@Pneu: Danke für deine ausführliche Antwort. Natürlich habe ich den Link geklickt und auch gelesen, aber mich hat ja explizit deine Meinung interessiert, deswegen habe ich nachgefragt.

Ich hoffe, es ist okay, wenn ich einzelne Abschnitte deines Posts herausgreife, die mir als Kernaussagen erscheinen.
Kinder sollten in der Schule keine Maske tragen müssen. Sie sollten in der Pause rausgehen und miteinander spielen dürfen. "Kinder brauchen das", sagt der Vater von drei Kindern. Und er verweist darauf, dass die Kinder sich ja nach der Schule auch privat ohne Maske träfen.
Ich zitiere das mal beispielhaft für das Thema "Maskenpflicht an Schulen", wozu du ja mehr geschrieben hast. Tatsächlich bin ich auch der Meinung, dass generell der Schulbetrieb auf die Strategie "Maske auf und durch" setzt (und ein bisschen lüften). Ich finde es erstaunlich, wie wenig Konzept eigentlich seit dem Frühjahr entwickelt wurde. Wohlgemerkt als schon klar war, die Pandemie wird uns noch eine ganze Weile verfolgen. Ich finde, da haben die Damen und Herren aus den Kultusministerien geschlafen bzw. erschreckend wenig Einfallsreichtum bewiesen. Das fängt bei Hygienekonzepten für die Schulräume selbst an und geht bis hin zum Digitalunterricht, um den man nicht herumkommen wird. Lehrerinnen und Lehrer werden damit weitestgehend alleingelassen. Anstatt 50 Mio. Euro in Karnevalsvereine zu pumpen hätte man doch mal anfangen können, Schulen mit Luftfilteranlagen auszurüsten.
Ich finde aber bei der Maskenpflicht bzw. generell Kontakten muss man differenzieren: In der Schule sind die Kinder drinnen und drinnen verbreitet sich das Virus eben besser als draußen auf dem Fußball- oder Spielplatz. Weniger sinnvoll finde ich dagegen: auf den Fluren muss Maske getragen, am Platz darf sie abgezogen werden, was ja bspw. auch in Restaurants gilt. Als Laie würde ich sagen: da Pfeifen die Aerosole doch drauf, ob die Person am Platz sitzt oder nicht. Sie verteilen sich trotzdem im Raum. Letztlich sind es aber auch politische Entscheidungen, abzuschätzen, was zumutbar ist. Der Bruch vom Kindergarten in die Grundschule ist natürlich krass und wenig sinnvol, andererseits: auch hier muss es halt irgendwo eine Grenze geben, die irgendwer (= die Politik) setzen muss. Das die nicht immer und in jedem Einzelfall sinnvoll ist bzw. sein kann, ist doch klar.
Und ja, auch ich bin der Meinung, dass Familien und Kinder generell zu kurz kommen. 300 Euro Kinderbonus und das war's. Natürlich muss die Politik versuchen, irgendwie allen gerecht zu werden, die Prioritäten verwundern mich aber schon. Da bleibt einfach zu viel bei den Kindern hängen. Bzgl. des Masketragens selbst habe ich schon sehr unterschiedliche Erfahrungen mitbekommen - der (subjektiv) Großteil sagt, die Kinder machen das super mit. Aber natürlich gibt es auch Kinder, die damit nicht so gut zurecht kommen, die Angst haben, wie du schreibst. Wo findet man da den richtigen Mittelweg.
Wir haben auch keine Übersterblichkeit im Vergleich zu den Jahren davor.
Das ist so nicht richtig. Wir haben
im Schnitt keine Übersterblichkeit, im April lag diese allerdings laut statistischem Bundesamt deutlich über den Vorjahren (siehe
https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/Gesellschaft/bevoelkerung-sterbefaelle.html). In Deutschland sind wir bislang sehr glimpflich davongekommen, in anderen Ländern ist die Übersterblichkeit deutlicher zu sehen - selbst wenn man mögliche andere Ursachen für eine Übersterblichkeit mit einbezieht.
Richtig ist: Aktuell haben wir niedrige Todeszahlen. Die Gründe hierfür sind nicht eindeutig, mögliche Ursachen wären die infizierten Altersgruppen, Ansteckung im Sommer (pot. geringere Viruslast und -aktivität?) und verbesserte Behandlungsmethoden. Siehe hierzu auch:
https://scilogs.spektrum.de/fischblog/warum-covid-19-weniger-toedlich/Das sind gute Nachrichten! Heißt aber nicht, dass das Virus ungefährlich ist. Es bleibt abzuwarten, wie es sich in Herbst und Winter entwickelt, wenn die Kontakte wieder hauptsächlich in Innenräumen stattfinden. Außerdem infizieren sich meines Wissens wieder vermehrt auch ältere Menschen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren bzw. tödlichen Verlauf haben.
Im Übrigen finde ich es fahrlässig, allein auf die Todeszahlen zu schauen. Nicht wenige Menschen - auch junge ohne Vorerkrankungen - leiden noch monatelang an den Folgen. Das geht über den Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn und Kurzatmigkeit über Fatigue bis hin zu Entzündungen des Herzmuskels. Von eingeschränkter Lungenfunktion und möglichen (!) Langzeitfolgen wie einem erhöhten Demenzrisiko ganz zu schweigen. Natürlich können wir jetzt noch nicht sagen, was in 10, 20, 30 Jahren mit Menschen ist, die die Erkrankung überstanden haben. Ich halte es aber für sinnvoll, eher behutsam und vorsichtig vorzugehen, anstatt ein allzu großes Risiko einzugehen. Worauf ich aber hinauswollte: auch "genesene" Menschen sind nicht zwingend gesund und fallen in ihrem Job teilweise monatelang aus. Und das sind konkrete Folgen, die wir jetzt schon haben. Wie du ja selbst angemerkt hast: Langzeitfolgen, die jahrelang anhalten oder sich erst in einigen Jahren bemerkbar machen, können wir jetzt noch nicht absehen. Ich halte es dennoch für richtig, darauf hinzuweisen, was potenziell drohen könnte. Niemand behauptet ernsthaft, dass das auch definitiv so ist.
Rückgang bei Stammzellenspendern, verschobene Krebs Ops? Werden diese Menschen geopfert? Oder wieso wird das in Kauf genommen. Ich kann verstehen, dass man am Anfang einer Pandemie ohne viele Kentnisse, gewisse Maßnahmen ergreifen muss. Aber mittlerweile würde ich es begrüßen, auf den gesunden Menschenverstand zu setzen, uns wie erwachsene Menschen zu behandeln.
Ich mag mich täuschen, aber momentan laufen doch die Krankenhäuser größtenteils im Regelbetrieb, oder? Am Anfang war es so, dass man OPs möglichst verschoben hat, ja, aber mittlerweile wird doch (fast) alles wieder gemacht. Lasse mich gerne eines Besseren belehren. Kritisch wird es natürlich bei so Geschichten wie Blutspenden (gute Erinnerung, wollte ich schon längst mal gemacht haben...), wo die Reserven tatsächlich zurückgegangen sind, weil große Blutspendenaktionen einfach nicht mehr stattfinden können. Das heißt ja aber nicht, dass es grundsätzlich nicht mehr geht, sondern nur, dass es jetzt eben anders geht.
Zum gesunden Menschenverstand: sorry, aber wenn ich ungelogen jedes Mal beim Einkaufen (1 großer Einkauf pro Woche) Leute sehe, denen der Zinken aus der Maske hängt oder die erst gar keine tragen, dann habe ich den Eindruck, dass es mit dem gesunden Menschenverstand bei einigen nicht so weit her ist. Überhaupt konnte man nach den ersten Lockerungen den Eindruck gewinnen, viele setzten das gleich mit "die Pandemie ist vorbei" (original mehrfach so gehört). Ich habe eher den - auch wieder subjektiven - Eindruck, dass trotz der unfassbar umfangreichen Aufklärungsarbeit bei vielen der Groschen noch nicht gefallen ist, warum wir das alles machen.
Zur Panikmache hat brandgefährlich eigentlich schon alles gesagt. Ruhiger und sachlicher als Merkel kann es doch kein Regierungsoberhaupt der Welt erklären und angehen. Wenn ich hier nach Baden-Württemberg schaue, sehe ich auch niemanden aus der Regierung, der irgendwie Panik verbreitet. Die Maßnahmen mögen nicht immer und überall in letzter Konsequenz stimmig sein, aber Panikmache? Ich halte das eher für ein sehr erfolgreiches Framing von Rechtsextremen und Coronaleugnern. Bezüglich der Pandemiestufe 2: Da werden ja jetzt keine Maßnahmen verschärft soweit ich weiß, sondern nur deren Durchführung besser überwacht. Ist doch vollkommen in Ordnung, da rechtzeitig genauer hinzuschauen, bevor sich ein exponentielles Wachstum entwickelt. Auch das hat mit Panikmache meines Erachtens rein gar nichts zu tun.
Wieso hörte man während den schweren Grippewellen nichts?
Mediziner warnen eigentlich beständig davor, die Grippe auf die leichte Schulter zu nehmen. Das interessiert nur niemanden, weil die Grippe etwas ist, das eben schon lange in unserer Gesellschaft vorkommt. Wir haben also a) gelernt, damit zu leben bzw. uns daran gewöhnt, und b) gibt es eine Grundimmunität in der Bevölkerung, die bei Covid-19 fehlt. Hinzu kommt die Singularität der Pandemie: das ist eben neu und einmalig. Natürlich liegt der Fokus dann darauf. Im Übrigen denke ich, dass Maske tragen im ÖPNV, beim Einkaufen usw. grundsätzlich auch während der Grippesaison eine gute Sache ist, die wir uns angewöhnen sollten. Hier haben wir aus westlicher Arroganz allzu lange die asiatischen Länder belächelt.
Zu guter Letzt: Ja, in Deutschland sind wir bislang gut durch die Pandemie gekommen - zumindest auf die Coronaopfer bezogen (wirtschaftlich ist das wieder eine andere Geschichte). Aber nicht etwa, weil das Virus nur eine harmlose Grippe o.ä. wäre, sondern weil die Maßnahmen greifen, von einem Großteil der Bevölkerung angenommen und umgesetzt werden.
Edit: Ich empfehle außerdem noch diese Interview mit Herrn Drosten. Sachlich, gute konkrete Tipps, Einschätzung der Lage und Vorschau auf Herbst/Winter:
https://www.zeit.de/wissen/2020-10/christian-drosten-corona-massnahmen-neuinfektionen-herbst-winter-covid-19