Kapitel 1.6 – Geld, Gelächter und ein HalbfinaleDie Wochen vergingen.
Ein Sieg nach dem anderen – und trotzdem kein Anlass für Freudentänze.
Wer gegen Amateure gewinnt, kann sich nichts darauf einbilden.
Wir waren Favorit in jedem Spiel, und jeder Sieg war weniger Triumph als Pflichtaufgabe.
Aber Punkte sind Punkte – egal gegen wen.
Solange sie auf unserem Konto landeten, beschwerte sich niemand.
Wir lernten. Wir wurden besser.
Nicht schön. Nicht immer dominant.
Aber effektiv.Der Tag vor dem Halbfinale begann… wie fast jeder andere: mit
schlechter Laune.Nicht, weil wir im Pokal kurz vor dem größten Spiel der Saison standen – sondern, weil es einfach zu früh war.
Die Sonne hatte noch nicht mal richtig Fahrt aufgenommen und mein Körper beschloss, das er vor neun Uhr auf alles außer Schlaf allergisch reagiert.
Wie üblich lag ich nach dem zweiten
"Snooze" noch im Bett.
Mein Blick war auf den Ventilator gerichtet, der seit Wochen mit einer Geschwindigkeit drehte, als würde er gleich zur Landung ansetzen.
Mein Körper protestierte gegen das Aufstehen, mein Kopf gegen alles, was nach Verantwortung klang – also eigentlich gegen den kompletten Tag.
Bradshaw hatte mir schon am Vortag geschrieben:
„Vergiss nicht, Hemd oder Polo. Kein Trikot.“Als ob ich mir bei dieser Hitze freiwillig
Polyester überstreifen würde.
Die Morgenroutine lief wie gewohnt im Autopilot: Kaffee kochen, kurz ins Badezimmer – und dann, noch mit zerknautschtem Gesicht, auf die Terrasse.
Der Kaffee
dampfte in meinem großen Becher, vier Löffel Zucker hatten sich wie eine goldene Schicht am Boden abgesetzt.
Nach dem Rührvorgang holte ich den ersten Glimmstängel des Tages aus der Schachtel, zündete ihn an und nahm den ersten Zug von der Kippe.
Ich blinzelte ins Licht, das über den Hügeln hinter Basseterre aufstieg.
Auf den Holztisch hatte ich meinen zerknitterten Notizblock gelegt.
Nicht, weil ich plötzlich zum Strategen der verbalen Kriegsführung geworden wäre – aber die Pressekonferenz um zehn Uhr wollte ich nicht ganz unvorbereitet betreten.
Ich blätterte durch meine krakeligen Stichpunkte:
„Formkurve“ –
„St. Paul’s als möglicher Gegner im Finale“ –
„Finanzen??“ –
„Alles tutti im Verein?“.
Daneben ein paar Pfeile, die so aussahen, als hätte ich sie im Halbschlaf gemalt.
Ich überlegte, wie ich antworten konnte, ohne jemandem zu sehr vor’s Schienbein zu treten.
Der Kaffee war halb leer, die Kippe längst ausgedrückt, da fiel mein Blick auf die Uhr.
9:00Uhr.Zeit, loszufahren – ich wollte um halb zehn am Stadion sein.
Die Straßen waren an diesem Morgen ruhig.
Nur ein paar Mofas zogen ihre
knatternden Linien durch die Stadt, dazwischen alte Pick-ups mit viel Rost und wenig Eile.
Vor einer kleinen Bäckerei standen schon Menschen in der Sonne und hielten Tüten voller frisch gebackener Brötchen im Arm.
Das Meer
glitzerte in der Ferne, als würde es die Kulisse für einen Werbespot spielen.
Ich fuhr gemächlich, Fenster halb offen, ließ den warmen Fahrtwind ins Auto.
Pünktlich um
9:30 bog ich auf den kleinen Parkplatz neben dem Stadion ein.
Bradshaw stand schon am Eingang, die Hände in den Hosentaschen, und winkte mir zu.
„Da bist du ja. Komm, wir müssen die Leute gleich reinlassen.“Wir hatten keine Angestellten, die sich um so etwas kümmerten – also standen wir selbst an der Tür, begrüßten die paar Journalisten, die nacheinander eintrudelten, und führten sie in unseren
„Presseraum“.
Das Wort war eigentlich zu groß.
Es war ein schmales Zimmer mit zwei Fenstern, von denen eines sich nicht öffnen ließ.
Außerdem beheimatete es einen abgewetzten Teppichboden und einige große Tische sowie diverse in die Jahre gekommenen Stühle.
In der Ecke stapelten sich alte Vereinsordner, neben der Tür ein klappriges Regal mit vergessenen Kaffeebechern.
Bradshaw holte eine Kiste Wasser aus dem Nebenzimmer, ich stellte sie auf den Tisch, als wären wir Gastgeber einer Bingo-Runde im Altenheim –
nur ohne Kekse.
Dann rückten wir die Stühle zurecht und platzierten die neue Werbebande hinter uns – mit dem neuen Sponsor, dem grellbunten
„Slots, Slots, Slots“-Casino & Café – die
Bradshaw so stolz herangeschafft hatte.
Als die letzten Kabel für die Mikrofone verstaut waren, trat ich einen Schritt zurück.
Eigentlich war es für die geringe Anzahl an Journalisten überhaupt nicht nötig,
Bradshaw wollte allerdings um jeden Preis
professionell wirken und deshalb verkabelten wir sie.
Alles bereit.
Zumindest äußerlich.Mr. Bradshaw trat ebenfalls einen Schritt zurück, verschränkte die Arme und nickte zufrieden.
„Sieht gut aus.“„Könnte schlimmer sein.“Bradshaw bemerkte den kleinen Seitenhieb anscheinend nicht.
„Könnte auch klimatisiert sein.“ setzte ich deshalb noch nach.
Er sah mich jetzt etwas entrüstet an, sagte jedoch nichts.
Der Ventilator an der Decke
quietschte bei jeder Umdrehung.
Immerhin
quietschte er konstant, das wirkt bestimmt auch professionell dachte ich und musst
schmunzeln.
Mr. Bradshaw und ich saßen hinter unserem kleinen Tisch, dessen Platte an einer Ecke schon so ausgeblichen war, dass man das Holz unter der Lackschicht sehen konnte.
Hinter uns stand die mobile Sponsorenwand –
eine auf Rollen montierte Plastikfläche, wie sie große Klubs nach Champions-League-Spielen benutzen.
Nur, dass hier nicht
Audi, Siemens oder
Adidas prangten, sondern in bunter Wiederholung das knallige
Slots Slots Slots-Logo, dazu unser Vereinswappen und das Emblem der Division One League.

Die Journalisten nahmen nach und nach ihre Plätze ein.
Einige klappten kleine Notizblöcke auf, andere schalteten ihre Handys auf Aufnahme. Einer hatte einen Laptop dabei, der aussah, als hätte er den Hurrikan von
’95 überlebt.
Wir warteten
zehn Minuten, um zu schauen ob noch jemand kam – es blieb aber bei den fünf anwesenden Medienvertretern.
Mr. Bradshaw sah noch ein letztes Mal auf seine Uhr.
Er nahm rechts neben mir Platz und begann damit, die Pressekonferenz zu eröffnen.
„Meine Damen und Herren, willkommen im Presseraum der Cayon Rockets.“Er machte eine
kurze, bedeutungsschwangere Pause, als müssten die Worte erst einmal in der Luft nachhallen.
Die Journalisten schauten sich um, und einer konnte sich ein
Kichern nicht verkneifen.
Bradshaw fuhr –
wie seit kurzem in solchen Situationen üblich – unbeirrt fort und tat mal wieder so, als hätte er nichts gehört.
„Wir stehen vor einem ganz besonderen Spiel. Morgen ist das Halbfinale im Pokal – und ich kann Ihnen versichern, die Mannschaft ist bereit. Der Trainer ist bereit. Der Verein ist bereit.
Und… wir haben Slots, Slots, Slots Casino & Café‘ als stolzen Partner an unserer Seite gewinnen können.
Diese Zusammenarbeit ist für uns im Hinblick auf die Zukunft und unsere finanzielle Eigenständigkeit eine großartige Gelegenheit, langfristige Planungssicherheit zu haben und zusätzlich die lokalen Gewerbetreibenden zu unterstützen.
Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, mit Sponsoren aus dem Ausland zusammenzuarbeiten, auch wenn wir dadurch natürlich einige finanzielle Einbußen in Kauf nehmen.
Uns ist es jedoch ein Bedürfnis, die lokale Wirtschaft an unserem Aufschwung teilhaben zu lassen – denn diese wird durch unsere Präsenz in den kontinentalen Wettbewerben sicherlich ebenfalls einen Zuwachs verzeichnen.“Er deutete mit einer theatralischen Geste auf die Sponsorenwand hinter uns.
„Ich bin sicher, Sie haben alle Fragen – und wir haben die Antworten. Deshalb: Fangen wir gleich an. Wer möchte beginnen?“Ich begann mich zu fragen, wie er in dieser Rede vom Halbfinale im heimischen Pokal zum großen Auftritt auf kontinentaler Bühne gesprungen war.
Vielleicht hatte Bradshaw die letzten Wochen zu viel Zeit mit sich selbst und seinen Tagträumen verbracht.
Oder ich lernte ihn erst jetzt richtig kennen – nicht als den kumpeligen Familienmenschen, der bei Grillabenden Witze reißt, sondern als den Präsidenten, der mit stolzgeschwellter Brust in jede Kamera grinst und so tut, als würden wir in zwei Jahren um den Champions Cup spielen.
Keine Ahnung ob es zu viel Selbstbewusstsein, zunehmendes Alter oder einfach nur Größenwahn war.
Egal, was es war – gut war es nicht.Sein Blick wanderte langsam über die kleine Gruppe, wie ein
Auktionator, der auf das erste Gebot wartet.
Schließlich nickte er einem Mann in der ersten Reihe zu.
Jauan Whittaker – Kittisches Presseblatt – beugte sich leicht nach vorne.
„Coach, das ist ja in Ihrer jungen Karriere das bisher wichtigste Spiel – das Pokal-Halbfinale. Wie fühlen Sie sich davor? Sind Sie ein wenig nervös?
Ihr Team war zuletzt super in Form, aber glauben Sie, dass Ihr Team auch für dieses Halbfinale bereit ist? Oder besteht die Gefahr, dass Sie zu selbstsicher da reingehen?“„Das ist sicherlich das bisher wichtigste Spiel in meiner – und unserer – Zeit hier. Aber ich glaube, wir sind sehr gut gerüstet. Wir haben eine starke Form und bisher alle unsere Spiele gewonnen.
Deshalb gehe ich auch davon aus, dass wir auch dieses Spiel gewinnen werden. Ich glaube nicht, dass die Spieler selbstgefällig werden – sie wissen ganz genau, dass es von mir ansonsten einen Arschtritt gibt.
Wir werden unsere Hausaufgaben machen und ins Finale einziehen.“
Jauan verzog das Gesicht
.
„Klingt ein bisschen sehr selbstbewusst. Haben Sie denn gar keinen Respekt vor dem Gegner, wenn Sie schon so selbstverständlich über das Finale sprechen?“„Natürlich werden wir dem Gegner den gebührenden Respekt erweisen und haben uns genauso vorbereitet wie auf jedes andere Spiel. Respekt heißt aber nicht, dass wir uns kleiner machen, als wir sind.“Bradshaw deutete auf den nächsten Fragesteller.
Malik Warner – St. Kitts Sportfunk – grinste breit.
„Wie sieht die Aufstellung aus? Wird Ihr neuer Torwart Souza wieder in der Startelf stehen? Und werden Bertie und Nelson wieder die Sturmspitze bilden?“„Auf taktische Feinheiten werde ich hier nicht eingehen. Wir wollen dem Gegner ja keine Hilfestellung geben, sich gezielt auf uns einzustellen.
Die Aufstellung sehen Sie kurz vor dem Spiel – wie alle anderen auch.“Malik ließ nicht locker:
„Wie zufrieden sind Sie denn insgesamt mit Ihren Transfers?“Mr. Bradshaw lehnte sich sofort nach vorn.
„Wir sind sehr stolz auf unsere Transfers. Ich bin der Meinung, dass ICH das sehr gut hinbekommen haben. Und auch die Abgänge waren nur Ergänzungsspieler – kein Grund zur Sorge.
Deswegen haben wir da auch keine Ersatzspieler verpflichtet. Die Qualität der Mannschaft ist hoch.“Übersetzung: Niemand, der gegangen ist, hätte jemals einen Rasen von Nahem gesehen.Er zeigte auf
Tanya Richardson vom
Basseterre Wochenblatt.
„Gibt es besondere Maßnahmen, wie Sie sich auf dieses Spiel vorbereiten? Teambuilding oder Rituale?“„Wie eben schon gesagt: Wir gehen dieses Spiel an, wie jedes andere auch. Wir trainieren, wir reden, wir arbeiten – und wir machen unsere Hausaufgaben.“Der nächste
Reporter bekam das Wort. Er hieß
Alvin Browne und war unabhängig.
„Speziell Bertie, Nelson und Duncan sind ja sehr gut in Form. Haben andere Vereine schon ihre Fühler ausgestreckt oder gab es offizielle Angebote?“Ich setzte gerade an – da grätschte
Bradshaw rein.
„Auch wenn natürlich jeder Verein diese Spieler haben möchte: Selbst wenn es ein Angebot gegeben hätte – wir machen hier keinen Ausverkauf.
Wir wollen mit diesen Jungs auch in der ersten Liga spielen, deshalb werde ich nicht verkauft.“„Aber… sieht es mit den Finanzen nicht kritisch aus? Wäre es nicht gut, wenn da mal eine Einnahme reinkäme?“Mr. Bradshaw straffte die Schultern.
„Ich weiß nicht, woher Sie diese Information haben, aber wir stehen wirtschaftlich stabil da. Wir arbeiten solide. Das sehen Sie auch anhand unserer neuen Sponsoren.“Er deutete demonstrativ auf die Sponsorenwand hinter uns.
„Trotz der geringeren Zuschauerzahlen – was wir in Liga zwei erwartet haben – sind wir gut gerüstet. Und im Halbfinale erwarten wir bis zu 1.100 Zuschauer. Das ist nicht zu verachten.“
Wenn Zahlen beschönigen eine olympische Disziplin wäre, hätte er gerade Gold geholt.Eine weitere Hand ging nach oben.
„Herr Bradshaw, wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Ihnen und dem neuen Trainer? Es heißt, Sie kannten sich schon vor der Anstellung.
Ist das Verhältnis nach wie vor so gut, oder hat sich durch die tägliche Zusammenarbeit etwas verändert?“„Natürlich – alles ist perfekt. Zwischen uns passt kein Blatt Papier.“Ich lächelte nur schwach.
„Wir haben durchaus auch mal unsere Meinungsverschiedenheiten – aber alles im Rahmen.“Bradshaw presste ein Lächeln auf die Lippen, das so echt wirkte wie ein Sonderangebot im Duty-Free-Shop, und beugte sich hastig wieder zum Mikrofon.
„Was er meint, sind kleine taktische Diskussionen – nichts Ernstes. Wir sind völlig auf einer Wellenlänge.“Für die Journalisten war das eine reine
Pflichtfrage. Für
Bradshaw dagegen offenbar der Auftakt zu einer
diplomatischen Krisensitzung.
Malik meldete sich noch einmal.
„Kurze Frage zum Abschluss: Erwarten Sie im Halbfinale eine Verlängerung oder Elfmeterschießen?“„Ich erwarte, dass wir es in 90 Minuten entscheiden. Aber wir sind auf alles vorbereitet.“Mr. Bradshaw nutzte die Gelegenheit wie ein Mann, der das letzte Wort haben will –
koste es, was es wolle.
„Damit schließen wir die Runde. Wir müssen uns schließlich auch noch um andere wichtige Dinge kümmern. Vielen Dank für Ihr Interesse.
Wir sehen uns morgen im Stadion und freuen uns auf ein tolles Spiel.“Wir standen auf, rückten die Stühle an den Tisch und schoben die Sponsorenwand in die Ecke.
Der Ventilator
quietschte noch immer –
der Einzige hier, der heute wirklich konstant gearbeitet hatte.
Als wir den Raum verließen, schob sich plötzlich
Alvin Browne zwischen zwei Stühle.
Der Reporter mit den Finanzfragen.
Schmal gebaut, spitze Nase, schmale Augen – und diese Art, sich zu bewegen, als könnte er jeden Moment unter einer Tür hindurchschlüpfen.
Wie ein
zwielichtiges Wiesel schlich er sich an mich heran, so dass
Bradshaw es nicht bemerkte.
„Ich schick Ihnen später eine Mail. Aus meinen Quellen. Vereinsfinanzen.“Ich runzelte die Stirn, wollte gerade nachhaken – aber da war er schon weitergegangen, als hätte er nie neben mir gestanden.
Was ich davon halten sollte, wusste ich nicht.
Zehn Minuten später
vibrierte mein Handy tatsächlich.
Betreff: Finanzbericht – vertraulich.Kein Fließtext, keine Einordnung – nur nackte Zahlen.
Kontostand:
–54.000 €.
Im Januar noch im Plus gewesen.
Dazwischen: eine Reihe größerer Auszahlungen ohne jede Begründung.
Offiziell keine Erklärung.Inoffiziell… sagen wir mal so:Mr. Bradshaw hatte in den letzten Monaten erstaunlich viele
„geschäftliche Termine“ in Gebäuden mit auffällig vielen
blinkenden Lichtern.
So viel zum
„wirtschaftlich stabil“, das er eben noch in die Mikrofone gesungen hatte.
Aber für Finanzdetektivarbeit blieb keine Zeit.
Das Pokalhalbfinale stand vor der Tür – und zum ersten Mal, seitdem ich hier bin, würde der
Warner Park nicht aussehen, als hätte man sich versehentlich auf eine Familienfeier verirrt.
Statt der üblichen
150 Zuschauer wurden nun rund
1.100 erwartet.
Es würde volle Straßen geben, doppelt so viele Verkaufsstände – und etliche „Fans“ aus dem Dorf, die gar nicht wegen des Spiels kamen, sondern wegen der Musik und dem Bier.
Ich starrte noch eine Weile auf die Zahlen in der Mail, als könnten sie sich von selbst in etwas Freundlicheres verwandeln.
Taten sie natürlich nicht.
Also klappte ich das Handy zu, steckte es in die Tasche und beschloss, dass ich heute keine Energie für
Bradshaws blinkende Geheimnisse hatte.
Auf der Fahrt nach Hause
vibrierte mein Telefon erneut.
Rosalies Name leuchtete auf:
„Hey, na? Wir haben uns ja lange nicht gesehen. Hast du nicht Lust, dich heute mit uns mal auf einen Kaffee zu treffen?
Mervin hat mir erzählt, dass heute kein Training ist. Da hättest du ja bestimmt Zeit, oder nicht?“Ich lehnte mich zurück.
Ja, stimmt eigentlich… die beiden hatte ich schon länger nicht mehr privat getroffen.
Die letzten Male hatte ich mich noch gewunden, Ausreden gefunden, das Treffen auf „ein andermal“ verschoben.
Warum eigentlich nicht?
Heute gab’s keine Ausrede.Ein paar Stunden später, vor einem kleinen Café an der Uferpromenade.
Die Sonne spiegelte sich auf dem Wasser, Möwen
kreischten irgendwo hinter den Booten.
Rosalie und
Mervin warteten schon, als ich um die Ecke kam.
„Hey, na, schön dich zu sehen!“ –
Rosalie breitete die Arme aus.
„Toll, dass das heute mal geklappt hat.“„Ja, schön, dass es mal geklappt hat“, stimmte
Mervin ein.
„Das letzte Mal, als wir uns außerhalb vom Fußball getroffen haben, hatte ich ja gerade einen kleinen Breakdown. War nicht so schön.“„Stimmt. Aber wahrscheinlich haben wir noch das Schlimmste verhindert… oder auch nicht,“ schmunzelte ich.
„Eher nicht...," fügte
Rosalie hinzu.
Wir lachten. Mervin hingegen schaute kurz
verlegen zur Seite, schob dann die Hände in die Hosentaschen.
„Kommt. Ich hab einen Tisch für uns bestellt. Schön am Fenster – Meerblick.“Drinnen roch es nach
frisch gemahlenem Kaffee und
Zuckerwaffeln.
Wir bestellten
Eisbecher, Eiskaffee, irgendwas mit
Schokosauce – und redeten erst einmal über
Gott und die Welt.
Rosalie fragte, ob ich immer noch bei meiner Mutter wohnte.
„Ja, eigentlich gefällt’s mir ganz gut. Außerdem schmeckt’s bei Mutti am besten.“„Wir überlegen, ob wir mal woanders hinziehen“, sagte
Rosalie, während sie sich einen Löffel Eis gönnte.
„Das Haus ist zu klein für uns sechs. Ich hab ein Jobangebot bekommen – und der Club in der Nähe wäre für Mervin kein Abstieg.“„Echt? Wo denn?“
„In Kingston. Jamaika.“Mervin nickte.
„Dort gibt’s mehrere Vereine in der ersten Liga. Reputationsmäßig besser als St. Kitts. Ich weiß auch noch nicht, ob ich hier verlängere oder meinen Vertrag auslaufen lasse.
Mein Berater hat mir geraten, erstmal alles abzublocken – nur, damit du dich nicht wunderst, falls Bradshaw dich darauf anspricht.“„Schön, dass du mir das jetzt erzählst.“„Hätten wir dir schon längst erzählt, wenn du mal zum Kaffee gekommen wärst.“ Rosalie zwinkerte.
Wir probierten gegenseitig von unseren Eisbechern und kamen zu dem Schluss, das wir schon bessere gegessen hatten.
„Sag mal, Rosalie… findest du eigentlich auch, dass dein Vater sich verändert hat?“ fragte ich schließlich vorsichtig.
„Was meinst du?“„Na ja… früher – bevor wir jeden Tag zusammengearbeitet haben – wirkte er auf mich irgendwie anders. Jetzt ist er so… überambitioniert.
Manchmal fehlt mir der gesunde Menschenverstand, den er sonst hatte.“Rosalie seufzte.
„Stimmt schon. Vielleicht liegt’s an der Frau, mit der er seit Kurzem ausgeht. Mervin und ich mögen sie nicht.
Er macht ihr ständig teure Geschenke, obwohl sie sich kaum kennen.
Ich glaube, sie setzt ihm ständig Floh ins Ohr, wie wichtig er ist und was für eine große Nummer er hier auf St. Kitts sein könnte, wenn er nicht immer so nett zu allen wäre.“„Eine richtige Furie“, brummt
Mervin.
Ich nickte.
„Das würde einiges erklären. Vielleicht sollte ich mal direkt mit ihm reden.“„Viel Glück“, meinte
Rosalie trocken.
„Als ich versucht habe mit ihm zu reden, hat er gleich abgeblockt und meinte alle wären gegen ihn, selbst die eigene Familie."Ich versuchte das Thema wieder in eine fröhlichere Richtung zu lenken, keiner von uns hatte gerade Lust auf eine
therapeutische Sitzung.
Wir redeten noch eine Weile über belanglosere Dinge – wer in letzter Zeit das schönste Tor geschossen hatte, wie
Mervins Reise mit der Nationalmannschaft war, oder wie albern die Möwen draußen aussahen.
Beim Aufstehen meinte ich:
„Das machen wir auf jeden Fall nochmal. Möglichst bevor ihr umzieht.“„Ja“, lachte
Rosalie.
„Falls wir umziehen,“ ergänzte
Mervin.Wir gingen auseinander und als ich allein zurück zum Auto lief, war mir klar:
Das Halbfinale war nicht das Einzige, was in den nächsten Wochen spannend werden würdeIch fuhr noch ein paar Minuten an der Küste entlang, ließ das Fenster halb offen und den Wind rein.
Kein Radio, kein Telefon – nur das leise Klacken des Blinkers, wenn die Straße eine Kurve nahm und ab und zu eine Möwe, die so tief flog, dass ich fast den Kopf einzog.
Zu Hause stand die Sonne schon tiefer.
Ich verbrachte den restlichen Nachmittag damit, ein paar Notizen für das Halbfinale zu ordnen und alte Spielberichte zu überfliegen.
Nebenbei überlegte ich, wie ich
Bradshaw am besten wegen dieser Finanzgeschichte ansprechen könnte – ohne dass er gleich dichtmacht wie eine Auster.
Zwischendurch erwischte ich mich dabei, wie ich minutenlang auf den Bildschirm starrte, ohne eine einzige Zeile zu lesen.
Mein Gedankenkarussell war wie ein alter Jahrmarkt:
laut, bunt – und zu voll um den Ausgang zu finden.
Gegen Abend saß ich noch kurz auf der Terrasse, starrte auf den schmalen Streifen Meer zwischen den Häusern, trank einen letzten Kaffee und rauchte eine Zigarette.
Der Wind drehte und brachte den Geruch von
gegrilltem Fisch und irgendeinem
billigen Rum mit.
Als ich später ins Bett ging, war mein Kopf voll – aber nicht mehr ganz so schwer.
Glücklicherweise schlief ich recht schnell ein und lag nicht die ganze Nacht lang grübelnd da.
Am nächsten Morgen wachte ich ausnahmsweise mal nicht mit schlechter Laune auf.
Eher mit einem
nervösen Kribbeln.
Schließlich stand heute das bisher wichtigste Spiel meiner noch kurzen Karriere an – wie es die Reporter am Tag zuvor schon treffend formuliert hatten.
Kaffee aufgesetzt, Zucker rein, Zigarette angezündet.So bereit, wie man unter diesen Umständen eben sein konnte.

Der
Warner Park wirkte an diesem Tag wie ein völlig anderes Stadion.
Normalerweise konnte man vor Anpfiff noch die einzelnen Rufe der drei, vier Stammfans unterscheiden – heute lag ein
gleichmäßiges, aufgeregtes Summen in der Luft.
Wo sonst ein paar verstreute Grüppchen standen, drängten sich jetzt
über tausend Menschen auf den Rängen.
Zwischen dem Geruch von
frittiertem Fisch, gegrilltem Mais und
billigem Sonnenschutz kroch die Anspannung in jede Ritze der Tribüne.
Händler brüllten Preise, Kinder balancierten wackelnde Becher mit Limonade, und am Eingang beschwerte sich ein alter Mann, dass sein Stammplatz
„von so einem Touristen im gelben Hemd“ besetzt sei.
Der Gegner –
Saddlers United – lief auf wie eine Schulklasse auf Klassenfahrt:
viel jugendliche Energie, wenig Erfahrung.
Ich war mir nicht sicher, ob manche von ihnen überhaupt schon alt genug waren, um sich ohne Elternaufsicht in der Kabine aufzuhalten.
Bei diesem Anblick bekam hier jedenfalls niemand weiche Knie.
In der Kabine roch die Luft nach einer Mischung aus frischem Rasen, aufgeheiztem Kunststoff und dieser leicht metallischen Note, die Schweiß in geschlossenen Räumen hinterlässt.
Die Jungs waren ungewöhnlich leise.
Keine lockeren Sprüche, kein Kichern aus der Ecke der Youngsters – nur dieses konzentrierte Schweigen, das entweder in pure Energie oder lähmende Nervosität umschlagen kann.
Ich stellte mich in die Mitte, ließ den Blick einmal durch den Raum wandern und wartete, bis auch der Letzte das Handy beiseitelegte.
„Also …“Meine Stimme klang fester, als sich mein Puls anfühlte.
„Ihr wisst, was heute auf dem Spiel steht: Halbfinale. Nur noch ein Schritt bis ins Finale. Heute spielen wir vor einer tollen Kulisse – die halbe Stadt ist gekommen.
Lasst euch davon tragen, zeigt euren Familien, aus welchem Holz ihr geschnitzt seid.“Ein paar Köpfe hoben sich.
Bertie lehnte sich nach vorne,
Nelson drehte unruhig seine Trinkflasche in der Hand.
„Wir spielen bisher eine großartige Saison. Wenn wir heute so auftreten wie in den letzten Wochen, wird das unser Finaleinzug.
Wir haben gut trainiert, sind gut vorbereitet und wir sind eine Klasse besser als der Gegner.
Das ist unser Spiel – nicht ihres.
Frühes Pressing, schnelle Pässe und wenn sich die Chance ergibt, hauen wir das Ding rein.
Kein Mitleid, keine Zurückhaltung.
Heute zählt nur eins: dass wir hier als Sieger rausgehen.
So Männer, kommt zusammen.“Ich sah in ernste Gesichter – und wusste:
Sie hatten verstanden.
Die Spieler bildeten einen Kreis und schworen sich noch einmal ein.
Cayon Rockets – Saddlers UnitedAnpfiff.Wir kamen gut ins Spiel.
Von der ersten Minute an zeigten die Jungs, dass sie heute die dominierende Mannschaft sein wollten.
Sie gingen früh drauf und zwangen den Gegner schon im Aufbau zu Fehlern.
Noch vor der fünften Minute gab es eine Ecke für uns und
Nelson setzte den Ball nach einem schönen Pass von
Duncan nur knapp neben das Tor.
In der
8. Minute waren wir erneut in der Vorwärtsbewegung:
Morimoto setzte zu einem unwiderstehlichen Lauf die Linie entlang an, wurde bis an den Strafraum nur begleitet und nicht attackiert.
Ein kurzer Blick, eine Körpertäuschung – dann ein kräftiger Schuss aus der Drehung:
1:0.
Das Publikum brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass wir tatsächlich führten.
Dann brach der Lärm los wie in einem Tollhaus.
Nach zehn Minuten rollte die erste Laola über die Tribüne und die
Saddlers kamen auch nach dem Rückstand zu keinerlei Entlastung.
In der
17. Minute bekam
Nelson den Ball perfekt in den Lauf gespielt und tauchte frei vor dem Keeper auf.
Er täuschte an, zog ab –
Pfosten!Der Ball sprang schnurgerade zu ihm zurück und diesmal schob er ihn lässig am geschlagenen Torwart vorbei ins Tor.
2:0.
Es lief gut.Wir beruhigten das Spiel, hielten den Ball in den eigenen Reihen.
Die
Saddlers wirkten nicht, als hätten sie den Willen oder die Kraft, unserem Kombinationsspiel etwas entgegenzusetzen.
Und
Morimoto hatte wohl beschlossen, dass ein Tor nicht reicht –
und dass er morgen gerne auf dem Titelblatt landen würde.In der
34. Minute stand er nach einer längeren Ballstafette erneut frei auf links, spielte einen schönen Doppelpass und zog dann entschlossen Richtung Tor.
Aus gut 20 Metern fasste er sich ein Herz.
Präziser Abschluss, keine Chance für den Keeper:
3:0.Das Spiel schien schon vor der Pause entschieden.
Doch in der Nachspielzeit der ersten Hälfte gelang den
Saddlers tatsächlich noch ein sehenswerter Angriff.
Mit zwei schnellen Pässen kombinierten sie sich vors Tor,
Mudassa Howe rückte zu spät heraus und hob so das Abseits auf.
Ihr junger Stürmer
Weatherstone tauchte völlig frei vor unserem Keeper auf und vollendete mit einem sauberen Abschluss zum
3:1.
Er riss beim Jubel so enthusiastisch die Arme hoch, als hätten sie gerade den Pokal gewonnen.
Ob er mitbekommen hatte, dass wir bereits drei Tore auf dem Konto hatten?
Kurz darauf ertönte der Halbzeitpfiff und die Zuschauer applaudierten unserer Mannschaft.
In der Kabine gab es keine großen taktischen Umstellungen.
„Alles gut so – genau so weitermachen“, fasste ich es knapp zusammen.
Wir hatten das Spiel im Griff, jetzt ging es nur noch darum, den Vorsprung souverän nach Hause zu bringen.
Die zweite Hälfte begann, wie die erste geendet hatte – mit uns am Ball.
Doch statt weiterer Tore entwickelte sich nun ein
zähes, hitziges Spiel.
Die
Saddlers schienen begriffen zu haben, dass sie auf fußballerischem Weg nicht mehr rankommen würden.
Sie setzten also vermehrt auf
kleine Fouls, Nickligkeiten und
Provokationen.
In der
49. Minute rauschte ihr Torschütze
Weatherstone bei einem harmlosen Zweikampf in
Duncan hinein –
Gelb.Auch bei uns wurde die Gangart entsprechend härter.
Kezandre Buchanan sah in der
58. Minute ebenfalls
Gelb, nachdem er sich fürchterlich über einen falschen Einwurf aufregte.
In der
72. Minute wurde
Alex Taylor nach einem Trikotzupfen verwarnt.
Kurz darauf ließ sich
Nelson bei einem langen Ball nicht abschütteln, wurde aber von seinem Gegenspieler mit einem taktischen Foul gestoppt – die nächste Karte.
Damit standen die
Saddlers bereits bei vier Gelben.
Die letzten Minuten waren geprägt von vielen Unterbrechungen.
Das Publikum wollte noch ein viertes Tor sehen, wir wollten einfach nur den Deckel draufmachen.
Als der Schlusspfiff ertönte, war der Jubel trotzdem groß.
Die Jungs reckten die Fäuste in die Höhe und sangen mit den Zuschauern.
Ein paar sprangen sich in die Arme, andere klatschten mit den Fans an der Bande ab.
Morimoto grinste breit wie ein Honigkuchenpferd,
Nelson ließ sich vom Publikum feiern.
Kein wildes Feuerwerk – aber die Gewissheit:
Wir stehen im Finale.SpielstatistikDer Gegner würde allerdings ein ganz anderes Kaliber sein.
St. Paul’s United.Liga-Primus, Titelverteidiger, dreimal Pokalsieger in Folge.Eine Mannschaft, die man weder mit Schulklassen noch mit Amateurfußball verwechseln konnte.
Ihre Abwehr bestand aus gestandenen Männern und auch der Rest des Kaders war Erstliga erfahren.
Kein Wunder, dass selbst
Bradshaw ausnahmsweise mal den Satz „Das wird schwer“ in den Mund nehmen sollte.
Die Auslosung besagte, dass das Finale erst am Ende der Saison gespielt wird.
Nach Beendigung der Liga – Zeit genug also, um uns vorzubereiten.

Genießen konnte ich den Finaleinzug trotzdem nicht lange.
Schon am nächsten Tag lag wieder eine unschöne Nachricht vom Verband im Postfach.
Es war mal wieder Zeit für Länderspiele – und natürlich hatten sie wieder unsere besten Jungs einberufen.
An sich eine tolle Nachricht…
Wären unsere Anträge auf Spielverlegung nicht erneut abgelehnt worden.
Erneut würden sechs Spieler fehlen:
Nelson, Mervin Lewis, Bertie, Roberts, Buchanan und
Morimoto.

Zurück blieben ein paar Routiniers, ein paar Ersatzspieler – und eine Handvoll Jugendspieler, deren Brustbreite in Zentimetern kaum den Ballumfang überstieg.
Trotz der halben Mannschaft im Nationaltrikot – und einer Startelf, in der mehr Teenager standen als bei so manchem Schulausflug – zeigten die Rockets gegen die Southstars eine reife Leistung.
AufstellungClyde Mitcham sorgte schon in der
1. Minute für den perfekten Start, als er einen Abpraller aus kurzer Distanz über die Linie drückte.
Der Rest der ersten Hälfte war geprägt von viel Ballkontrolle
(57 % Ballbesitz) und dem Versuch, den Gegner laufen zu lassen.
Die
Southstars kamen bis zur Pause nur einmal gefährlich vor unser Tor – und selbst da fehlte der Abschluss.
Nach einer guten Stunde erhöhte
Jahsanni Merritt mit einem trockenen Schuss aus 16 Metern auf
2:0.
Der Youngster, der sonst oft im Schatten der Routiniers agiert, wirkte, als wolle er die Chance nutzen, sich dauerhaft für Startelf zu empfehlen.
Die Zuschauer standen endgültig Kopf, als
Gregory Goodridge in der
77. Minute vom Punkt traf.
Der
53-Jährige, inzwischen sowas wie ein lebendes Vereinswahrzeichen, wurde gefeiert, als gäbe es kein Morgen.
Kurz vor Schluss gelang den Gastgebern noch der Ehrentreffer durch
Thelston Hanley (87.).
Gefährlich wurde es danach aber nicht mehr.
Unterm Strich:
Eine souveräne Vorstellung in schwieriger Personalsituation – und der Beweis, dass unsere Nachwuchsspieler bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
SpielstatistikWährenddessen kam aus der Ferne die Nachricht, dass
St. Kitts & Nevis bei ihrem Testspiel gegen
El Salvador mit
1:4 untergegangen war.
Unsere Nationalspieler hatten also nicht nur ihre Vereinsaufgaben verpasst, sondern auch noch reichlich Gegentore eingesammelt.
Die einzig positive Nachricht war, dass
Vinceroy Nelson ein gutes Match spielte und sich mit einem Tor dafür belohnte.
„Immerhin hatte sich keiner verletzt“, murmelte ich in mein Telefon, als
Jazza mich wegen der Ergebnisse anrief.
LänderspielDie folgende Woche, war eine dieser seltenen, in denen im Büro mehr Papier unterschrieben - als Runden auf dem Trainingsplatz gelaufen wurden.
Wir hatten – man höre und staune – Verträge verlängert.
Nicht irgendwelche, sondern gleich mit den halben Säulen unseres Teams.
Bertie unterschrieb schweigend, legte den Stift ab und verschwand wortlos wieder Richtung Trainingsplatz.
Wichtig unseren Toptorschützen auch über das Jahr hinaus an uns zu binden.
Nelson dagegen wollte unbedingt ein Foto von der Unterschrift –
„für Instagram“.
Er posierte, als wäre er auf dem Titelblatt der
GQ Caribbean Edition.
Duncan kommentierte trocken, dass er den Stift gern behalten würde,
„falls wir später noch mal nachverhandeln müssen“.
Wir freuen uns unsere Vorlagenmaschine weiterhin an Board zu haben.Morimoto fragte, ob im Vertrag auch Freistöße prämiert würden.
Wir einigten uns auf eine fünf Dollar Prämie für eine Partie ohne Gegentore.Roberts nickte einfach nur und meinte, er freue sich, da er sich
„wie zu Hause fühle“.
Buchanan schrieb beim ersten Versuch auf der falschen Linie und musste noch mal anfangen – vermutlich der einzige Spieler der Liga, der sich beim Unterschreiben verhaspelt.
Unsere stabilen Außenverteidiger bleiben auch weiterhin bei uns.Und während all diese Tinte noch trocknete, blieb eine Personalie hartnäckig im Kopf hängen:
Mervin Lewis.
Topverdiener – und in letzter Zeit mit einem Blick, der häufiger in die Ferne ging als auf den Ball.
Ob er sich gedanklich schon verabschiedet hatte?Wir würden bald genug merken, wie ernst es den beiden mit Auswandern ist… zumal ich bei den Finanzen im Moment auch noch im Dunkeln tappe.
Die Rückkehr zum Ligaalltag brachte gleich die nächste Improvisation – oder besser gesagt: die Wiederholung der letzten.
Auswärtsspiel bei den
Dieppe Bay Eagles, und mangels Alternativen lief dieselbe Elf auf wie schon gegen die
Southstars.
Nicht, weil ich ein Fan davon bin, Experimente zu vermeiden – sondern weil schlicht niemand anderes da war.
Der Beginn war fast ein
Déjà-vu:
Evansroy Rouse traf früh
(11.), wir kontrollierten das Spiel, hielten den Ball in den eigenen Reihen
(62 % Ballbesitz, 89 % Passquote) und ließen hinten so gut wie nichts zu.
Dieppe Bay wirkte lange harmlos – bis zur
59. Minute, als ihr erster Torschuss direkt den Ausgleich brachte.
Kurz wirkte es, als würde unsere stabile, aber ausgelaugte Notelf diesmal nicht noch einen Gang hochschalten können.
Doch dann tauchte in der
86. Minute Nick Wallace frei vor dem Tor auf und netzte eiskalt ein.
19:4 Torschüsse, 2,40 zu 0,16 xG – die Statistik zeigte klar, wer hier Herr im Haus war.
Das Ergebnis sah letztlich enger aus als es tatsächlich war.
2:1,
Arbeitssieg, Pflicht erfüllt – und das mit denselben elf Mann, die schon drei Tage zuvor 90 Minuten abgerissen hatten.
SpielstatistikDoch die Nachricht des Tages kam nicht vom Platz, sondern aus dem Büro des
Nachwuchsleiters.
Er stand in der Tür wie ein Mann, der gleich gestehen muss, dass er den Hund aus Versehen mit dem Rasenmäher touchiert hat.
„Wir haben die Einschätzung für den diesjährigen Jugendjahrgang“, begann er, und sein Tonfall ließ schon ahnen:
Das wird kein Märchen.Und tatsächlich – das Papier war eine Beleidigung für jeden, der jemals einen Ball berührt hat.
Kein Keeper mit Talent, kein Mittelfeldspieler, der den Namen verdient, und bei den Verteidigern nur das Prädikat „nicht besonders gut“.Ich legte das Blatt auf den Stapel
„später verbrennen“ und dachte mir, dass mancher Straßenkick im Viertel mehr Talent aufbot als diese Liste.
Talente? Fehlanzeige!Vielleicht sollten wir stattdessen mal die Altersheime durchsuchen – mit etwas Glück finden wir ja einen zweiten Goodridge.