@Tony: Eine sehr gute Frage! Grundsätzlich kann ich deine Lebensfreude teilen, mir geht es privat ähnlich. Um aber eine Antwort zu finden: Ich habe mehrere Jahre in Freiburg gelebt, eine studentische Glückstadt. Insel der Seligen. Weit weg von den Sorgen und Nöten (außer der nächsten Klausur

). Dort lernt man sehr viele Söhne und Töchter aus Mittelstandsfamilien kennen. Mir erschlossen sich so als "Mischlingskind" aus Arbeiterklasse väterlicherseits und sowjetische Bildungselite mütterlicherseits ganz andere "Welten", in denen ich vorher keinen Zugang hatte.
Des Weiteren durfte ich aufgrund meiner musikalischen Begabung immer auf tolle Musikfreizeiten gehen, bei denen man als Sohn aus einer Familie, bei denen nur ein Elternteil ein Studium hat, schon ein Unikum war. Als ich als Schüler mit dem Arbeiten nebenher anfing, ging es erst mal vom Helferjob Stück für Stück, wenn auch nicht in einer geraden Linie, hoch zu der akademischen SEO-Arbeitswelt in der ich mich jetzt befinde.
Jedes mal stellte ich fest, dass jede Schicht ihre "Glaubenssätze" hat - und das Einblicken und Teilhaben können an mehreren dieser Milieus (das trifft es besser als Schichten) lehrte mich über den Tellerrand zu schauen.
Es lehrte mich aber auch das, was dich so verwundert: Die Leute leben in verschiedenen Realitäten, nebenher statt miteinander. Der soziale Abstieg der unteren Einkommensgruppen in den letzten Jahren hat das noch verschärft - auch die Mittelschicht war mal "gelassener". Ist aber auch nicht der Punkt. Wichtig ist, dass sich da Gruppen äußern und Meinungen kundgeben, die überhaupt nicht hilfreich sind für die Menschen der anderen Milieus. Gegenseitige Ignoranz.
Beispiel für die Unterschicht:
Aus der Sicht eines ungelernten Arbeiters Mitte 30, dem Klaus-Dieter, der seine Lehre damals abgebrochen hat und dann doch vor ein paar Jahren sich vom Verhalten her in Griff bekommen hat und nun sein Leben soweit auf die Reihe gebracht hat, dass er in ner Fabrik Schicht arbeiten geht und davon Frau und Kind und Kegel würdevoll versorgen kann, muss zwangsläufig z.B. der Asylbewerber der hier als "Fachkraft" bleiben soll eine Bedrohung sein ("Die klauen uns unsere Jobs").
Außerdem wird er wohl im täglichen Arbeitsumfeld eher mit den unteren Bildungsschichten aus den Einwanderergruppen zu tun haben, weniger mit den eloquenten, weltoffenen und hochintelligenten Ingenieuren aus dem ehemaligen Persien. Gleichzeitig merkt er aber auch, dass der Murat, der Dönerfritze um die Ecke ein eigentlich dufter Typ ist, der auch nur für seine Familie sorgen möchte - und der sich genauso über "interessante" Zuwanderer aufregt wie er selbst. Von der Mittelschicht und Oberschicht müssen sich beide "belehren" lassen, dass sie engstirnige Nazis sind - während sich die Beiden darüber aufregen, dass Leute über sie urteilen, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken mit einem 2%-Anteil an Ausländern, und dann aber ihnen schlaue Tipps geben wollen. Konsequenz: "Die da oben können mich mal."
Wir haben also einen in an Schwarz-Weiß-Muster angelehnt denkenden Klaus-Dieter, der viel Scheiß labert. Aber manchmal den Nagel auf den Kopf trifft. Da er mit seiner Meinung immer nur Ablehnung und Unverständnis erntet, auch wenn sie berechtigt ist (denn viele wissen eigentlich wenn sie unberechtigt ist, nur Ego macht da ungern mit ;-) ), denkt er sich "Fuck you".
Blöd ist nur geworden, dass Klaus-Dieter inzwischen teilweise sogar eine Lehre hat mit ordentlichen Noten und ein guter Arbeiter ist, aber der "moderne Arbeitsmarkt" sieht für nur das Halbsklavendasein als Leiharbeiter vor - und plötzlich solidarisieren sich immer mehr Milieus mit dem "Klaus-Dieter eine Stufe drunter". Aber immer als "Abgrenzung" zu anderen Schichten, von denen man sich missverstanden fühlt.
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Was ist meine Meinung? Achtung Pauschalisierung!
Unterschicht: Teils Dumpfbacken, aber manchmal können die das Wesentliche erkennen. Denn wer jeden Cent zweimal umdrehen muss, bewertet ganz genau die Kosten.
Mittelschicht: Melkkühe der Nation. Höchste Steuersätze und Abgaben. Die denen das dämmert solidarisieren sich mit der Unterschicht (die Höckes und Petrys und damals Lucke), die anderen sagen sich (zurecht): "Jo mei, es geht mir ja trotzdem ganz gut." Die Söhne und Töchter genießen ein Privileg: Die Arbeitswelt beginnt nach dem Studium. Ergo eine schöne Zeit, aber auch erst mit Mitte 20/Ende 20 Ahnung beim Thema Geld verdienen und verteilen.
Oberschicht: 25% Abgeltungssteuer = Niedrigere Belastung als Unter- und Mittelschicht. Exklusive Wohnviertels, gänzlich andere Lebensrealität. Privatschulen. Dr. Müller Wohlfarth massiert die Wade, wenn es zwickt. Den Türken kennt man nur von der Biomarkthalle.
==> Unterschicht wird abgehängt, Mittelschicht erodiert teilweise. Oberschicht geht es super. Gleichzeitig Eurokrise, Wirtschaftskrise - aber auch immer noch eine der besten Sozialhilfen der Welt - was die Situation abfedert. In dieser Situation wird der Grenzschutz aufgegeben und Immigranten aus anderen Ländern kommen. In den Medien wird Asyl, Flüchtling, IS, Muslim, Islamist etc. alles bunt durcheinander gewürfelt. Man hört nur noch extreme Positionen, die gemäßigten, vernünftigen gehen unter. Dazu randalieren Spinner öffentlichkeitswirksam und mit Todesfolge für Mitbürger.
Ich bin also der Meinung dass der ganze "Immigrantenzirkus" halb so wild wäre, wenn wir wie in den 60ern jede Arbeitskraft händenringend zu würdigen Löhnen einstellen würden - ich habe aber Zweifel, ob das in Zeiten von Leiharbeit und "Race against the Machine" eine Lösung ist.
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@Autounfall und Terror: Autounfälle hatten wir vorher schon hier als Lebensrisiko. Jetzt bekommen wir Terror hinzu. So oben drauf, nicht als "Ersatz". Oben drauf, ein zusätzliches Risiko. Ist das nicht toll? Wir bekommen Israel in DE!
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@Gaulandhetzer und Co: Joa, kann man so zustimmen. Wir sollten wirklich nicht unsere Werte aufgeben, sondern einfach auch mal durchsetzen im Rahmen der geltenden Gesetze. Das hieße z.B., dass es diese massenweise illegale Einwanderung niemals hätte geben dürfen. Jetzt haben wir den Salat und kommen da nur rechtsstaatlich raus, wenn wir unsere Hilfe auf "Nothilfe" beschränken und mal auch die Eier haben, die hohen Quoten an "nicht abschiebefähigen", geduldeten, abgelehnten, aber plötzlich kranken, in der Heimat gefährdeten Aufenthältlern unter die Lupe nehmen und was tun. Des Weiteren rechtsstaatliche Rechtsmittel überlegen und einsetzen, um die Anreize zu senken, unsere Gastfreundschaft zu missbrauchen.
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@Gegenreaktion: Wenn man es verpasst rechtsstaatlich die Dinge in ordentliche Bahnen zu lenken, kommt irgendwann Bürgerkrieg oder eine No-Go-Area-Struktur a la Brasilien.