrüßt und mit vorher geöffneten Jacketts Platz genommen haben, greife ich ohne Umschweife zu dem Schälchen mit Salzbrezeln, das in der Mitte des Tisches steht. Immerhin erwartet mich eine spannende und unterhaltsame Veranstaltung.
Anwalt Cooke übernimmt das Wort.
„Meine sehr verehrten Herren Anwesenden, nach Absprache mit Herrn Präsident Herzog darf ich die Sitzung eröffnen.“
Herzog quittiert diese Worte kaum bis gar nicht. Mit ausdruckslosem Gesicht sitzt er rechts vom Anwalt und schaut auf einen Punkt an der ihm gegenüberliegenden Wand.
„Sie alle“, fährt Cooke fort, „sind natürlich bereits über die Reaktionen informiert. Dieses Treffen heute soll vor allem dazu dienen, Sie direkt zu informieren, wie es sich Etikette erfordert.“
Eine kurze Pause folgt, in der Cooke die Papiere, die vor ihm liegen seitlich mit flachen Händen ordnet.
„In aller Kürze möchte ich als Vertreter Ihrer russischen Investoren betonen, wie unglücklich wir mit der Entwicklung der Dinge der vergangenen Wochen sind. Die negative Präsenz in den Medien hat uns dazu veranlasst, sämtliche Investitionen umgehend einzustellen oder, so sie vertraglich gebunden sind, aufzukündigen. Unserem Wissen nach gibt es von letztgenannten jedoch nur vereinzelte Zusagen von uns in unerheblicher Höhe. Betrachten Sie daher die hohen Summen – auf Ihren Hand-Outs, die Ihnen zur Verfügung stehen, finden Sie die exakten Summen – als unmittelbar nicht mehr zugänglich.“
Von einigen Mitgliedern ist leichtes Seufzen zu vernehmen.
„Können wir darüber nicht noch einmal reden?“, fragt ein älterer Herr, den ich bislang noch nie oder zumindest noch nie nüchtern gesehen habe.
„Nein, tut mir leid, Herr Ortlinghaus.“
Aha. Ortlinghaus. Vermutlich Inhaber eines örtlichen Fabrikationsbetriebes.
„Weiterhin“, erhebt Cooke nun die Stimme, um sich anbahnende Einwände abzuwehren, „sehen wir die letzten Aktivitäten als potentiell rufschädigend für unsere Unternehmen an. Wir erwarten daher, dass die Namen meiner drei Mandanten reingewaschen werden. Herr Herzog wird die volle Verantwortung für den Transfer des Spielers Mario Götze übernehmen und dabei unmissverständlich klarmachen, dass seine Vorgehensweise zu keiner Zeit mit meinen Mandanten oder deren Vertretern abgesprochen war.“
Hier wendet sich Cooke Herzog zu.
„Können wir uns darauf verlassen?“
Herzog reagiert einen Moment lang nicht. Dann nickt er ein Mal, den Blick weiterhin auf die Wand gerichtet.
„Gut. Eine entsprechende Pressemitteilung werden wir aufsetzen und durch Ihre Presseabteilung veröffentlichen lassen. Für den heutigen Tag haben wir ein Rücktrittsgesuch formuliert. Der Anwalt des Herrn Herzog hat dieses bereits geprüft und akzeptiert. Wir möchten Sie nun, Herr Herzog, bitten, das Schreiben zu unterzeichnen.“
Cooke zieht ein Blatt unter dem kleinen Stapel hervor und schiebt es Herzog rüber. Dann langt er in die Innentasche seines Sakkos und reicht Herzog einen Füllfederhalter.
Herzog reagiert erst wieder kaum, dann langt seine Pranke nach dem Blatt. Mit der flachen Hand zieht er es zu sich hin. Der Füller verschwindet ebenso in der Hand des Noch-Präsidenten. Ein helles Kratzen durchdringt den Raum, als Herzog sein Urteil unterzeichnet und den Füller dadurch vermutlich unbrauchbar macht. Lauter als nötig legt er ihn, ohne die Kappe aufzuschrauben, auf das Blatt und blickt wieder an die Wand.
Aus der Ecke höre ich Tobias Paul schluchzen.
„Danke, Herr Herzog.“
Cooke zieht das Papier wieder zu sich hin und nimmt den Füller, den er langsam zuschraubt und dabei einer kritischen Betrachtung unterzieht.
„Von unserer Seite aus“, fährt er dann mit gefalteten Händen in die Runde fort, „sind wir dann fertig. Mir bleibt nur, Ihrem Verein und Ihrem Projekt weiterhin alles Gute zu wünschen. Ich möchte auch das Bedauern meiner Mandanten ausdrücken, dass sie dabei kein Teil Ihrer Geschichte mehr sein können.“
Einige Leute nicken als Reaktion, manchen murmeln ein ‚Danke‘ zurück.
„Dann möchte ich kurz einige Worte dazu sagen, meine Herren“, sagt nun Herzog plötzlich. Er hat die ganze Zeit über nicht den Eindruck gemacht, heute überhaupt den Mund aufmachen zu wollen.
„Natürlich möchte ich mich bei allen Anwesenden für den Schaden entschuldigen, den meine Fehleinschätzung im Verein angerichtet hat. Sie wissen, welche großen Ziele wir gemeinsam formuliert und wie gezielt wir auf die Etablierung des FC Remscheid als feste Stammkraft in der Bundesliga hingearbeitet haben. Nun, ich werde von nun an kein offizieller Teil dieses Projektes mehr sein. Ich stehe selbstverständlich gerne zur Verfügung, sollte das seitens der neuen Vereinsführung gewünscht sein.“
„Ich glaub nich“, murmele ich. Das aber hat Herzog gehört.
„Lieber Herr Way, auch bei Ihnen verabschiede ich mich. Ihren sportlichen Leistungen gebührt natürlich Respekt, aber glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage: ich verachte Sie mit jeder Faser meines Körpers.“
Als Reaktion beiße ich geräuschvoll auf einige Brezeln und blicke, als ob ich nichts mitbekommen habe.“
„Ich wünsche Ihnen wirklich nur das schlechteste, ja, ich wünsche Ihnen einen Präsidenten, der Sie zurechtweist, kaltstellt. Sie sollen das gleiche erleben wie ich und ich werde dafür beten, so wahr ich hier sitze!“
„Nun, nun, Herr Herzog!“, versucht ein halbglatziger Mann neben ihm ihn zu beruhigen. „Ich muss Sie warnen, sich derart zu äußern!“
Offenbar sein Anwalt.
„Der verklagt mich schon nicht. Kann er doch gar nicht, denn immerhin habe ich noch immer die Entscheidungsgewalt hier über seinen kleinen Verein!“
Herzog ist nun sichtbar aufgebracht. Sein Gesicht nimmt an Röte zu und auch an Glanz, als ihm der erste Schweiß des Abends ausbricht.
Ich sage nichts, schaue ihn nur an und stecke mir einen neuen Brezel in den Mund.
„Dieser Mann dort“, sagt Herzog laut in die Runde und zeigt auf mich. „Dieser Mann wird Euch ruinieren. Dagegen wird meine Verfehlung hier wie ein Jungenstreich aussehen! Nie hat er die Finanzen im Griff haben müssen, immer konnte er auf großem Fuß leben und das Geld anderer Leute ausgeben! Wie, frage ich Sie, wollen Sie den Verein ohne das russische Geld gesund erhalten, mit einem Menschen wie ihm am anderen Ende der Verhandlungstische?“
„Herr Herzog, das sollten Sie lassen. Das sind Fragen, in die Sie nicht mehr involviert sind!“, beschwört ihn sein Anwalt.
„Ha!“, macht Herzog lautstark in den Raum und schaut ihn an. „Und ob! Ich bin immer noch hier und immer noch Präsident, so lange, bis ein neuer Mann gefunden wurde. Und ich stehe immer noch am Ende der Unterschriftenkette für Vertragsgespräche!“
Die Worte verhallen im Vereinsheim. Die Männer schauen sich gegenseitig an. Auch Opdam wirft mir einen kurzen Blick zu.
„Was genau wollen Sie uns damit sagen, Herr Herzog?“, fragt ein Mann in einem hellbraunen Anzug.
„Das können Sie sich doch denken, Zimmermann!“
Aha. Wieder jemanden kennengelernt.
„Glauben Sie vielleicht, ich winke hier auch nur einen einzigen Vertrag durch? Von wegen!“
Der Fragesteller, Zimmermann, blickt Herzog mit offensichtlichem Unverständnis an. Seine Sitznachbarn tun es ihm gleich. Überhaupt schauen alle irritiert, mit nur drei Ausnahmen.
Herzogs Anwalt hat seinen Kopf in die Hände vergraben.
Cooke schaut amüsiert.
Ich schaue aus dem Fenster.
„Ich verstehe Sie also richtig, Herr Herzog, dass Sie soeben haben verlauten lassen, den Verein in seinen Bemühungen, sportliche und wirtschaftliche Stabilität zu erlangen, blockieren werden?“
Dieser Zimmermann scheint ein aufgeweckter Mann zu sein, fällt mir auf.
Herzog öffnet den Mund, um etwas zu entgegen, doch hält sein Anwalt ihn in letztem Moment zurück.
„Selbstverständlich nicht!“, sagt er bestimmt und wirft Herzog einen warnenden Blick zu. „Es obliegt nicht in unserer Absicht, dem Verein noch mehr zu schaden als bereits geschehen. Oder, Herr Herzog?“, fügt er mit einem mahnenden Blick hinzu.
Der Angesprochene scheint innerlich zerrissen.
Oh, wie ich mir vorstellen kann, wie gerne er einfach schmollend den Mittelfinger heben würde. Aber natürlich muss er einsehen, dass es tatsächlich alles schlimmer machen würde, sollte er sich wirklich weigern.
„Nein“, sagt er schließlich leise. „Nein, natürlich nicht. Bitte entschuldigen Sie, da ist meine Enttäuschung wohl mit mir durchgegangen.“
Der Anwalt wartet noch einige Augenblicke ab, dann lässt er Herzogs Ärmel los und tätschelt ihn stattdessen anerkennend.
„Gut, dann…“, fängt Zimmermann gerade an, aber ich bin schneller.
„Dat könnte man ja gleich ma mit ner netten Geste untermauern, find ich.“
Herzogs Ärger brandet wieder auf. Scharf zieht er die Lauft ein und schleudert mir flammende Blicke entgegen.
„Was meinen Sie genau, Herr Way?“, fragt Zimmermann.
„Naja, Entschuldigung un so, allet schön un gut. Aber wäre et nich ne feine Geschichte, wenn Herzog hier un getz, an diese Stelle, auf sein Recht der finalen Unterschrift verzichtet?“
„Way, Sie verdammtes…“, dröhnt Herzog los, doch sämtliche Menschen im Raum schauen ihn plötzlich erwartungsvoll an, und er verstummt.
„Herr Herzog, im Sinne Ihrer Reputation muss ich tatsächlich Herrn Way zustimmen.“, sagt sein Anwalt bedächtig. Herzog quittiert das mit einem erstickten Laut und er wirbelt zu ihm herum.
Der Mann lässt sich jedoch nicht einschüchtern.
„Verstehen Sie doch! Auf Ihr Veto, wenn wir es so nennen wollen, zu verzichten, könnte man Ihnen als totale Räumung des Feldes auslegen, natürlich ausschließlich im Sinne des Vereins und des von Ihnen betreuten Projektes. Sie könnten das durchaus für sich nutzen.“
„Da hörsse, wat Dein Advokat sacht. Dat find ich genau so richtich!“
Herzogs Kopf schleudert hin und her, von seinem Anwalt zu mir, wieder zum Anwalt und dann zu den Männern im Raum.
„Ich nehme an, im Gegenzug wird sich der Verein entsprechend großzügig bei seinen Formulierungen verhalten?“, fragt der Anwalt und schaut in die Runde.
Wieder schauen sich alle an. Und nicken schließlich.
„Also?“, frage ich, an Herzog gerichtet.
Der aber sagt nichts. Er hebt nur den Kopf und starrt wieder seinen Freund an, den Punkt auf der Wand.
„Ich werde ein entsprechendes Schriftstück aufsetzen, das die Unterschriftenleitlinie rückgängig macht.“, sagt der Anwalt dann.
Der letzte Brezel der Schale schmeckt mir dann am besten.